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Warum die Suche nach Aliens und Dunkler Energie immer schwieriger wird

Die Radioteleskopie auf der ganzen Welt steht vor einem ernsthaften Problem. Schuld daran ist eine ganz spezielle Art der Luftverschmutzung.
Das CHIME-Teleskop in Kanada | Bild: Andre Renard | Dunlap Institute, University of Toronto

Aus einem abgeschiedenen Tal heraus sucht das kanadische Radioteleskop CHIME den Himmel nach Spuren von Dunkler Energie ab. Diese mysteriöse Kraft soll für die Ausdehnung des Universums verantwortlich sein, konnte bisher jedoch noch nicht direkt nachgewiesen werden. Auch nach Botschaften von außerirdischen Lebensformen lauschen Forscher mit dem CHIME-Teleskop. Obwohl das Multitalent erst seit September diesen Jahres in Betrieb ist, fürchten Astronomen, dass es mit ihren Messungen bald schon wieder vorbei sein wird. Denn Satelliten, aber auch Smartphones und andere Alltagstechnologien stören CHIMEs Arbeit zunehmend.

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Mark Halpern ist leitender Forscher am CHIME und Professor für Astronomie an der University of British Columbia. Er sagt, dass die wachsende Anzahl an Kommunikationssatelliten im All und Elektrogeräten auf der Erde, die Funkwellen abgeben, die Messdaten des Teleskops stören. In Zukunft wird die Intensität der Störsignale noch zunehmen. Das könnte schwerwiegende Folgen haben: Wenn die Astronomen ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen können, entgehen den Menschen künftig wichtige Erkenntnisse über unser Universum.

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"Das fühlt sich wie ein Wettlauf gegen die Zeit an. Wir müssen die Versuche mit dem CHIME-Teleskop abschließen, solange wir noch können", erklärt Halpern gegenüber Motherboard.

Der allgegenwärtige Störfunk und die katastrophalen Folgen für die Forschung

Funkwellen sind überall. Sie werden genutzt, um Daten für Radio, Fernsehen und dein Handy zu übermitteln. Jeder, der schon mal im Autoradio aus Versehen den Funkkanal des LKWs auf der Nebenspur erwischt hat, weiß, wie schnell Störgeräusche auftreten, wenn Signale sich überschneiden. Wenn dein Fernseher kurz mal statisch flimmert, ist das vielleicht kein großes Problem. Für Astronomen hingegen können die Störsignale katastrophale Auswirkungen haben, denn durch sie können ihre gesamten Forschungsdaten verloren gehen.

"Die große Frage ist: 'Ist das ET am anderen Ende der Leitung oder fliegt da nur schon wieder ein Telekommunikationssatellit über uns hinweg?'"

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Die Radioastronomie ist das Teilgebiet der Astronomie, in dem astronomische Objekte anhand der Radiowellen untersucht werden, die sie aussenden. In den vergangenen Jahren sind Radioastronomen beachtliche Durchbrüche gelungen: die Entdeckung von aktiven Galaxienkernen, den sogenannten Quasaren, die korrekte Abbildung von Asteroiden und ein Blick auf die kosmische Hintergrundstrahlung, die kurz nach dem Urknall entstanden ist. Erst kürzlich haben Forscher einen neuen Ursprung von Gravitationswellen entdeckt: Die gewaltige Kollision zweier Neutronensterne, die 130 Millionen Lichtjahre von uns entfernt stattfand. Astronomen werden die abgegebenenen Radiowellen untersuchen, um besser zu verstehen, was bei der Verschmelzung von Neutronensternen passiert und wie viel Energie dabei freigesetzt wird. Ohne funktionierende Radioteleskope wären all diese Forschungen nicht mehr möglich.

Die Warnschilder vor dem CHIME-Teleskop. Bild: Mark Halpern

Das Fernsehen funkt dazwischen

Die Internationale Fernmeldeunion der Vereinten Nationen spricht Empfehlungen für die Vergabe von Funkfrequenzen aus. Für die Durchführung von radioastronomischen Projekten sieht die Organisation eine eigene Bandbreite vor. Doch damit das CHIME-Teleskop seine Experimente durchführen kann, muss es auch Frequenzen außerhalb dieser Bandbreite nutzen, um größere Teile des Universums auf einmal erforschen zu können.

Zu Beginn des Projekts sei es noch kein Problem gewesen, auf so viele Frequenzen auf einmal zuzugreifen, so Halpern. Das Tal, in dem das CHIME-Teleskop steht, befindet sich in einer störsignalfreien Zone. Auf den Zufahrtsstraßen fordern Schilder Autofahrer dazu auf, alle elektronischen Geräte auszuschalten. Doch Halpern erzählt, dass sich die Situation vor etwa drei Jahren dramatisch geändert habe, als sich Fernsehstationen im Umkreis der nächstgelegenen Stadt Penticton ansiedelten, die nun den Empfang stören.

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Auch wenn die Lage im Tal das CHIME von örtlichen Funkwellen abschirmt, können die Fernsehsatelliten in der Umlaufbahn trotzdem Signalstörungen verursachen. Da die Forscher keine alleinigen Rechte an den Frequenzen besitzen, die sie für die Experimente nutzen, können sie dagegen nicht viel unternehmen. Kaufen können die Forscher die Radiofrequenzen nicht, denn die Bandbreite, die sie benötigen würden, würde mehrere Milliarden kosten. Halper rechnet damit, dass die noch verfügbaren Frequenzen früher oder später an Fernsehsender verkauft werden.

"Das CHIME hat nicht das nötige Budget, um seine eigene Frequenz zu kaufen", sagt Halpern. Denn in punkto Finanzierung sei die Kommunikationsbranche der Radioastronomie weit überlegen, meint Halpern.


Ebenfalls auf Motherboard: Der Alienforscher, der seinen Kollegen einen Funkspruch voraus ist


Selbst Autoschlüssel können die Experimente stören

Doch die Signalstörungen werden nicht nur von Satelliten im All verursacht. Ken Tapping, Astronom am Dominion Radio Astrophysical Observatory in Penticton, erklärt uns, dass auch alltägliche Elektrogeräte wie Smartphones und sogar elektronische Autoschlüssel Funkwellen abgeben, die andere Frequenzen stören. "Diese Signale können in allen Frequenzbereichen auftreten. Völlig willkürlich", sagt Tapping in einem Telefon-Interview.

Die Internationale Fernmeldeunion gibt an, dass radioastronomische Studien mit einem Datenverlust durch Störsignale von bis zu fünf Prozent rechnen müssen. Das hört sich vielleicht erstmal nicht viel an, doch bei Experimenten, die kurze Radiowellenimpulse aufspüren sollen, könnten so entscheidende Daten verloren gehen. Selbst wenn alle Akteure nur die Radiofrequenzen nutzen würden, die ihnen zustehen, glaubt Tapping, dass die Störsignale in Zukunft noch zunehmen werden – weil die Masse an technischen Geräten immer weiter wächst.

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"Sie sind extrem billig, sie werden aus dem Ausland importiert und sie werden völlig unreguliert überall eingesetzt", beschreibt Tapping, warum die Verbreitung von billigenb Elektro-Geräten zunehmend zum Problem wird. "Wenn diese Geräte eine gewisse Nutzungsdichte erreichen, könnte das die Radioastronomie sehr erschweren."

Tapping hofft, dass die Internationale Fernmeldeunion den Datenverlust auf fünf Prozent beschränken kann. Denn wenn die Forscher noch mehr Daten verlieren würden, hätte das wohl ernste Auswirkungen auf die Finanzierung: Geldgeber könnten das Gefühl bekommen, für ihre Investition nicht genug Ergebnisse zu erhalten.

Stell dir vor, ET ruft an und keiner hört es

Die zunehmende Belastung durch Funkstörungen erschwert es Wissenschaftlern auch in Zukunft, mögliche Signale von außerirdischen Lebensformen zu empfangen. Am SETI-Institut in Kalifornien lauschen Radioastronomen ununterbrochen nach Nachrichten, die keinen menschlichen Ursprung haben. Laut des leitenden SETI-Astronomen Seth Shostak könnten diese Nachrichten den Signalen sehr ähnlich sein, die Menschen jeden Tag produzieren.

"Die große Frage ist: 'Ist das ET am anderen Ende der Leitung oder fliegt da nur schon wieder ein Telekommunikationssatellit über uns hinweg?'", sagt Shostak. Wenn SETI ein vielversprechendes Signal aufspürt, gleichen die Astronomen zunächst ab, ob es sich in Einklang mit der Erddrehung bewegt. Außerdem stellen sie sicher, dass das Signal von keinem ihrer anderen Receiver empfangen wird, denn das wäre ein Hinweis darauf, dass es von einem menschlichen Satelliten oder einer Funkstation auf der Erde stammt.

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Die Suche nach dem perfekten Standort wird immer schwieriger

Um Funkstörungen so weit wie möglich zu reduzieren, schaffen Radioastronomen ihre Geräte in abgeschiedene Gegenden, in denen nur wenige Menschen leben. Manchmal können diese Maßnahmen zu dystopischen Regeln führen: China hat rund um sein riesiges Radioteleskop eine menschenleere Zone errichtet, in der elektronische Geräte strikt verboten sind. Um sicherzustellen, dass es hier absolut keine Störsignale gibt, mussten vor dem Bau mal eben 9.000 Menschen ihr Zuhause verlassen und wurden umgesiedelt.

Das CHIME-Teleskop bei Tageslicht | Bild: University of British Columbia

Halpern erzählt uns, dass sein Team Feldmessungen in abgelegenen Orten wie der Sahara vornahm, um den perfekten Standort für das CHIME zu finden. Doch abgeschiedene Standorte bringen ihre eigenen Herausforderungen mit sich. So muss die Anlage für die Wissenschaftler gut erreichbar sein und ein sicheres Arbeitsumfeld bieten. Außerdem ist es teuer, in unbewohnten Gebieten zu bauen.

Um das jähe Ende der Radioastronomie abzuwenden, müssen Astronomen Tappings Meinung nach enger mit den Kommunikationsanbietern zusammenarbeiten, um gemeinsame Lösungen zu finden. Wenn Hersteller Smartphones und andere Elektrogeräte mit schwächeren Sendern ausstatten würden, könnten sie den Ausstoß von unerwünschten Signalen reduzieren und gleichzeitig die Lebensdauer der Akkus verlängern. Doch das würde den Unternehmen unterm Strich weniger Gewinne bringen, und so bleibt das Risiko der wachsenden Signalstörungen weiter bestehen, meint Tapping.

Was also tun? Shostak bringt noch eine radikal andere Idee ins Spiel, um die Zukunft der Radioastronomie zusichern: die Verlegung aller radioastronomischen Projekte auf die Rückseite des Mondes , denn die ist nun wirklich von allen Frequenzen der Erde abgeschirmt. Dabei gibt es jedoch ein offensichtliches Problem, wie Shostak einräumt: Die Projekte verfügen nicht über die astronomischen Summen, die für eine Mondmission nötig wären – daher stecken sie bis auf Weiteres auf der Erde fest.

Der Astronom Tapping beschreibt die Situation als "darwinistischen Kampf" – am Ende gewinne der Stärkere und momentan scheint die Elektroindustrie die Oberhand zu haben.