Arbeit

Menschen erzählen, wie sie bei der Jobbewerbung ausgebeutet wurden

"Ich musste eine Woche ohne Bezahlung 'probearbeiten', nur um danach gefragt zu werden, ob ich noch eine weitere Woche ohne Bezahlung 'probearbeiten' könne."
bewerbungsgespräch
imago images / Ikon Images | Bearbeitung: VICE

Letztes Jahr war mein Traumjob zum Greifen nah. Ein Headhunter hatte mich gefunden und wollte, dass ich eine Stelle bei einem großen Nachrichtensender antrete – inklusive doppeltem Gehalt, weiteren Benefits und einem tollen neuen Jobtitel. Doch meine Begeisterung hielt nicht lange an: Der Bewerbungsprozess zog sich drei Monate hin. Ich musste durch zwei Meeting-Runden, bereitete ein halbes Dutzend Testbeiträge vor und stand probeweise vor der Kamera. Schließlich entschied sich das Unternehmen für einen anderen Kandidaten. Ich war enttäuscht, weil ich den Job nicht bekommen hatte. Und sauer, weil ich völlig umsonst umsonst gearbeitet hatte. Aber da geht es nicht nur mir so.

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Um Vollzeitjobs mit guter Bezahlung und gerechter Work-Life-Balance ist die Konkurrenz immer groß. Deswegen lassen die Arbeitgeber die Jobanwärter und -anwärterinnen bereits beim Bewerbungsprozess oft alle möglichen Aufgaben erledigen, damit sie sich beweisen können. Natürlich ohne Entgelt. Und sie wissen, dass sie bei den jungen Bewerberinnen und Bewerbern ohne Erfahrung oder Kontakte am längeren Hebel sitzen und sie ohne Probleme ausbeuten können.

Wir haben Kolleginnen und Freunde gefragt, welche absurden Dinge bei einer Bewerbung schon von ihnen verlangt wurden. Einige Namen haben wir aus offensichtlichen Gründen geändert.


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Kaitlyn bewarb sich im Social-Media-Bereich

Als ich mich für einen Job als Social-Media-Managerin vorstellte, musste ich als Test auf meinem persönlichen Twitter-Account über eine Konferenz des Unternehmens twittern. Und zwar zwei Wochen lang. Irgendwann waren meine Freunde richtig genervt.

Kyle bewarb sich als Programmierer

Ein Start-up-Unternehmen wollte, dass ich eine ganze Woche lang bei einem ihrer Programmierprojekte mitarbeite. So wollten sich die Verantwortlichen ein Bild über meine Codierungsfähigkeiten machen – und schauen, ob ich für den Job auch mal eine Woche ohne Bezahlung arbeite. Sowas ist bei kleineren Tech-Firmen recht geläufig. Aber welcher Mensch mit Familie oder anderen Verpflichtungen ist denn in der Lage, so lange umsonst zu arbeiten, nur um vielleicht eine Stelle zu bekommen? Natürlich habe ich nein gesagt.

Michael bewarb sich als technischer Redakteur

Ich wurde von einem Unternehmen, das technische Texte verfasst, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Dort sollte ich dann 1.200 Dollar bezahlen, um in einem Kurs zu lernen, wie genau sie dort ihre Texte schreiben. Ohne diesen Kurs gab es auch keinen Job. Was die ganze Sache aber noch viel absurder machte: Selbst wenn ich die 1.200 Dollar bezahlt und den Kurs absolviert hätte, wäre es nicht sicher gewesen, dass ich die Stelle bekomme. Es hätte ja auch sein können, dass ich ihre Methoden nicht komplett verstehe. Das Einzige, was ich hier nicht verstand, war diese Dreistigkeit. Ich bin dann einfach gegangen.

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Tristan bewarb sich als Kellner

Ich wollte in einem Restaurant als Kellner anfangen. Die Leute dort ließen mich dann erstmal eine Schicht hinter der Bar übernehmen, natürlich ohne Bezahlung. Außerdem musste ich die Teller spülen und mein Trinkgeld am Ende des Abends abgeben. Selbstverständlich hörte ich nie wieder was von denen.

Natasha bewarb sich als Masseurin

Als gelernte Massage-Therapeutin habe ich mich in einem Spa beworben. Als Einstellungstest sollte ich jemandem aus dem Team massieren, um zu beweisen, dass ich mein Handwerk verstehe. Ein anderes Mal sollte ich einen gut 20 Kilo schweren Sack Mehl hochheben, um zu zeigen, dass ich einen gut 20 Kilo schweren Sack Mehl hochheben kann. Ich weiß bis heute nicht, was das mit einer Massage zu tun hat.

Carolyn bewarb sich im Finanzbereich

Ich musste eine acht Stunden dauernde psychologische Einschätzung über mich ergehen lassen, sieben Stunden lang intensive psychologische Tests zu Themen wie Führungsstil oder Analytik mitmachen und eine Stunde lang mit einem Psychologen reden. Natürlich alles ohne Aufwandsentschädigung.

Chris bewarb sich für ein Praktikum bei einem Modemagazin

Ich wollte für ein Praktikum unbedingt nach Paris zu einem Modemagazin. Die Redakteurin fragte mich, ob ich vor der Praktikumszeit schon Zeit hätte, denen zu helfen. Kleine Texte schreiben, E-Mails checken, ein bisschen auf Social Media posten. Eigentlich war ich mitten im Semester, aber Paris lockte mich, also sagte ich zu.

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Die "Hilfe" bestand dann doch aus etwas mehr: Vor Shootings musste ich auf die Lieferanten warten, die Klamotten auspacken, sortieren und aufhängen. Das waren manchmal 25 Kartons und es dauerte auch mal bis drei Uhr nachts. Wenn etwas fehlte, musste ich den Firmen hinterhertelefonieren und jederzeit erreichbar sein. Die Redakteurin konnte (oder wollte) nicht helfen, weil sie eh bald kündigen wollte. Ein Gehalt bekam ich natürlich nicht. Aber weil ich unbedingt nach Paris wollte, ließ ich Vorlesungen und auch mal eine Klausur sausen. Was brachte eine gute Note, wenn mein Ziel direkt vor mir war? Am Ende sagten sie, dass sie ja eigentlich schon genug Assistenten in Paris hätten. Aber für mich machten sie gnädigerweise vielleicht eine Ausnahme. Ich hatte aber keinen Bock mehr und suchte mir ein anderes Praktikum.

Jaclyn bewarb sich in einem Restaurant

Während eines Bewerbungsgesprächs schickte mich der Besitzer des Restaurants raus auf die Straße, wo ich vorbeigehende Passanten dazu bringen sollte, im Restaurant zu essen. Bei Erfolg bekäme ich den Job. Der gleiche Typ steckte mir auch immer einen Zwanni zu, wenn ihm mein Outfit gefiel.

Kat bewarb sich in einer Bar

Alle sollten beim Gruppenbewerbungsgespräch eine Art Improvisationsstück aufführen. Man zeigte uns sogar einen Ausschnitt aus der Comedyserie Whose Line is it Anyway?, damit wir eine ungefähre Vorstellung hatten. Nur zur Erinnerung: Es ging um einen Job in einer Bar.

Rouvan bewarb sich in einer Werbeagentur

Ich musste eine Woche ohne Bezahlung "probearbeiten", nur um danach gefragt zu werden, ob ich noch eine weitere Woche ohne Bezahlung "probearbeiten" könne.

Courtney bewarb sich für eine Stelle im Finanzbereich

Mit 20 verspürte ich plötzlich den Druck, mir einen Erwachsenenjob zu besorgen. Also bewarb ich mich willkürlich für einen Job im Finanzbereich, für den ich absolut nicht geeignet war. Aus irgendeinem Grund wurde ich dennoch zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Leider war mir nicht klar, dass da noch weitere Bewerbende kommen würden. So saß ich mit Nasenpiercing und schwarzem T-Shirt zwischen zehn Männern in Anzügen und mit Aktenkoffern unterm Arm. Die Typen hatten alle Berufserfahrung, Uni-Abschlüsse und keine Spuren von Drogen im Urin. Ich konnte nur vorweisen, dass ich während der Pause noch nie beim Kiffen erwischt worden war. Als die Hälfte dieses Albtraums rum war, gab es eine kleine Unterbrechung. Ich sprang in mein Auto und brauste davon. Das Unternehmen bekam später wegen betrügerischer Geschäftspraktiken übrigens ordentlich auf die Mütze. Schade, da habe ich sicher ordentlich was verpasst.

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