Der Fotograf des Marlboro-Manns hilft jetzt Kindern in Kambodscha
Die Fotos zeigen das Leben in den Slums und auf den Müllhalden von Phnom Penh | Alle Fotos aus der Serie "Concerned Photography" von Hannes Schmid

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Der Fotograf des Marlboro-Manns hilft jetzt Kindern in Kambodscha

Und denkt dabei die Entwicklungshilfe grundlegend neu.

Hannes Schmid hat in den 90er Jahren einen Star erschaffen, als er den Marlboro-Mann in der Wüste fotografiert hatte. Schmid selbst hat im Gegensatz dazu wenig Wert darauf gelegt, sich selbst zum Kultstatus zu verhelfen. Auch bei seinem jüngsten Projekt hält sich der mittlerweile 71-jährige Mann als Person im Hintergrund, obwohl er damit nichts Geringeres tut, als die Entwicklungshilfe grundlegend neu zu denken.

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Im stolzen Alter von 68 Jahren gründete Hannes Schmid sein Hilfswerk "Smiling Gecko" und reist seitdem jeden Monat nach Kambodscha, wo er den Menschen eine gesicherte Lebensgrundlage geben möchte. Im Norden des Landes, auf einer rund zehn Fussballfelder grossen Fläche, hat er zwölf Bio-Bauernhöfe inklusive Hühner- und Schweinezucht gebaut, die Familien aus den Slums eine bessere Zukunft sichern sollen. Schmid ist überzeugt, dass Philanthropie nur im Zusammenspiel mit der Wirtschaft langfristig funktionieren kann. So sollen die Menschen bei Smiling Gecko mit den Landwirtschaftsbetrieben nicht nur ihren Eigenbedarf decken, sondern auch überschüssige Erträge ins Ausland verkaufen. In etlichen Vorträgen verkauft er seine Vision, um Spenden einzunehmen.

An einem seiner seltenen freien Tage findet Hannes Schmid zwischen Gartenarbeit und Mittagessenkochen für seine Kinder etwas Zeit, um uns von sich, seinem Projekt, seiner Einstellung zum Leben und seiner Kritik an Hilfswerken zu erzählen.

VICE: Andere in deinem Alter sind seit sechs Jahren pensioniert. Du hast erst vor Kurzem eine NGO gegründet. Wieso gerade jetzt?
Hannes Schmid: Vor 15 Jahren hätte mir das Abgeklärte und Bestimmte gefehlt für das, was ich jetzt tue. Es stimmt, andere würden sagen, in meinem Alter sollte ich mit Frau und GA in der Schweiz herumfahren. Wir haben heute aber die Chance, ein hohes Alter zu erreichen, wenn wir einigermassen auf unsere Gesundheit achten und dazu noch ein bisschen Glück haben. All das, was ich als ältere Person an Erfahrung gesammelt habe, kannst du weder in einer App noch durch ein Studium an der HSG lernen. Und der Sinn des Lebens ist doch nicht, im Alter mit dem eigenen Bötchen auf dem Lago Maggiore herumzufahren. Der Sinn ist doch, sich selber immer weiter zu bewegen.

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Du bist für Fotoreportagen quasi um die Welt gereist und hast dabei einiges an Elend gesehen. Was hat dich ausgerechnet in Kambodscha gehalten?
Das war ein Zufall. In Thailand bin ich einmal einem bettelnden Mädchen aus Kambodscha begegnet, dessen Gesicht extrem verbrannt war. Das hat mich berührt. Ich habe mir vorgestellt, das würde meinen Kindern passieren. Ich bin der Geschichte des Mädchens und der ihres Landes nachgegangen und habe herausgefunden, dass in Kambodscha pro Jahr 250 Kinder mit Säure übergossen werden. In dem korrupten Land leben über 1.4 Millionen Menschen, die weniger als einen Dollar verdienen. Meine Herangehensweise war von Anfang an von einem kreativen und innovativen Gedanken geleitet. Ich habe mich gefragt: Kann ich das, was in meinem Kopf als Vision existiert, dort aufbauen?

Wie sieht denn deine Vision aus?
Die Idee ist, dass in der Stadt, wo jetzt ungefähr 5.600 Leute leben, bis ungefähr 2020 bereits 35.000 bis 40.000 Leute leben. Im Jahr 2022 ist der Cluster fertig, so meine Vision. Dort gibt es alles, was man braucht. Das ist dann nicht Gucci, Prada und Armani, sondern Bildung und gesunde Landwirtschaft. Nachdem sich das drei Jahre lang bewiesen hat, wird es 2025 dupliziert. 2035 wird es schon 17- bis 18-mal dupliziert sein.

Wie kriegst du das hin? Woher nimmst du als NGO-Neuling die Ideen dafür?
Es ist ganz einfach: Ich kopiere nur die Schweiz. Ich habe bei Smiling Gecko das Schweizer Arbeitsgesetz eingeführt, die Fünftagewoche, die Pensionskasse für jeden Angestellten, Krankenkassen- und Unfallversicherung. Die kleinen, wirklich innovativen Firmen hocken in der Schweiz in Dübendorf, Uzwil und Flawil, nicht in Zürich und Basel. Jede dieser Kleinstädte und Dörfer hat ihre eigene Infrastruktur. Genau so müssen wir die Welt gestalten. Wir müssen begreifen, dass die Zentralisierungen unser Tod sind.

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Was passiert mit Smiling Gecko, wenn es dich mal nicht mehr gibt?
Ich bin im Moment das grösste Risiko für das Projekt: Ich bin der Kopf, reisse alles an und bringe das Geld. Als einziger Ausländer in dem Verein bin ich auf der Suche nach einem Nachfolger. Kambodschaner müssen das für Kambodscha machen, nicht die Schweizer. Wir geben einfach das Know-How und die Verbindungen, die Arbeit muss von denen gemacht werden.

Du kritisierst die klassischen Hilfswerke sehr stark. Was passt dir nicht an ihnen ?
Die Bezeichnung Hilfswerk kommt aus einer Zeit, in der Leute mit einem schlechten Gewissen etwas machen wollten. Die Menschen und Regierungen waren froh, Geld weggeben zu können. Dieses Geld investieren sie einfach, ohne zu schauen, was es längerfristig bewirkt. "Hilfe zur Selbsthilfe" ist auch so ein Slogan, bei dem man sich fragen sollte, was er eigentlich bedeutet.

Was wurde bisher in der Entwicklungshilfe falsch gemacht?
In den vergangenen 50 Jahren sind 4.000 Milliarden Dollar in Afrika investiert worden. Wo ist diese Unsumme hin verschwunden? Wirtschaftlich gesehen ist es das grösste Disaster der letzten 100 Jahre.
Von 100 Hilfswerken gehen schlussendlich nur gerade drei bis vier ein. Da muss man sich schon fragen: Sitzen die auf ihrer eigenen Kohle und verbrauchen es selber, oder gehen sie tatsächlich auch Risiken ein? Ohne die geht es in diesen Ländern nämlich nicht. Ausserdem werden 95 Prozent aller Hilfswerke im Ausland von Europäern geleitet. So funktioniert das nicht. Ich hole mir die besten Leute als Coaches, aber die leiten das Unternehmen nicht.

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Als du in Kambodscha angekommen bist, hast du erstmal auch Geld und Waren verteilt. Hast du damit nicht genau das getan, was du bei anderen Hilfsorganisationen kritisierst?
Zuerst habe ich in Kambodscha das Elend gesehen und wollte helfen. Wenn sie nur verfaultes Essen haben, kaufst du halt als erstes Reis und den Kindern der Mütter, die an Typhus, Dengue oder Aids leiden, kaufst du Milchpulver. 380 Familien habe ich ein Jahr lang so betreut. Irgendwann musste ich mir eingestehen, dass sie immer noch im Dreck leben und sich die Kinder noch immer prostituieren müssen, anstatt zur Schule zu gehen. Ich musste einen anderen Weg gehen.

So habe ich 280 Kinder der Familien, die ich gut kannte, übernommen, ihnen Schuhe, Rucksäcke und Bleistifte organisiert. Gleichzeitig musste ich die Lehrer bezahlen, damit sie unterrichten und den Eltern Geld geben, weil sie dadurch ihre Kinder als Arbeitskräfte auf der Müllhalde verlieren.

"Man muss mit den Menschen reden. Sonst haben wir nur noch solche, die auf Knöpfe drücken und sich gegenseitig mit Bomben abschiessen."

Doch irgendwann habe ich mich gefragt: Wer soll sich in 20 Jahren um diese Kinder kümmern? Ich habe den Familien darauf einige hundert Kilometer ausserhalb von Phnom Penh Hühner- und Fischfarmen gebaut, weil ich verstanden habe, dass nur etwas, das Ertrag bringt, langfristig zum Erfolg führen kann.

Du bist jemand mit einer klaren Vision. Hat bei Smiling Gecko bisher alles nach deinen Vorstellungen funktioniert?
In Kambodscha ist seit 1980 praktisch die ganze Bildung ausgelöscht und 80 Prozent der Menschen haben keinen Zugang zum Schulsystem. Es sind also viele Fehler passiert, weil bei den Menschen oft das Wissen fehlte, das ich mir ja auch erst aneignen musste. Die Böden in Kambodscha sind nicht ansatzweise so fruchtbar wie die in der Schweiz. So habe ich mit Spezialisten aus Europa nach Methoden gesucht, um so schnell wie möglich grössere Erträge zu erreichen. Denn erst wenn der Bauer dem Händler Lieferzeiten und gewisse Mengen garantieren kann, ist er für ihn ein verlässlicher Partner und kann gute Preisverhandlungen führen.

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Wann hast du dir all das Wissen für den Landwirtschaftsbetrieb angeeignet?
Ehrlich gesagt habe ich so wenig Ahnung wie die meisten Menschen. Wer weiss denn heute noch richtig Bescheid ausser die, die Agrarwissenschaften studiert haben? Heute können wir zwar vieles mit dem Internet herausfinden, aber ich kann nicht das Telefon in den Boden reinstecken und dann sagt mir das iPhone, was ich für eine Bodenbeschaffung habe.

Inwiefern hilft dir dein Künstlerdasein beim Umsetzen deiner Visionen?
Für uns Künstler steht das Geld nicht im Vordergrund und dadurch haben wir einen anderen Zugang zu den Dingen. Dieser wird von allen verstanden – nicht nur von Wirtschaftsführern und Politikern, sondern auch vom einfachen Menschen, der schlussendlich sein Portemonnaie öffnet und 10 Franken schickt, die genauso wertvoll sind wie die 150.000 von einer Firma.
Der Unterschied zwischen mir und Leuten an der HSG ist ein frappanter: Ich als Künstler nehme mir die Freiheit, frei zu denken. Man muss extrem neugierig sein, alles um sich herum aufnehmen und Fehler machen, anstatt sich ins Schneckenhaus zurückzuziehen, wenn mal etwas schief gelaufen ist. In der Schweiz wird es heute zum Beispiel als Versagen angesehen, wenn ein Kind nicht ins Gymnasium kommt. Das ist doch brutal!

Du hast es angesprochen: In Kambodscha läuft politisch immer noch vieles schlecht. Du fängst dabei Menschen auf, die aus dem System fallen. Erhältst du es so nicht ein Stück weit auch am Leben?
Würde der Staat denn überhaupt so ein grosses Bildungssystem aufbauen, wenn es mich nicht gäbe? Die Antwort lautet: Nein, würde er nicht, weil er nicht interessiert ist daran. Ich bin selber im Dialog mit der Regierung. Die Korruption hat sich seit 1980 beim Volk als Teil ihrer Kultur eingenistet. Es wird bis 2050 dauern, bis der letzte Polizist eine Ethik hat und nichts mehr von der Busse für sich selber behält. Das ist ein Rad, welches wir nicht beschleunigen können.
Ich verfolge aber den Ansatz: Man muss mit den Menschen reden. Sonst haben wir nur noch solche, die auf Knöpfe drücken und sich gegenseitig mit Bomben abschiessen.

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