Auf den Spuren des Marzipanschweins
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Auf den Spuren des Marzipanschweins

Schweine bringen ja bekanntlich Glück. Deshalb schenken wir uns zum Jahresende gern Marzipanschweine, die manchmal jahrelang als Andenken und Glücksbringer auf Regalen ihr Dasein fristen. Wir haben in der Marzipanhauptstadt einen waschechten „Lübäcker...

Ende des Jahres sieht man sie bei uns überall: Marzipanschweinchen. Traditionell werden diese kleinen, fleischfreien Träume aus Zucker und Mandeln als Glücksbringer zum Jahreswechsel verschenkt. Wir haben uns die Wurzeln der Schweinchen-Tradition einmal näher angeschaut.

Wer Glück hat, hat Schwein (gehabt). Dieser uns heute noch geläufige Ausdruck stammt noch aus dem Mittelalter: Hatte ein Bauer einen großen Schweinewurf, war das ein erfolgreiches Jahr für ihn. Etwa zur gleichen Zeit wurde auch Marzipan in Deutschland immer beliebter, insbesondere in Lübeck im Norden Deutschlands. Die Hansestadt war im Mittelalter ein wichtiges Handelszentrum und ist mittlerweile weltweit als Marzipan-Mekka bekannt.

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Burkhard Leu formt ein Marzipanschwein. Alle Fotos von der Autorin.

Burkhard Leu ist waschechter Norddeutscher und hat so seine Liebe zum Marzipan entdeckt. Sein mammutgroßes Marzipanschwein hat es sogar ins Guinessbuch der Rekorde geschafft. Da er in einem kleinen Ort in der Nähe von Lübeck aufgewachsen ist, hat er Marzipan quasi mit der Muttermilch aufgesogen. Wenn seine Mutter mit frisch gemachtem Marzipan aus der Küche kam, hat er die Zucker-Mandel-Masse stundenlang am Essenstisch auf einem Marmorteller geknetet.

„Marzipanschweine waren meine Spezialität", erzählt er mir, als ich ihn in seinem Geschäft, im Lübecker Marzipanspeicher, besuche. „Niemand konnte die so gut machen, wie ich. Als am nächsten Tag ein Kunde in unserem Geschäft drei meiner Schweinchen kaufte, war ich richtig stolz."

Den Rest seiner Marzipankreationen hat seine Mutter damals an die Hunde verfüttert. Aber das hat seiner Leidenschaft für die Süßigkeitenherstellung keinen Abbruch getan. Einige Jahre später eröffnete er sein eigenes Süßigkeitengeschäft am Traveufer in Lübeck. Jeden Tag steht er hier hinter der Theke und lässt seine Kunden die süßen Köstlichkeiten probieren. Dabei trägt er immer sein Lübäcker-Kostüm:weiße Kochjacke mit roter Krawatte, Schürze und den roten Kochhut leicht schräg auf dem Kopf.

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Marzipanschweine im Lübecker Marzipanspeicher.

In seinem Geschäft kann man Marzipan in allen erdenkbaren Formen und Farben kaufen. Hier gibt es nicht nur das traditionelle Lübecker-Marzipan, sondern auch das etwas weniger bekannte Marzipan aus Königsberg, wo Burkhard Leus Vater geboren wurde. Diese Marzipansorte hat eine Art Kruste, ähnlich wie Brot oder Toast, weil sie nicht roh ist, sondern gebacken wird.

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Im zweiten Stock des Marzipanspeichers gibt es ein kleines Marzipanmuseum: Die Wände sind voll mit Zeitungsartikeln, Marzipanfiguren und anderen Erinnerungsstücken. Fast jeder der Artikel berichtet über Burkhards Meisterwerk: ein Marzipanschwein, das stolze 1.005 Kilogramm auf die Waage gebracht hat. Außerdem hat er das weltweit erste und einzige Marzipankleid aus 25.000 Pralinen gemacht. Allerdings hatten seine Marzipankreationen weniger Schwein…

„Das Schwein ist nach sechs Jahren ,gestorben'. Es ist einfach auseinandergefallen", erzählt er. „Aber für ein Marzipanschwein war das schon ein stattliches Alter. Das Kleid hatten wir hier ausgestellt, bis letztes Jahr eine Frau einfach hineingestolpert ist. Sie wollte wahrscheinlich einfach nur näher herantreten. Wir mussten das Kleid dann wegschmeißen."

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Schweinchenpresse bei Niederegger.

Seit 15 Jahren stellt Burkhard Leu in seiner Marzipan-Show jede Woche live kleine Figürchen her. Er bringt den Kunden bei, wie sie Schweine und Rosen aus Marzipan formen können. Für ihn ist das keine Kunst, sondern ein Handwerk, das jeder—egal wie alt—lernen kann.

„Als Konditor lernt man ja, wie man richtig Figuren formt", erklärt er. „Es gibt dabei drei Grundformen: Kugeln, Würste und Walzen. Daraus kann man alles formen, was man will. Aber fragt mich nicht, wer das erfunden hat. Ich war's nicht."

Nur ein paar Schritte weiter liegt das weltbekannte Niederegger-Café. Im Vergleich dazu ist Leus Marzipanspeicher eher klein: Niederegger versendet immerhin 30 Kilo Marzipan pro Tag in über 40 Länder weltweit. In der Niederegger-Marzipanfabrik in Lübeck arbeiten ungefähr 300 Leute. Die Mehrheit der Schweinchen wird hier von erfahrenen Konditoren per Hand hergestellt.

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Die Niederegger-Konditoren verpassen den Schweinen den letzten Feinschliff per Hand.

Niederegger hat vier verschiedene Marzipanschweine im Sortiment, einige flach, andere kugelrund. Die runden Schweinchen werden von Hand gepresst, immer acht Stück auf einmal. Danach nehmen die Konditoren jedes einzelne Schwein und reiben es mit Mandelöl ein (eine kleine Massage für die Schweine, wie sie selbst sagen). Dann werden noch Ohren und Schwanz mit einem kleinen Plastikwerkzeug zurechtgedrückt. Die Schweinchen werden mit rosa Farbe angesprüht, ihre blauen Augen werden in Handarbeit mit einem Pinsel aufgemalt. Nach einer kurzen Fahrt auf ellenlangen Fließbändern werden sie verpackt.

Dann geht es auf große Reise durch ganz Deutschland. Entweder sie landen dann in unserem Magen oder aber sie werden als Andenken, als Glücksbringer für die nächsten Jahre aufgehoben.

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Dank Sprühfarbe werden die Schweine schön gleichmäßig rosa.

„Jeder sollte doch ein bisschen Schwein haben, oder?", sagt Burkhard Leu und schaut sich dabei ein altes Foto an: Stolz steht er neben seinem riesengroßen Marzipanschwein (Gott hab es selig!). „Mein Schwein war einfach nur ein bisschen größer."