Klein zu sein hat durchaus ein paar Vorteile. Wissenschaftler sagen, dass kleine Menschen länger leben, Beinfreiheit im Billigflieger ist kein Thema und Schuhe aus der Kinderabteilung sind oft billiger. Letzten Endes ist es aber so: Große Menschen haben es besser. Und das gilt umso mehr, wenn du gerne auf Konzerte gehst.
Als jemand, der ein paar Zentimeter kürzer als der Durchschnitt ist, überwiegen die Konzerte, bei denen ich von der Band aufgrund meiner Größe nichts sehen kann, bei Weitem die Shows, bei denen ich das Geschehen auf der Bühne mitverfolgen kann. In der Regel verbringe ich die Shows damit, die Schulterblätter fremder Menschen anzustarren oder an den fettigen, langen Haaren der Person vor mir zu ersticken. Wenn ich Glück habe und mich wirklich anstrenge, um mich auf meine stahlbekappten Zehnspitzen zu stellen, kann ich manchmal die Knie der Künstler durch eine für Millisekunden entstandene Lücke zwischen zwei sich rumschubsenden Kerlen erhaschen.
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Man könnte jetzt sagen, dass doch genau das das Aufregende an Livemusik ist. Wenn ich eine Band nicht wirklich sehen kann, dann bleibt sie für mich für immer dieses Mysterium, dessen Geheimnis nur ein paar auserwählte Riesen kennen. Vielleicht sind all die bahnbrechenden Konzerte der Musikgeschichte—die Ramones im CBGB’s, die Sex Pistols im The 100 Club oder The Velvet Underground im Max’s Kansas City—dadurch aufgewertet worden, weil die kleineren Konzertbesucher irgendwo in der Menschenmasse feststeckten und unfreiwillig Haarfollikel schluckten, was wiederum die geheime Zutat für „eine authentische Live-Erfahrung“ sein mag. Vielleicht hat es auch irgendwelche Vorteile, auf den Zehen auf und ab zu hüpfen, weil man damit die menschliche Knochenstruktur für zukünftige Generationen stärkt—oder zumindest den Anteil von Käsekuchenrückständen in den eigenen Arterien senkt.
Ach, vergesst es, ich schaffe es einfach nicht. Es gibt schlicht und einfach keine Vorteile, wenn man als kleiner Mensch auf Konzerte geht. Alles, was einem bleibt, ist mit früh einsetzenden Rückenproblemen zu liebäugeln und sein Genick wie eine Palme im Sturm zu drehen und zu winden, um das Geschehen auf der Bühne auch nur ansatzweise mitverfolgen zu können. Wenn das Konzert vorbei ist, erzählen deine ganzen Freunde von den coolsten Konzertmomenten und alles, was du zu dem Thema beizusteuern kannst, ist eine detaillierte Beschreibung der verschiedenen Geschmacksnoten Rückenschweiß, die dir ins Gesicht gepresst wurden.
Besonders ärgerlich ist dabei, dass die ganzen großen Menschen sich ihrer Körpergröße überhaupt nicht bewusst sind, die sie dank guter Gene innehaben, und so überall dort rumstehen, wo sie gerade Bock haben. Und genau das versaut uns allen den Abend—uns höflichen, netten, gutmütigen kleinen Menschen, die absolut nichts sehen können. Überall entgegnet einem nur Ignoranz, wohin man auch schaut—von der Regierung, im Internet, immer wenn ich eine Zigarette rauche—aber in keinem Augenblick fühle ich es so direkt, wie wenn ein Riese bei einem Konzert nur wenige Zentimeter vor meiner Nase steht—einem Konzert, das entsprechender Riese sich aus jedem beliebigen Winkel anschauen könnte, nur ich eben nicht.
Und als kleiner Mann habe ich es noch nicht mal am schlimmsten getroffen. Noisey-Kollegin Emma Garland, die ebenfalls etwas kleiner als der Durchschnitt ist, berichtet mir, dass das einzige, was schlimmer sei, als Frau auf ein Konzert zu gehen, sei, als kleine Frau auf ein Konzert zu gehen, weil „der Besuch jeder Veranstaltung bedeutet, sich entscheiden zu müssen, ob man sich möglichst nach vorne stellt, um etwas sehen zu können, aber dafür riskiert zerdrückt und/oder begrapscht zu werden, oder ob man sich einen taktischen Platz weiter hinten oder an der Seite sucht, um etwas Bewegungsfreiraum beizubehalten, dafür dann aber die komplette Dauer des Konzerts darauf achten muss, keine Schulter auf die Nase zu bekommen.“
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Was können wir also tun, um dieses Problem zu lösen? Einige Konzerthallen haben, genau wie Kinos, einen zur Bühne hin geneigten Publikumsbereich. In der Theorie sollte die Neigung den Menschen weiter hinten einen Höhenvorteil verschaffen, nur leider helfen ein paar Zentimeter extra nicht so viel, wenn sich mal wieder irgendein Riese vor deine Nase stellt. Um wirklich funktionieren zu können, müsste der Publikumsbereich schon gefährlich steil konstruiert sein. Bestuhlung wäre auch eine offensichtliche Lösung. Vor allem in meinem reifen Alter von 23 Jahren—in dem ich jeden Abend ein Bad nehme und mir passende Kerzen für mein Wohnzimmer aussuche—habe ich eine Vorliebe für den nicht selten bestuhlten Balkon größerer Konzerthäuser entwickelt. Leider bist du da oben ziemlich weit vom Geschehen entfernt, du bist alles andere als mittendrin und dabei. Es ist einfach nicht das Gleiche, wenn du die ganze Zeit in deinem Stuhl sitzen musst und irgendwann einfach unglaublich zappelig wirst.
Die ganze Filmerei bei Konzerten heutzutage hat genau einen Vorteil und das ist der, dass dadurch neue Blickwinkel geschaffen werden. Ich habe schon öfters Konzerte durch diverse iPhone-Bildschirme verfolgt—es ist leider die beste Sicht, die ich kriegen kann. Und ich kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass ich keinen einzigen Festivalauftritt verfolgt habe, ohne etwa 95% der Zeit auf die Riesenbildschirme neben der Bühne zu starren. Nur sind Selfie-Sticks auf den meisten Shows nicht erlaubt und Riesenbildschirme in kleineren Läden eher mäßig sinnvoll. Wir haben es hier also eher mit kleinen Lichtblicken (haha) zu tun, als mit wirklichen Lösungen.
Über das Erfinden und Patentieren von komfortablen, kleidsamen und vor allem sicheren Stelzen hinaus gibt es durchaus eine praktikable Lösung, die sich sofort anwenden ließe. Und die wäre, dass sich große Menschen nach hinten stellen oder wenigstens ihre privilegierte Stellung im Hinterkopf behalten. Mir ist schon klar, dass das wohl kaum eine neue, bahnbrechende Idee darstellt, aber, obwohl Studien behaupten, dass große Menschen intelligenter und geselliger als kleine Menschen sind, ist es etwas, dass die Riesen unter den Konzertbesuchern nicht zu verstehen scheinen. Tatsächlich ist es so selten, dass große Menschen rücksichtsvolles Verhalten an den Tag legen. Ich schätze also, dass derartiges Verhalten schon mal eine Überlegung wert ist.
Liebe große Menschen, ich bin mir sicher, dass ihr mit mir da einer Meinung seid, ihr müsst einfach ein kleines bisschen mehr Empathie an den Tag legen, ein wenig Verständnis zeigen. Hey, ich wette, dass auch ihr bei den ganzen Handykameras, Crowd-Surfern und echten Riesen vor eurer Nase manchmal nichts sehen könnt. Das muss ganz schön nervig sein, nicht wahr!? Wenn es nur etwas gäbe, was man dagegen tun kann.
Ich persönlich habe eine Menge schlacksiger, fast schon riesenhafter Bekannte und Freunde. Um meinen Lösungsvorschlag also im Praxistest auf die Probe zu stellen, habe ich Joel Golby—VICE-Autor, Ratatat Fan und überdurchschnittlich groß—als Versuchskaninchen benutzt. Ich wollte herausfinden, was man a) macht, wenn man klein ist und jemand Großes einem die Sicht versperrt, und was man b) als großer Mensch macht, der jemand anderem die Sicht versperrt.
Ich: Hey, Riese! Du stehst im Weg. Kann ich mich vor dich stellen?
Joel AKA Riese: Ja, von mir aus. Du bist ja so klein, nicht wahr? Ich kann bequem über deinen kleinen Kopf schauen. Wenn ich dir im Weg stehe, sag einfach Bescheid. Drängle nur nicht vor mir rum oder unterhalte dich mit deinen anderen kleinen Freunden. Ich will das Konzert sehen, also halt die Klappe.
Ich: Alles klar, ich habe verstanden. Danke, großer Mensch! Du hast meinen Glauben an die Menschheit gerettet.
Also, solltest du selbst groß sein und das hier lesen, dann erinnere dich nur an die kochende, alles verzehrende Wut, die in dir aufsteigt, wenn du den Stiefel eines Crowd-Surfers an den Kopf bekommst—du weißt schon, dieser Moment, in dem du jemanden buchstäblich mit deinem Blick in Stücke reißen könntest, und dann stell dir vor, du fühlst dich ganze 90 Minuten lang so, während du gezwungen bist, deine eigenen Achselschweiß zu riechen. Also, mach Platz!
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