2014 war ein ziemlich hartes Jahr. Für Markus Lanz, für die brasilianische Fußballnationalmannschaft und nicht zuletzt auch für alle stolzen Nazis und Verschwörungstheoretiker da draußen, die einfach nur „die Wahrheit” sagen wollen. Manche stehen über ihrem Schmerz, andere leiden im Stillen, wieder andere schreien ihr Unglück in die Welt und haben es dafür in schöner Regelmäßigkeit in unsere Kolumne „Heulsuse der Woche” geschafft.
Nach einem harten Kampf um den Titel der ultimativen Heulsuse 2014 steht der Gewinner endlich fest. Ihr habt abgestimmt und euch mit—dann doch recht eindeutigen—46,37 Prozent für die gefühlstote Vermieterin entschieden, die einem Vergewaltigungsopfer die Wohnung gekündigt hat. Mit 30,98 Prozent sicherte sich die Alternative für Deutschland den zweiten Platz, mit 9,06 Prozent rangiert Fler weit abgeschlagen auf Platz 3.
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Wir freuen uns auf das Heulsusenjahr 2015 und wünschen allen Siegern, Nominierten und natürlich auch Euch einen guten Rutsch.
Heulsuse #1: Die AfD
Dass die Alternative für Deutschland unter den Kandidaten für die Heul-Krone vertreten ist, hat sie sich in diesem Jahr hart erarbeitet. Da wäre zum einen Bernd Lucke, der es sich zwar auf die politischen Fahnen geschrieben hat, etwas gegen die Homo-Ehe zu haben, konkret dann aber doch nicht darauf angesprochen werden möchte. Als der Politiker von Markus Lanz auf seine Meinung zu Mindestlohn und ebenjenes Heiratsrecht von Homosexuellen angesprochen wurde, reagierte Lucke motzig und unterstellte dem Talkmaster, ihn unfair zu behandeln.
Wo wir schon von unfairer Behandlung sprechen: Thomas Hartung, seines Zeichens stellvertretender Vorsitzender der sächsischen AfD, verstand anscheinend nicht, dass auch behinderte Menschen normale Jobs ausüben können und positionierte sich auf Facebook entschieden gegen einen spanischen Lehrer mit Downsyndrom. In einem späteren Interview erklärte er außerdem, als Nicht-Behinderter nicht von einem Behinderten unterrichtet werden zu wollen. Die öffentliche Empörung war groß, Hartung verstand den Aufruhr nicht und schob irgendwann eine lahme Entschuldigung nach—das wirklich Lustige ist eigentlich, dass der AfD-Mann seine Lehrstelle verloren hat, während das Leben des spanischen Lehrers verfilmt wurde.
Wenn die Mitglieder der Alternative für Deutschland so gar keinen Spaß verstehen, dann wenn es um ihre Muttersprache geht. Während Bernd Lucke sich in diesem Jahr darüber mokierte, zur Eröffnung des Europäischen Parlaments nicht auf Deutsch eingeladen worden zu sein, sorgte seine Parteikollegin Frauke Petry ebenfalls mit linguistischen Spitzfindigkeiten für Aufsehen. Die Politikerin beschwerte sich öffentlich, dass auf Kindergeburtstagen das Lied „Happy Birthday” anstelle guter, deutscher Geburtstagslieder gesungen würde. Ihr seht also: Die AfD ist ein ganz heißer Kandidat auf den Thron des Heulsusentums.
Heulsuse #2: Fler
Was die AfD für die Politik hierzulande, ist Fler für die deutsche Rapszene. Eine Ansammlung aus „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen” und mal mehr, mal weniger smarter Deutschtümelei hat ihm mittlerweile zu einem guten Stand bei den Leuten verholfen, die sich von Ausländern/Menschen mit anderer Religion/dem Staat ungerecht behandelt fühlen. Er ist quasi der popkulturelle Papst aller deutschen Heulsusen. Kein Wunder also, dass die NPD versucht, mit seinen Textzitaten auf Wählerfang zu gehen, ein Wunder allerdings, dass sich Fler plötzlich komplett falsch verstanden sieht und gegen die Partei klagt.
Mittlerweile scheint der Rapper allerdings den Glauben in die deutsche Justiz verloren zu haben und fährt direkt bei den Leuten vorbei, über die er sich gerade ärgert. Zum Beispiel bei einem Journalisten, der eine Glosse über ihn geschrieben hat. Wenn ihr also wollt, dass Fler demnächst mit minderjährigen Twitter-Tausendschaften vor eurer Tür steht, solltet ihr für ihn voten.
Heulsuse #3: Die NPD
AfD, Fler und jetzt die NPD. Wenn man sich im Dunstkreis des rechten Gedankenguts (oder mitten drin) bewegt, scheint man einen Hang zum Selbstmitleid zu entwickeln. Vor allem dann, wenn niemand einen wählen möchte. Bei den sächsischen Landtagswahlen scheiterte die NPD an der 5%-Hürde und witterte daraufhin Wahlbetrug. Welchen Grund sollte es auch sonst geben, dass sie nicht in den Landtag eingezogen ist. Dass niemand sie wählen wollte? Pff.
Um doch noch irgendeine Art von tagesaktueller Relevanz—und sei es nur auf Facebook—auszustrahlen, nahmen sich die heimatverbundenen Rechtspopulisten den Fall Tuğçe Albayrak vor. Die junge Frau war beim Versuch, zwei Frauen beizustehen, die auf der Toilette eines Schnellrestaurants belästigt wurden, vom mutmaßlichen Täter totgeprügelt worden. Die Anteilnahme der Bevölkerung schien der NPD so sehr gegen den Strich zu gehen (schließlich hatte die couragierte Frau einen türkischen Migrationshintergrund), dass sie eine Art Zivilcouragen-Barometer erstellte. Das Ziel war scheinbar aufzuzeigen, wie wenig sich die deutsche Bevölkerung für deutsche Helden des Alltags interessiert. Das Ergebnis hingegen: die NPD ist ein ganz heißer Kandidat auf den Titel der Heulsuse des Jahres. Herzlichen Glückwunsch.
Heulsuse #4: Der U-Bahn-Ficker
Vor nicht all zu langer Zeit zeigte ein junges Pärchen einmal mehr, warum Berlin in der öffentlichen Wahrnehmung unter den abgefuckten Partymetropolen der Welt so weit oben rangiert. Ein Mann und eine Frau, beide offenkundig in ihren Zwanzigern, hatten mitten auf einem U-Bahn-Steig ungehemmt Sex. Ein Handyvideo des Vorfalls machte im Internet die Runde und Eko Fresh nahm mit Joko und Klaas sogar einen Song über den „U-Bahn-Ficker” auf. Sehr zum Ärger des Beteiligten. Dessen Sexualpartnerin in jener verhängnisvollen Nacht war nämlich nicht seine langjährige Freundin, sondern eine fremde Frau. Die Beziehung zerbrach, und der U-Bahn-Ficker versuchte in einem tränenreichen Interview, das Herz seiner Ex-Freundin zurückzugewinnen. Eine potentielle Heulsuse des Jahres? Auf jeden Fall.
Heulsuse #5: Die gefühlstote Vermieterin
Nummer 5 ist gleichzeitig auch die Kandidatin, die mit dem eindeutigsten Ergebnis in der Geschichte unserer Heulsusen-Abstimmungen (91 Prozent) zur Heulsuse der Woche gekürt wurde. Die bayerische Vermieterin hat es nämlich fertig gebracht, einer jungen Frau die Wohnung zu kündigen, weil diese in ihrem Keller vergewaltigt wurde. Statt Mitleid mit dem traumatisierten Opfer zu haben, ließ die Hauseigentümerin ausrichten, dass sie zu viel „Ärger” mache, um weiterhin im Haus wohnhaft bleiben zu dürfen. Und mit „Ärger” schien sie vor allem den Polizeiauflauf nach der Tat zu meinen. Die Münchnerin untersagte der jungen Frau sogar die Auszugsfrist auch nur um einen Tag zu verlängern und soll außerdem die Mietkaution in Höhe von 1000 Euro einbehalten haben. Wenn das nicht nach einer Heulsuse des Jahres klingt, wissen wir auch nicht.
Header-Foto: Fler (NicoJenner | Wikimedia | CC BY-SA 3.0), NPD (Tom Dräscher | Wikimedia | Public Domain), AfD (Tom Dräscher | Wikimedia | Public Domain), Bernd Lucke (blu-news.org | Flickr | CC BY-SA 2.0), U-Bahn (Michael Day | Flickr | CC BY 2.0), Frau (Spencer Means | Flickr | CC BY-SA 2.0), Regen (Unknown | Wikimedia | Public Domain), Statue (Vassil | Wikimedia | CC BY 3.0)