Zu Besuch bei Kolumbiens Kokain-Produzenten

jongeren in colombia

Der dänische Fotojournalist Mads Nissen war im Dschungel Kolumbiens dabei, als Cannabis geerntet und Kokain produziert wurde. “Allein von den Dämpfen wirst du fast high”, berichtet er. Er wollte aber nicht nur die Drogen sehen, er wollte wissen, wie die Menschen dort leben. Nissen hat schon einige Krisenherde dieser Welt bereist, auch die jüngsten Kriege in Libyen und Afghanistan hat er fotografiert. 2015 bekam er die renommierte Auszeichnung “World Press Photo of the Year” für das Bild eines schwulen Paares in Russland verliehen.

2016 wurde Mads vom Nobel-Friedenszentrum beauftragt, den kolumbianischen Präsidenten Juan Manuel Santos zu begleiten. Zu dieser Zeit verhandelte Santos mit seiner Regierung gerade einen Friedensvertrag mit der Guerillabewegung FARC. Dieser Vertrag sollte einen Konflikt beenden, der das südamerikanische Land 50 Jahre in seinen Fängen hatte. Ein wichtiger Teil dieses Konflikts war und ist das Kokaingeschäft, mit dem nicht nur die revolutionäre FARC ihren Kampf finanzierte.

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Kurz nach seiner Ankunft in Kolumbien erkannte Mads, dass er sich beide Seiten ansehen muss, wenn er ein vollständiges Bild von der Situation bekommen möchte. Also machte er sich auf den Weg in den kolumbianischen Dschungel, wo er Bauern fotografierte, die inmitten von giftigen Dämpfen Kokain produzieren.

Herausgekommen ist dabei sein neuester Fotoband We are Indestructible. Ich habe mich mit Mads über seine Arbeit und seine Erfahrungen in Kolumbien unterhalten und darüber, wie man das Vertrauen einer Guerilla-Armee gewinnt.

Soldat in einem Militärposten
Ein Regierungssoldat bewacht den ersten Außenposten hinter dem FARC-Gebiet

VICE: Warum hast du nicht einfach Fotos vom Präsidenten gemacht wie geplant?
Mads Nissen: Um das Land besser zu verstehen, musste ich beide Seiten der Story sehen. Ich wollte besser nachvollziehen können, wer und was die FARC ist, und einen besseren Blick auf die Armut und Ungleichheit in der kolumbianischen Gesellschaft bekommen.

Wie hast du Zugang zu dieser Welt bekommen?
Durch meine weltweite Arbeit habe ich mir ein weitläufiges Netzwerk aufgebaut. Irgendwann habe ich ein paar junge Leute kennengelernt, die als Pflücker auf den Coca-Plantagen arbeiten. Die durfte ich mit meiner Kamera begleiten.

Sie transportierten die Blätter in ein Labor im Dschungel. Dort durfte ich auch Fotos machen, solange ich die Gesichter der Menschen nicht zeige. Nach wenigen Stunden wurden die Leute offener und ließen mich ihre Gesichter fotografieren. Wenn du einmal in ein Labor durftest, kommst du auch leichter in andere.

Kokainlabor im kolumbianischen Dschungel
André mit seiner Familie bei der Arbeit in seinem Kokainlabor

Was hast du über den Herstellungsprozess gelernt?
Die Jungs, die ich kennengelernt habe, verdienen mit dem Coca-Pflücken doppelt so viel wie auf den Kaffeeplantagen. Kein Wunder, dass viele erstere bevorzugen. Sie nehmen die Droge aber nicht selbst, sie bevorzugen Alkohol. Die Jungs bringen die Blätter zu André, der versteckt im Dschungel ein provisorisches Labor unter einer Tarnplane betreibt. Aus der Luft ist es nicht zu erkennen. Er zerkleinert die Blätter mit normalen Gartenutensilien und gießt Chemikalien drüber, dann gibt er Benzin, Ätznatron und Zement hinzu und lässt das Ganze eine Weile ruhen, um die aktiven Stoffe zu konzentrieren. Der ganze Prozess dauert einen Tag und es stinkt furchtbar. Allein von den Dämpfen wirst du fast high.

Wie viele Menschen sind an der Kokainherstellung beteiligt?
Heute wird in Kolumbien mehr Kokain produziert als jemals zuvor. Wenn du einfach so durchs Land fährst, siehst du sporadisch ein paar Felder. Sobald du in abgelegenere Gegenden kommst, sind die überall. Ich habe eine Gegend in der Nähe der Stadt Cali besucht, wo es Marihuana- und Coca-Plantagen gab, so weit das Auge reicht. Jeder dort schien in die Produktion oder den Verkauf von Cannabis und Kokain involviert zu sein. Aber niemand konsumiert die Sachen selbst – noch nicht mal André. Sein Traum ist es, Pilot zu werden. Er spart auf einen Flugschein.

War es schwer, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen?
Ja, natürlich. Die Menschen dort misstrauen generell den Medien – und das sollten sie auch. Sie werden oft als Terroristen dargestellt, verstehen sich selbst aber natürlich überhaupt nicht als solche. Sie brauchen einen triftigen Grund, um dir Zugang zu geben. Meistens tun sie das, damit die Welt die Dinge aus ihrer Perspektive sieht.

Viele FARC-Kämpfer gehören zu der Organisation, seit sie Teenager waren. Sie sind es nicht gewohnt, mit Leuten aus dem Westen zu sprechen. Sie sind es gewohnt, mit einer Waffe in der Hand zu interagieren. Das ändert die Art der Kommunikation natürlich vollkommen.

Cannabisplantage in Kolumbien
Cannabis-Pflanzen bekommen in den ersten Monaten künstliches Licht, um den Wuchs zu beschleunigen. Die ganzen kleinen Lichter auf den Bergen sind weitere Gras-Plantagen

Hattest du jemals Angst um dein Leben?
In Kolumbien gibt es Regionen, die unter der Kontrolle der Regierung stehen. Andere stehen unter einer Art FARC-Kontrolle. Aber es gibt auch Gebiete, die niemand kontrolliert, und die können gefährlich sein. Ich wollte in ein paar Gegenden, in denen ich vorher schon mal gearbeitet hatte. Man hat mir aber gesagt, dass das unmöglich sei, weil man dort nicht länger für meine Sicherheit garantieren könne. In den Gebieten waren vor Kurzem erst Polizisten getötet worden.

Ich habe Fotos vom kolumbianischen Präsidenten gemacht und vom Anführer der FARC. Letzterer war einer der meistgesuchten Terroristen der Welt. Alle seine Vorgänger wurden umgebracht und er war entsprechend nervös. Er ist ein kleiner dicker Mann und ich habe ihn Zigarette rauchend mit seinem Hund Winny fotografiert. Nach dem Friedensvertrag wurde die FARC zu einer legitimen politischen Partei, aber den Wechsel von einer Guerilla-Organisation zu einer politischen Bewegung müssen sie erst noch lernen. Als wir mit der Fotosession fertig waren, kam ein PR-Typ zu mir und sagte: “Wir wollen keine Bilder, in denen er Zigarette raucht. Das ist schlecht fürs Image”. Da konnte ich nur lachen. Wenn man bedenkt, woran die FARC alles beteiligt war, ist Rauchen wahrscheinlich ihr kleinstes Problem.

Welchen Eindruck hattest du generell von der FARC?
Sie haben ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Sie führen ein einfaches Leben im Dschungel. Sie glauben, für eine größere Sache zu kämpfen und die Welt zu verändern. Ich teile ihre Ansichten nicht und das habe ich ihnen nie verheimlicht. Ich sehe sie allerdings auch nicht als Terroristen. Menschen zu verurteilen, hilft dir auch nicht gerade dabei, wenn du sie als Fotograf begleiten möchtest. Selbst wenn ich das Leben von ISIS-Kämpfern dokumentieren würde, müsste ich ihre vielen kleinen Nuancen beobachten und sie nicht einfach als Terroristen abschreiben.

Ein Mann mit einem Armband

Hat dich irgendwas auf deiner Reise überrascht?
Ich war überrascht, wie ähnlich wir uns alle sind. Menschen werden von den gleichen Dingen angetrieben und motiviert. In einer Welt, die so verrückt wie unserer ist, ist es geradezu lebensbejahend, wenn du merkst, dass du mit jedem eine zwischenmenschliche Verbindung aufbauen kannst, solange du ein offenes Ohr hast. Vielleicht klinge ich jetzt wie ein Hippie, aber das ist die Realität. Ich will Menschen nicht verurteilen. André hat tonnenweise Kokain hergestellt, aber wer trägt die Verantwortung? Der Produzent oder der Konsument? Ich bin viel neugieriger als wertend.

Zwei Jungs in Handschellen

Welche Zukunft siehst du für Kolumbien?
Es ist ein wundervolles und überwältigendes Land. Ich habe einen Vater mit seinen zwei Töchtern neben seinem Cannabis-Feld fotografiert. Der Vater sagte zu mir: “Drogen bringen Gewalt, Sucht, Chaos, Konflikte und bewaffnete Guerillas in unser Land. Aber wenn ich das nicht haben würde, könnte ich die Schuluniformen für meine Töchter nicht bezahlen.”

Er hatte in der Vergangenheit versucht, andere Pflanzen anzubauen, aber keine davon bringt einen Ertrag, von dem man leben kann. Die Infrastruktur in den Bergen liegt brach und es ist leichter, ein halbes Kilo Koks einen Hang runter zu transportieren als einen Lastwagen voller Tomaten. Wenn Menschen in extremer Armut leben, tun sie Dinge aus Verzweiflung. Wenn du etwas gegen den Drogenanbau tun willst, musst du erst etwas gegen die Armut tun.

Hier sind noch mehr Fotos aus Mad Nissens Fotoband We are Indestructible.

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Junge hängt am Basketballkorb
Didiller, 9, auf dem Basketballplatz
Mädchen in einer Cannabisplantage
Astri, 7, und Feryi, 9, posieren in dem Cannabis-Feld, das ihren Eltern zufolge ihre Schuluniformen bezahlt hat
Kokainlabor in Kolumbien
Benzin wird über Coca-Blätter gegossen
Leere Straßen bei Nacht
Die leeren Straßen von Soacha, südlich von Bogotá
Zementpulver auf Coca-Blättern
Zement wird zur Herstellung von Kokain über getrocknete Blätter gestreut
Gewürfelte Koka-Paste in einer Tüte
Ein Kilo Coca-Paste, das noch zu Pulver verfeinert wird
Coca-Pflücker
Eine Gruppe Coca-Pflücker, sie sind zwischen 15 und 21 Jahren alt
Hund und viel Gras
Getrocknetes Cannabis
Soacha bei Nacht
Soacha, Kolumbien