Heiraten ja, Kinder nein? So geht das nicht mit der Ehe für alle für lesbische Frauen

Ehe für Alle aber keine Samenspende lesbisches Paar

Anna Rosenwasser ist Geschäftsführerin der Lesbenorganisation Schweiz und Journalistin.

Wenn du heute irgendwo in der Schweiz random vier Leute rauspicken würdest und sie fragen würdest, was sie eigentlich von der Ehe für alle halten, dann würden drei von ihnen wohl sagen: Finde ich gut. Wenn du sie aber fragst, ob homosexuelle Paare Kinder adoptieren dürfen, würde mindestens die Hälfte sagen: Ui, nein. Heiraten – schön und gut –, aber Kinder? Für Homos? Da bin ich dagegen.

Heiraten ja, Familie gründen nein: Das sagte letzte Woche auch die Rechtskommission des Nationalrats. Die Ehe für alle ist in der Schweiz schon seit sechs Jahren im Parlament hängig. Momentan diskutiert man darüber, was denn jetzt alles zu dieser Ehe gehören soll.

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Bei der Hetero-Ehe ist der Fall klar: Wenn ein Mann und eine Frau verheiratet sind und durch Geschlechtsverkehr keine Kinder zeugen können, haben sie einen geregelten Zugang zu Samenspenden. Wenn das entsprechende Kind geboren wird, werden seine Eltern, das verheiratete Paar, als Eltern anerkannt. So ist es schon lange. Es ermöglicht, dass Familien auf sicherem Wege gegründet werden können – selbst dann, wenn Penis-in-Vagina-Sex nicht zu Kindern führt. Was übrigens recht oft der Fall ist.

Nicht nur viele Hetero-Eltern sind froh, dass es Samenspenden gibt. Auch zahlreiche Frauenpaare, die gerne eine Familie gründen möchten, hätten gerne Zugang dazu. Aber sie haben ihn nicht: In der Schweiz, wo gleichgeschlechtliche Paare momentan nur eine eingetragene Partnerschaft eingehen, aber nicht heiraten können, gibt es keine legalen Samenspenden für Homos. Einige fragen Freunde um Hilfe, Männer. Andere fahren ins Ausland oder adoptieren.

Es geht gar nicht darum, dass wir gute Eltern sind. Es geht darum, dass wir genau so das Recht darauf haben, mittelmässige und überforderte Eltern zu sein wie die Heteros auch.

Aber: Alle diese Optionen sind für Frauenpaare aufwendig und keine davon ist rechtlich gut abgesichert. Wenn zwei Frauen Kinder kriegen indem sie für die Samenspende Freunde fragen oder sie im Ausland beziehen, werden sie ausserdem nicht ab Geburt als Eltern anerkannt. Das ist nicht nur mühsam, sondern auch gefährlich für die Kinder: sie sind rechtlich weniger gut abgesichert. Ganz abgesehen davon, dass es ein schreckliches Gefühl sein muss, dass dein Land deiner Familie offiziell nicht zugesteht, dass ihr eine Familie seid.


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Im Parlament geht es um die Frage: Erhalten verheiratete Frauenpaare das gleiche Recht wie heterosexuelle Paare? Nämlich den Zugang zu Samenspenden und die Anerkennung der Elternschaft? Oder diskutieren wir eine Ehe für alle, in der dieses Recht nicht drin ist?

Letzte Woche hat die Rechtskommission des Nationalrats diese Frage diskutiert. Sie kam zu diesem Entschluss: Ehe für Homos ja, Kinder für Homos nein. Das Resultat war sehr knapp: 12 Personen waren für die Ehe mit allem, 13 dagegen. Wenig erstaunlich, dass die SVP dagegen ist ist, aber auch CVP und BDP sprechen sich für die Ehe ohne Zugang zu Samenspenden aus. Wir haben also in dieser Kommission wie auch im Parlament eine konservative Mehrheit. Übrigens: Anzahl der geouteten lesbischen oder bisexuellen Frauen im Parlament: null.

Ist es nicht mega, mega fake, wenn wir etwas beschliessen und es “Ehe für alle” nennen, aber es haben gar nicht alle dieselben Rechte?

Manche meinen es eigentlich gut. Sie sagen: Wenn wir jetzt die Ehe für alle in der Light-Version beschliessen, dann stimmen auch einige konservative Politikerinnen und Politiker zu – und dann haben wir die Ehe für alle! In der Schweiz! Die Anliegen der Frauenpaare mit Kinderwunsch können wir danach reinarbeiten.


Einerseits: Ja, vielleicht. Andererseits: Njäää. Erstens, wie lange warten die Frauenpaare dann noch auf diese Rechte? Drei Jahre, sechs Jahre, drölf Jahre? Zweitens, wenn wir so viele konservative heterosexuelle Männer im Parlament haben – werden die dann wirklich Ja sagen zu einem so spezifischen Anliegen? Einem Anliegen von Frauenpaaren, die gern Familien gründen wollen? Und drittens: Ist es nicht mega, mega fake, wenn wir etwas beschliessen und es “Ehe für alle” nennen, aber es haben gar nicht alle dieselben Rechte? Ist es dann nicht eher die “Ehe für Heteros und die Homos dürfen auch ein bisschen etwas”?

Und dann einige so: “Aber, aber, aber! Ein Kind braucht Mami und Papi!” Bullshit.

Versteht mich nicht falsch, ich will gar keine Kinder. Aber als ich vor zehn Jahren mega fest verliebt war, träumten mein damaliger Freund und ich davon, einmal zu heiraten – und es fühlte sich an, als würden uns alle Möglichkeiten offen stehen. Weil es auch so war. Heute bin ich mit einer Frau zusammen, und die Vorstellung mal zu heiraten ist noch immer schön – aber nur in Gedanken. Klar stelle ich mir mich selbst gern im herzigen Hochzeitskleid vor. Aber wie fest will ich heiraten in einem Staat, der mir sagt, meine Hochzeit sei weniger wert, nur weil mein aktuelles Schätzli ein anderes Geschlecht hat als vergangene Schätzlis? Wer seid ihr, die Schätzli-Polizei?

Und dann einige so: “Aber, aber, aber! Ein Kind braucht Mami und Papi!” Bullshit. Ein Kind braucht erwachsene Bezugspersonen, die es lieben und die Ressourcen haben, einen frischen Menschen am Leben zu erhalten. Diese Ressourcen haben nichts mit primären Geschlechtsmerkmalen zu tun. Aber sehr viel damit, wie viele Steine seinen Eltern in den Weg gelegt werden. Studien, die Kinder aus Regenbogenfamilien mit Kindern aus Heterofamilien vergleichen, zeigen: The kids are alright. Unabhängig davon, welche sexuelle Orientierung ihre Eltern haben.

Ich bin es so leid, beweisen zu müssen, dass wir Homos gute Eltern sind. Es geht gar nicht darum, dass wir gute Eltern sind. Es geht darum, dass wir genau so das Recht darauf haben, mittelmässige und überforderte Eltern zu sein wie die Heteros auch. Seit wann bestimmt überhaupt der Staat, welche Menschen Eltern werden dürfen? Neonazis dürfen Eltern werden! Gewalttätige Arschlöcher dürfen Eltern werden! Aber Lesben verbietet man den Zugang zu Samenspenden?

Um noch ein heikleres Thema aufzugreifen: Manche Politiker und Politikerinnen finden, der Zugang zu Samenspenden sei eine Diskriminierung von Männerpaaren. Warum sollten Lesben Familien gründen dürfen und Schwule nicht? Das Ding ist aber: Dass ein Dude Samen spendet und ein Frauenpaar damit Kinder macht, alles im geregelten Rahmen, geht ethisch recht einfach auf. Wenn zwei Typen aber ein Kind haben wollen, das noch nicht auf der Welt ist, geht das nur über eine Leihmutter. Der Aufwand einer Frau, schwanger zu sein und ein Kind zu gebären, das nicht ihres sein wird, unterscheidet sich von dem Aufwand, wenn ein Mann seinen Samen hergibt – biologisch und ethisch. Aus diesem Grund ist die Samenspende etwas ganz anderes als die Leihmutterschaft. Samenspenden sind in der Schweiz momentan nur für Heteros erlaubt. Die Leihmutterschaft ist hingegen für alle verboten. Die Ehe für alle wird daran nichts ändern. Dass Männerpaare momentan keine Kinder zeugen dürfen, liegt an der Leihmutterschaft, nicht an Homophobie. Dass Frauenpaare hingegen keine Kinder zeugen dürfen … schlussfolgere selbst.

Sachliche Argumente gegen die Samenspenden fehlen jedenfalls. Letztens hat Andrea Geissbühler, SVP-Nationalrätin, in der Tagesschau wortwörtlich gesagt: “Es liegt nunmal nicht in der Natur, dass zwei Frauen ein Kind haben können. Es ist aber auch manchmal bei einer Frau und einem Mann so, dass sie kein Kind bekommen können. Dann muss man das dann auch einfach mal akzeptieren und vielleicht nicht egoistisch sein.” Natur? Wirklich, Frau Geissbühler? Wenn wir den Lauf der Natur akzeptieren würden, hätten wir weder Verhütung noch Kaiserschnitt, weder vorgeburtliche Untersuchungen noch Gynäkologie. Ich will ja keine Spielverderberin sein, aber wenn das Gründen von Familien in der Schweiz ausschließlich “natürlich” wäre, wären viele unserer Kinder schon lange tot. Ich bin froh, überlassen wir das Kinderkriegen nicht nur der Natur. Macht mich das egoistisch?

Zum Glück war der Beschluss der Nationalratskommission noch nicht endgültig. Es wurde ein sogenannter Minderheitsantrag eingereicht, als nächstes diskutiert der ganze Nationalrat nochmals.

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