Die Schicksale homosexueller Frauen während des Nazi-Regimes in Österreich
Symbolbild via simpleinsomnia | flickr | CC BY 2.0

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Die Schicksale homosexueller Frauen während des Nazi-Regimes in Österreich

Homosexuelle Frauen wurden in der NS-Zeit nicht offen verfolgt und lebten doch in ständiger Bedrohung. Erst in den letzten Jahren begann man, ihre Schicksale aufzuarbeiten.

"Der 1. April 1940 – es ist ein Montag – sollte kein guter Tag für Marie W. und Lily 'Sara' R. werden. Plötzlich stand die Kriminalpolizei vor ihrer Tür", schreibt Claudia Schoppmann in ihrem Buch Verbotene Verhältnisse. Darin setzt sich die deutsche Historikerin mit den Schicksalen homosexueller Frauen in Österreich während der NS-Zeit auseinander und erzählt auch die Geschichte dieser beiden Frauen: Sie wurden vermeintlich von ihren Nachbarn beobachtet und aufgrund des Verdachts auf "widernatürlichen Verkehr" angezeigt. Laut § 129 I b war damals jede sexuelle Handlung, die keine vaginale Penetration einschloss, strafbar. Darunter fielen ausdrücklich der Verkehr zwischen Mensch und Tier, Mann und Mann und Frau und Frau.

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Dieses Gesetz blieb in Österreich von 1852 bis 1971 bestehen, erzählt Johann Kirchknopf vom Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Uni Wien im Gespräch mit VICE. Sein Spezialgebiet ist Sexualforschung mit Fokus auf die Geschichte homosexueller Menschen.

Lily und Marie sind außerdem zwei der 79 aufgrund ihrer homosexuellen Neigungen angezeigten Frauen, die QWIEN, ein Zentrum für schwul/lesbische Kultur und Geschichte, erfasst hat. Im Rahmen des Projektes der "'Namentlichen' Erfassung der Opfer der NS-Homosexuellenverfolgung in Wien" hat QWIEN versucht, anhand aus der Zeit erhaltener Strafakten Zahlen für Österreich zu erheben. Allerdings ist das Projekt noch nicht abgeschlossen und die Fallzahl von 79 noch nicht endgültig, wie QWIEN VICE auf Nachfrage per Mail mitteilt. Bis jetzt wurden über 1.400 Beschuldigte erfasst, die meisten seien aber Männer gewesen.

Homosexuelle Frauen seien im Unterschied zu Männern laut Kirchknopfs Forschung nämlich nicht so stark verfolgt worden: Vor dem "Anschluss" waren unter den Verhafteten ungefähr 5 Prozent Frauen, während der NS-Zeit stieg dieser Anteil auf 15 Prozent, so der Experte. Die viel geringere Verfolgung von Frauen sei vor allem auf die damalige Konzeption der Geschlechterrollen zurückzuführen: Einerseits sah man Frauen aufgrund ihrer viel kleineren Macht in der Gesellschaft als nicht so große Bedrohung, denn wenn sie sich gegen die gesellschaftlichen Ideale sträubten oder eine Meinung hatten, die der NS-Ideologie widersprach, hatten Frauen weniger Gelegenheiten als Männer, um ihre Kritik zu verbreiten.

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Außerdem lag das Hauptaugenmerk damals auf der reproduktiven Kraft eines Menschen – ganz im Sinne der Fortpflanzung einer "arischen Rasse". Auch deshalb wurden homosexuelle Neigungen von Frauen mit weniger Argwohn betrachtet. "Überspitzt könnte man es so formulieren: Eine Frau muss keinen Geschlechtsverkehr wollen, um Kinder zeugen zu können, ein Mann schon", beschreibt Kirchknopf die damalige Haltung.

Auch lebten Frauen ihre Sexualität anders aus und waren deshalb schwerer zu fassen. Während Männer sich teilweise auf öffentlichen Toiletten oder in Parks verabredeten, gab es keine solchen Treffpunkte für Frauen, so Kirchknopf. "Oft trafen sich homosexuelle Frauen im Privaten – da war es natürlich schwierig, 'erwischt' zu werden. Die meisten Verhaftungen trafen deshalb diejenigen Frauen, die sowieso schon stärker überwacht wurden – meistens waren das Prostituierte", erklärt Kirchknopf.

Der Fall von Marie und Lily scheint deshalb eher ungewöhnlich. Ob die Nachbarn sie tatsächlich verraten haben, ist nicht belegt, klar ist jedoch, dass Lily R. seit dem "Anschluss" aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verfolgt worden war. So musste sie als Demütigung zusätzlich den biblischen Namen "Sara" annehmen. Die Geschichte des Paares ist nach der Verhaftung nicht länger dokumentiert. Ob sie der Willkür der Gestapo zum Opfer fielen, oder aber "regulär" verhaftet und angeklagt wurden, ist nicht belegt, schreibt Schoppmann in Verbotene Verhältnisse.

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Kirchknopf erklärt in unserem Gespräch auch das "Rechtssystem" während des NS-Regimes: Für Verbrechen wie Diebstahl, Körperverletzung und eben auch "Unzucht wider der Natur" wurde man als Österreicher oder Österreicherin von einem "ganz normalen" Gericht verurteilt.

Nach Vollzug der Haftstrafe wurde man an das örtliche Polizeiamt überstellt, wo von der Polizei mehr oder weniger willkürlich festgestellt wurde, ob man auf unbestimmte Zeit ins KZ geschickt oder freigelassen wurde. In Österreich ist laut Kirchknopf nur ein Fall einer Frau namens Marie belegt, die aufgrund ihrer homosexuellen Neigung am 31. Oktober 1942 als sogenannte "Berufsverbrecherin" ins KZ Ravensbrück gebracht wurde. Mehr sei jedoch aus datenrechtlichen Gründen nicht öffentlich bekannt.

Kirchknopf meint auch, dass zu vermuten sei, dass es mehr Fälle wie den von Marie gibt. Hier bestehe aber noch Forschungsbedarf. Der Experte erzählt auch vom Anfang der Aufarbeitung der Schicksale weiblicher Homosexueller im Unterschied zu schwulen Männern: Männliche Homosexuelle wurden als Staatsfeinde betrachtet und somit sehr oft auf unbestimmte Zeit ins KZ gebracht.

Dort gab es ein kompliziertes System der Kennzeichnung verschiedener Häftlinge. Teil davon waren verschiedenfarbige Winkel, die auf die Uniformen genäht wurden und die Häftlinge in Kategorien wie "Jude", "politischer Gefangener" oder eben "Homosexueller" einteilten.

Der Winkel für homosexuelle Männer war lila und wurde zu einem wichtigen Symbol im Gedenken ihrer Schicksale. Eine Zeit lang hätten WissenschaftlerInnen und AktivistInnen in dem Versuch, auch weiblicher homosexueller Schicksale zu gedenken, den "schwarzen Winkel", der die Kategorie der "Asozialen" markierte, im Prozess eines kollektiven Gedenkens mit dem "Lila Winkel" kombiniert und so versucht, ein neues Symbol zu schaffen.

Als "asozial" galten übrigens Menschen, die als unwillig oder unfähig gesehen wurden, sich in die soziale Ordnung des NS-Regimes einzufügen. Diese Kombination der beiden WI sei aber nur teilweise gerechtfertigt, erklärt Kirchknopf. Zwar wurden einige homosexuelle Frauen als "Asoziale" ins KZ eingewiesen, allerdings ist es aus heutiger Sicht schwer zu erfassen, aus welchen Gründen sie wirklich eingesperrt wurden.

Auch über Marie und Lily wissen wir viel zu wenig: Warum sie an jenem Morgen verhaftet wurden und ob es dabei um ihre sexuelle Orientierung oder Lilys Herkunft ging, bleibt unklar. Fest steht aber, dass ihre Schicksale stellvertretend für die vieler Frauen stehen – viele, deren Namen wir vielleicht nie erfahren werden.

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