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Kita

Kranker Scheiß aus dem Leben einer Erzieherin

"Ich sag meinem Papa Bescheid", sagte der Fünfjährige, "wenn du morgen aus dem Kindergarten kommst, steht der da mit einem Messer und sticht dich ab."
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Foto: Frau: imago | panthermedia || Kinder: imago | phototek

Man muss ein wirklich guter Mensch sein, um freiwillig jeden Tag den Schnodder von Kindernasen zu wischen, die nicht mal die eigenen sind. Ernsthaft. Wen jemals im Café ein dauerkreischendes Kind am Nachbartisch abgefuckt hat, der nehme dieses Gefühl und multipliziere es mit zwanzig. So ungefähr muss sich Antonias Arbeitsalltag anfühlen. Trotzdem liebe sie ihren Beruf, sagt sie. "Wenn bloß nicht die Eltern wären."

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Antonia, die eigentlich anders heißt, ihren Job aber ganz gerne behalten würde, ist seit sieben Jahren Erzieherin in einem Kindergarten im Essener Norden. In einer Stadt also, in der aktuell rund 2.900 Kita-Plätze fehlen. Dort betreut die 32-Jährige gemeinsam mit zwei Kolleginnen 22 Zwei-bis-Sechsjährige, von denen ziemlich viele noch gewickelt werden müssen.

Und weil der Kindergartenalltag leider nicht nur (aber auch!) aus so schönen Dingen wie Basteln, Sandburgenbauen und Waldspaziergängen besteht, hat sie uns den kranken Scheiß erzählt, mit dem sie sich in den letzten zehn Jahren rumschlagen durfte.

Aggressive Kinder

Ich habe eigentlich jedes Jahr ein Arschlochkind. Ich hatte mal einen Fünfjährigen, der mich gebissen, gekratzt und bespuckt hat. Irgendwann hat es mir gereicht. Ich wollte, dass er am Tisch sitzen bleibt. Da sagt der zu mir: "Lass mich ruhig hier sitzen. Ich sag meinem Papa Bescheid und wenn du morgen aus dem Kindergarten kommst, steht der da mit einem Messer und sticht dich ab." Der Vater war Alkoholiker und ein Schläger. Ich hab das der Leitung gemeldet, aber niemand hat es ernst genommen. Ich hatte so Schiss, dass ich mich von einem Freund habe abholen lassen. Als der Junge mit sechs in die Schule gekommen ist, war ich ziemlich erleichtert.

Eltern mit Trennungsschwierigkeiten

Meistens dauert die Eingewöhnungsphase für ein Kind zwei bis drei Wochen. Ich hatte aber auch mal eine Mutter, die zwei Monate mit ihrem zweijährigen Kind in den Kindergarten gekommen ist. Dabei sollte das Kind sowieso nur von halb neun bis elf in die Kita. Ich habe ihr einen Platz zugeteilt, aber sie meinte, ich solle ihr nicht sagen, was sie zu tun oder zu lassen hat. Sie hat sich die ganze Zeit mit ihrem Kind beschäftigt. Für uns war das eine total unangenehme Situation. Als meine Kollegin mal vergessen hat, das Obst zu waschen, kam sie direkt zu mir und hat sich beschwert. Dabei war das wirklich nur ein Versehen.

Loszulassen war am Ende für sie schwieriger als für ihr Kind. Es war erst Schluss, als die Leitung sagte, wir seien ein Kindergarten und kein Elterngarten.

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Rassismus unter Kindern

Vor vier Jahren habe ich mal in einer anderen Gruppe ausgeholfen und da hat ein deutsches Kind im Streit zu einem ausländischen Kind gesagt, dass dessen Vater ein Terrorist sei. Da war ich total schockiert. Der Vater des deutschen Kindes war Rassist. Echt heftig, wie viel die Kinder von Zuhause mitbekommen. Ich finde, solche Sachen sollten mit den Eltern besprochen werden. Meine Kollegin hielt das aber für unnötig.

Heulende Eltern

Es kommt durchaus mal vor, dass Eltern bei uns weinen. Dieses Jahr hatte ich einen Jungen, der sich super eingewöhnt hatte. Er kam mit einem Lachen rein und war sofort da. Also habe ich die Mama irgendwann nach Hause geschickt. Da hat sie geweint. Ich hab sie kurz in den Arm genommen, dann ging es wieder.

Wenn die Kinder beim Abschied morgens geweint haben, rufe ich die Eltern aber oft nochmal an. Ich weiß ja, dass die Herzschmerz haben, wenn sie glauben, ihr Kind weint jetzt den ganzen Tag. Deswegen ist es gut, Bescheid zu sagen, wenn alles wieder in Ordnung ist.

Beängstigende Kinderfantasien

Ende letzten Jahres sind die Eltern eines anderen Kindes in den Urlaub geflogen. Ihr Sohn sagte damals zu einem Kind: "Meine Eltern sind im Urlaub und töten da jetzt andere Menschen. Die haben eine Bombe dabei." Er hätte die gesehen. Als die Eltern wiederkamen, habe ich sie mir sofort geschnappt und ihnen erzählt, was ihr Sohn gesagt hat. Die Mutter meinte, sie wisse nicht, woher er sowas hat.

Als Erzieherin weißt du natürlich nicht, was wahr ist und was Fantasie, aber bei solchen Sachen frage ich mich schon, wo ein Kind das her hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Kinder solche krassen Sachen ausdenken.

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Pipi und Kacka

Sobald ein Kind sich übergibt, geh ich aus der Gruppe raus, sonst würde ich mitkotzen. Erbrochenes kann ich echt nicht wegmachen. Einmal hatte ein Kind aus meiner Gruppe Durchfall. Ich hab den Jungen dann mit nach unten genommen, um ihn abzuduschen. In dem Moment merke ich, wie es mir hochkommt. Der hatte sich einfach von oben bis unten vollgeschissen. Zum Glück kam meine Kollegin und hat ihn übernommen.

Bekloppte Eltern

Als ich einer Mutter erzählt habe, wie toll ihre beiden Kinder mittlerweile sprechen, sagte sie: "Ja, ich habe deswegen auch schon geweint." Sie sei so traurig, weil die Kinder jetzt schon so groß wären.

Manchmal frag ich mich echt, ob ich langsam bescheuert werde. So was ist doch krank, oder?

Derselben Mutter habe ich einmal erzählt, wie süß ihre Tochter sich gefreut hat, als ich aus dem Urlaub zurückgekommen bin. Sie hatte gesagt, ihre Freundin sei endlich wieder da, und meinte damit mich. Da guckt die Mutter ihr Kind an und sagt: "Naja, ich dachte ja eigentlich, die Mama sei deine Freundin." Man kann seiner zweijährigen Tochter doch nicht so ein schlechtes Gewissen machen.

Eine andere Mutter hat mal drei Monate nicht mit mir gesprochen, weil ich ihr gesagt habe, dass ihr Kind bei 14 Grad vielleicht lieber keine Strumpfhose tragen sollte. Die hat total geschwitzt. Die Mutter wurde wirklich wütend, und warf mir vor, ich hätte ja keine eigenen Kinder, was ich mir einbilden würde? Ich solle mich um meinen Scheiß kümmern. Das Kind durfte allerdings auch nicht auf das Klettergerüst, an die Turnstange oder in den Sandkasten. Sie könnte ja hinfallen und dabei Sand in den Mund bekommen.

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Diese Mutter hat ihre Tochter jeden Morgen in die Kita getragen, um ihr anschließend gefühlte zehn Minuten lang zu sagen, wie sehr sie sie liebt. Ich bin fast durchgedreht. Dann hat sie ihre Tochter immer gefragt, bei welcher von uns Erzieherinnen sie gerne auf den Schoß möchte, sie dann dort hingesetzt und sie noch eine Minute weitergeküsst. Für so einen Scheiß habe ich keine Geduld.

Noch mehr aggressive Kinder

Vor drei Jahren hatte ich einen Zweijährigen in meiner Gruppe, der total aggressiv war. Mir hat der einmal so fest in den Unterleib getreten, dass mir fast die Hand ausgerutscht wäre. Andere Kinder hat er so malträtiert, dass sogar die älteren Kinder Angst hatten, in den Kindergarten zu gehen. Der hat denen mit den Töpfen aus der Puppenküche auf den Schädel gehauen, Stühle geschmissen und gebissen. Die anderen Eltern haben sich regelmäßig beschwert, weil ihre Kinder mit blauen Flecken und Beulen aus der Kita kamen.

Der Vater des Jungen hat aber sogar vor unserer Küchenhilfe damit gedroht, mir auf die Schnauze zu hauen, weil ich mich so viel über seinen Sohn beschweren würde. Zum Glück hat die Mutter ihren Sohn irgendwann von sich aus abgemeldet, weil sie keine Lust mehr auf die Diskussionen mit mir hatte.

Mobbing

Vor einigen Jahren wurde ich von Eltern gemobbt. Erst haben sie behauptet, ich würde mich nicht mehr um die Kinder kümmern, weil sie ja schon lange nichts Gebasteltes mit nach Hause gebracht hätten. Dann haben sie sich mehrfach bei meiner Leitung über mich beschwert.

Irgendwann hat meine Mutter mich angerufen, weil eine Freundin ihr von Gerüchten über mich erzählt hatte. Da hieß es, ich würde die Kinder anschreien, sie auf einen Stuhl fesseln, sie sogar misshandeln. Ich bin dann zu meiner Chefin gegangen und habe gesagt, dass es jetzt reicht. Ich wollte, dass es Konsequenzen gibt. Das war schließlich Rufmord. Die Leitung unseres Trägers sagte aber, das sei noch alles im Rahmen. Ich bin echt ausgerastet. Wenn Eltern Lügengeschichten erzählen, ist das anscheinend scheißegal.

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