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Reaktionäre "Journalisten"

Wir haben Kommentare deutscher Medien zur Ehe für Alle nach Gaga-Faktor geordnet

Und die älteren, männlichen Publizisten so: Mimimi.
Collage: Rebecca Rütten

Es heißt immer: Laut Umfragen sind rund 80 Prozent der Bevölkerung FÜR die Ehe für Alle. Es könnte aber genauso gut heißen: Laut Umfragen sind 20 Prozent der Bevölkerung NICHT FÜR die Ehe für Alle. Das ist immerhin jeder Fünfte. Während sich die Mehrheit der Deutschen vor Liebe, Freude und Glückseligkeit in den Armen liegt und Regenbogenfahnen hisst, grummeln ein paar weiße Männer als publizistische Vertreter der 20 Prozent in den Kommentarspalten vor sich hin. Wir haben ihre Argumente gescannt, nach Gaga-Faktor geordnet und vor allem eins entdeckt: Mimimi.

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Hier unsere Top 6 der Dämlich-Argumente:

Platz 6 – Nur wer gemeinsam Kinder kriegen kann, darf heiraten

Das meint jedenfalls Klaus Kelle auf focus.de und führt aus, die Ehe für Alle sei "eine deutliche Aufweichung des Ehe-Begriffs im Grundgesetz. Die Privilegierung dieser Form des Zusammenlebens ist existenziell für unsere Gesellschaft, weil aus ihr Kinder hervorgehen können."

Denkt man sein Argument weiter, dürften also weder Frauen nach den Wechseljahren, Männer mit gekappten Samenleitern oder Hetero-Paare, die keine Kinder bekommen wollen oder können, heiraten. Die Ehe ist also gegenwärtig laut Grundgesetz so etwas wie ein darwinistisches Gütesiegel? Wir bezweifeln das und glauben auch nicht daran, dass Herr Kelle vor seiner Heirat einen Fruchtbarkeitstest beim Standesamt abgegeben hat.


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Platz 5 – Erst ein Dreier und dann zum Standesamt? Auch dafür ist der Weg bald frei

Davor fürchtet sich zumindest Konservativ-Publizist Hugo Müller-Vogg in der Huffington Post. Er prognostiziert: "Die 'Ehe für alle' kommt. Und spätestens 2025 gilt als rückständig, wer den grundgesetzlichen Schutz von Ehe und Familie nicht auf Dreier-Beziehungen ausweiten will."

Kinder, die von drei Elternteilen erzogen werden? UNVORSTELLBAR. Finden auch alle Scheidungskinder in Patchwork-Familien.

Platz 4 – Der liebe Gott will das nicht

Für 63 Prozent der Deutschen spielt der Glaube keine oder nur eine geringe Bedeutung, sagt der ARD-Deutschlandtrend von Anfang Juni. Für Bild-Kommentator Ralf Schuler spielt das in seiner Argumentation keine Rolle. Er meint: "Für Katholiken ist die Ehe ein Sakrament, also das unsichtbare Wirken Gottes auf der Erde. Mehr geht nicht. Aber auch für alle anderen Christen beginnt im Grunde alles mit Adam und Eva und der 'heiligen Familie' aus Maria, Josef und Jesus".

Mehr geht nicht, finden wir auch. Und zwar in puncto rückwärtsgewandter, religiöser Ignoranz. Das kulturhistorische Totschlagargument von Mann und Frau ist nicht zu Ende gedacht. Denn die Geschichte von Adam und Eva hat nicht wirklich Vorbild-Charakter:

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Platz 3 – Es hat zwar nichts mit mir zu tun, ich habe irgendwie aber Angst davor

In der Print-Ausgabe der Nürnberger Zeitung schreibt Martin Schabenstiel:

"Die Frage muss erlaubt sein, warum sich die Deutschen knapp 100 Tage vor der Bundestagswahl inmitten großer weltpolitischer Herausforderungen über ein Thema erregen, das mit der Lebenswirklichkeit der Allermeisten nichts zu tun hat. Ehe für alle – das bedeutet eben auch einen weiteren Schritt hin auf eine Art Regenbogengesellschaft, in der ein Ja zu grenzenloser Toleranz den letzten verbindlichen Wert darstellt. Diese Toleranz wird freilich schon jetzt mit einer solchen Vehemenz und Intoleranz eingefordert, dass Verfechtern traditioneller Wertvorstellungen himmelangst werden kann."

Diese ganze Toleranz, und dann noch diese bunten Farben des Regenbogens. Wo soll das noch hinführen …

Platz 2 – Dann kommt auch bald die Inzest-Ehe

Kommentator in der FAZ ist Reinhard Müller, Jurist, verheiratet mit einer Rechtsanwältin und Vater von zwei Kindern. Er schreibt in der politischen Redaktion über "alles, was recht ist" und positioniert sich entschieden gegen eine Ehe, die in Zukunft völlig aus ihrer Rolle fallen könnte. Ehe für Alle = Anarchie im gut sortieren deutschen Lande.

"Wenn entscheidend ist, dass zwei Menschen auf Dauer füreinander einstehen, warum sollen dann nicht zwei zusammen lebende Geschwister eine Ehe eingehen können? Und warum nur zwei? Millionen Menschen leben mit mehreren Partnern zusammen, was auch von Weltreligionen erlaubt wird."

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Trotz des Seitenhiebs gegen polyamouröse Weltreligionen beruft sich Müller in seiner Argumentation auch auf eine Weltreligion. Nämlich seine eigene. Das ist natürlich ganz was anderes.

Platz 1 – Das sind doch alles Pädophile

Wir stellen uns die FAZ-Redaktion so vor. Redakteur 1: "Mist, unser Kommentar von Reinhard Müller hat auch nicht dazu geführt, dass alles ist wie damals, 1975." Redakteur 2: "OK, lass uns am Tag der Abstimmung noch eins drauflegen. Wir engagieren einen externen Autoren, der sich für nichts zu schade ist." Redakteur 1: "Tolle Idee!" Und so steht in der heutigen FAZ dieser Text:

Homosexuelle vergewaltigen die eigenen Kinder – so die These des Autors Johannes Gabriel. Laut FAZ ist er "Philosoph und Psychologe und berät Nichtregierungsorganisationen". Das scheint er allerdings so unerfolgreich zu machen, dass man bei Google nichts findet, wenn man eintippt: "johannes gabriel psychologe philosoph". Wir haben die Hoffnung, die FAZ-Redakteure haben sich den Mann nur ausgedacht. Als eine kleine letzte Revolte, im Wissen, dass sie die Schlacht längst verloren haben.

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