In den letzten Jahrzehnten ist es Astronomen gelungen, mit gewaltigen Teleskopen immer weiter ins All vorzudringen. Um dem Kosmos seine Geheimnisse zu entlocken, feilen Wissenschaftler gerade an einer neuen Generation hochsensibler Spiegelteleskope. Wegen ihrer Komplexität und gigantischen Größe werden sie passenderweise als “Extremely Large Telescopes” bezeichnet. Eines davon ist das Giant Magellan Telescope (GMT), das ab 2023 im Hochland von Chile stehen wird. Das Riesenteleskop soll zehnmal schärfere Bilder als das Hubble-Weltraumteleskop liefern, und so die Astronomie revolutionieren.
Im ersten Schritt müssen fast 20 Tonnen Glas geschmolzen werden. Allein das Polieren dauert eineinhalb Jahre.
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Damit das GMT diese Schärfe und Präzision erreichen kann, sind auch größere und komplexere Teleskopspiegel nötig als jemals zuvor. Die sieben Spiegel, die das Herz des GMT bilden sollen, werden in hochkomplexen Verfahren von den Wissenschaftlern des Mirror Lab an der University of Arizona gefertigt. Dieses Spiegel-Labor ist die erste Anlaufstelle für Astronomen, wenn sie richtig große Spiegel benötigen.
“Das ist so ziemlich das äußerste Limit für einen Spiegel, den du gießen und immer noch bewegen kannst”, erklärt Robert Shelton gegenüber Motherboard. Er ist der Präsident der Giant Magellan Telescope Organization, dem Zusammenschluss von Universitäten, die gemeinsam das Giant Magellan Telescope errichten. “Es ist wirklich eine Meisterleistung der Ingenieurskunst.”
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Am Freitag hat das Mirror Lab mit dem Gießen des fünften der insgesamt sieben Spiegel begonnen. Die Arbeiten finden in einer riesigen Anlage statt, die unter dem Football-Feld der Universität liegt. Im ersten Schritt müssen fast 20 Tonnen Glas geschmolzen werden.
Dazu wird der runde Schmelzofen auf 1.165 Grad Celsius erhitzt und vier Stunden lang mit fünf Umdrehungen pro Minute gedreht. Laut Shelton sorgt die langsame Drehung dafür, dass der Spiegel eine parabolische Oberfläche erhält. Das hat den Vorteil, dass später weniger Schleifarbeiten am Spiegel notwendig sein werden, als wenn er flach gegossen werden würde.
Nachdem das flüssige Glas in die hexagonförmige Form gegossen wurde, werden die Umdrehungen der Maschine reduziert, und das Glas hat etwa drei Monate Zeit, um abzukühlen.
Wenn alles fertig ist, ist der Spiegel auf ein Tausendstel der Breite eines menschlichen Haares genau.
Dann kann das Glas weiter geformt und poliert werden, um Unvollkommenheiten auf der Spiegeloberfläche zu bereinigen. Um den besonderen Anforderungen des Teleskops gerecht zu werden, haben die Ingenieure am Mirror Lab einen speziellen Algorithmus für ihre Arbeitsgeräte entwickelt. Die Politur wird etwa anderthalb Jahre dauern . Nach dem letzten Schliff wird der Spiegel auf ein Zwanzigstel einer Lichtwellenlänge genau sein – das entspricht etwa dem Tausendstel der Breite eines menschlichen Haares.
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Das Mirror Lab arbeitet bereits seit über einem Jahrzehnt an den Spiegeln für das GMT. Die Anfertigung eines Spiegels dauert von der Materialbeschaffung bis zum fertigen Produkt etwa fünf Jahre pro Spiegel. Die Arbeiten am ersten Spiegel begannen 2005, die Politur war 2012 abgeschlossen. Bis er seine Reise zum GMT-Standort in die chilenische Atacama-Wüste antreten wird, lagert er in einer Einrichtung in der Nähe der Universität.
Laut Shelton sollen alle Spiegel für das GMT bis 2023 fertig sein. Er hofft, dass das GMT sein erstes Licht – das ist der astronomische Ausdruck für den Augenblick, in dem zum ersten Mal Licht auf den Spiegel oder die Linse eines neuen Teleskops fällt – mit allen sieben Spiegeln 2026 empfangen wird. Somit würde das GMT als erstes der drei geplanten “Extremely Large Telescopes” den Betrieb aufnehmen. Der Bau der anderen beiden Riesenteleskope, das Thirty Meter Telescope auf Hawaii und das European Extremely Large Telescope in Chile, hat sich in den letzten Jahren extrem verzögert. Grund dafür sind Streitigkeiten über Bodenrechte und Finanzierungsprobleme.
Sobald der vierte Spiegel fertig poliert ist, sollen die ersten vier Spiegel ihre Reise nach Chile antreten. Verschifft wird das kostbare Gut in riesigen Containern, von denen jeder 400.000 US-Dollar kostet. Auf dem Festland geht es dann laut Shelton mit der waghalsigen Geschwindigkeit von 3 Stundenkilometern auf den Berg hinauf, auf dem das GMT steht. Dort werden die Spiegel montiert und Forscher führen erste Experimente durch, bis die letzten drei Spiegel ebenfalls fertig gestellt sind.
Das Teleskop soll bald erforschen, woher Elemente wie Stickstoff und Kohlenstoff stammen
Wenn das GMT erst einmal vollständig in Betrieb ist, soll es für die optische Astronomie Großes leisten. Gemeinsam werden die sieben Spiegel des Teleskops einen Spiegeldurchmesser von 25 Metern haben. Damit wird das GMT zweieinhalb mal größer sein, als das aktuell größte optische Teleskop, das Gran Telescopio Canarias auf der Kanareninsel La Palma. Die Bilder, die es erzeugen wird, sollen zehnmal schärfer sein, als die des Hubble-Weltraumteleskops.
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Schon jetzt warten eine ganze Reihe an Forschungsprojekten auf das GMT: Es soll unter anderem erforschen, woher fundamentale Elemente wie Kohlenstoff und Stickstoff stammen und wie die ersten Sterne im Universum entstanden sind. Außerdem soll es die Beschaffenheit von Dunkler Materie und Dunkler Energie untersuchen und bei der Suche nach Leben auf den Exoplaneten in der Milchstraße helfen.
Doch bis es soweit ist, wird ein Team an Wissenschaftlern unermüdlich in einem Untergrundlabor in der Wüste Arizonas an geschmolzenem Glas feilen, damit wir eines Tages einen noch besseren Blick ins Universum werfen können.