"Eine Flasche Wasser hat uns das Leben gerettet"
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Terrorismus

"Eine Flasche Wasser hat uns das Leben gerettet"

Wir haben mit Augenzeugen des Anschlags von Barcelona gesprochen.

"Wir waren unterwegs ins Zentrum von Las Ramblas, aber wir hatten Durst und nahmen einen Umweg durch eine Nebenstraße, um Wasser zu kaufen. Plötzlich hörten wir viele Menschen schreien wie bei einer Massenpanik. Die Leute rannten in die Seitenstraßen. Wir hörten, wie etwas aufeinanderprallte, und dann sahen wir den Van." So beginnt Pere zu schildern, wie er den Terroranschlag in Barcelona erlebt hat. Der 23-Jährige aus dem spanischen Girona war mit seiner Freundin zu Besuch in der Stadt.

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Der Albtraum begann um 16:50 Uhr, als ein weißer Lieferwagen in die Menschenmenge auf der beliebten Flaniermeile Las Ramblas in Barcelona raste. 13 Menschen starben und über 100 wurden verletzt. Ähnlich wie bei den Anschlägen von Nizza, London oder Berlin fuhr ein selbsternannter Dschihadist mit einem Fahrzeug fast 500 Meter durch die belebte Fußgängerzone im Herzen der Stadt. Über die eigene Nachrichtenagentur Amaq übernahm die Terrormiliz Islamischer Staat die Verantwortung für den Anschlag.

Las Ramblas im Hintergrund auf der anderen Seite der Polizeiabsperrung

Die spanische Polizei hat mittlerweile drei Tatverdächtige festgenommen, die direkt mit dem Anschlag oder dem Anmieten des Fahrzeugs zu tun haben sollen. Der Fahrer des Lieferwagens, der zu Fuß vom Tatort entkommen war, scheint allerdings noch auf der Flucht zu sein. Die Behörden forderten die Bevölkerung auf, ihre Wohnungen und Häuser vorerst nicht zu verlassen. Nichtsdestotrotz kamen viele Freiwillige zu Krankenhäusern, um Blut zu spenden. Da Zug- und Metrostationen geschlossen waren, brachten Taxifahrer Menschen kostenlos vom Ort des Geschehens weg. Hotels boten ebenfalls kostenlos freistehende Zimmer für diejenigen an, die ihre eigenen Behausungen oder Hotels nicht mehr erreichen konnten.

Nach dem Chaos folgte Stille. Die Polizei sperrte die Zugänge zum Plaza Catalauña und Las Ramblas ab. Viele Straßen in der Innenstadt blieben menschenleer.

Augenzeugen berichten

Wenige Minuten nach dem Terroranschlag war im Stadtteil Raval vor dem MACBA, wo die Skater wie gewohnt ihre Tricks übten, von den dramatischen Szenen, die uns im Fernsehen gezeigt wurden, kaum etwas zu spüren.

Die Carrer del Pintor Fortuny, eine Querstraße von Las Ramblas, wurde etwa 100 Meter vor dem Ort des Angriffs im Herzen Barcelonas abgesperrt. Mehrere Polizisten versperrten den Durchgang. Inmitten des Chaos versuchten neugierige Touristen und Anwohner, Informationen zu bekommen.

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Pere, 23, arbeitet in Girona in einem Hotel

Pere, seine Freundin und ein Dutzend anderer Leute kommen durch den Hintereingang eines Hotels, dessen Hauptausgang auf die Las Ramblas hinausführt. Sie mussten mehrere Stunden lang ausharren, bis sie dann endlich evakuiert werden konnten. "Wir haben fast vier Stunden lang in dem Hotel gewartet. Als wir raus durften, habe ich einen Blick auf die Las Ramblas werfen können. Sie war komplett geräumt, es waren nur Polizisten zu sehen. Überall lagen Schuhe und Hüte auf dem Boden … und zwei mit Laken verdeckte Leichen. Es ist ein Bild, das ich nie wieder aus meinem Kopf bekommen werde. Eine Flasche Wasser hat uns das Leben gerettet", sagt der junge Mann aus Girona, der immer noch ein fassungsloses Gesicht macht.

"Der Van war weiß, und der Fahrer trug einen Hut und eine Sonnenbrille. Wir konnten uns in einen Starbucks auf der Las Ramblas flüchten. Es herrschte das totale Chaos und überall schrien Menschen. Sie haben [im Starbucks] die Rollläden geschlossen. Wir waren etwa 50 Leute. Ein Mädchen hatte eine Panikattacke. Man hat sich sehr gut um uns gekümmert. Die Mitarbeiter haben uns Essen und Trinken gegeben", erklärt der Mann.

Idriss, 36, arbeitslos

Unter den vielen Schaulustigen war auch Idriss – ein großer, 36-jähriger Mann, der ursprünglich aus Marokko stammt. Er wohnt in Raval und hat sich Sorgen um seinen Sohn gemacht, der zum Zeitpunkt des Angriffs noch in der Wohnung war.

Er hat eine ganz klare Meinung zu den Terroranschlägen: "Muslime auf der ganzen Welt müssen jetzt wieder dafür bezahlen, was vier Arschlöcher hier getan haben. Aber was sie getan haben, hat weder mit Religion noch mit dem Islam zu tun."

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Er sagte, dass es einige Umgebungen gebe, in denen sich diese Art der Ideologie ausbreiten könnte. "Mein sechsjähriger Sohn lernt in einer Moschee Arabisch, und manchmal mache ich mir schon Sorgen, dass sie ihm eine Gehirnwäsche verpassen werden."

Banndua, 38, Soldat im spanischen Militär

Inmitten der vielen Leute stechen zwei T-Shirts hervor: eines der Legion und eines mit einem grünen Barett. "Ich habe gerade Nachrichten gehört und bin direkt hierher gekommen, um zu sehen, ob ich vielleicht helfen kann. Jeder, der militärisch ausgebildet wurde, weiß, was in solch einer Situation zu tun ist", sagt der 38-Jährige aus Asturien, der nach Barcelona gekommen war, um einen Freund zu besuchen.

"Ich bin Soldat, aber ich wurde vor Kurzem operiert und bin noch krank geschrieben", erklärt er. Laut ihm habe "das Innenministerium alle Uniformierten dazu aufgerufen, die Polizei zu unterstützen. Ähnliche Aufrufe soll es auch in WhatsApp-Gruppen von Veteranen gegeben haben. Gestern haben Mitglieder des Militärs in Zivil den Bewohnern und Touristen Auskunft gegeben und ihnen gesagt, welche Straßen frei sind."

Andrea, 23, arbeitet im Museo del Jamón in Barcelona

Den gleichen Gesichtsausdruck wie Pere hatte Andrea, eine 23-Jährige aus Barcelona, die im Museo del Jamón arbeitet, das sich auf der viel beschäftigen Straße Las Ramblas befindet. "Ich war bei der Arbeit und meine Kollegen haben mich gefragt, ob ich Kaffee bei Starbucks holen kann. Ich bin aus dieser Richtung gekommen, als alles passiert ist."

Andrea atmet durch und erzählt weiter. "Ich hatte Starbucks auf der Las Ramblas fast erreicht, als eine Gruppe Menschen auf mich zugerannt ist. Gleichzeitig habe ich laute Geräusche gehört, als ein Van alles niedergemäht hat, was im Weg stand – Menschen wie Gegenstände. Instinktiv bin ich in die Starbucks-Filiale gerannt und habe mich auf der Toilette mit vier anderen jungen Frauen eingeschlossen."

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Katalonien, Rückzugsgebiet der Dschihadisten

Der gestrige Anschlag in Barcelona ist der zweite Terrorakt in Spanien seit den U-Bahn-Anschlägen am 11. März 2004 in Madrid, bei denen 192 Menschen ihr Leben verloren haben und mehr als 2.000 verletzt wurden. Seit dieser Tragödie haben die Polizei und andere Sicherheitsbehörden den Kampf gegen den islamistischen Terrorismus intensiviert. Laut Angaben des spanischen Innenministeriums haben mehr als 220 Durchsuchungen seit den Madrider Anschlägen zur Festnahme von 723 Menschen geführt, denen vorgeworfen wird, Dschihadisten zu sein. Einige der Festgenommenen wollten in Kriegsgebiete wie Syrien oder den Irak reisen, andere haben Anschläge in Spanien geplant.

Wie die Dschihadisten-Zelle in Barcelona, die 2008 ausgehoben wurde. Sie plante einen Anschlag auf die U-Bahn der spanischen Metropole. Die Hauptstadt der Region Katalonien ist ebenso wie die Städte Badalona oder Mataró Schauplatz mehrerer Polizeiaktionen gewesen.

Laut offiziellen Angaben aus dem Jahr 2016 betrug die Anzahl der sogenannten ausländischen Terroristen, die aus Spanien operieren, 204. Davon sind 30 bereits wieder in ihre Heimatländer zurückgekehrt und mehr als ein Dutzend wurden festgenommen. Der Rest wird von den Sicherheitsbehörden überwacht. Die Niederlagen des Islamischen Staates in Kämpfen wie in Mossul hat bei der Terrororganisation zu einer Änderung der Strategie geführt. Die Anhänger sollen nicht mehr zum IS nach Syrien oder in den Irak reisen, sondern Anschläge im Westen verüben.

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