Der gewöhnliche Gamer hat drei Arten von Reaktionen im Repertoire, wenn er einen Kopfschuss von der Konkurrenz verpasst bekommt: Anerkennendes Kopfnicken, Chat-Nachrichten voll hemmungslosem Allcaps-Frust oder den so simplen wie effektiven Vorwurf: „Das kann nicht sein, der muss gecheatet haben!”. Dieser empörte Ausruf geht jedem Spieler von Multiplayer-Games nur allzu leicht über die Lippen. Die Anschuldigung lässt sich zwar praktisch nie beweisen, aber eines ist klar: Mit der Fairness ist es im Gaming nicht gerade weit her. Cheats benutzen längst so viele Spieler, dass von einem gerechten Wettkampf nur noch bedingt gesprochen werden kann—das beweist nicht zuletzt ein Blick in die Welt der florierenden Cheat-Schwarzmärkte.
Während manche Spieler ihre Höchstleistung durch stundenlanges Training in Spiele wie Counter-Strike: Global Offensive, DOTA 2, Battlefield 4 oder Overwatch stecken, Lehrvideos studieren, Turniere verfolgen und Taktiken üben, kaufen sich manche einfach ein Cheat-Abo im Internet. Automatische Headshots, durchsichtige Wände, detaillierte Infos über Gegner—das alles macht Cheater unbesiegbar.
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„I don’t speak German”, schreibt der Entwickler in seine Signatur, um die überhand nehmenden deutschen Schummelfans zu bremsen.
Motherboard hat mit verschiedenen Entwicklern und Anbietern solcher Cheats gesprochen, um zu verstehen, wie groß der Markt ist, wie lukrativ das Geschäft und warum selbst große Entwickler und Publisher gegen das Netz der Schummel-Software-Anbieter relativ machtlos sind.
Funktionen, die kein Normalsterblicher sehen darf
Für den Monatspreis eines Netflix-Abos kann sich jeder Shooter-Spieler fühlen wie ein digitaler Gott. Die Cheats schalten Funktionen frei, die kein normalsterblicher Gamer je sehen dürfte—und die einen erheblichen Vorteil gegenüber der Konkurrenz bedeuten: Ein Radar am Bildschirmrand klärt über die generelle Lage auf. Die genauen Positionen aller Spieler werden dank Extra Sensory Perception (ESP) mit bunten Rechtecken durch Decken und Wände gekennzeichnet.
Auch einen praktischen Aimbot, der automatisch die Treffsicherheit von Spielern verbessert, gibt es im Angebot: So werden Kopfschüsse zum Kinderspiel—inklusive einer extra justierbaren Verzögerung, damit weder Mitspieler noch die Anti-Cheat-Software etwas bemerkt.
Etwa 10 bis 20 Euro monatlich kosten Cheat-Programme für den PC. Konsolen wie Xbox One oder Playstation 4 gelten als recht sicher vor Hacks. Cheat-Programme sind hier relativ selten, da Hacks deutlich umständlicher sind. Zu kaufen gibt es PC-Cheats in öffentlichen Foren, wo sie unter Namen wie HelioS FrameworK frei angeboten werden. Es gibt Boutique-Anbieter, die sich auf nur ein Spiel spezialisieren, und Generalisten, die gleich die populärsten Titel bedienen. Bezahlt wird meist ganz gewöhnlich per PayPal.
„Man muss zwar große Teile der Game Engine für den Cheat nachbauen—aber ich denke, es hat sich gelohnt.”
Nach dem Download wartet eine Software mit dem Design-Charme einer 90er-Jahre Freeware, die nach einer Anmeldung aber problemlos Cheats in vielen Spielen aktiviert. Aimbot, Radar und Skripte lassen sich in einzelnen Untermenüs anwählen und per Klick aktivieren. Von der Farbe des Radars bis zur Aufschaltzeit des Aimbots lässt sich jedes Element mit Slidern regeln. Wer nicht endlos mit Menüs spielen will, kann auch direkt mit Voreinstellungen loslegen.
Die Machtlosigkeit der PunkBuster
Wieviele Spieler die Cheat-Tools wirklich nutzen, lässt sich letztlich nicht verifizieren, doch Szenekenner nennen gegenüber Motherboard hohe Zahlen: In einem Battlefield-Match mit 32 Spielern ist mindestens ein Cheater dabei, bei Counter Strike: Global Offensive (CS:GO) sollen etwa 20 Prozent aller aktiven Spieler in Berührung mit Cheats gekommen sein.
Für Entwickler und Publisher sind die Hacks ein Problem: Cheater verderben ehrlichen Spielern den Spaß, indem sie ihnen aktiv Erfolgserlebnisse verweigern; sie ruinieren nach und nach den Ruf der Publisher, die nur wenig gegen Cheater unternehmen; und sie machen es schwierig, ernstzunehmende Online-Ligen zu organisieren, um einem Spiel den lukrativen Sprung zum eSport zu ermöglichen. Immer wieder gibt es Skandale über cheatende eSportler.
Als Gegenmaßnahme kommt häufig PunkBuster zum Einsatz, eine lizenzierte Anti-Cheat-Software, die aber oft unzuverlässig ist und meist nur vor veralteten Hacks schützt. Abschreckung ist eine andere Möglichkeit: Erst vor kurzem hat Epic Games Klage gegen einen Deutschen eingereicht, der Cheats für ihr neues MOBA Paragon entwickelt hat. „Wenn festgestellt wird, dass ein Spieler cheatet, Hacks, Bots oder Third-Party-Software benutzt, die einen unfairen Vorteil verschafft, wird dieser permanent aus dem Spiel verbannt”, schreibt Blizzards Community Managerin Stephanie Johnson ins offizielle Overwatch-Forum.
„Viele Public Cheats sind jetzt schon knapp ein Jahr unentdeckt.”
Andere Entwickler setzen auf hauseigene Lösungen: Valve Anti-Cheat (VAC), so heißt die Software, die den gerechten Wettkampf auf der größten PC-Download-Plattform Steam retten soll. Doch Cheats für die wichtigsten Multiplayer-Titel von Valve, CS:GO und DOTA 2, werden trotzdem auf dem Schwarzmarkt angeboten. Manchmal greifen auch die Spiele-Designer selbst in den Kampf gegen die Schummelei in ihren Games ein: Aus Frust programmierte Gary Newman im Jahr 2014 eigenhändig ein Anti-Cheat-Tool für sein Spiel Rust, eine Mischung aus MineCraft und Hunger Games. CheatPunch nennt er es. Es erwischt über 4.500 Cheater gleichzeitig—längst werden in den einschlägigen Foren inzwischen auch für Rust wieder eifrig Cheats gehandelt.
Wir melden uns in den Foren an und schaffen es, mit zwei Entwicklern via Steam zu chatten. Und merken: Die eine Cheater-Szene gibt es nicht. Die Cheater sind gespalten. „Mein Ansporn ist, etwas Innovatives zu entwickeln, das so noch keiner gemacht hat oder nur wenige Leute überhaupt machen können”, schreibt ko1N. Laut eigenen Angaben ist er Mitte 20, studiert Wirtschaftsinformatik an der TU Darmstadt und legt als DJ auf.
ko1N hackt Spiele aus Interesse. John Carmack, der geniale Coder, der gemeinsam mit John Romero und id Software das Shooter-Genre revolutioniert hat, ist sein Vorbild. „Früher gab es IRC Channel, in denen sich Leute getummelt haben, die sich auch dafür interessiert haben. Die Leute dort waren supernett und haben mir die Basics gezeigt. Der erste Cheat war dann nur noch eine Frage der Zeit.” Das ist inzwischen über zehn Jahre her. Seine Cheats dokumentiert ko1N im eigenen YouTube-Channel.
Als wir miteinander sprechen, demonstriert er auf seinem YouTube-Kanal gerade seinen neuesten Hack für CS:GO, der via Smartphone funktioniert, und elegant ESP und Aimbot aktiviert. Über ein Jahr hat er daran gearbeitet.
Der Hack ist nicht zu entdecken, weder von VAC noch von der Anti-Cheat-Software großer eSports-Ligen. „Im Prinzip läuft das gesamte Processing über das Smartphone, das mit meinem Master-Server kommuniziert. Man muss zwar große Teile der Game Engine dafür reversen und nachbauen, um das möglich zu machen, aber ich denke, es hat sich gelohnt.”
Die Ethik der Cheat-Community
Geld ist nicht die Motivation von ko1N. Tatsächlich verdient er gar nicht an seinen Entwicklungen. Ihm scheint es um etwas anderes zu gehen—wie es sich für einen Hacker gehört, treibt ihn wohl eher der Wille an, zu zeigen, was technisch möglich ist. Doch je länger wir sprechen, um so klarer wird auch, dass er von der Community, in der er sich bewegt, enttäuscht zu sein scheint: „Die Szene hat sich krass gewandelt. Heutzutage gibt es auch einige, die überhaupt nicht programmieren können, aber sich aus Public Source Codes etwas zusammenbauen”, erklärt er im Chat mit Motherboard. Auch in der Welt der Cheat-Entwickler scheint es also ein paar ungeschriebene Gesetze zu geben, die über Anerkennung und Ruhm entscheiden.
Doch es gibt auch Cheat-Entwickler, deren Hauptantrieb nicht der sportliche Hacker-Ehrgeiz ist: Die Betreiber der Cheat-Anbieter Website interwebz beispielsweise nehmen rund 8.000 Euro in einem durchschnittlichen Monat ein, wie sie gegenüber Motherboard verraten. Hinter der Website stecken NOC und Kolo. Die beiden konzentrieren sich auf den aktuell wichtigsten Titel für Cheats: Counter Strike: Global Offensive.
Sie schmeißen den Betrieb zu zweit: Coder Kolo arbeitet in Slowenien an den Hacks, der deutsche NOC kümmert sich um Server, Zahlungsverkehr, die Community. (Unabhängig bestätigen kann Motherboard die Angaben der beiden nicht, da sie mit uns nur unter der Auflage der Anonymität chatten.)
NOC hat einen Abschluss in Informatik, Kolo geht zur Schule. Beide sind 23 Jahre alt—und doch schon echte Veteranen. Angefangen mit der Cheat-Entwicklung hat Kolo, ähnlich wie ko1N, vor etwa zehn Jahren als Teenager. Ihre Webseite hat laut NOC etwa 1.800 zahlende Kunden, ein Monatsabo für CS:GO kostet 20 Euro.
Neben den Cheats arbeitet NOC an „ganz anderen Sachen […] im Bereich Programmierung”, darunter „Social Media Portal” und Virtual Reality. Interwebz jedoch zahlt die Miete: „Abzüglich Steuern…”; denn wie der Entwickler gegenüber Motherboard erläutert, zahlen auch die CS:GO-Cheatgötter in Deutschland ordnungsgemäß Steuern auf ihre Einnahmen. „Anschließend teilen wir uns den Gewinn am Ende des Monats, was es uns ermöglicht, das Ganze als Sprungbrett für andere und größere Projekte zu nutzen. Wir machen das sozusagen nur auf Hobby-Basis”, schreibt NOC. Für ein Hobby ist interwebz aber ganz schön lukrativ.
interwebz ist typisch für die Art, wie moderne Cheat-Entwickler arbeiten. Die Team-Größe ist überschaubar: Die meisten Cheat-Developer haben weniger als fünf Mitarbeiter. Auch ihre Einnahmen können zum gehobenen Durchschnitt gezählt werden. Viel mehr verdienen angeblich nur die beiden größten Anbieter auf dem Markt: x22 und ArtificialAiming. „Von x22 habe ich ungefähr im Kopf, dass er 500.000 Euro im Jahr an Umsatz generiert. Bei ArtificialAiming waren es, glaube ich, ähnliche Summen”, so NOC. Überprüfen können wir das nicht. Unsere Anfragen bleiben unbeantwortet.
Und was weiß NOC über die Art von Gamern, die seine Dienste in Anspruch nehmen? Sie sind größtenteils jung („mit Mitte 20 gehört man schon eher zu den Älteren”), männlich („persönlich habe ich noch nie einen Cheater oder Gamehacker getroffen, der weiblich ist”) und: Sie sind deutsch.
„Die meisten unserer Kunden sind Deutsche, gefolgt von US-Amerikanern und Schweden. Auch zu Anfangszeiten, sprich um die Jahrtausendwende, war schon ein Großteil der Cheating-Szene deutsch”, schreibt NOC. Der Cheat-Entwickler x22 bestätigt diesen Eindruck in einem inzwischen sechs Jahre alten Foren-Interview. Auch seine damals angeblich 20.000 Kunden sind (oder waren zumindest) vor allem deutsch. So sehr dominierten deutsche Schummelfans sein Forum, dass der Entwickler extra einen Hinweis in die Signatur packen musste: „I don’t speak German.”
Wie groß die Cheat-Szene insgesamt ist, lässt sich nur schätzen. Das größte Forum der Szene, UnKnoWnCheaTs, zählt 1,4 Millionen Accounts, gleichzeitig aktiv sind meist um die 10.000 Accounts. „In den letzten fünf Jahren ist die Szene rasant gewachsen”, so NOC. Er schätzt die Größe auf insgesamt ein paar hunderttausend Cheater, die sich auf unterschiedliche Foren und unterschiedliche Spiele verteilen.
Warum die Spieleentwickler kaum etwas ausrichten können
Bleibt die Frage: Warum haben Spieleentwickler und -Publisher nicht schon längst etwas dagegen getan? Dem stehen zwei Problematiken im Weg: Die eine ist technischer Natur, die andere ist eine rechtliche Sache.
Vereinfacht gesprochen ist es umso schwerer, Cheats zu blockieren, je mehr ein Game auf dem Spiele-PC selbst, dem Client, errechnet und je weniger es schon über die vom Spiele-Server übertragenen Daten funktioniert. Einige wenige Spiele, wie League of Legends, DOTA 2 oder World of Tanks lagern so viel wie möglich auf die Server-Seite aus, sodass ein Cheat auf dem Client so wenig wie möglich manipulieren kann. Ein paar Funktionen bleiben dabei aber auch dann noch übrig: Für League of Legends gibt es Skripte, um komplexe Bewegungen auszuführen; wer in DOTA 2 cheatet, der sieht beispielsweise mehr von der Umgebung; und auch für World of Tanks finden sich von einigen Anbietern Hacks.
„Die Leute wechseln nur in die Legalität, wenn sie Sicherheit wollen. Das schnelle Geld aber macht man mit den Cheats.”
Moderne, komplexe und schnelle Spiele wie zum Beispiel Overwatch oder CS:GO sind noch immer auf die Leistung des Gamer-Computers angewiesen, statt alles über die Internetleitung zu übertragen. So bleiben sie angreifbar. Weil Anti-Cheat-Entwickler den ersten Schritt machen, bleibt der Gegenseite oft nur die Defensive. Und: Sie hat auch nur beschränkte Möglichkeiten. Denn wer zu viele Ressourcen auf Anti-Cheat-Funktionalität verwendet, beeinflusst möglicherweise die Performance des Spiels, erklärt ein ehemaliger Anti-Cheat-Entwickler frustiert in einem AMA auf Reddit. Heißt also im Klartext: Vernünftige Anti-Cheat-Entwicklung ist zu kostspielig, zu aufwendig und schon alleine technisch in vielen Fällen nicht zu stemmen. ko1N erklärt uns, dass die Anti-Cheat-Entwicklung in einem miserablen Zustand ist: „Viele Public Cheats sind jetzt schon knapp ein Jahr unentdeckt.”
Und dann ist da noch das rechtliche Problem: Wie illegal ist das Geschäft der Cheat-Entwickler eigentlich? Natürlich verstoßen die Hacker gegen die Geschäftsbedingungen der Spiele und Plattformen—aber der juristische Aufwand, den Publisher auf sich nehmen müssen, um an die Cheat-Entwickler ranzukommen, ist groß: Sie müssen beweisen, dass ihnen durch die Cheat-Software Schaden entsteht oder Verletzungen ihres Urheberrechts aufzeigen.
Auch die Ermittlungsarbeit können hier eigentlich nur von den Firmen beauftragte Ermittler übernehmen—die Polizei wird wohl nur selten tätig, da die Materie zu aufwendig und der Anfangsverdacht oft zu unkonkret ist. Es ist ein Dilemma, dass an das Problem erinnert, das große Filmproduktionen mit illegalen Streaming-Anbietern wie Kino.to haben. Die Rechteinhaber der Kinobranche sind längst dazu übergangen, sich in einem eigenenprivaten Lobby-Verbund zusammenzuschließen, der auch Ermittlungen vorantreibt. Allerdings geht es hier um für die Rechteinhaber teure Urheberrechtsvergehen—nicht zu vergleichen mit dem geringeren wirtschaftlichen Schaden, den Cheat-Entwickler den Game-Studios bescheren.
So scheint es für die Hersteller vor allem um eine Eindämmung der Cheat-Angebote zu gehen, während im Untergrund der Verkauf illegaler Trick-Programme blüht. Klagen gegen Cheat-Entwickler sind bisher äußerst selten. Damit zum Beispiel Epic Games den Entwickler eines Paragon-Cheats vor Gericht bringen konnte, musste dieser erst einen rechtlichen Fehler begehen: Er widersprach der Sperrung von YouTube-Videos, die seinen Hack bewarben, und machte sich damit nach kalifornischem Recht angreifbar. Hätte er keinen Widerspruch eingelegt, hätte Epic Games keinen Hebel gehabt, um ihn vor einem Gericht als Entwickler von Cheats belangen zu können, sondern es wäre bei der Sperrung der YouTube-Videos geblieben.
Eine andere Option im Kampf gegen die Cheat-Dealer bleibt den Studios noch: Die talentierten Hacker einfach abwerben—nach dem Motto: Wenn du sie nicht besiegen kannst, umarme sie. Mit ihrer Expertise könnten sie dann passende Anti-Cheat-Maßnahmen erarbeiten, die cleverer sind als die Tools der Cheater. So arbeiten zum Beispiel bei den Steam-Entwicklern von Valve heute mehrere ehemalige Cheat-Entwickler.
Wir fragen die aktiven Cheat-Entwickler, ob sie sich vorstellen könnten, auf die andere Seite zu wechseln. Die Antwort ist eindeutig: Warum ein Geschäft aufgeben, das so gut läuft? „Die Leute wechseln nur, wenn sie Sicherheit wollen”, erklärt k01N gegenüber Motherboard. „Aber das schnelle Geld”, so NOC, “das macht man mit den Cheats.”