Der deutsche Staat kümmert sich gut um ihn, glaubt Philipp Frost. Er schicke sogar ab und zu Leute an seine Tür, die interessierte Fragen stellen, zum Beispiel: “Wie baut man Gras an?” Das hätten zwei Männer wissen wollen, die 2014 plötzlich vor seiner Einzimmerwohnung in der Münchner Innenstadt standen. “Fragen zu Pflanzen beantworte ich nicht”, habe der 32-Jährige dem entgegnet – und gedacht, dass so offensiv nur ein Polizist fragen kann.
Diese Geschichte klingt vielleicht paranoid. Ob die beiden wirklich Polizisten waren, weiß Frost nicht. Aber seine Geschäfte könnten tatsächlich manche Juristen nervös machen. Denn sie liegen im Graubereich: Was er verkauft, ist legal. Was seine Kunden damit machen, ist es oft nicht. Dass im Produktnamen das Wort “Haze” steckt, sei dabei reiner Zufall. So laute jedenfalls der offizielle Teil der Story.
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Philipp Frost, Siebentagebart, weißes Shirt, neue Nikes, wirkt beim Spaziergang durch den Görlitzer Park wie einer dieser Typen, denen irgendwo in Kreuzberg ein Laden für Streetwear-Klamotten gehört. Der Himmel ist klar, knapp über den verdorrten Rasenflächen hängen Dunstwolken. Es riecht nach verbranntem Tabak, nur viel zu süß für reinen Zigarettenqualm. “Weed?”, fragt ein Dealer. Frost lehnt ab. In seiner Hosentasche steckt bereits ein Joint – und das hat indirekt auch etwas mit seinem Unternehmen zu tun.
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Frost liefert seinen Kunden und Kundinnen ein fertig montiertes, automatisiertes Growsystem: die Hazelbox mit LED-Konstruktion Hazelbeam. Man könnte darin Tomaten züchten. Aber auch illegales Cannabis – wenn man nicht so wie er ein Rezept dafür hat oder keine Lust, es den Dealern im Park abzukaufen.
In Frosts bayerischer Heimat wäre Letzteres noch viel komplizierter als in Berlin. Auch deshalb bauten ein paar seiner Freunde schon vor Jahren illegal an. Frost, der seinen ersten Joint mit 15 rauchte, habe fasziniert, wie schnell die Pflanzen wuchsen. “Aber ich wollte mir nie so ein lautes, auffälliges Growzelt zu Hause hinstellen. Ich dachte, da muss es doch ein All-in-One-Produkt geben”, sagt er. Das gab es aber nicht – was auch seinen Vater gewundert habe, als Frost ihm von der Marktlücke erzählte. Statt seinem Sohn ein paar Schellen zu geben, gab der Vater ihm 5.000 Euro Startkapital. 2014 kündigte Philipp Frost seinen Job im Marketing bei einem Münchner Radiosender und machte sich mit seiner Designer-Growbox selbstständig.
Die minimalistischen Boxen gleichen Kleiderschränken
So wie Frost versuchen einige Unternehmen, auf legalem Weg am illegalen Cannabis-Anbau mitzuverdienen. Aber kaum jemand spricht so offen darüber wie der Münchner. Und niemand macht sich so sehr über die Geheimniskrämerei seiner Konkurrenz lustig wie er: “Du willst endlich zu Hause anbauen?”, fragt im Image-Video zu seinem Produkt eine 90er-Jahre-Pornostimme, während zwei Frauen ein Gehäuse aus Metall streicheln. “Vergiss herkömmliche Growzelte oder andere Komplettsets. Mach’s wie Jane und Mary.” Im vernebelten Raum entpacken die beiden die Box, während Frost sich im Wohnzimmer Tabak und Tomaten auf die Longpapes legt.
Das Video soll vermitteln: Einfacher geht es nicht. Damit sein Produkt das auch erfüllt, hat sich Frost durch Regale und Homepages der Growshops gewühlt. Und schließlich ein Gerät entwickelt, das fast vollautomatisch Pflanzen wachsen lässt und das theoretisch auch eine 80-Jährige bedienen könnte. Chilis oder Paprika können darin gedeihen, sagt Frost. Doch die meisten, an die er die Box seit 2015 verkauft, würden Cannabis-Samen in die Erde säen. Das ist in Deutschland illegal. Deswegen rate Frost auch niemals explizit dazu, spricht jedoch gern darüber, wie seine Growschränke funktionieren.
Äußerlich gleichen die minimalistischen Boxen metallenen Designerkleiderschränken in grellem Viridingrün oder unauffälligem Anthrazit. Darin steckt ein LED-System, das in den drei Modi Seeding, Growing und Blooming der Pflanze verschiedene Jahreszeiten vorspielt, indem es automatisch Lichtfarbe, -stärke und Belichtungszeit ändert. Ein geräuscharmes Belüftungssystem samt Aktivkohlefilter sorgt dafür, dass der “Tomatenduft” niemanden belästigt. Netzstecker rein, fertig. Gießen muss man allerdings selbst.
Ganz vollautomatisch läuft die Box also nicht, auch wenn Frost das so vermarktet. Das Düsseldorfer Unternehmen Medican dagegen liefert seinen Growschrank inklusive automatischem Bewässerungssystem. Allerdings verlangt Medican auch etwa dreimal so viel wie Frost, der sich im Preis, Design und Marketing an blutige Anfänger richtet. Ganz normale Leute wie den Familienvater aus der Münchner Reihenhaussiedlung und die 55-jährige Krebspatientin vom Bodensee, die er schon beliefert hat. Um die 900 Euro zahlen Menschen aus Süddeutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich und den BeNeLux-Ländern für seine neueste Box, die “Hazelbeam 2” – etwas zu viel für Leute, die nur Tomaten ziehen wollen.
“Konsumenten in Bayern wollen unauffällig bleiben”, sagt Hanflobbyist Rister
“Die haben ihr Leben im Griff”, sagt Frost über seine Kundschaft, die ihr Gras wohl eher nicht im Park kaufen würde. Dann erzählt er von der Zukunft, von cleanem, nicht verunreinigtem Cannabis aus dem eigenen Growschrank. Gleichzeitig streifen ein paar Dealer um eine Scheune am Rande des Görlitzer Parks, suchen nach Leuten, die nicht so wählerisch sind wie Frost.
Wenn der Unternehmer nicht wie jetzt durch Berlin spaziert, sondern in einem Büro mit Geschäftspartnern und Geschäftspartnerinnen sitzt, zügele er auch schon mal seine Offenheit. “Ich frage mich oft, ob meine Zulieferer nicht auch verstehen, worum es bei meinem Produkt geht”, sagt er. Sein Steuerberater, der Mann von der Bank und der Lüftungshersteller arbeiten heute mit ihm und morgen mit Mercedes, der Deutschen Bahn und anderen Großkonzernen – für sie gibt Frost den Gemüsezuchtanlagen-Unternehmer. Manche durchschauen ihn trotzdem: Als ihm ein niederbayerischer Bankberater einen Kredit für die Hazelbeam 2 genehmigte, habe dieser gegrinst und in breitestem Dialekt gesagt: “Schön, Herr Frost, es kommt ja selten vor, dass wir eine echte Innovation fördern.” Beim Wort “Innovation” zeichnet Frost mit den Händen zwei Anführungszeichen in Luft. Selbst in Bayern sei nicht jeder so engstirnig, wie man denkt, sagt er und lacht.
Florian Rister vom Deutschen Hanfverband wundert es nicht, dass ausgerechnet ein Bayer eine automatische Growbox verkauft: “Die Konsumenten in Bayern wollen möglichst unauffällig bleiben und sich von großen Mengen Cannabis fernhalten.” Wer in einem klassischen 1m²-Growzelt anbaut, kann am Ende mit 500 Gramm dastehen. Das könne in Bayern auf zwei Jahre Haft hinauslaufen, sagt Rister. Wie groß der Ertrag bei Frosts Produkt ist, könne er nicht sagen, das wäre zu viel Information. Nur so viel: “Genug Tomaten, um satt zu werden.”
Trotz der Strafen bauen immer mehr Leute zu Hause an, der Markt wachse, sagt der Hanflobbyist Rister. Doch allein schon, weil sie die Behörden nicht provozieren wollen, hielten sich Unternehmen, die an diesem Markt verdienen, mit Verkaufszahlen bedeckt. Auch Frost will nicht verraten, wie viele Boxen er verkauft, “wegen der Konkurrenz”. Bundesweit entdeckte die Polizei 2017 über 400 sogenannter Kleinplantagen mit einer Kapazität von 20 bis 99 Pflanzen – weit mehr als in eine Growbox passen. Die allerdings zählt das BKA nicht gesondert in seinem jährlichen Rauschgiftbericht. Der Hanfverband schätzt, dass insgesamt über 100.000 Menschen in Deutschland illegal anbauen.
Alles potentielle Kundschaft für Frost, der sich gerade seinen Joint anzündet, das Kinn hebt und den Dunst in den Himmel bläst. Ein Streifenwagen rollt über den staubigen Weg, nur ein paar Meter entfernt. Gemächlich zieht Frost sein Portemonnaie aus der Tasche, darin ein Stück Papier, das Rezept für sein legales High. Er rauche Gras gegen Schlafstörungen sagt er, bereit, das auch den Polizisten zu erzählen.
Während der Streifenwagen immer näher kommt, schiebt Frost einen kleinen PR-Monolog ein. Er wolle den Betrieb absichtlich klein halten, um kontrolliert zu wachsen, jede Änderung selbst zu bestimmen – obwohl bereits Menschen bei ihm angefragt hätten, die investieren wollen. Am Ende gehe es ihm nicht ums Geld. “Wir wollen die Debatte um Cannabis entspannen”, sagt er. Als Frost seinen Vortrag beendet, biegt die Polizeistreife ab. Vielleicht haben die Polizisten Frost nicht gesehen. Vielleicht haben sie aber auch gedacht: Was ist schon ein einzelner Kiffer in einem Park voller Dealer, in einer Welt, in der theoretisch jeder zu Hause Gras anbauen kann.
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