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Veganismus

Die härteste Härte: Warum Hardcore und Tierrechte für Heaven Shall Burn zusammengehören

Die Band ist zweigeteilt, manche sind vegan, andere leben vegetarisch. Warum das von ihrer Musik nicht zu trennen ist, erzählen sie hier.
Foto mit freundlicher Genehmigung von Heaven Shall Burn

Keine Gnade, keine Gnade für die Mörder, Gewalt und Gegengewalt: „No mercy for assasins / Violence against violence". Als der Song „Hunters will be Hunted" der deutschen Hardcore-Band Heaven Shall Burn 2013 erschien, hieß es, das Lied sei Aufruf zum Mord, die BILD-Zeitung sprang darauf an und zitiert den CDU-Politiker und Präsident des deutschen Jagdverbandes so: „Die Band ‚Heaven Shall Burn' will ihren Lebensentwurf anderen mit Gewalt aufzwingen und ruft sogar indirekt zum Mord auf. Damit konterkarieren die ‚Künstler' sich selbst und stellen die Demokratie, ja sogar den Rechtsstaat infrage." Die URL zu dem Artikel liest sich so: „aufruf-zur-gewalt-metal-band-will-jaeger-toeten".

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Jeder, der die Band und den Hardcore kennt, der weiß, wie so etwas vorgetragen wird. „Es fällt schwer, über die Dinge, die einen anpissen, in einem ruhigen Ton zu sprechen", sagt Maik Weichert, einer der beiden Gitarristen der Band. Jeder, der sich den Song allerdings genauer angeschaut hat, weiß hingegen, es geht um die Waljagd: „Across the open seas, together through the storm / You'll make no creature bleed, nevermore, forevermore". Allerdings spielt die Band mit dem Missverständnis, das ist kalkuliert. Im Video zu dem Song folgt man einem Jäger bei der Jagd.

Alle Mitglieder der Band leben vegetarisch oder vegan und das schon eine lange Zeit, obwohl sie in Thüringen groß wurden, dem Großrostbratwurstland. Maik lebt schon seit 20 Jahren vegan. Als er aufwuchs, wollte er anders sein, sein erster Impuls trieb ihn zum Vegetarismus, er wurde politischer, hörte weniger Metal und mehr Hardcore, wo Bands wie Earth Crisis oder Snapcase über Umweltpolitik und Veganismus sprachen. Ein paar Jahre machte auch Maik den Schritt vom Vegetarier zum Veganer, dieses Mal war es ein ausgesprochen politischer Akt, nicht unreflektierter Widerstand. „Nicht so ein Rebellionsding", wie er sagt. „Hardcore ist politische Musik, ich glaube der Konsens besteht, und wenn man beginnt, sich politische und umweltpolitische Gedanken zu machen, dann kommt man an dieser Frage überhaupt nicht vorbei."

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Hardcore hat eine unglaubliche Aura, eine unglaubliche Wut in sich, die sich Bahn bricht, in Gesang und Moshpits, Violent Dancing und harten Breaks. Eine Kultur, die, so sieht es auf den ersten Blick aus, von Gewalt, Männlichkeit und Härte geprägt ist. Und dann das: Umweltbewusstsein, Tierliebe, Fleischverzicht. Das wird auch 2016 von konservativer Seite noch kritisch beäugt, für „weibisch" und „verweichlicht" gehalten. Das alles interessiert Maik nicht im Geringsten. „Man macht sich keine Gedanken, was die anderen von einem halten, sondern man will die Welt verändern." Hardcore ist kein Tough-Guy-Wettbewerb, sondern eine „grundehrliche Weltveränderungsattitüde". Veganismus ist für ihn ein Statement, das genau diese Attitüde ausdrückt. Hardcore ist und war für viele immer mehr als Musik, ein System konsequent anzuwendender Regeln und durchzuhaltender Einstellungen: „Als Jugendlicher denkt man zwar, man hätte die Welt verstanden, merkt aber, dass man gar nicht viel machen kann. Deswegen ist der erste Schritt, bei sich selber anzufangen."

Wenn Heaven Shall Burn auf Tour gehen, dann sind die Aktivisten von Sea Sheperd immer dabei, in ihren Songs behandeln sie immer wieder Tierrechte. Auf der Bühne verzichten sie auf Durchsagen zum Thema, das klänge „putzig", mit ihrem ostdeutschen Zungenschlag. Sicher, auch Maik war auf der Suche nach Vorbildern, als er jünger war und er fand sie in Menschen wie Karl Buechner, dem Sänger von Earth Crisis, der Veganer ist. Subkulturen geben Orientierung und auch Heaven Shall Burn sind mittlerweile selber Vorbilder: „Es ist für mich wichtig, dass uns die Leute als vertrauenswürdige Informationsquelle sehen." Er selber hat den Einfluss der Band auf die Jugend lange unterschätzt. Oft bekommen sie Mails, in denen Fans berichten, dass sie nun auch verzichten.

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Die Menschen, die sich in der Szene bewegen, sind auf der Suche nach eben solchen alternativen Informationsquellen, die sich vom Mainstream unterscheiden. Es sollen nicht die Werte, Vorstellungen und der Geschmack der Mehrheit unreflektiert übernommen werden. Das, darauf legt Maik Wert, muss man aber zu Ende denken. Der „Hardcore-Gedanke" fördert das Selbstdenken, die Mündigkeit. „Blind einem Vorbild hinterherzulaufen, ist eigentlich nicht Hardcore." Dabei spielt es keine Rolle, ob das jemand in- oder außerhalb der Szene ist. „Ich halte nichts davon, Textzeilen wie Bibelzitate zu behandeln."

Dann ist es nur konsequent, wenn man die Entscheidung von anderen akzeptiert, weiterhin Fleisch zu essen: „Wie soll ich den Respekt für Tiere einfordern, wenn ich noch nicht einmal meine Mitmenschen respektieren kann?" Ohnehin: „Wenn er kein Arschloch ist, wird er trotzdem drüber nachdenken, was für Fleisch er isst." Schließlich ist der Mensch das einzige Lebewesen, das besser sein kann, als seine Natur. Für Maik gehört es zum „besseren Mensch sein" dazu, auf Tiere und Tierprodukte zu verzichten. Vor zwanzig Jahren, da hat sich Maik noch ständig erklären müssen, vieles wussten die Menschen einfach nicht. Heute kann man wissen, was man über die Fleischproduktion wissen muss, das Internet hält alles bereit. Früher war Nichtwissen das Problem, heute ist es Ignoranz. „Man beachtet es oder man ignoriert es, das ist der große Unterschied zu früher." Das System, so wie es jetzt ist, es pisst ihn an, es ist eine Triebfeder für die Musik.

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Die Musik, so hart sie auch sein mag, verlangt vor allem eines: Härte nicht gegen andere, sondern Härte gegen sich selbst. Verzicht und Askese, die beständige Überprüfung der eigenen Annahmen, der eigenen Lebensweise, die beständige Suche nach Alternativen, nach dem Besseren und nach dem Guten, die intensive Beschäftigung mit den Zuständen in der Welt.