Und wieder ist es an der Zeit, sich über ein paar Menschen zu wundern, die mit der Welt nicht fertigwerden.
Heulsuse #1: Goebbels Erben
Der Vorfall: Die Verlagsgruppe Random House veröffentlicht eine Biografie vom ehemaligen NS-Propagandaminister Joseph Goebbels, die Auszüge aus seinen Tagebüchern enthält. Ein Umstand, auf den seine angebliche Erbin aufmerksam wird und Tantiemen fordert.
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Die angemessene Reaktion: Auf den Vorschlag des Verlags eingehen und die Erlöse an eine Holocaust-Stiftung spenden.
Die tatsächliche Reaktion: Den Verlag vor Gericht zerren.
Todesfälle im Verwandten- und Bekanntenkreis sind tragisch, in manchen Fällen können sich die gebrochenen Angehörigen aber zumindest über ein ordentliches Erbe freuen. Im Fall Joseph Goebbels liegt die Sache allerdings ein bisschen anders. Zum Einen kann man seinen Selbstmord im Nazibunker nicht unbedingt als traurig (geschweige denn tragisch) bezeichnen, zum Anderen sollte eigentlich davon ausgegangen werden, dass seine Erben nicht gerade stolz darauf sind, mit dem ehemaligen Propaganda-Minister des Dritten Reichs in irgendeiner Verbindung zu stehen.
Nicht so Cordula Schacht. Die Tochter von Hjalmar Schacht, seines Zeichens Wirtschaftsminister unter Hitler, hat nun den Verlag Random House vor Gericht gezerrt, weil der eine Biografie von Goebbels auf den Markt gebracht hat—mit Originalzitaten aus dessen Tagebüchern. Da Schacht laut eigener Aussage die Nachlassverwalterin der rhetorischen Massenvernichtungswaffe ist, fordert sie nun Tantiemen für die verbliebenen Nachfahren von Goebbels. Das ist schon nicht gerade der sympathischste Move, es wird allerdings noch härter. Den Vorschlag des Verlags, die errechnete Summe von 6507 Euro und 87 Cent an eine Holocaust-Stiftung zu spenden, schlug Schacht aus.
Während die Frage danach, ob eine solche Forderung schon rein moralisch überhaupt vertretbar ist, sicherlich nicht unwichtig ist, gibt es noch ein anderes Problem bei der Sache: Die klagefreudige Dame soll gar keine Rechte am Nachlass von Joseph Goebbels haben. Laut Justiziar Rainer Dresen lägen alle Rechte des einstigen NSDAP-Verlags (und somit beispielsweise auch die an Adolf Hitlers Mein Kampf) beim bayerischen Staat. Wer hier wirklich im Recht ist, soll nun das Oberlandesgericht München klären. Hätte Goebbels Frage im Sportpalast damals „Wollt ihr die totalen Tantiemen?” gelautet, Cordula Schacht hätte in jedem Fall aus vollem Halse „Ja!” gebrüllt.
Heulsuse #2: die AfD (ja, schon wieder)
Der Vorfall: AfD-Chef Bernd Lucke wird von Fans des FC Köln als Nazi bezeichnet und aus dem Speisewagen eines Zugs geekelt.
Die angemessene Reaktion: Sich als Partei fragen, warum die Neonazi-Vorwürfe nicht abreißen.
Die tatsächliche Reaktion: Zum Boykott von REWE, dem Hauptsponsor des 1. FC Köln, aufrufen.
Langsam fällt uns zur Alternative für Deutschland wirklich nichts mehr ein. Letzte Woche noch beklagte sich die Bremer AfD über eine unfaire Benachteiligung im Wahlkampf, diese Woche fordert der Kreisverband Mecklenburg-Schwerin seine Anhänger dazu auf, die gute deutsche Leberwurst zukünftig nicht mehr bei der Lebensmittelkette REWE zu kaufen. Was war passiert? Der Parteivorsitzende Bernd Lucke befand sich, zusammen mit seiner Gattin, im Speisewagen eines ICEs, als plötzlich zwei Fußballfans in Pöbellaune auf ihn zukamen und ihn dazu aufforderten, den Wagen zu verlassen. „Wir wollen keine Nazis hier”, sollen die Männer laut Express-Informationen geäußert haben. Als die Schlichtungsversuche der Bahnmitarbeiter scheiterten, soll Lucke schließlich die Polizei gerufen haben.
Was das mit einer Supermarktkette zu tun hat? Nun ja. Die zugfahrenden Neonazifeinde waren Anhänger des 1. FC Köln, dessen Hauptsponsor wiederum REWE ist. Und wenn man als Landesverband einer Partei mal so richtig Druck machen will und eine Entschuldigung seitens des Fußballvereins für das Verhalten seiner Anhänger erwartet, dann fordert man eben den Boykott des Hauptsponsors auf Facebook. Klar. Mit dem negativen Backlash auf ebenjenen Post hatte der Kreisvorsitzende Thomas de Jesus Fernandes (kein Scherz) dann aber wohl nicht gerechnet, der Eintrag wurde nämlich mittlerweile wieder gelöscht.
Dafür gibt es mittlerweile eine ziemlich lange und etwas wirre Rechtfertigung für die Aktion, nach der es sich bei dem Boykott-Aufruf nur um einen geschickten Manipulationsschachzug gehandelt haben soll. Aufzeigen, wie schwer man es in Deutschland abseits des Meinungs-Mainstreams hat, wollte man, schreibt Parteimitglied Sven Tritschler. Eine Entschuldigung seitens des 1. FC Köln gibt es derweil nach wie vor nicht, dafür hat die Kölner AfD Lucke zu einem Heimspiel des Bundesligisten eingeladen. Man darf gespannt sein, ob die Anhänger auf ihn im Stadion mehr Lust haben als im Zug.
Der Gewinner: der FC Bayern München!