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Justiz

Ein Ordnungsamt-Mitarbeiter ist rausgeflogen, weil er in der Pause 'Mein Kampf' gelesen hat

Jetzt bestätigte ein Gericht: Die Kündigung ist "rechtens". Haha.
Foto: imago | teutopress

Martin B. kramt im Pausenraum in seinem Rucksack. Vielleicht sucht der Mitarbeiter eines Berliner Ordnungsamts nur nach einem Brot mit deutscher Leberwurst, aber er findet seine Pausenlektüre: eine Originalausgabe von Mein Kampf, dem Hass-Manifest von Adolf Hitler. Er schlägt das Buch auf, auf dessen Umschlag ein Hakenkreuz eingeprägt ist, und informiert sich über den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Dann unterbricht ihn sein Schichtleiter: "Sowas kannste hier nicht lesen!" Ein paar Tage später liegt die Kündigung auf seinem Schreibtisch. So erzählte es Martin B. am vergangenen Montag vor einem Berliner Gericht. Martin B. fühlt sich so ungerecht behandelt wie der stellvertretende AfD-Chef Alexander Gauland, der sich für seine Äußerungen entschuldigen soll, man solle doch stolz sein auf die Leistungen der Wehrmacht.

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Der 39-jährige B. arbeitet fast zehn Jahre beim Ordnungsamt in Berlin-Reinickendorf. Normalerweise ermahnt er Hundehalter, die sich nicht darum kümmern, wenn ihre Lieblinge auf den Bordstein scheißen. Eine Abmahnung – das hätte sich B. auch gewünscht. Weil ihn sein Arbeitgeber aber direkt rausschmeißt, nachdem er vor gut einem Jahr Mein Kampf in der Pause gelesen hat, klagt er gegen die Kündigung. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat den Fall am vergangenen Montag verhandelt.


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"Eine Eselei", sagt Martin B. vor Gericht zur seiner Pausenlektüre. Mit Nazis habe er nämlich gar nichts zu tun. Das Buch kaufte er auf dem Trödelmarkt, sagt B. – und das ist in Deutschland tatsächlich erlaubt. Besitz, Kauf und Verkauf des Buchs, das entschied der Bundesgerichtshof in einem Urteil 1979, sind legal, selbst wenn ein Hakenkreuz auf dem Umschlag eingeprägt ist. Illegal war lange Zeit nur der Nachdruck des Buches, weil die Urheberrechte nach Hitlers Tod dem Freistaat Bayern gehörten. Vor zwei Jahren war dieser Rechtsanspruch abgelaufen und Wissenschaftler brachten eine kommentierte Ausgabe heraus, die zum Bestseller wurde.

Hätte Martin B. die gelesen, hätte er sich eventuell noch rausreden können, ihn interessiere Geschichte nun einmal. Weil er aber die Ausgabe mit Hakenkreuz las, bewertete der Richter die Kündigung von Martin B. als – Achtung! – "rechtens". Weil Martin B. im Dienst die "Uniform des Ordnungsamt" trägt, sei er ein Repräsentant des Landes Berlin. Deshalb, so der Richter, sei B. "besonders verpflichtet, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten". Wer ein Buch mit einem eingeprägten Hakenkreuz lese, verstoße gegen diese Grundordnung, weil er ein verfassungsfeindliches Symbol zeige. Martin B. hat schließlich ein Gelöbnis auf das Grundgesetz abgelegt, bevor er im Auftrag des Landes Berlin die hochheilige Aufgabe antrat, Fahrradfahrer zu drangsalieren, die ohne Rücklicht fahren.

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