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Politik

Nach der Matura zum Militärdienst nach Israel

​Er macht die Matura in Wien, den Militärdienst in Israel. Statt in Wien zu studieren, geht Tomer* lieber zu einer israelischen Anti-Terror-Spezialeinheit.

Foto von Tomers Instagram-Profil. Als Begleittext postete er: "May god have mercy upon my enemies, because I won't!"

Ich habe Tomer vor ein paar Jahren in Wien beim Gedenkdienst kennengelernt. Der Gedenkdienst ist ein Freiwilligendienst im Ausland. An Holocaust-Gedenkstätten, Forschungsinstituten, Museen oder Pflegeheimen, in denen Überlebende leben. Der Dienst dauert zwölf Monate und wird als Zivildienst angerechnet.

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Tomer stand kurz davor, seinen Dienst an der Holocaust-Gedenkstätte in Yad Vashem, Israel zu leisten und ich meinen an einem Institut für deutsch-jüdische Geschichte in New York.

Als unser Dienst vorbei und wir wieder in Wien waren, erzählte er mir zum ersten Mal von einer israelischen Spezialeinheit, in die er es unbedingt schaffen wollte. Wir standen damals am Wuzzlertisch in einer Jugendherberge in Tulln an der Donau und tranken Dosenbier. Damals wirkte das alles nicht besonders real.

Inzwischen ist Tomer irgendwo in Nordisrael stationiert. Ich skype mit ihm an einem Shabbat, dem jüdischen Ruhetag im Kibbuz, einer Mischung aus Dorf und Kommune. Die Soldaten haben an dem Tag Auszeit, auch vom beschissenes Essen in der Kaserne; sie shoppen heute Süßigkeiten um 200 Euro.

VICE: Hallo Tomer, wie geht's dir?
Tomer: Ist eigentlich ganz gut hier. Die Armee hat halt die Kontrolle über dein Leben. Damit musst du klarkommen. In der Grundausbildung darfst du nur mit Erlaubnis aufs Klo. Du hast eine Minute fürs Pissen, sechs zum Kacken. Kommst du zu spät zurück, gibt's Liegestütze. Handy ist verboten, Rauchen auch. Jetzt in der Spezialausbildung ist es aber schon gechillter. Da dürfen wir auch mal abends rauchen.

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Wieso wolltest du zum Militär?
Mit 16 hatte ich keinen Plan, was ich mit meinem Leben machen will. Ich konnte mir drei Sachen vorstellen: Erstens, ich hau mich runter nach Israel und geh zur Armee. Zweitens, ich bau irgendwo in der Wüste ein Kibbuz auf. Drittens, ich studiere in Wien oder Amerika und hab ein chilliges Leben.

Dein Vater war ja auch schon bei der Armee.
Ja, aber er war immer dagegen, dass ich es auch mache. Er meinte: "Ich bin Israeli, darum hab ich das gemacht. Du geh lieber studieren und verschwende nicht drei Jahre deiner Jugend."

Welchen Bezug hattest du als Jugendlicher in Wien zu Israel?
Wir waren mit den Eltern im Sommer immer wieder ein paar Wochen dort. Ich hab auch den Nahostkonflikt aus Wien verfolgt. Ich war auf Kundgebungen und hab beim Fortgehen mit Leuten diskutiert. Aber ich hab das nur aus den Medien mitbekommen. Ich war nicht selbst vor Ort. Du hast deinen Zivildienst an der Holocaust-Gedenkstätte in Yad Vashem geleistet.

Da hast du zum ersten Mal in Israel gelebt, richtig?
Als ich im Sommer 2014 nach Israel gekommen bin, lief gerade Operation Protective Edge als Reaktion auf Raketenangriffe von der Hamas in Gaza. Da hab ich mitbekommen, wie das wirklich ist: Wenn die Raketen über dir fliegen und das ganze Land im Ausnahmezustand ist.

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Ich hatte das Gefühl, dass man Israel in Österreich als bösartiges Monstrum wahrnimmt.

Wie hast du die Situation vor Ort erlebt?
Israel ist eigentlich ein sehr gespaltenes Land. Es gibt religiös, säkular, links, rechts. Es gibt Europäer, Amerikaner und was auch immer. Aber wenn's Krieg gibt, hält das ganze Land zusammen. Und ich hab mich zugehörig gefühlt. Und mir gedacht: Leute in meinem Alter kämpfen in Gaza.

Und wie findest du hat man das in Österreich wahrgenommen?
Da war die Wahrnehmung komplett anders. Es gab Massendemos gegen Israel. Linke, die sich mit Rechten und Islamisten zusammentun, wenn's gegen den Feind Israel geht. Ich erinnere mich: Zu dieser Zeit hast du auch begonnen, auf Facebook Beiträge von der israelischen Armee zu teilen. Ich wollte meine Sicht der Dinge teilen. Ich hatte das Gefühl, dass man Israel in Österreich als bösartiges Monstrum wahrnimmt. Gleichzeitig haben die Leute hier teilweise wahnsinnige Angst, wenn alle 10 Minuten der Raketenalarm losgeht.

Nach dem Zivildienst hast du dich dazu entschlossen, in Israel zu bleiben und zur Armee zu gehen. Wie haben deine Freunde reagiert?
Viele haben mich gefragt, ob ich komplett crazy bin. Für sie ist es schwer zu verstehen, wieso jemand wie ich jetzt drei Jahre zum Militär in den Nahen Osten geht. Jemand, der 18 Jahre in Österreich aufgewachsen ist. Jemand der Matura hat und machen könnte, was er will. Aber die meisten meiner Freunde sind da eigentlich ganz chillig. Ich war im Sommer für vier Tage in Wien. Das war super, wie früher.

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Wie hast du dir das Militär vorgestellt und wie ist es wirklich?
Man stellt es sich wie in den Filmen vor: dass du nur Action hast. In Wirklichkeit verbringst du die Hälfte der Zeit damit, Sachen zu ordnen, zu putzen, dem Koch zu helfen, viele blödsinnige Sachen. Da geht viel Zeit drauf.

Die Ausbildung ist physisch und mental extrem herausfordernd.

Was gefällt dir?
Meine Basis ist in einer gebirgigen Region. Du trägst deine komplette Ausrüstung. Und einen Verletzten. Du hast 80 Kilo am Rücken. Dann sagen die Vorgesetzten: "Siehst du den Berg? Viel Spaß beim Raufmarschieren!" Ich kannte es nicht, dieses Gefühl: Nein, das geht nicht, unmöglich, das schaff ich nicht. Und dann machst du's einfach.

Wie laufen deine Tage ab?
Die Ausbildung ist physisch und mental extrem herausfordernd. Sehr wenig Schlaf, sehr harte Bedingungen. Manchmal müssen wir auf einem Felsen irgendwo im Nichts schlafen. Sonst auf einem Feldbett. Und du hast jede Woche eine Nacht, die du durchmachen musst. Da bist du 50 bis 60 Stunden durchgehend auf den Beinen. Jede Woche ist komplett anders. Einziger fixer Bestandteil: Krav Maga, Schießtraining, körperliche Fitness, Laufen, Krafttraining. Es gibt Orientierungsübungen. Zuerst lernst du eine Karte auswendig. Dann wirst du zu zweit im Nirgendwo ausgesetzt, musst dich im Gelände an gewissen Punkten orientieren und dich 30 Kilometer weit durchnavigieren.

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Wie hat sich deine körperliche Fitness entwickelt?
Früher war ich nach Kilometern am Limit. Jetzt lauf ich zehn Kilometer in vierzig Minuten und kann noch weitermachen.

Es gibt in deiner Ausbildung einen besonders harten Auswahlmonat zwischen Grund- und Spezialausbildung.
Das war von August bis September. Da entscheidet sich, wer in die Spezialeinheiten aufgenommen wird. Sie setzen dich Extrembedingungen aus. Du weißt nie, was als nächstes passieren wird. Wir waren in einem Wald mit null Kontakt zur Außenwelt. Du hast 20 Minuten in der Woche Handyzeit. Da kannst du deine Eltern anrufen und sagen, dass du eh noch lebst. Für 28 Leute hast du einmal in der Woche eine Felddusche. Leben tust du vor allem von Thunfischdosen.

Zur Zeit bist du in einer Anti-Terror-Spezialeinheit.
Da wollte ich unbedingt hin. Ich hab mir gedacht: Wenn ich's mach, dann zu 100 Prozent. Ich hab trainiert, zu kiffen aufgehört und hab's reingeschafft. Meine Spezialeinheit heißt Sayeret Golani, eine Infanteriebrigade, die an den Grenzen zu Syrien und Libanon stationiert ist.

Was macht deine Einheit genau?
Wir gehen ein paar Tage vor allen anderen rein und besorgen die notwendige Informationen. Also: Wo sitzen Kommandozentralen vom Feind, Intelligence-Gathering, Geiselbefreiungen, solche Sachen. Man kann meine Einheit mit dem Jagdkommando in Österreich vergleichen.

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Sind in deiner Spezialeinheit auch Frauen?
Bei uns nicht. In gewissen Kampfeinheiten gibt's aber schon welche. Bei Einheiten, die über Grenzen gehen, gibt's keine Frauen. Da ist die Befürchtung, dass es im Fall einer Gefangennahme bei einer Frau schlimmer werden könnte als bei einem Mann.

Bis die Wunden verheilen, hast du schon wieder neue.

Du bist seit 9 Monaten in der Armee. Die Grundausbildung ist vorbei. Ab wann bist du im Einsatz?
Wir haben jetzt noch ein halbes Jahr Spezialausbildung. Dann steigt mein Team auf in die aktiven Kämpfe und beginnt mit der operativen Aktivität.

Scheisst du dich davor an?
Nein, ich verlass mich da voll auf meine harte und lange Ausbildung. Ich werde vorbereitet sein.

Gab es Momente, in denen du ans Aufgeben gedacht hast?
Ja klar—du sollst auch an diesen Punkt gebracht werden. Aber ich bin aus diesen Challenges noch stärker herausgekommen. Du gehst über Limits, von denen du nicht denkst, dass das überhaupt möglich ist. Ich beweise mir ständig selber, dass ich alles, wirklich alles machen kann. Das treibt mich an.

Kannst du dich da an einen speziellen Moment erinnern?
Ja, das war zum Beispiel nach einem Monat bei der Armee, als ich 300 Meter mit dem Leichtgewehr Negeb kriechen musste. Auf Steinboden. Die wiegt 30 Kilo. Alles ist offen an deinem Körper. Ein anderes Mal gab es einen Marsch, bei dem wir die Nacht in einem Stachelbusch verbringen mussten und uns alles abgefroren haben. Bis die Wunden verheilen, hast du schon wieder neue. Irgendwann hast du überall Narben, aber es geht auch leichter.

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Ich erinnere mich, dass du immer ein Party-Typ warst. Einmal bist du nach dem Fortgehen verschwunden und niemand wusste, wo du bist—ein anderes Mal hast du am nächsten Tag mitten bei einem Workshop die Champignons von der Funghi-Pizza ausgekotzt. Machst du jetzt während deiner Ausbildung an deinem Off-Day auch noch Party? 
Ich könnte. Manchmal fahr ich auch nach Tel Aviv. Auch hier in der Nähe gibt's einen chilligen Club. Aber ich bin nur an wenigen Wochenenden zuhause. Und wenn, dann bin ich komplett hinüber und hab keine Kraft mehr fürs Fortgehen. Du trägst auch eine Verantwortung. Ich weiß, wenn ich mich heute Abend ansaufe, bin ich am Sonntag auf der Basis nicht fit.

Bei der Stellung in Österreich hast du unterzeichnet, dass du Gewissensprobleme beim Gebrauch von Waffen hast und lieber Zivildienst leisten möchtest. Jetzt leistest du Dienst an der Waffe. Darüber hab ich auch schon mit ein paar Leuten geredet. Menschen ändern sich. Damals bei der Stellung, mit 16, bin ich sicher hinter der Unterschrift gestanden.

Wie hat sich die Meinung deines Umfelds geändert?
Es sehen alle, dass es mir sehr gut geht bei dem was ich mache. Wenn ich zu Besuch in Wien bin, ist alles wie immer. Die Familie sorgt sich immer, aber sie gewöhnen sich dran.

Würdest du dieselbe Entscheidung heute wieder treffen?
Auf jeden Fall. Die Erfahrung ist es wert.

Was willst du nach der Armee machen?
Erst mal Rucksack packen und ab nach Südamerika.

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*Um Tomers Privatsphäre zu schützen, haben wir seinen richtigen Namen auf seinen Wunsch hin geändert.