Ich liebte es, high zu sein. Ein nettes Vergnügen neben all den anderen Dingen, die mir im Leben Spaß machten. Irgendwann war es das Einzige. Ich liebte es mehr als meinen Job, mehr als meine Gesundheit, meine Freunde und meine Familie. Und dann liebte ich es nicht mehr, aber brauchte es. Ich brauchte es, um aus dem Bett zu kommen, um ins Bett zu gehen, um mich zu unterhalten und um mein zunehmend erbärmliches Leben zu bewältigen. Schließlich hasste ich es. Aufhören konnte ich trotzdem nicht. Am Ende verschwendete ich Jahre mit dem Versuch, mit der Sache aufzuhören, die ich hasste.
Am Anfang war auf Heroin alles besser und leichter. Ich war zufrieden mit mir, mit anderen und dem Leben. Ich hatte das Gefühl, auf dem aufsteigenden Ast zu sein. Ich bekam eine gute Stelle als Journalist bei der größten Wirtschaftszeitung Großbritanniens. Ich trug Hemden, manchmal sogar eine Krawatte. Meine Artikel schafften es auf die Titelseite.
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Aber die künstliche Opiat-Sicherheit weichte nacheinander sämtliche Grenzen und Vorsätze auf. Nur zu Hause … nur nach der Arbeit … erst am Nachmittag … nie vor 9 Uhr … nie vor der Arbeit … keine Nadeln. Gegen Heroin hatten sie keine Chance. Bald konsumierte ich von dem Moment an, an dem ich morgens meine Augen aufmachte, bis zum letzten Wegnicken in der Nacht. Und dann wirkte es nicht mehr. Ich saß wieder auf den ganzen Problemen, vor denen ich weggelaufen war – nur waren sie jetzt viel größer und ich heroinabhängig.
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Um 5:45 Uhr wachte ich auf. Obwohl ich mich eigentlich nicht groß dafür interessierte, hörte ich jeden Morgen das Landwirtschaftsprogramm auf Radio 4, während ich den Inhalt einiger Tütchen Stoff wegrauchte oder spritzte. Danach fühlte ich mich normal genug, um eine Schüssel Rice Krispies zu essen, während ich die Nachrichten hörte und mir anschaute, was über Nacht auf den asiatischen Märkten passiert war. Das half mir, mich noch ein Stückchen normaler zu fühlen.
Um 7 Uhr saß ich in der Redaktion an einem Schreibtisch. Zu dieser Uhrzeit erscheinen die britischen Finanzberichte und ich haute ein paar Artikel zu Telekommunikationsunternehmen und Discounterketten raus. Wenn um 8 Uhr die Märkte öffneten, folgte der nächste Schreibanfall. Das kleine Nachrichtenloch gegen 9 Uhr nutzte ich, um auf der Behindertentoilette mit einem frischen Schuss meine Gedanken zu sortieren, bevor die weiteren Wirtschaftszahlen des Tages eintrudelten. Im besten Fall war ich dann bis zur Mittagspause versorgt. Dann war es Zeit für meine Methadon-Portion. Ich schaute mich heimlich um, bevor ich die Apotheke betrat. Keiner meiner Kollegen sollte sehen, wie ich ein Fläschchen grünes Zeug trinke.
Eine unerwartete Begleiterscheinung meines Drogenkonsums war, dass ich viel mehr Zeit im Büro verbrachte, als ich eigentlich musste. Mein Leben wurde immer begrenzter, karger und ich isolierter. Wenn ich bis spätabends an meinem Platz saß und Analysen des Anleihenmarkts studierte, konnte ich mir vorgaukeln, dass mein Leben bedeutungsvoll sei.
Das Heroin schützte mich vor dem Arbeitsstress, setzte mich dafür allerdings Belastungen aus, von denen meine Kolleginnen und Kollegen keine Ahnung hatten. Unzuverlässige Dealer sorgten dafür, dass ich an ruhigen Arbeitstagen nervös meinen Stuhl vollschwitzte. Manchmal musste ich Meetings erfinden, um aus dem Büro zu kommen und neuen Stoff zu holen.
Mein Konsum hatte absolute Priorität. Ich verdiente etwa 2.000 Britische Pfund im Monat. Davon gingen 600 für die Miete drauf, der Rest für Drogen. Ich konsumierte nicht nur Heroin, am Zahltag durfte es auch mal Crack sein. Essen klaute ich mir meistens. Ich hätte es mir zwar leisten können, aber entschied mich bewusst dagegen. Je mehr Geld ich bei Lebensmitteln sparte, desto mehr konnte ich für Drogen ausgeben.
Wie zu erwarten, waren meine Finanzen im Arsch. Als Wirtschaftsjournalist war mir das besonders peinlich. Im Büro schrieb ich Artikel über Tesco-Aktien, nach der Arbeit ging ich in ihren Supermärkten klauen. Weil ich mit der Zeit immer fertiger aussah, wurde ich immer häufiger erwischt. Bald hatte ich in allen Läden Hausverbot, die sich fußläufig von meiner Wohnung befanden. Auf dem Weg zur Arbeit übersprang ich die Ticketschranken zur U-Bahn und ignorierte die wütenden Rufe hinter mir.
An manchen Tagen saß ich an meinem Tisch und schrieb über Marktbewegungen von mehreren Milliarden US-Dollar, während ich nervös die Redaktion absuchte und überlegte, wen ich am besten um einen Zehner anschnorre.
Ich wurde unpünktlich und unzuverlässig. Meine Kollegen aber waren geduldig. Sie unterstützten mich. Ihnen war klar, dass es ein Problem gab, sie wussten nur nicht welches.
Ich wollte ihnen die Wahrheit sagen. Ich war das ständige Lügen leid und ihre Freundlichkeit gab mir das Gefühl, ihnen Ehrlichkeit schuldig zu sein. Mehrmals war ich kurz davor, aber meine Scham hielt mich zurück. Ich hatte mehrere Termine beim Betriebsarzt. Er empfahl mir, meine Ernährung umzustellen und meinen Lebenswandel zu ändern. Die Personalabteilung gab mir mehrere Chancen, mich wieder zu fangen. Ich versuchte sie zu ergreifen. Verzweifelt und aus vollem Herzen. Aber sobald ich probierte, meinen Konsum einzustellen, wurde mir klar, in was für eine ausweglose Lage ich mich manövriert hatte.
Eine Sucht bringt den primitiven Teil des Gehirns in ihre Gewalt, den Teil, der deine Überlebensinstinkte steuert. Für das süchtige Hirn ist die Droge weder angenehm noch verspricht sie Freude. Sie ist überlebensnotwendig. In ihrem Schatten verblasst alles andere. Je mehr sie von mir Besitz ergriff, desto weniger Wärme und Mitgefühl trug ich noch in mir.
Einen Großteil meiner Zeit verbrachte ich alleine auf Toiletten. Meine Wohnung war 15 Minuten zu Fuß vom Büro entfernt, aber manchmal saß ich die ganze Nacht auf dem Behindertenklo im Bürokeller. Wenn morgens mein Wecker für die Arbeit klingelte, war ich schon da. An einem Wochenende fuhr ich nach Cambridge, um ein paar alte Freunde zu sehen. Ich verbrachte die halbe Zeit in einer Parkhaus-Toilette mit ein paar Straßenjunkies, denen ich Stoff abgekauft hatte. Meine Reisen wurden Klo-Touren durch England.
Ich erlitt eine Überdosis, fiel eine Treppe runter und holte mir einen Schädelbruch. Die Ärztin sagte, dass Crack-Konsum in dem Zustand besonders gefährlich sei, trotzdem stahl ich mich heimlich aus dem Krankenhaus – für einen Snowball, eine Crack-Heroin-Mischung. Ich hatte das Gefühl, dass die Sache, die dabei war, mich zu töten, elementar für mein Überleben war. Die Droge hatte mein Hirn gekapert. Ich hatte die Kontrolle verloren.
Mein Weg zum Heroin
Die Sucht hatte sich unbemerkt an mich herangeschlichen. Ein paar Jahre ist das her. Eigentlich lief alles super. Von außen betrachtet. Ich hatte meine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und bekam gute Jobs. Ich hatte tolle Freunde und eine liebevolle Familie. Aber in mir drin war etwas kaputt. Ich war voller Angst und Selbsthass, überhaupt fühlte sich einfach alles beschissen an. Selbstwertgefühl, Selbstrespekt, ja alles Selbst-Positive waren aus mir verschwunden. Und ich wusste einfach nicht warum. Das frustrierte mich am meisten. Woher kamen der Selbsthass und die Angst? Und warum gerade jetzt?
Ich verstand mich selbst nicht. Wie sollte mich da jemand anderes verstehen? Also behielt ich es für mich. Natürlich machte das meine Probleme nur schlimmer. Ich brauchte immer üppigere Drogencocktails, um so tun zu können, als sei ich zufrieden.
Ich wurde das unheimliche Gefühl nicht los, dass irgendwas schiefgehen wird, dass mit mir irgendetwas nicht stimmt, dass ich nicht weiß, wie ich dieses Leben meistern soll, das allen anderen so leicht zu fallen schien. Ich begann in der Gegenwart von Menschen Angstzustände zu bekommen, selbst wenn es gute Freunde waren. Also gewöhnte ich mir an, vor jeder sozialen Interaktion zu trinken.
Als das nicht mehr reichte, kamen Valium und Speed dazu. Ich fühlte mich zunehmend von meiner Umwelt abgekoppelt. Ich erinnere mich, wie ich an einem Weihnachten auf dem Klo versuchte, mir mit Speed etwas Feiertagsstimmung einzusaugen. “Warum habe ich Weihnachten mit meiner Familie keinen Spaß”, fragte ich mich. “Bestimmt, weil das Speed so beschissen ist.”
Ich wollte vor meinen Ängsten fliehen, aber verschlimmerte sie damit nur. Ich bekam Angst vor der Angst. Furcht und Unwohlsein begleiteten mich überall. Alkohol, Drogen und Selbstverletzung verschafften mir Atempausen.
Wenn ich mich selbst verletzte, konnte ich die Flut verstörender Gedanken kurz stoppen. Ich tat alles, um die Wunden zu verstecken. Ich kleisterte mir meine Arme mit Foundation zu und trug selbst in der brütendsten Hitze lange Ärmel. Einmal bekam ich eine Entzündung und konnte meinen Arm wochenlang nicht beugen. Ich schwor mir, mir nie wieder Verletzungen zuzufügen. Wenig später schnitt ich mir schon wieder das Fleisch auf. Meine Scham wuchs und verschlimmerte mein Gefühl von Entfremdung und Verwirrung.
Schließlich landete ich bei Heroin. Eine Zeit lang glaubte ich, die Antwort auf alle meine Probleme gefunden zu haben. Angst? Weg. Selbsthass? Weg. Selbstverletzung? Kein Verlangen mehr. Das Heroin nahm mir all das. Da wusste ich allerdings noch nicht, dass es mir bald auch alles andere nehmen würde.
Am erschreckendsten fand ich, wie schwer mir das Aufhören fiel. Ich dachte, es wäre einfach, wenn man sich nur einmal wirklich dazu entschlossen hat. Aber diese Entscheidung hatte ich oft getroffen.
Heute arbeite ich in einer Entzugsklinik, manchmal sehne ich mich noch nach dem Rausch
Ich versuchte es mit einem kalten Entzug. Ich klaute mir einen Stapel Selbsthilfebücher. Ich probierte Substitutionsprogramme mit Methadon und Subutex, einem anderen Opioid. Freunde und Familie nahmen mich bei sich auf, damit ich weit weg von meiner gewohnten Umgebung war. Meine Verwandten liehen mir Geld, damit ich in eine Entzugsklinik konnte, aber noch vor meiner Entlassung wurde ich wieder rückfällig. Mit jedem missglückten Versuch, clean zu werden, sank ich ein Stück tiefer. Ich verlor die Hoffnung. Vielleicht kriegst du es nie hin, dachte ich.
Aber dann schaffte ich es doch. Seit 15 Monaten bin ich clean.
Alles, was ich verloren habe, habe ich zurückbekommen – und ich habe sogar etwas mitgenommen: Nichts ist mehr selbstverständlich für mich. Wenn man sich jahrelang jeden Morgen krank gefühlt hat, ist es großartig, aufzuwachen und sich einfach normal zu fühlen. Ich arbeite heute selbst in einer Entzugsklinik und helfe anderen Menschen. Jahrelang war ich auf Hilfe angewiesen, jetzt gebe ich etwas zurück. Das fühlt sich gut an. Ich schließe neue Freundschaften und baue alte wieder auf. Gerade habe ich zum ersten Mal nach langer Zeit meine Eltern und meinen Bruder wiedergesehen. Nach allem, was sie wegen mir durchgemacht haben, gebe ich mir Mühe, unsere Beziehungen zu reparieren.
Manchmal sehne ich mich noch nach einem Rausch, aber jetzt ich hole mir einen anderen. Ich gehe raus, und renne 20 Kilometer durch den Wald.
Heute weiß ich: Bevor ich mit den Drogen angefangen habe, war ich gar nicht so kaputt. Ich brauchte einfach Hilfe. Und aus irgendeinem Grund hatte ich Angst danach zu fragen. Früher hatte ich eine ungefähre Vorstellung davon, was ein Heroinsüchtiger war – und ich fiel definitiv nicht in diese Kategorie. Ich dachte, ich hätte genug Selbstkontrolle und Wissen, um mich vor einer Sucht zu schützen. Aber es kann jeden erwischen. Jederzeit.
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