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Sternekoch

Magnus Nilsson über die deutsche Küche, die Berliner Szene, seinen zweiten Michelin-Stern und sein neues Buch

Der Koch des Fäviken ist einer der Köpfe der New Nodic Cuisine, die aus dem kulinarischen Niemandsland eine der spannendsten Küchen der Welt gemacht haben. Im Interview wagt er einen kleinen Ausblick für die Entwicklung in Deutschland.

Der schwedische Koch Magnus Nilsson ist eine der schillerndsten Figuren der neuen nordischen Küche und sein Restaurant „Fäviken", versteckt in der totalen Einöde Nordschwedens, ist mittlerweile weltbekannt und Leute aus aller Welt pilgern in die eisige Kälte Jämtlands für eine Mahlzeit. Sein größtes Projekt der letzten drei Jahre fand jedoch außerhalb seiner Restaurant-Küche statt, ich rede von „Nordic – Das Kochbuch", einem monumentalen Werk, das erstmals versucht, das kulinarische Gesamterbe der nordischen Kulturen zusammenzufassen. Wir trafen uns mit Magnus in Berlin im „The Store" für den Launch der deutschen Version von „Nordic — Das Kochbuch", das gerade bei Edel herausgekommen ist, um mit ihm über nordische Küche, deutsche Gastrokultur und schwedische Taco-Quiches zu sprechen.

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MUNCHIES: Magnus, Willkommen in Berlin. Bist du zum ersten Mal hier? Magnus Nilsson: Danke! Nein, in meinen frühen nuller Jahren, als ich in Paris bei L'Astrance gerabeitet habe, kamen wir oft nach Berlin, um zu feiern.

Wie war das Essen damals in Berlin? Na ja, sagen wir mal so, wir kamen nicht wegen des Essens hierher, sondern weil Berlin eine spaßige Stadt war.

Ich kann bestätigen: Das ist Berlin immer noch. Mit der Ausnahme, dass man heute besser essen kann. Was symbolisiert für dich die deutsche Küche? Nun, ich kenne mich ehrlich gesagt mit der deutschen Küche nicht wirklich aus.

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Interessant, warum denkst du, ist das so? Ganz einfach, ich habe nicht so viel Zeit hier verbracht. Weißt du, ich bin in Schweden aufgewachsen, lebte in Frankreich, bin jetzt wieder zurück in Schweden, ich war nur einige Male in Deutschland und habe noch viel zu lernen, was deutsches Essen angeht.

Hast du als Außenstehender dann überhaupt ein Bild, was moderne, deutsche Küche ist? Darüber habe ich tatsächlich schon einige Male nachgedacht. Es ist ziemlich spannend, die deutsche Küche mit der nordischen zu vergleichen. Im Vergleich zu Dänemark hat Deutschland einen sehr starken Binnenmarkt und die ambitionierten Restaurants haben vorwiegend deutsche Gäste. Daher sind die meisten, aufstrebenden Restaurants auch auf eine deutsche Kundschaft ausgerichtet und in diese Richtung gehen dann auch die Entwicklungen. Weißt du, ich wurde schon oft gefragt: „Wie kam es zur modernen nordischen Küche?" Früher hatten ambitionierte Restaurants in Dänemark auch die eigene Bevölkerung als Zielgruppe, aber die Macher des NOMA fühlten sich von Anfang an gezwungen, über den Tellerrand eines kleinen Landes zu schauen und ein internationales Publikum anzusprechen, um auch wirklich erfolgreich zu werden. Aber ich glaube, dass das in Deutschland, und vor allem Berlin, ganz ähnlich sein wird. Restaurants werden ihren Fokus auch auf ein internationales Publikum ausweiten

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Wir können also hoffen, dass Berlin eine ähnliche Entwicklung wie Kopenhagen haben wird? Das wird sich noch zeigen, man darf nicht vergessen, dass der internationale Durchbruch des NOMA und der Kopenhagen-Szene der Höhepunkt einer Entwicklung war, die schon 10 bis 20 Jahre vorher anfing. Gastro-Touristen und Journalisten kamen aus aller Welt und entdeckten eine Restaurant-Szene, die unglaublich hochwertig und zugleich unbekannt war, und es war leicht, darüber zu schreiben und Geschichten zu erzählen. Ob und wann Berlin sich in eine ähnliche Richtung geht, wird sich also erst in ein paar Jahren zeigen.

Die bekanntesten Restaurants Berlins kochen nicht deutsches Essen, sondern asiatisch. Warum, denkst du, ist das so? Siehst du, Menschen essen vor allem zu Hause und ich glaube, dass in Berliner Haushalten gerade nicht die Küche der deutschen Großmütter gekocht wird, sondern viel asiatisch, italienisch und südamerikanisch. Deswegen ist es auch gar nicht merkwürdig, dass sich dies in der Gastronomie widerspiegelt. Die Idee, kulinarische Traditionen zu schützen, ist eigentlich ziemlich neu und seltsam. Wir zwingen Menschen dazu, Dinge so zu tun, wie sie vielleicht vor 50 Jahren Sinn machten, aber heute nicht mehr. Es ist natürlich schade, falls dabei die Küche der Großmütter verloren geht.

Warum hat sich in den letzten Jahrzehnten in der deutschen Küche nichts mehr entwickelt? Manchmal muss man genau hinsehen, um kulinarische Entwicklung zu erkennen. Eines der Dinge, die ich nach der Arbeit an meinem Buch erkannt habe, ist, dass in den vergangen 20 bis 30 Jahren viele der beliebtesten Gerichte der Schweden erfunden wurden—im Endeffekt seit dem Entstehen des Internets. Historisch betrachtet ist das eine sehr kurze Zeitspanne und ich bin mir sicher, dass es in Deutschland ähnlich war. Um zu verstehen, was wirklich beliebt ist, muss man eigentlich nur schauen, wie oft Rezepte im Internet geklickt oder gesucht werden.

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Gehört das Gericht „Taco Quiche" aus deinem Buch zu dieser Kategorie? Auf jeden Fall! Die Taco Quiche ist so ein Gericht, entstanden in den 80ern als Gewürzhändler Tacos auf dem schwedischen Markt einführten und Menschen das Ganze mit beliebten, heimischen Produkten kombinierten. Dabei erfanden sie eine Quiche mit tex-mex-gewürztem Hackfleisch. Ein anderes meiner Lieblingsbeispiele ist der schwedische „Klebekuchen", ein halb fertiger, saftiger Schokoladenkuchen, der irgendwann Ende der 70er Jahre auftauchte. Mittlerweile ist er mit über 650.000 Suchergebnissen das am häufigsten veröffentlichte schwedische Rezept im Internet.

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Also quasi wie der Döner Kebab in Deutschland? Ich bin wahrlich kein Döner-Experte, aber wahrscheinlich gibt es große Gemeinsamkeiten, wie diese Gerichte zustande kamen.

Was außer Taco-Quiche kann der Leser von „Nordic – Das Kochbuch" erwarten? Erzähl uns ein bisschen über die Geschichte des Buches. Also, ich bekam von meinem Verleger die monumentale Aufgabe, ein Buch über die nordische Küche zu schreiben. Nach anfänglichen Zweifeln hinsichtlich Durchführbarkeit und Sinn des Projektes war die Aufgabe doch am Ende des Tages zu verlockend, um sie jemand anderem zu überlassen. Ich habe mir alle vorhandenen Kochbücher zu dem Thema besorgt—eher enttäuschend übrigens—und dann Leute dazu aufgerufen, mir ihre Lieblingsrezepte aus den nordischen Ländern zu schicken. Das hat unglaublich gut funktioniert. Ich habe Tausende von Rezepten in Briefen und E-Mails erhalten. Dann habe ich aus den riesigen Massen an Rezepten eine Auswahl getroffen und habe Menschen in diesen Regionen besucht, um diese Gerichte zu dokumentieren und zu verstehen. Diese Reisen und die Entdeckung dieser unterschiedlichen Gerichte waren für mich am faszinierendsten und es gab echt viele Sachen, von deren Existenz ich nicht die geringste Ahnung hatte. Die Sache, die mich wirklich am meisten überraschte, war, dass die nordische Region viel diverser ist, als ich erwartet hätte. Das Ergebnis ist letztendlich eine Sammlung von 700 Rezepten aus Schweden, Dänemark, Finnland, Island, Grönland und den Färöer-Inseln und das kompletteste Bild der kulinarischen Traditionen der nordischen Regionen, das bisher veröffentlicht wurde. Obwohl ich das ganze mehr als ein „work in progress" sehe, komplett kann solch ein Projekt nicht sein.

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Hast du ein Lieblingsrezept, das du gerne hervorheben würdest? Nein, denn bei dem Buch habe ich probiert, mich so weit wie möglich rauszunehmen, weil es ein dokumentierendes Buch über andere sein soll.

Hatte die Arbeit an dem Buch einen Einfluss auf eure Arbeit in deinem Restaurant Fäviken? Ich dachte erst nicht, dass es einen Einfluss haben würde, weil es sich ja um Hausmannskost handelt und ich dachte, dies sei fern von dem, was wir sonst so machen. Aber als das Projekt vorbei war, habe ich realisiert, dass es uns doch ziemlich stark beeinflusst hat. Wir nehmen nicht unbedingt einzelne Rezepte, aber generelle Ideen hier und da tauchen auf jeden Fall auf. Retrospektiv betrachtet ergibt das auch Sinn, weil wenn man so etwas drei Jahre lang macht, dann ist es ziemlich unumgänglich, dass es einen großen Teil deines generellen, kreativen Outputs beeinflussen wird.

https://www.youtube.com/watch?v=3eHFhaocni0

Apropos Einfluss, das Fäviken hat gerade zwei Michelin-Sterne bekommen, wird sich jetzt etwas verändern? Ich bin mir sicher, dass sie irgendeinen Effekt darauf haben, aber es ist schwer für uns, das zu messen, da wir schon vorher immer ausgebucht waren. Ganz ehrlich: Ich war ich nie so wirklich auf solche Dinge fokussiert und wenn das Ziel gewesen wäre, Michelin-Sterne zu bekommen, dann hätte ich das Restaurant nicht hier eröffnet. Bis 2015 gab es im Michelin-Guide keinen Teil, der diesen Teil Schwedens berücksichtigte. Aber es ist natürlich sehr schön und für viele Leute in meinem Team war das ein persönlicher Boost. Vielleicht war es für sie auch wichtiger als für mich. Ich habe ja schon während meiner Arbeit im L'Astrance erlebt, wie wir einen zweiten Stern bekommen haben.

Was sind deine weiteren Pläne, jetzt, wo du dieses riesige Projekt beendet hast? Gehst du wieder zurück hinter die Kulissen? Ja, weißt du, ich habe sie ja nie richtig verlassen, ich bin immer noch drei Tage in der Woche im Fäviken. Und dann bin ich mir auch sicher, dass da noch andere Projekte auf mich zukommen werden. Das hier ist die erste nicht-englische Ausgabe, die herausgegeben wurde. Und im Laufe des Jahres sollen noch ein paar andere Ausgaben kommen, die ich auch unterstützen möchte.

Was können wir in Zukunft vom Fäviken erwarten? Nun, ich hoffe, ich werde weiterhin Spaß daran haben und ich hoffe, dass die Leute weiterhin kommen werden, weil man sich andernfalls die ganzen Entwicklungen nicht mehr leisten kann.

Danke für das Gespräch, Magnus.