Inflation, Teil-Lockdowns, erschreckende Infektionszahlen und gewalttätige Ausschreitungen bei Corona-Protesten: Im Amsterdamer Messezentrum scheint man von solch grauen Realitäten an diesen Novembertagen nichts wissen zu wollen. Im Amsterdam RAI findet nämlich ein glamouröses Luxus-Lifestyle-Event statt: die Masters Expo – ehemals auch bekannt als Masters of LXRY und noch ehemaliger als Millionaire Fair. Nichts wie hin.
Vor dem Gebäude hält sich die Begeisterung in Grenzen. “Das sieht überhaupt nicht beeindruckend aus”, sagt eine junge Frau mit hohen Absätzen zu ihrer Begleitung. “Es ist halt eine Messe”, antwortet die Begleitung.
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Hier draußen weist nichts auf die Opulenz hin, die hinter den Türen auf uns warten muss. Die Plakate für die Veranstaltung, die dieses Jahr ein Roaring-20s-Motto hat, sehen mehr nach Werbung für Peaky Blinders oder eine schlechte Netflix-Produktion über die Prohibition aus als nach grenzenlosem Luxus. Offenbar lebt hier die Vorstellung weiter, dass auf Corona eine Zeit voller Ausschweifungen und Verschwendung wie in den 1920ern folgt. Die meisten von uns haben davon allerdings bislang noch nicht viel gemerkt
Drinnen gibt es dann aber Autos, Diamanten und Jachten – allesamt in den glamourösen Schein heller Deckenleuchten getaucht. Es ist Luxus in seiner offensichtlichsten Form. Wenn man sich in der Messehalle umschaut, scheint es, als wäre die Marketingkampagne nicht das einzige, was bei dieser Veranstaltung eher verhalten ist. Selbst die beworbenen Luxusapartments stehen in einem verschlafenen Vorort von Amsterdam. In den Niederlanden können es sich anscheinend nicht mal mehr die Topverdienerinnen und Topverdiener leisten, in den Innenstädten zu leben.
In den 1920ern dürfte der Untergang der Titanic den Menschen noch gut in Erinnerung gewesen sein. Hundert Jahre später bleiben Kreuzfahrten trotz einer grassierenden Pandemie ein wichtiger Teil des Luxussegments. Für nur 33.000 Euro kannst du an Bord des Fünf-Sterne-Schiffs Le Commandant Charcot gehen und einen zweiwöchigen Abstecher zum Nordpol machen. Ich spreche mit Stephen, einem vielgereisten US-Amerikaner, der für den Veranstalter arbeitet, der diese Reisen anbietet. Er hat sogar schon selbst zu Recherchezwecken den Nordpol besucht und dabei acht Eisbären gesehen. “Ich dachte, ich würde mich da langweilen”, sagt Stephen. “Aber das war nicht so. Als wir dann den 90. Meridian im Westen kreuzten, knallten die Champagnerkorken, und die Party ging los.”
Für Stephen ist es kein gedankenloser Eskapismus, an Bord eines schwimmenden Palastes zu klettern, um sich Eisbären anzugucken. Nein, für Stephen ist das Klimaaktivismus. “Wir bringen Nachhaltigkeit auf ein neues Level”, sagt er und verweist darauf, dass es sich bei dem Schiff um eine klimafreundliche Reiseoption handele. Außerdem dürften Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kostenlos mitfahren, und die Urlauberinnen hätten die Möglichkeit, sich regelmäßig Vorträge über die Erderwärmung anzuhören. Wenn man Stephen glauben soll, dann kann eine Reise zum Nordpol sogar die Klimakrise bekämpfen. “Sobald die Passagiere sehen, wie schön und fragil die Landschaft dort ist, werden sie sie beschützen wollen”, sagt er.
Interessanterweise scheint eher das Gegenteil passiert zu sein, dabei gibt es Nordpolkreuzfahrten schon seit Jahrzehnten. “Natürlich, historisch betrachtet nimmt die Menge des Eises ab, aber es entsteht auch jedes Jahr neues Eis. Bei der Kreuzfahrt sind wir tagelang durchs Eis gebrochen. Das Eis war überall!”, sagt Stephen. Aber während in der Antarktis das Meereis tatsächlich zunimmt, schmelzen Gletscher und Schelfeis rapide und produzieren große Mengen Süßwasser. Laut der Umweltschutzorganisation World Wild Life haben wir in den vergangenen 30 Jahren sogar 95 Prozent des ältesten und dicksten arktischen Eises verloren.
Laut Rosanna, einer glamourösen Business-Strategin, mit der ich an der Bar einen Schaumwein trinke, ist die Klimakrise die 2021er Version der Prohibition. “Wir müssen darüber nachdenken, was wir anders machen, wie wir neue Geschäftsmodelle erfinden. Wir befinden uns in einem Zeitalter des Umbruchs”, sagt sie.
In ihrer Freizeit hilft sie mit ihrer langjährigen Berufserfahrung jungen Unternehmerinnen, die beruflich vor einer Wand stehen. “Mein Mann und ich haben ein Bed and Breakfast in Modena, nahe Bologna. Eine wunderschöne Anlage, ein echtes Paradies mit Blick auf die Berge. Aber als wir öffnen wollten, kam Corona, und wir hatten keine Buchungen. Also haben wir selbst dort gewohnt.” Wie es scheint, hat es gerade wirklich niemand leicht.
Etwas fröhlicher geht es an der Bar zu, die vom Krypto-Start-up Icoinic gesponsert wird. Bei einem Drink quatsche ich mit CEO Egbert Krop. Unsere Unterhaltung kommt bald auf die Hyperinflation der Weimarer Republik Ende der 1920er zu sprechen. Damals mussten die Menschen Lebensmittel mit Schubkarren voller Geldscheine kaufen. Krop erinnert mich daran, dass es in der Kryptowelt keine Inflation gebe. Die Preise der verschiedenen Währungen auf dem Markt mögen zwar hoch und runter gehen, aber dieser “einfache Niederländer”, wie er sich nennt, hat Vertrauen in die langfristigen Möglichkeiten der Kryptowährungen. Und das sollte er auch: Sein Business boomt.
Er sei allerdings “nicht besonders materialistisch” und nur auf der Messe, um ein paar Flaschen Wein zu kaufen. So ähnlich sehen das auch einige andere Gäste, mit denen ich spreche. Diejenigen, die ihr Vermögen digital gemacht haben, scheinen nicht so heiß auf materielle Besitztümer zu sein wie die klassische Oberschicht.
Bei der Messe wird auch ein Lamborghini ausgestellt, der vom Künstler Pablo Lücker dekoriert wurde. Das eine halbe Million Euro teure Auto gibt es als Gratisgeschenk zum Kauf eines NFTs desselben Künstlers dazu. Pablo sei hier, um ein bisschen Leben in die Bude zu bringen, sagt er. “Viele der Leute hier sind doch einen Ticken blasiert.”
Die Person auf dieser Messe, die vielleicht die größte Abneigung gegenüber der materiellen Welt hegt, ist der YouTuber Kwebbelkop. Er überlegt, sich die NFT-Lamborghini-Kombo zuzulegen. “Nicht für den Lamborghini, sondern für das NFT.” Das Auto würde er einfach verkaufen.
Um 18 Uhr ist die Party vorbei, denn auch eine Masters Expo muss sich an die niederländische Pandemieverordnung halten. Bislang scheinen die Unternehmen und Menschen, die in der Krise fette Profite einfahren, viel mehr interessiert an Bescheidenheit und Effizienz zu sein als an grenzenlosem Hedonismus. Die Rückkehr der Roaring 20s bleibt weiterhin viel mehr Wunsch als Realität.