Hansa Rostocks Sprayern kann niemand etwas vormachen

In Santiago de Chile wurden am Dienstag drei deutsche Sprayer erwischt. Nach ihrer Festnahme stellte sich heraus, dass das Trio zur Fanszene des FC Hansa Rostock gehört. Anfänglich mag man über diese Nachricht schmunzeln, doch dann stellt sich schnell die Frage: Was für Motive muss man haben, um über 12.500 Kilometer entfernt von der Hansestadt eine chilenische Metro in Rostocker Vereinsfarben zu lackieren?

Alles für den FC Hansa. Dieses Motto scheint für einige Jungs aus dem Hardcoreumfeld der Rostocker Fanszene nicht nur irgendein Slogan zu sein, sondern gelebtes Fansein. Wie ein Gesetz oder eine Art Lebenssinn bestimmt die Liebe zum Fußballverein nicht nur die Freizeit, sondern auch den Alltag, das Denken und das Handeln.

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Sportlich vermag der Fußballclub von der Ostseeküste wenig zu überzeugen. Aktuell kämpft die Kogge gegen den Abstieg aus der dritten Liga, statt den Großen aus der Bundesliga wie in den 90ern trotzen zu können. Der Verein strahlt aber nach wie vor eine Anziehungskraft aus, der sich nicht nur Menschen aus Mecklenburg-Vorpommern nur schwer entziehen können oder wollen. Der Nachwuchs der Fanszene rekrutiert sich nicht aus Erfolgsfans, sondern aus Überzeugungstätern, die sich zu 100 Prozent mit ihrem Verein identifizieren. Und das gilt nicht nur, wenn Hansa spielt, sondern auch im Leben außerhalb der Südtribüne. My Lifestyle is Hansa!

Foto: hansaallcity.tumblr.com

Zwar tragen auch Ultras anderer Clubs fast ausschließlich Klamotten und Schuhe in den Vereinsfarben, drucken Shirts und Pullover mit Insidersprüchen, Buchstaben- oder Zahlencodes und kleben ihre eigenen Sticker überall. Wenn es aber um Graffiti geht, dann spielen Hansa-Fans in einer anderen Liga. Denn was die Qualität der Hansa-Sprayaktionen betrifft, reicht ihnen keine andere Ultra-Crew so schnell die Dose.

Profisprayer bezeichnen sich selber als Writer. Reizvoll sind für sie vor allem Autobahnbrücken, Lärmschutzwände und Züge—also alles, was verboten ist. Ihr Wirken und Werkeln besitzt meistens nur ein Ziel: maximale Aufmerksamkeit für sich zu erhaschen. Dabei steht dann oft das selbst gewählte Pseudonym, das Tag oder eben der Writername im Vordergrund, und natürlich die Crew. Dieses Phänomen kennt jede Großstadt und lässt sie auch erst urban, hip oder cool wirken. Unbeteiligte Betrachter von illegalen Graffitis im öffentlichen Raum können aber mit der Botschaft kaum was anfangen. Selten können sie den Text lesen, eher finden sie die Farben schön oder den Ort krass, wo ihnen überraschend urbane Kunst in Anführungszeichen begegnet.

Wenn Graffiti also eine klar erkennbare, für jeden lesbare Botschaft besitzt, dann eignen sich bemalte Züge und Brücken ideal als Reviermarkierung. Das hat seit ein paar Jahren fast jede Fußballfanszene erkannt. Nur die Sache hat einen Haken: Mit schlechten Styles erreicht eine Fanszene schnell das Gegenteil, dann hagelt es Spott und der Ruhmregen bleibt aus.

In Rostock müssen sich also schon früh graffitibegabte Hansa-Fans zusammengeschlossen haben und die Möglichkeiten von Graffiti vor vielen anderen Fanszenen erkannt haben. Die Autobahnbrücken an der Landesgrenze zu Mecklenburg-Vorpommern bezeugen das und auch die Zugstrecke nach Rostock verkündet schon weit vor dem Rostocker Hauptbahnhof, welcher Verein jetzt das Sagen hat. Auch Großstädte in der Nähe von Rostock wie Berlin und Hamburg weisen eine hohe Hansa-Aktivität aus, andere Ballungsgebiete kennen ebenfalls den blau-weiß-roten Anstrich. Zwar schaffen das auch andere aktive Fanszenen, doch was das Bemalen von Zügen angeht, spielen die Hanseaten Champions League.

Vor ein paar Jahren grüßte ein Weihnachtsmann von einer doppelstöckigen Regionalbahn alle Hansa-Fans und wünschte ein frohes Fest. Die Qualität des gesprühten Bildes lässt fast einen PR-Gag oder eine Marketingstrategie eines Adventskalenderherstellers oder sogar des Vereins vermuten. Aber das würden weder Fußballverein noch die Deutsche Bahn erlauben.

Regelmäßig fahren S- oder U-Bahnen durch Berlin, auf denen Hansa Rostock steht. Auf Hamburger Bahnen sprühen Hansa-Fans ihre Abneigung gegen den Zweitligisten aus der Elbemetropole, den FC St. Pauli, und immer wieder fährt der FCH auf Zügen durch die Bundesrepublik. Für Aufsehen hat vor ein paar Wochen ein Regionalzug gesorgt, der den Schriftzug „Hansa-U Akbar” trug, flankiert von einem Selbstmordattentäter mit blau-weiß-roter Hassmaske und einer Hansa-Fahne im IS-Style. Manche mögen das geschmacklos finden, in den sozialen Netzwerken lobten viele die Kreativität des Graffitis.

Foto: hansaallcity.tumblr.com

Die Rostocker Trainwriting-Aktivitäten beschränken sich aber nicht nur auf Deutschland. Zum Jubiläum des Ostseestadions plante der Verein 2014 ein Freundschaftsspiel gegen Rapid Wien. Die Vorfreude auf das Spiel muss in der Graffitifanszene von Hansa ein paar Jungs so motiviert haben, dass die mal eben einen U-Bahn-Schacht in Wien enterten und eine nette Botschaft auf einem Waggon hinterließen: „Liebe Ultras Rapid, hiermit laden wir Euch & eure Freunde in unsere „No-Go-Area” zum Freundschaftsspiel ein. Wir hoffen auf zahlreiches Erscheinen. Gern auch früher =). Eure Hansa Hools.”

Die Hansa Hools wissen also genau, was sie da tun. Da kein Rechtschreibfehler die Botschaft verhunzt, scheinen die Typen auch irgendwann mal eine Schule von innen gesehen zu haben. Wenn man diese Typen als Idioten bezeichnet, macht man es sich also sehr leicht. Diese Aktion wurde dann als Anlass genutzt, um wegen Sicherheitsbedenken das Spiel abzusagen. Wer sich jetzt hinstellt und sagt, die Fanszene hätte damit dem Verein geschadet und nur für negative Schlagzeilen gesorgt, vergisst die Wirkung in der Szene. Ohne einen einzigen Rapid-Fan zu verletzen, hat Hansa klar gewonnen. Auswärts sogar, denn es hat wohl nie ein Rückspiel gegeben.

Das Wiener Beispiel kann eventuell erklären, warum Hansa-Hools im Ausland Züge besprühen. Wenn der Lieblingsverein auf dem Platz in zwei Halbzeiten einfach nicht konkurrenzfähig ist und in der dritten Halbzeit angeheuerte Schläger aus dem Rockermilieu beim Gegner warten, dann suchen sich Hardcorefans eben ein weiteres Betätigungsfeld, was ihnen einerseits den Kitzel und den Adrenalinschub bringt und anderseits das Ansehen der Fanszene enorm fördert.

Züge zu besprühen, zählt zu den härtesten Hobbys überhaupt. Das bedeutet lange Planung, Mut, Ausdauer und hat harte Konsequenzen. Sachbeschädigung, Einbruch, gefährliches Eingreifen in den Straßen- oder Bahnverkehr—das führt sofort zur Verurteilung und zu hohen Geldstrafen, die 30 Jahre lang eingefordert werden können. Wer erwischt wird, muss sich darauf gefasst machen, ein Leben lang für 20 Minuten Action zu zahlen. Bemalte Züge fahren trotzdem.

Die hohen Strafen und auch der Verfolgungsdruck scheinen aber die Hansa-Writer nicht abzuschrecken. Im Gegenteil. In Eigenproduktion haben die Jungs in den letzten Jahren zwei DVDs rausgebracht, die einen Einblick in eine sonst hermetisch abgeriegelte Szene bieten. Und auch da gibt es wieder spektakuläre Bilder. Das erste Werk, „I Love Trains”, wird im Trailer vom New Yorker Sprayer Seen, einer der Graffitilegenden überhaupt, angepriesen und überzeugt sowohl Graffitifans, als auch Hansa-Fans. Die zweite DVD „Blau Weiß Rot”, die Ende letzten Jahres erschienen ist, dokumentiert die Umtriebigkeit der Sprüher. Moskau, Rom oder Mexico-City—Hansa Rostock scheint überall schon gewesen zu sein. Einige Szenen zeigen auch, in was für kritische Situationen sich die Beteiligten begeben. Manchmal hilft Schmiergeld, manchmal hilft wegrennen und manchmal hilft gar nichts, denn leider machen auch die Handschellen klick. Die Kamera läuft aber weiter.

Die Verhaftung in Santiago de Chile überrascht Eingeweihte also nur in dem Sinne, dass die Jungs eben erwischt wurden. Das mediale Echo kommt jetzt der Fanszene enorm entgegen. Aus fankultureller Sicht hat sich Hansa Rostock damit enorm viel Respekt verschafft. Nicht nur das, bei solchen Bildern wird auch noch jeder Kommunalpolitiker begriffen haben, dass in diesem Fall Blau-Weiß-Rot nicht nur eine Farbkombination, sondern eine Lebenseinstellung ist.

Übrigens, das Trio soll wohl wieder auf freiem Fuß sein. Das Verfahren kann wohl für die Übernahme der Reinigung, eine Strafzahlung von fast 800 Euro und ein Verbot für die Metro eingestellt werden.

Nachtrag: Fragt nicht, woher wir die Vorlage für das Hansa-U-Akbar-Graffiti haben. Ihr kennt Fahnenklau? Wir kennen Datenklau!

Illustration: Johann Steer