Die Leute fänden Jérôme Boateng „in der Nationalmannschaft gut, wollten ihn aber nicht als Nachbarn haben”, so Alexander Gauland, Vorsitzender der AfD in Brandenburg. Ein bisschen anders sehen das die Menschen, die heute dort wohnen, wo Boatengs Karriere begann. Der Panke-Käfig in Berlin-Wedding ist der Betonplatz, auf dem sich die Boateng-Brüder in Jugendzeiten die Knie aufgerissen haben, bis sie nach und nach von der Straße weggecastet wurden. Ich war in Boatengs ehemaliger Nachbarschaft unterwegs und habe mich gefragt, was die Leute zu Gauland sagen.
Nils Bröer ist Fotograf aus Berlin. Hier findet ihr seine Bilder.
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Samuel, 51, aus Ghana
Samuel lebt seit 1995 im Wedding. Die Boatengs kennt er zwar nicht persönlich, dafür aber deren Onkel. Mit dem jüngeren Bruder des Vaters der Boateng-Brüder ist er in Ghana von 1981 bis 1986 in Sunyani auf die Schule gegangen. „Mit dem hab ich gerne Fußball gespielt, der hatte auch ein riesiges Talent.” Sein Spitzname war Boya und alle kannten Boya. Später, sagt Samuel, habe Boya dann für BA United (heute BA Stars) aus Sunyani in der ghanaischen Premier League auf dem Platz gestanden. Mit der Gauland-Aussage kann Samuel wenig anfangen: „Wie kann man nur sagen, jemand, der halb Ghanaer und halb Deutscher ist, wäre kein guter Nachbar? Boateng ist zur Hälfte Deutscher und er ist von hier.”
Andreas, 47, aus Deutschland
Andreas ist in Reinickendorf aufgewachsen, wohnt aber seit 28 Jahren im Wedding. Er engagiert sich ehrenamtlich im Soldiner Kiezverein, der das nachbarschaftliche Zusammenleben fördert. Die Soldiner Straße zählte noch vor zehn Jahren zu den gefährlichsten Straßen Berlins, das habe sich mittlerweile aber deutlich gebessert, sagt er. Mit den Boatengs hat er zwar nicht mehr gespielt, will aber nicht ausschließen, dass er mal zu D-Jugend-Zeiten gegen Icke Häßler auf dem Platz stand, als der noch für die Reinickendorfer Füchse spielte. Andreas kommt öfter mal ins Cafe Casino, einer Kiezkneipe in der Soldiner Straße, in die sich die Ur-Berliner zurückgezogen haben. Andreas sagt: „Der Mensch ist da zu Hause, wo er groß wird, und Fußball ist Fußball.” Die AfD lehnt er wie die meisten anderen im Cafe Casino rundheraus ab: „Es gibt die ‚ehrlichen’ Rechten und die Leute, die mit der Regierungspolitik unzufrieden sind. Letztere wählen dann AfD. Gauland versucht doch nur, am rechten Rand noch mehr Leute abzufischen. Er sollte wenigstens zu seinen Worten stehen, dann bekäme er bei den nächsten Wahlen ganz schnell die Quittung dafür.”
Maamar, 33, aus Algerien
Maamar lebt in der Asylbewerberunterkunft Osloerstraße Ecke Koloniestraße. Seit fünf Monaten ist er hier in Deutschland und war schon oft am Panke-Käfig. Ein Freund aus dem Wedding hat ihm den Ort kurz nach seiner Ankunft in Berlin gezeigt. Er sagt: „Das ist doch eine großartige Geschichte, dass zwei Halbbrüder für zwei verschiedene Nationalteams spielen können. Die Boatengs sind Idole für die Kinder hier im Wedding. Es ist doch völlig egal, welche Hautfarbe sie haben. Deutschland kann stolz sein, dass sie so einen guten Spieler wie Boateng haben. Warum sollte man einen wie ihn nicht als Nachbar haben wollen?”
Bärbel, 44, aus Deutschland
Bärbel, 44, hat zwei Töchter: Kimi (links) ist acht Jahre alt und Jessi (rechts) sieben. Bärbel sagt: „Ehrlich gesagt verstehe ich die Diskussion überhaupt nicht. Der Boateng ist doch ein guter Spieler und wir sind alles Menschen. Den Boateng würde ich sofort als Nachbarn nehmen. Wir müssen leider morgen hier wegziehen, weil die Mieten viel zu teuer geworden sind. 700 Euro für 50 Quadratmeter ist einfach zu viel. Jetzt müssen wir nach Lichtenberg ziehen, da ist es zwar ruhig, aber auch ziemlich langweilig. Außerdem müssen wir dann eh ständig in den Wedding pendeln, die Mädchen haben doch ihre ganzen Freundinnen hier.”
Lucy, 33, aus Deutschland
Lucy, hier mit ihrem Hund Myco, sagt: „Meine Mutter unterrichtet heute noch an der Grundschule am S-Bahnhof Wedding, auf die auch Kevin-Prince und George Boateng gegangen sind. Mich regt auf, dass die Medien immer wieder über die Ausfälle der AfD berichten und diesen Leuten ein Forum bieten. An Gaulands Aussage stört mich ganz besonders, dass Frauke Petry dadurch punkten konnte. Sie hatte die Chance, sich öffentlich zu entschuldigen und wieder Boden für die AfD gutzumachen. (Anm. der Redaktion: Frauke Petry hatte nach der Gauland-Aussage getwittert: „Jérôme Boateng ist ein Klasse-Fußballer und zu Recht Teil der deutschen Nationalmannschaft. Ich freue mich auf die EM. #Nachbarn”)
Erkan Asar, 45, aus der Türkei
Erkan Asar hat seit 16 Jahren eine kleine KFZ-Werkstatt direkt hinter dem Panke-Käfig. Er sagt: „Ich kenne den Herrn Gauland nicht persönlich, aber seine Aussage verstehe ich ehrlich gesagt nicht. Wir leben in einem freien Land und in einer Demokratie. In Deutschland kann man es sich nicht aussuchen, wer neben einem wohnt, und das war schon immer so. Wenn man es anders haben will, dann muss man eben die ganze Straße oder besser ganz Deutschland kaufen, damit die Wohnungen nebenan leerbleiben. Wir müssen sehen, dass wir in dem Leben, das wir hier haben, miteinander auskommen und Leben bewahren. Weil Gauland eine Person ist, die in der Öffentlichkeit steht, trägt er besondere Verantwortung. Dass er dann trotzdem sowas von sich gibt, macht es überhaupt nicht besser.”
Salih Yüksel, 19, aus Deutschland
Salih Yüksel ist im Wedding geboren. Er sagt: „Was soll ich schon zum Gauland sagen? Mensch ist Mensch. Der Boateng hat’s geschafft, hier aus dem Wedding herauszukommen. Die von der AfD sollen doch bitte mal herkommen und sich unsere Probleme hier ansehen, anstatt nur Bullshit zu labern. Dann würden sie sehen, dass wir hier diejenigen sind, die die eigentlichen Probleme haben. Es gibt hier keine Zukunftsperspektiven, viel zu wenig Ausbildungsplätze und man ist ganz schnell weg vom Fenster, wenn man die falschen Freunde hat.”
Yuri aus Deutschland
Yuri (l.) und Bryan-Lee (r.) stehen vor dem Panke-Käfig, wo sich die Boatengs als Kinder die Knie aufgerissen haben. Yuri sagt: „Der Boateng ist doch ein super Spieler, ich finde das, was Gauland sagt, völlig daneben. Seine Äußerung ist einfach niveaulos! Gauland sollte doch einfach dazu stehen, wenn er sowas sagt, und nicht ständig zurückrudern. Immer was in den Raum werfen und warten, bis man in den Medien ist, um es dann doch nicht so gemeint zu haben…. Was soll das denn? Die AfD hätten wir in Deutschland wirklich nicht gebraucht. Sie nennen sich ‚Alternative für Deutschland’, aber ich habe bislang noch nichts von irgendeiner nennenswerten Alternative von denen gehört.
Frank, 36, und seine Frau Anja aus Deutschland
Frank und Anja sind eingefleischte Hertha-Fans. Hier sehen wir sie im Panke-Käfig, dem Betonplatz, wo die Boatengs in ihrer Jugend fleißig gekickt haben. Frank ist seit 20 Jahren Herthaner, wo Jérôme Boatengs Profikarriere 2005 begann. „Das Herz hängt an der Hertha”, sagt der 36-Jährige. „Natürlich hätten wir den Boateng damals gerne bei uns behalten. Nationalspieler hätte er auch bei uns werden können. Ich hab noch Player-Cards von Boateng aus seinen U-17- und U-19 Zeiten und ein Retro-Trikot der Hertha von 2006, da sind alle Unterschriften der Mannschaft von damals drauf. Nur der Boateng fehlt mir noch. Es wäre cool, wenn der nochmal gelegentlich hier vorbeikäme, um ‘ne Runde zu zocken, dann wäre ich auf jeden Fall dabei. Wir vermissen ihn hier im Wedding, er gehört einfach zu uns. Mit seinem Bruder haben wir weniger gute Erfahrungen gemacht. Als George hier vor ein paar Jahren mal für ein Adidas-Event aufkreuzte, mussten wir alle unsere Hunde an die Leine nehmen, damit seine hochgezüchtete Kampfbulldogge sie nicht zerfleischt. Mit uns hat er dann auch gar nicht geredet, da waren die PR-Leute von Adidas sogar netter zu uns.”
Slowik, 54, aus Deutschland
Slowik lebt seit seiner Geburt im Wedding. Im Panke-Käfig hat er früher selber gekickt. Zu Gaulands Statement sagt er: „Das ist rassistisch in meinen Augen. Diese Leute kennen das Leben der Leute doch gar nicht, und was sie nicht kennen, können sie nicht leiden. Hier im Wedding versteht man sich untereinander. Die von der AfD wollen doch wieder eine Diktatur einführen. Ich bin an der Grenze zur DDR an der Wollankstraße aufgewachsen, ich habe miterlebt, wie es den Leuten drüben ging. Damals war ich froh, im Westen zu sein. Hier gibt es Freiheit.”