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Politik

Warum unser Geheimdienstchef glaubt, dass er uns alle verarschen kann

Seine Chemnitz-Äußerungen sind nicht das erste Mal, dass Hans-Georg Maaßen mit Bullshit durchkommen könnte.
Hans-Georg Maaßen und sein Vorgesetzter || Fotos: imago | photothek || Collage: VICE

Auch ein komisches Gefühl: wenn der Chef des deutschen Inlandsgeheimdienstes versucht, dich zu verarschen. Denn genau das ist es, was der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, gerade macht: Zuerst wollte er uns uns erklären, dass wir nicht gesehen haben, was wir gesehen haben. Und jetzt, dass wir zu doof waren, zu verstehen, was er gemeint hat.

Zur Erinnerung: Maaßen hat am vergangenen Freitag in einem Interview mit der Bild angezweifelt, dass es in Chemnitz je zu Hetzjagden auf Ausländer gekommen sei. Sein Argument: Es lägen "keine Belege" vor, "dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch ist".

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Und dann sagte er weiter: "Nach meiner vorsichtigen Bewertung liegen gute Gründe vor, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken."

Dass es sich bei der Tat ich Chemnitz nach bisherigem Wissen nicht um einen Mord, sondern um einen Totschlag gehandelt hat – geschenkt. Das wirklich Irre ist, dass der Chef unseres Geheimdienstes so tut, als sei die wahrscheinlichste Erklärung für das Video eine geschickt gemachte Fälschung – hinter der womöglich noch eine Verschwörung steckt.


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Was offensichtlich Schwachsinn ist. Das Video ist mittlerweile von Dutzenden Unabhängigen als authentisch bewertet worden. Das kann man zum Beispiel hier nachvollziehen. Als das Innenministerium Maaßen dann um Belege für seine Behauptung bat, konnte er deshalb auch keine liefern – stattdessen tischte er einfach die zweite Verarschung auf: Man habe ihn da "falsch verstanden", teilte Maaßen laut der Süddeutschen in einem Schreiben mit. Er habe nur sagen wollen, dass er Zweifel habe, ob das Video "authentisch" eine Menschenjagd zeige.

Was plötzlich so klingt, als wolle er sagen: Hey, ich hab mir das Video halt mal angeschaut und fand es nicht so krass. Das ist auch OK – wenn es irgendein Typ in der Kneipe sagt. Es ist nicht OK, wenn es der Chef einer Behörde sagt, die explizit auch den Rechtsextremismus bekämpfen soll, und es dann auch noch mit einer Verschwörungstheorie verknüpft. Was die Frage aufwirft: Wieso denkt Maaßen, dass er sich sowas erlauben könne?

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Dafür gibt es möglicherweise zwei Gründe: Der erste ist, dass Maaßen schon früher mit solchen Tricks durchgekommen ist. Und der zweite, dass er glaubt, dass sein Chef – der Innenminister Horst Seehofer – ihn dabei unterstützt.

Maaßen weiß gern nur das, was ihm gerade passt

Tatsächlich ist Maaßen in seinem Amt schon einige Male haarscharf an der Lüge entlanggeschrammt. Das erste Mal war in der Affäre um netzpolitik.org, als gegen die Journalisten Markus Beckedahl und Andre Meister Anzeige wegen Landesverrats gestellt wurde. Maaßen behauptete danach, er habe nie gewusst, dass das von ihm in Gang gebrachte Verfahren sich gegen die Journalisten richtete – später fand die Süddeutsche heraus, dass er es "zumindest hätte wissen müssen". Trotzdem wurde nicht Maaßen, sondern der ermittelnde Generalbundesanwalt Harald Range in den Ruhestand geschickt.

Richtig ohne Hose erwischt wurde er dann nochmal, als er behauptete, der Verfassungsschutz habe im Umfeld des Attentäters vom Breitscheidplatz Anis Amri keine V-Männer gehabt – obwohl Maaßen wissen musste, dass es in Amris Moschee genau so einen V-Mann gab. Statt das zuzugeben, versuchte Maaßen, die Berichterstattung darüber juristisch zum Schweigen zu bringen.

Ist Seehofer Maaßens Versicherung?

Sehr wahrscheinlich ist auch, dass Maaßen sich das alles traut, weil er weiß, dass der Innenminister hinter ihm steht. Aus gutem Grund: Seehofer hat auf die massive Kritik an Maaßens Äußerungen bisher auch nur reagiert, indem er erklärte, Maaßen genieße "selbstverständlich" sein "Vertrauen". Am Sonntag legte er nochmal nach: "Wir haben nichts dagegen, dass er an die Öffentlichkeit gegangen ist", sagte er in einem Interview mit der ARD. Er dürfe die Meinung seines Untergebenen "als Minister nicht unterdrücken". Seehofer lässt Maaßen also freie Hand – womöglich auch, weil er es durchaus nützlich findet, dass Maaßen der Einschätzung die Bundeskanzlerin (die vorher von Hetzjagden gesprochen hatte) untergräbt.

Von Maaßen weiß man schon lange, dass er Merkels Flüchtlingspolitik unverantwortlich findet. Das ist auch nicht das Problem – es ist vielleicht verständlich, wenn der Chef des Verfassungsschutzes nervös wird, wenn sich womöglich Tausende Menschen im Land aufhalten, von denen niemand so genau weiß, wer sie sind. Das Problem ist aber, dass Maaßen bereit ist, seine eigene Version der Wahrheit in die Öffentlichkeit zu tragen, um seine Ziele zu erreichen. Damit untergräbt er nicht nur das Vertrauen in die Objektivität des Verfassungsschutzes: Mit dem Gerede von gefälschten Videos und Verschwörungen, um die Öffentlichkeit abzulenken, beschädigt er die ganze Debatte.

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