Handbuch eines heimlichen Trinkers

llustriert von Esra Røise

Meine glücklichsten Tage als heimlicher Trinker verlebte ich in Kansas City, als meine jüngste Tochter noch ein Baby war. Sie war allergisch auf Muttermilch, also nahm ich ein Fläschchen mit Sojamilch, steckte sie ins Tragetuch und spazierte mit ihr einen halben Block bis zum nächsten Laden, wo ich eine kleine Flasche Jack Daniels und einen großen Becher Dr Pepper Light kaufte. In einer kleinen Straße hinter dem Laden schüttete ich von Letzterem die Hälfte weg und füllte den Becher mit Whiskey auf. Wie schwer es in einer Stadt ist, solche geografischen Schlupfwinkel zu finden, merkt man erst, wenn man danach zu suchen beginnt.

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Ich kippte den Whiskey runter. Dann spazierten wir durch die Straßen meines Viertels. Dabei kamen wir für gewöhnlich an der verlassenen Pension vorbei, in der Hemingway gewohnt hatte, als er für den Kansas City Star schrieb. Meine Tochter schlürfte ihre Sojamilch (sie war ein Zwei-Flaschen-Kind, daher hatte ich immer eine zweite Flasche in der Tasche), und ich meinen Drink. Unter den Bäumen von Rockhill sahen wir uns an, schlenderten durch den Hyde Park, das großartige verfallene Kansas City, vorbei an den Villen und backsteinernen Rehabilitationszentren, dem Nelson-Atkins Museum und dem erleuchteten Teich von Walter De Maria. Wenn sie eingeschlafen war, brachte ich sie nach Hause und legte sie in ihr Bettchen. Bis sie anderthalb Jahre alt war, schlief sie jeden Abend so ein.

Im Winter packte ich sie unter meine Jacke, sodass nur noch ihr kleines Gesicht herauslugte, und manchmal gingen wir dann in eine irische Bar auf der Main Street oder in Dave’s Stagecoach Inn—eine Kneipe auf der Westport Road, die ich sehr mochte. Ein heimlicher Trinker vermisst seine Bars. Einen Drink an einer Bar zu nehmen, ist nicht vergleichbar mit anderen Drinks—es ist ein Ritual wie das feine Zerreiben von Koks oder das langsame Erhitzen von Heroin—selbst wenn der Barmann zu beschäftigt ist, um Konversation zu machen, und sich auch sonst niemand unterhalten möchte.

In einer sehr kalten Winternacht, als die Bar im Dave’s ziemlich voll war, meinte ein Barmann, den ich noch nie leiden konnte, zu mir: „Wenn du das Baby dabei hast, kann ich dir nichts ausschenken, Mann.”

„Du hast mich hier aber schon zigmal bedient, als ich sie dabei hatte”, erwiderte ich. „Das Baby trinkt ja nicht.” In den wenigen Bars, die wir frequentierten, sahen die meisten Leute mich gern mit dem Baby. Die meisten Betrunkenen sind freundliche, nette und freigiebige Menschen, die Mitgefühl mit den Schwierigkeiten anderer Leute haben und Babys mögen.

„Du solltest bei der Kälte nicht mit dem Baby unterwegs sein, ich kann dir nichts geben.”

„Entschuldigung, was hast du da gesagt?”, schrie ich ihn an. „Hast du mir gerade gesagt, wie ich mich um mein Baby zu kümmern hab? Wie viel Kinder hast du denn?”

Mir war klar, dass er keine Kinder hatte. Ich verlor die Beherrschung. Unter meinem schweren Wintermantel war meine Kleine wärmer eingepackt als zu Hause in ihrem Bettchen. „Wenn ich eins nicht ausstehen kann, dann sind das Leute, die mir sagen wollen, wie ich meine Kinder großzuziehen habe”, sagte ich zu einer Frau, die neben mir stand. Sie nickte verständnisvoll. Später, als ich mit dem Trinken aufgehört hatte, wollte ich noch mal hingehen und mich bei dem Typen entschuldigen. Aber wenn du als Alkoholiker einmal damit anfängst, dich zu entschuldigen, hört es nicht mehr auf. Ganz egal, was sie bei den Anonymen Alkoholikern sagen.

Heimliche Trinker sind überall. Sie sind ständig um uns herum.

Wenn du dir in der Mittagspause oder an einem ruhigen Nachmittag einen genehmigen willst und eine Frau allein in der Ecke des Restaurants sitzen siehst, vor sich ein Glas Weißwein und einen Teller mit fadem Gemüse, würden die meisten gar nicht darauf kommen, dass sie etwas verbirgt. Und genau das ist der Trick. Sie weiß, dass Weißwein im Allgemeinen nicht als des Alkoholikers Lieblingsgetränk gilt.

Dir fällt ein Mann auf, der in einem Schnapsladen nervös zur Kasse schaut, fast so, als plane er, den Laden auszurauben. Er nimmt seine Flasche Rum und lässt den Kassenbon liegen—er ist volljährig, was ist das Problem? Wenn er sich über die Schulter sieht, dann nicht aus Angst vor den Bullen oder vor dir. Dann hält er Ausschau nach Leuten, die er lieber nicht sehen will, besser gesagt, von denen er nicht gesehen werden will. Er hält Ausschau nach den Freunden seiner Frau. Nach Mitgliedern seiner AA-Gruppe. Kollegen. Verflossenen, die wissen, dass er eigentlich trocken sein sollte. Studenten oder Kunden. Nach all jenen, die er anlügt—die glauben, dass er nicht mehr trinkt.

Wenn ein heimlicher Trinker ein Restaurant betritt, scannt er es zunächst nach dem Barkeeper, den Toiletten und einem Tisch ab, an dem man mit dem Rücken zur Bar sitzt. „Wir würden gern dort sitzen”, sagt er der Platzanweiserin am Eingang. Im Idealfall befindet sich eine Wand oder eine Säule oder ein anderes Hindernis zwischen seinem Tisch und der Bar. Wenn die Bar und der Zugang zu den Toiletten zu weit auseinander liegen, wird ein guter heimlicher Trinker vorschlagen, ein anderes Restaurant aufzusuchen. Am besten sind Restaurants, in denen Bar und Toilettenzugang völlig vom Essbereich getrennt sind, was es dem heimlichen Trinker ermöglicht, relativ problemlos mit seiner Begleitung mitzuhalten.

Die oberste Regel des heimlichen Trinkens ist die allerwichtigste: Sorge dafür, dass deine Begleitung trinkt. Nur der Nüchterne erkennt den Betrunkenen.

Der heimliche Trinker sucht öfter die Toilette auf als normale Menschen. Ich weiß nicht, wie oft man mir schon ohne Anzeichen von Sarkasmus gesagt hat: „Du hast aber eine schwache Blase.” Der kluge heimliche Trinker trinkt viel Wasser und bestellt auch häufig mehrere Getränke gleichzeitig—Kaffee, Cola Light, Wasser—das verstärkt die Illusion, er sei ein genesender Alkoholiker.

Selbst wenn ein heimlicher Trinker in einem Restaurant landet, in dem sich die Bar und der Zugang zu den Toiletten direkt im Essbereich befinden, gibt es einen Weg. Vor etwa einem Jahr war ich mit einer Verabredung morgens auf der Upper West Side in einem Dim-Sum-Restaurant, dessen Bar voll im Blick und genau gegenüber der Toilette lag. Es gab in dieser Gegend keine anderen Dim-Sum-Restaurants, und als wir drin waren, wollte sie auch noch unbedingt neben mir sitzen. Im Vorbeigehen hatte ich um die Ecke ein kleines, im Souterrain gelegenes Frühstückslokal gesehen. Die Chancen waren gering, aber auf mehr konnte ich nicht hoffen. Wie in den meisten Restaurants befanden sich die Toiletten des Dim-Sum-Ladens in der Nähe des Eingangs. Ich ging in Richtung Toilette, schlich mich durch die Hintertür raus und flitzte zu dem Frühstückslokal. Dort hatten sie keine harten Sachen, verkauften aber Wein in kleinen Flaschen. Ich kaufte drei Flaschen Merlot—untrinkbarer Fusel, der kaum besser schmeckte als Hustensaft—und bezahlte bar. Auf dem Bürgersteig stürzte ich alle drei hinunter, mit dem Rücken zu meiner Freundin. Bevor wir mit dem Essen fertig waren, ging ich noch zweimal dorthin zurück. Und das, obwohl ich jedes Mal durch die Eingangstür wieder hereinkommen musste. Keine Ahnung, wie ich meiner Begleitung das erklärt hätte—die zu diesem Zeitpunkt allen Grund gehabt hätte, misstrauisch zu sein—aber glücklicherweise bemerkte sie es nicht. Wahrscheinlich wäre mir jede Lüge recht gewesen. Um 11 Uhr morgens war die Wahrheit einfach zu absurd, selbst für mich.

Regel Nummer zwei: Trage immer Bargeld bei dir. Dein Kontoauszug ist dein Feind, und du kannst nicht mal schnell mit Kreditkarte zahlen.

In Seattle habe ich mal bei einer Verabredung mit einer anderen Frau und einer ihrer Freundinnen in einem Restaurant am Meer den gleichen Trick versucht, und die beiden haben mich jedes Mal durch die Vordertür reinkommen sehen. (Ich hatte die Hintertür mit einem Keil offen gelassen, doch sie war nicht offen geblieben. Das Küchenpersonal muss ständig durch diese Türen, und sie sind in der Regel selbstschließend.) Der Freundin, die etwas älter, gewitzter und auch skeptischer war, eine Strafverteidigerin aus Louisiana, fiel das auf, und sie sagte: „Du gehst zur Toilette und kommst vorn wieder rein.” Sie zog eine Augenbraue hoch. „Gehst du nach nebenan, um zu trinken?”

Sie mochte mich, aber sie wusste, was Sache war. Ich sagte: „Wenn sich die Gelegenheit bietet, schaue ich zwischendurch gern mal eine Minute aufs Meer. Ich lebe in Kansas City. Für mich ist das eine Wohltat.”

Ich glaube, nicht mal meine Verabredung hat mir das abgekauft. Aber wenn du darauf achtest, das Gespräch zu kontrollieren, kontrollierst du die Wahrheit. Heimliches Trinken ist wie jede Art von Täuschung. Du fliegst erst auf, wenn die Beweislage absolut erdrückend ist oder du bescheuert genug bist, es zuzugeben.

Regel Nummer drei: Abstreiten, abstreiten, abstreiten. Wenn du das im ganz normalen Leben nicht gelernt hast, lern es jetzt. Natürlich willst du die Wahrheit sagen. Natürlich sagt sie dir, dass sie dir verzeiht, wenn du nur die Wahrheit sagst. Und wenn sie dir dieses Märchen erzählt—vom Verzeihen, von der Absolution, wenn du gestehst—dann meint sie das auch so. Sie weiß nicht, dass es ein Märchen ist. Aber hast du die Wahrheit erst einmal zugegeben, wird alles anders.

Noch ein Beispiel wie man das Bar-Toiletten-Problem bewerkstelligt. Es war ein großer Abend im Masa in New York. Ich hatte in dem Restaurant schon mal gegessen und wusste, dass es dort keine Bar gab. Ich konnte das Restaurant auch nicht andauernd verlassen: Es befand sich in einem Einkaufszentrum, und es gab keinen Hinterausgang. Also waren meine Socken gefragt. Man kriegt locker drei Flugzeug-Minibar-Flaschen mit Hochprozentigem in jede Socke. Eine Tasche dabei zu haben, macht es wahrscheinlich einfacher. Du kannst deine Anzugtaschen nehmen, aber das ist riskant, sollte es im Taxi auf dem Weg zum Restaurant zu Körperkontakt kommen. Nach der Ankunft im Restaurant gehst du zur Toilette und versteckst die Flaschen. Normalerweise gibt es dort ein Regal, einen Schrank oder Deckenpanelen—irgendwas. Ich hab schon normale Weinflaschen in Restauranttoiletten versteckt, aber im Masa gab es nichts, wo man irgendwas hätte verste­cken können. Immer diese Japaner mit ihrer minimalistischen Ästhetik. Es gab nicht einmal einen abnehmbaren Deckel für die Klospülung (darin schwimmen Flaschen ganz wunderbar, obwohl das Risiko besteht, dass jemand einen Blick hineinwirft, sollten sie den Spülvorgang stören oder Geräusche machen—besonders glücklich war ich mit dieser Methode nie). Also versteckte ich meinen Vorrat im Mülleimer unter dem Müll. Wann immer ich zur Toilette ging, leerte ich den Müll in die Toilette oder meine Taschen, damit nur ein zwei gebrauchte Papierhandtücher übrig waren, sodass die Angestellten nicht auf die Idee kommen würden, den Müll auszuleeren und dabei meine Flaschen fanden.

Es war ein wunderbarer Abend: Meine Begleitung trank Sake an der Sushi Bar, ich Wodka auf der Toilette, und sie bekam nicht mit, dass ich mich betrank. Wir nahmen ein Fahrradtaxi vom Lincoln Center bis zu unserem Hotel am Gramercy Park, wo es noch genügend Flaschen in der Minibar gab, die ich trinken und mit Wasser wieder auffüllen konnte.

Noch ein Tipp: Vergiss dein Handy nicht. Das funktioniert zwar nicht mit Leuten, die dir sehr nah stehen, aber mit Bekannten oder bei Geschäftsessen ist ein Anruf eine ideale Entschuldigung, kurz vom Tisch aufzustehen. Oder wenn dein Ziel etwas weiter außerhalb gelegen ist, verstaue eine Flasche im Handschuhfach oder unterm Sitz (es wäre etwas merkwürdig, wenn jemand sieht, wie du mitten in einem imaginären Telefongespräch deinen Kofferraum öffnest).

Regel Nummer vier: Akzeptiere, dass jeder weiß, was du machst, und verhalte dich so, als wüsste es niemand. Sei heiter, souverän und selbstsicher.

Später, wenn du auf Entzug bist und einem engen Freund erzählst: „Ich hab die ganze Zeit heimlich getrunken”, wirst du fast immer angenehm überrascht sein, herauszufinden, dass sie keine Ahnung hatten. Die Leute sind gar nicht so misstrauisch, wie man denkt. Aber die Einstellung, dass alle wissen, was du treibst, bewahrt dich davor, herumzuschleichen, was immer ein verräterisches Zeichen ist.

Regel Nummer fünf: Freunde dich mit dem Barkeeper an. Freunde dich mit deinem Kellner an. Freunde dich mit allen Mitarbeitern an, die das zulassen.

Angenommen, du hast deine Begleitung so platziert, dass sie mit dem Rücken zur Bar sitzt; da sind die Toiletten und laden dich ein und da die Ecke der Bar und der Barkeeper. Während sie die Karte studiert, entschuldigst du dich und sagst: „Wenn der Kellner kommt, bestell mir bitte eine Cola Light.” Zeit für einen doppelten Wodka. Nun ja, nur Wodka, pur—der schnellste und sicherste Weg zum Rausch. Und kein Eis, aus dem gleichen Grund. Schieb dem Barkeeper einen Zwanziger rüber—da bleibt in den meisten Bars und Restaurants des Landes ein Zehner Trinkgeld übrig und in den teureren immer noch locker ein Fünfer. Und wenn du das nächste Mal einen Doppelten bestellst, macht er dir einen Dreifachen.

Wenn du deinen Kellner siehst—keiner hat behauptet, das würde billig—steck ihm ebenfalls einen Zehner oder Zwanziger zu. Niemand kann dich so schnell auffliegen lassen wie dein Kellner. „Noch ein Wodka für Sie?” An deinem Tisch, vor deiner Begleitung. Das ist mir ein paar Mal passiert.

Dir ist vielleicht aufgefallen, dass ich nur von Kellnern und Barkeepern rede. Ich weiß nicht warum, aber meiner Erfahrung nach lassen Kellnerinnen und Barkeeperinnen heimliche Trinker eher auffliegen als ihre männlichen Kollegen. Vielleicht sind sie weniger tolerant bei Lügen, Geheimnissen und wenn’s darum geht zu schweigen. Vielleicht sind sie auch öfter die Opfer heimlicher Trinker. Vielleicht ergreifen sie auch einfach nur Partei für deine Begleiterin. Oder es liegt daran, dass mein Charme bei ihnen nicht so gut wirkt, vielleicht, weil ich mich bei einer Frau als Komplizin unbewusst schuldiger fühle. So oder so, man sollte das im Kopf behalten.

Um seinen Kellner kümmert man sich am besten, in dem man an der Toilettentür steht und wartet, bis er zur Bar geht. Dann winkt man ihn zu sich und sagt: „Könnten Sie mir einen doppelten, ähm, Wodka bringen? Ganz unter uns. Ich trinke eigentlich nicht.” Dann steckst du ihm den Zwanziger zu. Sie verstehen—sie kennen das schon. Es schadet nie, hinzuzu­fügen: „Sie verstehen das sicher.” Für gewöhnlich entschärft das die Situation.

Noch ein fabelhafter Trick: Frag den Kellner nach dem fetten Trinkgeld, ob er dir die nächste Cola Light mit einem Schuss Wodka bringen kann. Ich hatte noch keinen Kellner und keine Kellnerin, die das abgelehnt hätten. Wobei das auch ziemlich riskant ist. Einmal kam im PF Chang’s in Kansas City so ein dämlicher Kellner an meinen Tisch, um das leere Cola-Wodka-Glas mitzunehmen, das ich an der Bar bestellt hatte—während er daneben stand—und sagte: „Noch ein Drink, Sir?”

„Ja, noch eine COLA LIGHT, bitte.”

Meine Begleitung starrte mich mit offenem Mund an. Der Kellner kapierte immer noch nicht.

„Cola Light mit Wodka, nicht wahr?”

„Ähm, nein. Ich hatte nur eine Cola Light. Ich trinke nicht.”

Endlich hatte er es kapiert. „Oh, natürlich, Sir.” Als er wiederkam, hatte er eine Cola Light dabei. Was mein Glück war, denn das Erste, was meine Begleitung tat, war zu fragen, ob sie mal von meiner Cola trinken dürfe.

Wie viele Jungs hatte ich meinen ersten heimlichen Drink an der Hausbar meiner Eltern. Meine Stiefschwestern und ich tranken damals nicht viel, doch irgendwann berief mein Stiefvater am Abendbrottisch eine Familienkonferenz ein und beschuldigte die älteren Jungs, meine Stiefbrüder, sie hätten sich wohl hin und wieder mal heimlich einen Schluck genehmigt. Wir ließen es sie ausbaden.

Später, so mit zwölf, ging ich beim Babysitten mal wieder an die Hausbar. Ein paar Freunde waren vorbeigekommen. Und dann kamen meine Eltern von ihrer Verabredung zurück. Meine Mutter meinte, sie könne Wodka in meinem Atem riechen. Ich stritt natürlich alles ab. Aber am nächsten Tag fragte ich sie in meinem jugendlichen Leichtsinn: „Wie heißt noch der Alkohol, den man nicht riecht?”

„Es gibt keinen Alkohol, der nicht riecht”, ließ sie mich wissen.

Zwei Jahrzehnte lang wartest du und schaust anderen Leuten beim Alkoholgenuss zu. Während dieser prägenden Jahre beginnt der heimliche Trinker die Kunst und die Kicks seiner Zunft zu erlernen. Du lernst, dass Alkohol vor allem Freiheit bedeutet. Er ist der große Enthemmer. Während du aufwächst, siehst du jahrelang anderen Menschen beim Trinken zu. Je mehr sie sich einflößen, desto fröhlicher werden sie—freier, lockerer, wilder. Als ich vor ein paar Jahren mit meiner ältesten Tochter ein ernsthaftes Gespräch über meine Trinkgewohnheiten führte, sagte sie in Bezug auf meine Exfrau und mich: „Ich fand es immer gut, wenn ihr beide getrunken habt. Dann wart ihr ausgelassener. Ihr wart lustiger.” (Irgendwann hat sie dann aber leider mitbekommen, dass ich gar nicht so lustig bin, wenn ich trinke.)

Immer und überall wird getrunken, erlaubt ist es aber nur in ganz bestimmten Situationen. Ein befreundeter Redakteur hat mal Kameras in seinem Büro installiert, weil ihm aufgefallen war, dass der Pegel in seinen hochpreisigen Scotchflaschen ständig fiel. Dann begann der Scotch sich zu verfärben. Kurz nach der Installation beobachtete die Kamera unseren alten Bekannten, den heimlichen Trinker, wie er sich morgens um zehn, als mein Freund auf der Toilette war, in sein Büro schlich, zitternd eine Flasche aufschraubte und ein, zwei Schluck daraus nahm, bevor er sie wieder zurück ins Regal stellte. Manchmal hatte er eine Flasche Wasser dabei, um vorsichtshalber etwas nachzufüllen. (Hierzu nur kurz: Vorsicht beim Auffüllen halbleerer Alkoholflaschen mit Wasser. Wasser trübt viele Spirituosen, und dann hat man keine andere Wahl, als die ganze verdammt Flasche mitzunehmen. Und eine normalgroße Schnapsflasche lässt sich nicht so einfach verstecken.) Ich glaube nicht, dass mein Freund den Übeltäter je damit konfrontiert hat. Wenn ich ihn tatsächlich so gut kenne, wie ich meine, ist er jemand, der sich sehr gut in die Nöte und Leiden seiner Mitarbeiter hineinversetzen kann. Dieser Mann brauchte einfach um zehn Uhr morgens einen Drink. Und er war entweder zu pleite, um eine eigene Flasche zu haben, oder er wusste, dass er dann sein Alkoholproblem nicht länger würde verbergen können. Eines ist mein Freund allerdings nicht: ein Philanthrop. Er ging dazu über, die Flasche seines 30 Jahre alten Macallan mit einer Flasche Teacher’s für sieben Dollar aufzufüllen.

Vor kaum 20 Jahren konnte man zum Mittagessen drei Martinis kippen, und dann mit heiterem Grinsen zurück ins Büro gehen. Danach folgten lange Jahre, in denen Angeheitertsein während der Arbeitszeit als inakzeptabel galt. Doch seit Kurzem scheinen die Meinungen in dieser Hinsicht wieder liberaler zu werden.

Was ich sagen will, ist: Wenn der Alkoholiker aufhört, hört er nicht nur mit dem Trinken auf. Der körperliche Teil ist meist einfach. Schwieriger ist, dass er mit dem Trinken auch einen Lifestyle aufgibt, eine Weltanschauung, ein grundlegendes und unersetzbares Vergnügen, eine Psychotherapie, einen Appetitanreger für das Leben und ein fundamentales Selbstverständnis seiner eigenen Person. Das Wichtigste ist jedoch, dass der Trinker seiner persönlichen Freiheit Lebewohl sagt und seinen freien Willen unterdrückt. Du magst ihn für einen Sklaven seiner Sucht halten. Dabei ist es in Wirklichkeit seine Sucht, die ihn davon abhält, ein Sklave zu sein.

Wann immer der Trinker sich unfrei fühlt, greift er nach der Flasche. Die Leute haben ihm gesagt, er soll nicht trinken, und er hat nicht auf sie gehört. Er ist mürbe geworden. Seine Malaise hinterlässt bei dem heimlichen Trinker ein Gefühl der Unfreiheit. Das ist nicht neu. Nachdem der heilige Augustinus als Junge einmal eine Mauer hochgeklettert war, um Birnen zu stehlen, die er dann aber nicht gegessen hat, nahm er das als Beweis für die Erbsünde. Und irgendwie hatte er ja recht: Es war ein Ausdruck seiner Freiheit, es war Rebellion, Ungehorsam. Auch Adam hat nur in den Apfel gebissen, weil man ihn gewarnt hatte, es nicht zu tun, nicht wegen irgendwelcher Märchen über eine Schlange und eine Frau. Dostojewskis Untergrundmann weigert sich trotz seiner kranken Leber, zum Arzt zu gehen, weil er damit gesellschaftlichen Normen nachgeben und seine freie Entscheidung negieren würde, selbst wenn diese Entscheidung impulsiv und kontraintuitiv ist. Er besteht auf seiner Freiheit, was immer der Preis dafür ist. Jedes heimliche Trinken ist im Grunde eine Trotzreaktion auf die Tyrannei der anderen, die Tyrannei des Partners, die Tyrannei der Gesellschaft, sogar die Tyrannei der eigenen Sucht. „Fick dich! Ich kann drei große Schlucke nehmen und dich wieder zurück hinter die Kellertreppe stellen, Mr Belvedere. Gute Nacht!” Oder, realistischer, wenn es auch nicht ganz so entschlossen klingt: Kauf dir eine ganze Flasche, und kipp sie auf ex runter.

Versuchst du, lieber Leser, das Trinken aufzugeben oder bist du dabei, dir einen nüchterneren Lebensstil zuzulegen? Dann ist kalter Entzug vielleicht einfach nicht dein Ding. Wenn du diesen verzweifelten Weg einschlägst, passiert höchstwahrscheinlich etwas in dieser Art: Drei Tage bleibst du stocknüchtern—dann folgt eine ausgedehnte, heftige Sauferei. Dein Partner, wenn du einen hast, wird fuchsteufelswild sein. Gegenseitige Schuldzuweisungen, Versprechungen, Tränen. Bald wirst du Dinge verlieren, ohne die dein Alltag sehr schwierig wird. Den Anfang macht dein Führerschein, dann deine Kreditkarten, deine Schlüssel, dein Handy, dein Geld, deine Klamotten. Und von da an geht’s bergab.

Du hast Angst, deine Selbstachtung zu verlieren? Ich bitte dich. Ich weiß noch, wie einer meiner Redakteure mir mal von einem Autor erzählt hat, der in einem Restaurant auf Rechnung seines Verlegers Wein im Wert von 10.000 Dollar bestellt hat, bevor er in der Toilette sternhagelvoll das Bewusstsein verlor. „Stell dir diesen Typ mal am nächsten Tag vor”, sagte er. Ich antwortete: „Keine Angst, damit kommt der klar. Den kümmert es schon lange nicht mehr, ob die Leute ihn für betrunken oder nüchtern halten.” Deinen Ruf hast du zu dem Zeitpunkt bereits verloren. Aber was ist mit deinem Job? Deiner Karriere? Deiner Freiheit? Deinem Partner? Deinen Kindern? All das kann und wird dir genommen werden, wenn du es nicht in den Griff bekommst.

Hast du diesen Punkt bereits erreicht, kannst du sowieso niemanden mehr davon überzeugen—dich selbst eingeschlossen—dass du deinen Konsum einschränken kannst. Deshalb solltest du heimliches Trinken in Erwägung ziehen. Es ist weitgehend selbst regulierend. Du bekommst deine Dröhnung, musst sie jedoch geheim halten, was automatisch bedeutet, dass du sie im Griff haben musst.

Das bringt uns zu Regel Nummer sechs: Du brauchst eiserne Disziplin in Bezug auf SMS-Nachrichten und Anrufe. Dein Handy—das vielen das heimliche Trinken erst ermöglicht hat—kann dein ärgster Feind werden, sobald du ein paar zu viel hattest (und das wird unweigerlich passieren). Du wirst nüchterne Leute anrufen oder ihnen Nachrichten schicken, und sie merken, dass mit deiner Syntax was nicht stimmt und du mehr Rechtschreibfehler machst als sonst. Deine Zutraulichkeit und deine Wutanfälle kommen ihnen nur allzu bekannt vor. Und dein Verstand hinkt dir plötzlich hinterher.

Es gibt einen einfachen Weg, das zu vermeiden: Betrink dich nicht. Der Schlüssel, das kann ich gar nicht oft genug sagen, ist Selbstdisziplin, und hier ist der heilige Augustinus erneut recht hilfreich: „Tugend besteht zum größten Teil darin, dem Laster keine Gelegenheit zu bieten.” Augustinus waren die Schwächen des menschlichen Willens vertraut. Bei dem Versuch, seine sexuelle Gier zu überwinden, betete er: „Gib mir Keuschheit und Enthaltsamkeit—aber jetzt noch nicht!” Genauso klingt das Gebet des heimlichen Trinkers. OK, nicht weggehen—wir reden jetzt über Babyschritte, wie heimliches Trinken deine Gewohnheit (etwas) eindämmen kann.

Dein Garten ist die sicherste Bar, aber die ist nur so gut wie das Wetter. Wenn es draußen schön ist und du gern heimlich in der Sonne und bei Wärme trinkst, kauf ein paar Flaschen und verbuddle sie schräg in der Erde—Blumenbeete eignen sich dazu am besten—und deck die Öffnung zu deinem geheimen Vorrat mit Alufolie ab. Dann kannst du ganz nach Belieben und mit einem langen Strohhalm auf einem Strandhandtuch ausgestreckt dein unterirdisches Lager anzapfen. Der Trick ist alt, und zwar so alt, dass deine Familie, wenn sie zu Al-Anon-Gruppen geht, garantiert davon gehört hat, also Vorsicht.

Der heimliche Trinker muss akzeptieren und sich damit abfinden, dass er in Flughäfen und Flugzeugen nicht nüchtern bleiben wird. Hier vermischt sich Freiheit—Fliegen!—mit Glamour und Aufregung, Reisen, Luxus und Flucht: Sie sind Mäusedreck und Krötenbein für das Höllengebräu der Alkoholikerseele. Und es gibt keinen Ort, an dem man besser heimlich trinken kann, als den Flughafen. Am Flughafen geht jeder Barmann davon aus, dass seine Kunden es eilig haben. Im Flugzeug ist es sogar noch leichter—die Bar befindet sich in unmittelbarer Nähe der Toilette. Wenn du die Flaschen nicht mitgehen lässt, freuen sich die Flugbegleiter—ich weiß nicht warum, ist aber so—wenn du bei ihnen stehen bleibst und ein Schwätzchen hältst, während du den Drink kaufst und runterspülst. Vielleicht hat es damit zu tun, dass sie jede Woche stundenlang im hinteren Teil des Flugzeugs festsitzen. Die Klobrillen in Flugzeugtoiletten sind ein ungewöhnlich komfortabler Ort, um eine Flasche Rotwein zu trinken—insbesondere in größeren Flugzeugen mit mehreren Toiletten. Dort ist es gemütlich und ruhig, und niemand ruft dich währenddessen auf deinem Handy an oder will irgendwas von dir.

Wenn du versuchst, trocken zu bleiben, aber auf Reisen schwach wirst, sei gewappnet: Die ersten paar Nächte wieder zu Hause werden schwierig. Der körperliche Alkoholentzug dauert 90 Tage. Und ohne Alkohol wirst du nicht schlafen können. Sag also deiner Partnerin Folgendes: „Ich mach mir eine Kanne heiße Milch und trink sie beim Lesen.” Das ist gesund. Sie wird so froh darüber sein, dass sie dir anbieten wird, dir die Milch warm zu machen. Aber nein, du insistierst. Es sei so „heilsam”, es selbst zu machen. Heiße Milch schmeckt nicht ohne ein wenig Zimt, Muskatnuss und, je nach Marke, 25- bis 60-prozentigem Vanilleextrakt. Fang mit mittelgroßen Flaschen an und kauf sie jeden Tag auf dem Nachhauseweg neu, damit sie nicht merkt, wie viel du davon nimmst bzw. wie schnell die Flasche leer ist. Sie sind klein und leicht im Müll zu entsorgen. Ich habe bestimmte Marken gekauft und das Etikett auf der Rückseite abgewaschen, damit meine heutige Exfrau den Alkoholgehalt nicht bemerkt (aus diesem Grund haben viele Vanilleextraktmarken das Label auf dem vorderen Etikett). Wenn du zu viel hineinschüttest, wird man dich fragen: „Nach was riecht das?” Der vertraute sorgenvolle Gesichtsausdruck. „Muskatnuss, glaube ich. Da kommen die meisten nicht drauf.” Nimm also immer viel davon und oben drauf noch Zimt.

Für den heimlichen Trinker ist es außerdem wichtig, eine eiserne Regel aufzustellen und zu befolgen: Sei um sechs zu Hause. Spiel eine Stunde mit den Kindern und mach ihnen Abendbrot. Während sie ihr Mittagessen für den nächsten Tag zubereitet, lauf schnell zum Laden und kauf was fürs Erwachsenenabendbrot. Hol dir eine Flasche Jägermeister (es ist erstaunlich, aber von allen Spirituosen riecht der Atem danach am wenigsten). Ein großer Schluck auf dem Parkplatz des Getränkeladens. Ein zweiter vor dem Lebensmittelladen. Ein dritter, wenn du wieder im Auto sitzt. Nachdem du das Auto in der Auffahrt geparkt hast, versteckst du die Flasche in der Garage, auch hier wieder im Mülleimer (du siehst es zunehmend als deine Aufgabe an, den Müll rauszutragen) oder, falls möglich, unter einer Treppe. Dieser vierte und letzte Schluck vor dem Schlafengehen ist deine Belohnung dafür, dass du einen weiteren Tag mit nur einer Flasche Jägermeister geschafft hast. Dieses zum Ritual gewordene, einsame Vergnügen hat mich drei Jahre lang getragen, bevor es zur Krise kam.

Für Notfälle solltest du immer alkoholhaltigen Hustensaft und Mundwasser im Haus haben. Wenn du einen Aussetzer hast und plötzlich völlig betrunken bist, nimm drei große Schluck Hustensaft, leg dich mit der halbleeren Flasche hin und tu so, als hättest du die Grippe. Der Hustensaft erklärt den Geruch und das Lallen; die Grippe liefert dir einen Vorwand, am nächsten Morgen im Bett zu bleiben.

Weitere schnelle Tipps: Wenn du auf einer Party bist, klau dir eine Flasche Alkohol und versteck sie im Garderobenschrank oder im Badezimmer—oder an einem anderen abgeschiedenen Ort, an dem du alles erklären kannst, falls man dich erwischt; besorg dir alkoholfreies Bier oder Wein, leer die Flasche aus und füll das echte Zeug rein (das ist ein wirklich guter Trick—du kannst dich mit einem echten Drink in der Hand frei auf der Party bewegen); lauf zum nächsten Laden, kauf eine oder zwei große Flaschen Alkohol und bitte um Papiertüten, und geh dann schnell einmal um den Block (nur nachts—tagsüber kann das überaus gefährlich sein), oder geh zu Dunkin’ Donuts, da ist immer eine Schlange, aber der verschließbare Toilettenraum ist meistens frei (in normalen Cafés sind die Toiletten meist überfüllt). Wenn du ausgehst und deine Begleitung nichts trinkt, wird sie unweigerlich etwas riechen oder dich sogar fragen, ob du sie mal anhauchen kannst—Zitronen kauen oder Handseife essen kann helfen, aber noch besser ist, du rauchst Zigaretten und, im Urlaub, Zigarren.

Regel Nummer sieben: Du musst immer die Kontrolle über den Alkohol behalten. Wenn dein Partner die Zuständigkeit der Hausbar übernimmt oder gar des Kühlschranks, wirst du ganz schnell auffliegen. Werde also initiativ. Wenn sie diesen bestimmten Blick drauf hat, drück ihr schnell einen Drink in die Hand. Sie wird sagen, dass sie eigentlich gar keine Lust auf Alkohol hat, aber ganz schnell einen weiteren verlangen. Das hat diese Droge so an sich. Jeder Alkoholiker hat einen Alkohol-Azubi zum Partner. Sie wird sagen: „Ich habe den Eindruck, du trinkst indirekt durch mich.” Ja und nein. Wenn du in einem Hotel mit Minibar bist und du deinem Partner die Drinks reichst, kannst du getrost die anderen Flaschen, die du zum Trinken ins Bad schmuggelst, mit Wasser auffüllen. Sieh zu, dass du sie entsorgst, wenn dein Partner nicht im Zimmer ist, und wenn beim Bezahlen die Minibarrechnung angesprochen wird, beharre darauf, dass deine Freundin nur drei Bier getrunken hat. Sie werden—das kann ich dir versichern, da ich es schon oft ausprobiert habe—die übrigen Minibarposten von deiner Rechnung streichen.

Regel Nummer acht: Wie ich immer wieder betone, sieh zu, dass nur du den Mülleimer rausbringst. Die Leute tratschen. Überall gibt es Spione. Du darfst nirgendwo Stammkunde werden. Geh nicht zu oft in denselben Laden, dieselbe Bar, dasselbe Restaurant. Irgendwann wirst du mal mit deinem Partner dort sein, und dann vertut oder verplappert sich jemand. Vielleicht sogar ohne Worte: Du fragst nach einem Päckchen Marlboro Lights für deine Frau, und der Verkäufer stellt automatisch eine Flasche Schnaps dazu und tippt alles in die Kasse ein.

Regel Nummer neun: Du bist jetzt ein heimlicher Trinker. Es ist wie eine Affäre. Finde dich damit ab. Sei vorsichtig, gehe so dezent vor, wie der erfahrendste Ehebrecher. Manchmal hilft das Glück den Mutigen, und dann musst du dich irgendwie durchbluffen. „Hey, danke für den Whiskey, ich brauch das Zeug schon über ein Jahr nicht mehr”—wirf dem Kassierer einen strengen Blick zu—„aber danke für das Angebot!” Du lachst, und mit etwas Glück lacht auch dein Partner (nervös). Diese Momente sollten auf ein Minimum beschränkt bleiben. Es gibt zwar keine Handyaufzeichnungen, die dir bei dieser Affäre zum Verhängnis werden können (und über SMS-Nachrichten haben wir ja schon gesprochen), aber es sind genug andere Leute unterwegs, die es auf dich abgesehen haben. Du errätst nie, wie oft meine Exfrau mir gesagt hat: „Ich hab gehört, du seist am soundsovielten im XYZ betrunken gewesen”, oder: „Ich hab da so was läuten hören.” So etwas darf einfach nicht passieren.

Was mich zu Regel Nummer zehn bringt, zur wichtigsten überhaupt: Du darfst nie sturzbesoffen werden. Du wirst dich betrinken, und gelegentlich wirst du sogar zugeben müssen, dass du einen Rückfall hattest, aber du hast nur drei, vielleicht vier Du-kommst-aus-dem-Gefängnis-frei-Karten. Wenn das öfter als einmal im Monat passiert, wird dein Partner oder jemand aus deiner Familie sagen: „Gib’s zu. Du trinkst wieder.” Und wenn sie erst einmal glaubt, dass du wieder regelmäßig trinkst, wird es so gut wie unmöglich sein, heimlich zu trinken. Wenn du die falsche Zahnpasta verwendest, wird sie den Alkohol in deinem Atem riechen. Wenn du Parfum benutzt, wird sie fragen: „Riechst du nach Alkohol?” Du wirst über jede Minute jeden Tages Rechenschaft ablegen müssen. Schluss mit schnell mal zum Laden an der Ecke flitzen oder zum Supermarkt. Sogar den Müll wird sie selbst rausbringen.

Wenn du diese einfachen Strategien anwendest und die Regeln befolgst, kannst du so lang heimlich trinken, wie du willst. Es gilt jedoch ein paar Vorsichtsmaßnahmen zu beachten: Zunächst das Entsorgen der Flaschen. Das hört sich einfach an, kann aber tierisch nervig sein. Jede leere Flasche belastet dich—selbst wenn es gar nicht deine ist. Leere Flaschen in der Mülltonne belasten dich, sieh zu, dass du die Müllbeutel immer gut zubindest. Wenn du zu viele leere Flaschen über den Zaun wirfst, tritt der wütende Nachbar auf den Plan—und du fliegst auf. Du darfst leere Flaschen nicht im Haus lagern. Du darfst sie nirgendwo lagern. Und auch wenn es sich bescheuert anhört, eine leere Flasche Alkohol aus dem Haus zu tragen, ist genauso schwierig, wie eine volle hineinzutragen.

Viele der beschriebenen Vorgehensweisen eignen sich für alleinstehende Trinker und für Paare. Während meiner Abstinenz und meiner Rückfälle, bei den Anonymen Alkoholikern und auf psychiatrischen Stationen habe ich viele Leute kennengelernt, die irgendwann im Laufe ihres geheimen Trinkerdaseins gemerkt haben, dass sie mit einem heimlichen Trinker verheiratet sind. Der echte heimliche Trinker ist sehr gesellig. Er bevorzugt die Gesellschaft anderer. Er sehnt sich nach Vertrautheit, er will einen besten Freund haben, er vermisst seine Mutter. Doch wird es in seinem Leben eine Zeit geben, da man ihm sagt: „Weißt du, bleib doch einfach in deiner kleinen Wohnung und trink dich zu Tode. Außer dir macht das niemandem mehr was aus. Du kannst so viel Alkohol haben, wie du willst. Warum machst du das nicht einfach?” Aber das machst du nicht.

Und immer wird es heißen: Gib mir Nüchternheit, o Herr … Aber jetzt noch nicht, Herr, jetzt noch nicht.