Hanybal—Rap und Realität in der Hauptstadt des Verbrechens

Ginge es nach Chuck D, dem Frontmann der Gruppe Public Enemy, dann sollte Rapmusik auch 2014 ein unabhängiger Medienkanal für gesellschaftliche Randgruppen sein. Zumindest hatte man Ende der Achtziger Jahre den Anspruch gehabt, mit der textschwangeren Musikrichtung ein unabhängiges Medium zu öffnen. Rap sollte von dort berichten, wo die etablierten Massenmedien nicht hinschauen wollten.

Knapp 30 Jahre später erlebt deutscher Gangsterrap einen nie dagewesenen Hype, der vor allem in der augenscheinlichen Authentizität seiner Akteure begründet liegt. Während etwa ein Bushido zumindest gut inszeniertes Gangsterkino präsentierte, glaubte man Rappern wie Haftbefehl oder Celo & Abdi ihre Geschichten aus dem Drogenmilieu im Kern doch. Eine realistische Darstellung deutscher Parallelgesellschaften also? Das blieb bisher die Frage.

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Auch wenn ihre Geschichten natürlich stark zugespitzt waren—das entsprechend Fachvokabular verriet immerhin, dass man von Dingen erzählte, über die man Bescheid wusste. Schlussendlich fragte man sich aber doch, welchen Teil diese Geschichten im tatsächlichen Leben der Rapper nun einnahmen.

Eine Frage, die sich beim „Azzlackz-Nachwuchs“ Hanybal umso mehr stellt. Denn im Vergleich zum Genre-Babo Haftbefehl präsentiert der schmale Halb-Ägypter in seinen Songs eine noch engere Themenwahl zwischen Crackküchen und Gras-Depots. Gemischt mit seiner offensichtlichen Ablehnung einer wohl gescheiterten Gesellschaft ergibt sich ein Bild der Abgründe Frankfurts, der „multikriminellen“ „Hauptstadt des Verbrechens“, dass es einem ganz anders werden kann.

Wie viel ist davon Realität? Wie viel ist Unterhaltung? Unsere Leitfrage in einem Gespräch, das einen Künstler zeigt, der den negativen Einfluss seiner Umgebung kennt, aber entgegen gängiger Szene-Ressentiments den eigenen Handlungsspielraum nicht von der Hand weist. Und für den Rap punktueller Gefühlsausdruck ist anstatt ein umfassender Realitätsspiegel.

Noisey: Du bist in Frankfurt aufgewachsen, richtig?
Hanybal: Ich bin in Frankfurt geboren und aufgewachsen, dort auch zur Schule gegangen. Mein Vater ist Ägypter und meine Mutter Deutsche, aber meine Eltern haben sich getrennt, als ich neun war und ab dann lebte ich bei meinem Vater in der Nordweststadt. Eigentlich bin ich einen recht normalen Weg gegangen, anfangs. Nach der Grundschule bin ich aufs Gymnasium, war dann dort drei Jahre. Ich bin zweimal sitzen geblieben, weil ich immer auf Klassenkasper gemacht habe. Ich habe so ein bisschen ADHS gehabt, obwohl das nicht diagnostiziert wurde. Ich denke das mal. Dann bin ich vom Gymnasium geflogen, bin dann auf die Realschule. Da bin ich auch zweimal sitzen geblieben, ADHS eben. Bin dann ohne Abschluss von der Real, habe ein Jahr lang nichts gemacht und dann mit 19 meinen Hauptschulabschluss nachgemacht.

War die Trennung deiner Eltern da auch ein Faktor?
Naja, keine Ahnung, ich war halt neun Jahre alt. Auf jeden Fall ein mieser Abturn, aber was willst du machen. Ich bin nicht der einzige, der so ein Schicksal hat.

Wann hast du mit dem Rappen angefangen?
Das muss Ende 2007 gewesen sein. Wir haben halt so am Block gechillt, Beats gehört, Scheiße gelabert, geraucht, gealkt, was weiß ich. Ich habe immer viel Scheiße gebabbelt und da hat mir ein Freund mal ein Beat per Bluetooth geschickt und meinte so: „Ey, schreib doch mal nen Text, du bist krank im Kopf.“ Paar Tage später haben wir uns wieder gesehen und ich meinte: „Ey, ich habe ein Text.“ Habe ihn vorgerappt und das hat dann auch vielen gefallen. Dann hab ich ein paar Jahre nix gemacht. Ich bin dann halt viel mit meinem Freund Solo abgehangen, mit dem ich später 439 gegründet habe. Er hat gerappt und irgendwann habe ich dann auch so richtig angefangen.

Wie kann man sich deinen damaligen Alltag in der Nordwest-Stadt vorstellen?
Bei mir war das nicht so total chaotisch, ich habe zum Beispiel während meiner kompletten Schulzeit nicht gekifft. Viele meiner Freunde haben ja sehr viel früher angefangen, haben dann auch kein Fußball mehr gespielt und einen ähnlich verkackten Schulweg wie ich gehabt. Für mich war halt der Sport wichtig, deswegen bin ich auch erst später zum Kiffen gekommen. Und nicht so mit 13,14, wie viele von meinen Freunden.

Hattest du damals eine Vorstellung, was du später machen möchtest?
Dadurch, dass ich nie so auf Schule fokussiert war, hatte ich eigentlich nie einen Zukunftsplan. Natürlich träumt man davon, Fußballprofi zu werden, aber so einen richtigen, konkreten Jobplan hatte ich nie, nur Hirngespinste.

Wie ernst war das denn mit dem Fußball?
Ich habe hochklassig bis zur A-Jugend gespielt, da dann Landesliga, also höchste Spielklasse. Da hatte ich dann Pech mit dem Trainer, mit dem habe ich mich zerstritten. Dann habe ich einfach aufgehört. Da gab’s auch viel privaten Trouble, dann nur noch gechillt, abgehangen und das war’s dann.

Nun hat die Nordweststadt, nicht zuletzt durch ihren prominentesten Vertreter Azad, einen gewissen Ruf. Ist der Ruf deiner Meinung nach auch gerechtfertigt?
Im Endeffekt ist das ein Viertel wie in jeder anderen deutschen Großstadt. Stanni. Kein Hollywood. Es gibt da nicht jeden Monat eine Schießerei und es werden keine Köpfe abgehackt. Es geht vielen Leuten schlecht, das auf jeden Fall. Dort ist schon Armut, zu spüren und zu sehen. Aber im Endeffekt ist das halt Deutschland. Wir sind nicht in Frankreich, den USA oder sogar in der dritten Welt, wo es den Leuten richtig schlecht geht. Es ist kein Superghetto, aber es gibt schon viele abgefuckte Leute.

Auf dem Song „Multikriminell“ mit Azad hast du die Zeile „Unser Leben ist ein Hassleben“. Kannst du dieses „Hassleben“ mal ein wenig mehr beschreiben?
Das war auch eine abgefuckte Zeit. In der Zeit haben viele Leute in meinem Umfeld Drogen genommen, auch harte Drogen. Wahrscheinlich haben sich die Probleme, die man im Alltag hat, dadurch noch verstärkt. Sagen wir es geht dir schlecht, du nimmst Drogen, du denkst, vielleicht geht es dir besser, aber du verkackst ja noch mehr, weil du aus der Realität flüchtest. Das war eine Zeit, in der viele meiner Jungs so richtig abgeschmiert sind. Manche sind in Knast, manche haben versucht sich umzubringen. Dann kommen noch ganz lapidare Dinge hinzu. Ich wurde beim Schwarzfahren erwischt. Ich hab 2.000 Euro Schulden bei der AOK. So halt. Dann hörst du Geschichten von anderen und hast halt Abturn—„Hassleben“. Was nicht heißt, dass wir unser Leben hassen sondern eher die Welt, in der das passiert.

Post by Hanybal.

Stellt man sich da nicht auch die Frage: Wieso bin ich gerade an diesem Fleck im Leben gelandet?
Die Frage könnte man sich stellen. Aber die bessere Frage ist doch: Was kann ich dagegen tun, damit es mir und meinen Leuten besser geht? Leute, die auf Drogen sind und die sich darüber beschweren, dass ihre Situation schäbig ist, sind vielleicht auch bisschen selbst daran Schuld. Es gibt ja auch Leute, die wollten niemandem was Schlechtes und denen geht es einfach schlecht. Die sind arbeitslos geworden wegen Krankheit oder privaten Problemen und die versuchen eigentlich ihr Bestes. Und es gibt halt Leute, die suchen sich dieses Abkacken aus. Das hört sich zwar komisch an, aber das habe ich bei vielen gemerkt. Keine Ahnung, ob die ab irgendeinem Punkt die Hoffnung oder die Selbstachtung verloren haben. Die leben dann einfach ein Junkie-Leben.

Wahrscheinlich kommt der Punkt einfach, wenn man einen Haufen Frustration mit sich herum trägt?
Ja, das denke ich auch. Irgendwann hast du mitbekommen, die Leute lästern über dich. Du bist ‘ne Lachnummer und dann schiebst du den doppelten Abturn. Das kommt vor allem auch von den harten Drogen. Viele meiner Freunde haben Kokain genommen, ich habe so viele Kokain-Psychosen mitbekommen. Das fuckt einen schon ab.

Deine Musik stimmt im bereits recht harten Frankfurter Spektrum noch etwas härtere Töne an. Mich überrascht jetzt ein bisschen, dass du hier aber doch eher zurückhaltend und nüchtern von der ganzen Thematik erzählst.
Das liegt ja sicherlich wie gesagt auch daran, wie man an bestimmten Momenten drauf ist. Man schreibt ja einen Text in einer bestimmten Stimmung, und wenn man abgefuckt ist, entsteht auch etwas Entsprechendes. Das muss ja nicht heißen, dass das Leben auch immer so ist.

Also ist deine Musik dann immer eine Momentaufnahme?
Natürlich, man ist ja nicht immer in derselben Stimmung. Ich bin ja auch nicht immer nur abgefuckt.

Musik ist ja auch ein Ventil, man rappt ja nicht eins zu eins, was man jeden Tag erlebt. Man treibt es doch auf die Spitze.
Klar, sonst würde ich ja rappen, wie ich in der Früh erst mal zu Rewe gehe. Aber für manche Reime oder um ein Gefühl in den Texten zu schaffen, muss man schon überspitzen. Ich bin ja Künstler. Aber Sachen komplett zu erfinden, ist ja nochmal eine andere Sache. In meinem Umfeld ist Drogenkonsum einfach immer ein Thema.

Dennoch, du hast ja gerade erwähnt, dass du sehr genau mitbekommst, wie Drogen Leute in deinem Umfeld kaputt machen. Trotzdem rappst du sehr unverhohlen über Drogenhandel.
Ich weiß nicht, ob ich das so krass glorifiziere. Andere Leute sagen ja auch, dass wenn sie meine Mucke hören, wollen sie anderen den Kopf einschlagen. Das ist aber doch nicht meine Intention, wenn ich schreibe. Klar, ich rappe schon asozial und das ist wohl einfach ein Ausdruck, wie ich mich eben manchmal fühle. Und nicht unbedingt, wie das Leben jeden Tag ist.

Kommen wir nochmal auf deine musikalische Laufbahn zu sprechen: 2007 bist du zusammen mit Solo dann bei Azads Label Bozz Music gelandet.
Ich habe mit Solo in einem Monat so drei, vier Songs aufgenommen. Wir wollten einfach Songs machen und die per Bluetooth rausschicken. Irgendwie sind die Tracks auch bei Azad gelandet. Man kennt sich ja auch aus dem Viertel. Wir hatten zwar nicht viel miteinander zu tun, aber wir kannten uns so vom Handgeben. Ich glaube, Solo war im Studio und Azad war gerade beim Aufnehmen. Er hat die Songs gefeiert und so kam der Rest.

Dann sollte eigentlich ein Mixtape kommen. Wieso ist das nie erschienen?
Wir wollten ein Mixtape machen, ja. Wir haben aber einen Fehler gemacht. Anstatt die Lieder einfach im Studio auf dem Rechner zu lassen, haben wir uns CDs gebrannt, um die Songs den Leuten zu zeigen. Dann war ich einmal beim Kollegen, habe die CD in den Computer gehauen und habe nicht daran gedacht, dass der PC die automatisch rüber zieht. So war das halt und dann ist das Ding drei Wochen später im Internet gelandet. Das war Basti, der Hurensohn (lacht).

Und damit war dann auch das Thema Album erledigt?
Ja, für uns schon. Für Solo und mich ist eine kleine Rapperwelt zusammengebrochen. Und dann hatte auch keiner mehr Interesse daran, es zu veröffentlichen. Wir hatten ja nicht mal einen Vertrag mit Bozz Music. Ich habe dann einfach auf nichts mehr gezielt hingearbeitet. Vielleicht noch ein zwei Features aber das war’s dann erst mal.

Post by Hanybal.


Wie kam es jetzt dazu, dass du bei den Azzlackz gesignt wurdest?
Eigentlich über Aykut (Haftbefehl, Anm. d. Red.), wir kannten uns schon privat. Ich wusste, dass ihm meine Mucke gefällt und er hat angefragt, ob ich nicht Lust hätte, wieder was zu machen. Ganz einfach.


Weg von der Fahrbahn erscheint am 27. Februar 2015 bei Azzlackz (Groove Attack). Holt es euch bei Amazon oder iTunes.

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