Wie Hoe__Mies es in kürzester Zeit geschafft haben, das wichtigste DJ-Team der deutschen HipHop-Szene zu werden

Hoe__Mies DJ Crew Berlin

Ich würde behaupten, so ziemlich jede Form von Belästigung schon mal beim Feiern erlebt zu haben. Das völlig überraschende Begrabschen. Die Pirschjagden von creepy Typen, die einen in jede noch so verlassene Ecke des Clubs verfolgen. Die weder deeskalierendes Lächeln noch verbales oder physisches Wehren aufzuhalten vermag. Die Aggression – sowohl verbal als auch physisch –, die manchmal darauf folgte, wenn man das Interesse nicht erwiderte. Oder das eine Mal, als der Mann, der meine Freundin Wochen zuvor missbraucht hatte, mich schlagen wollte und von seinen Kumpels festgehalten werden musste, weil “wir Scheiße über ihn erzählten”. Wie ich damals diejenige war, die die Party verlassen musste und nicht er.

Eigentlich war es meistens ich, die gehen, ja regelrecht flüchten musste, um diesen Situationen zu entgehen. An einen anderen Platz im Club, auf die Toilette oder eben auch des öfteren komplett nach Hause. Bei einer Party von Hoe__Mies wäre das wahrscheinlich anders abgelaufen.

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Hoe__Mies, das sind die beiden Freundinnen, DJs und Veranstalterinnen Lucia Luciano und Gizem Adiyaman, die in der Berliner HipHop-Szene gerade eine kleine, neonleuchtende Revolution anzetteln.

Hoe__Mies Lucia Luciano und Gizem Adiyaman

“Ihr seid keine besten Freundinnen, wenn ihr nicht schon mindestens ein Business miteinander geplant habt”, behaupten Posts von Instagram-Sprüche-Seiten. Gizem und Lucia könnten sich darunter locker taggen. Einst sangen sie gemeinsam in den Schulpausen, jetzt faden sie Samstagabends Beyoncé in einen Baile-Funk-Mix und kassieren dafür auch noch Geld und, viel wichtiger, Liebe. Sie sind die Art Freundinnen, die sich unter inspirational quotes nicht nur taggen können, sondern selbst zur Inspiration geworden sind.


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Sie haben es geschafft, in einer Stadt, deren Parties schon alles gesehen, gehört, gerochen und geschmeckt haben, aufzufallen – ja, dem bunt brodelnden Melting Pot sogar etwas Neues beizumengen. Ihre Geheimzutat lautet dabei: Awareness . Etwas, mit dem sich beide nur allzu gut auskennen.

Gizem war und ist schon seit Jahren politisch aktiv. In muslimischen Poetry-Slam-Gruppen, auf Twitter Teil der #ausnahmslos-Kampagne, die auf das Zusammenwirken von Sexismus und Rassismus hinwies und jetzt auch hinter den Decks.

Lucia widmete sich lieber der Kunst: Sie tanzte, komponierte Songs und das in Paris und London und wo es sie sonst hin verschlug. Politisches fand sie im HipHop und im Feiern darin, dass sie sich in den HipHop-Videos, die sie nach dem Unterricht sah, repräsentiert fühlen konnte. An ihrer Schule gab es kaum Menschen, die aussahen wie sie.

Unbesorgt Spaß haben ist ein Privileg, das Hoe__Mies für alle ranschafft

Unbesorgt Spaß haben ist selbst heute noch für viele keine Selbstverständlichkeit. Es ist ein Privileg. Für jene Menschen haben Hoe__Mies einen eigenen Space geschaffen, wo altbekannte Diskriminierungsmuster vor der Tür bleiben müssen. “Wir sind sehr vocal, welches Publikum wir auf unseren Partys haben wollen. Vor allem Frauen, vor allem queere Leute, vor allem Leute of Color”, sagt Gizem, als wir uns mit ihr und Lucia treffen.

Dafür sorgt ihre eigene Selekteurin und ein Awareness Team, das in den Clubs bereitsteht, um direkt einzugreifen, wenn es zu Übergriffen kommen sollte. Denn “auf die Willkür des Türstehers wollen wir uns nicht verlassen”. Gizem bezieht sich damit sowohl auf die Unvorhersehbarkeit, wer in den Club gelassen wird und wer nicht. Aber auch darauf, wie Fehlverhalten im Club gehandhabt wird. Auf ihren Partys sorgen sie dafür, dass nicht die Opfer sich zurückziehen müssen, um der Situation zu entgehen, sondern dass der Übergriffige rausfliegt.

Das Konzept – “Seids halt einfach mal cool und lasst die Leute in Ruhe feiern” – ist so simpel wie erfolgreich. Seit der ersten Party vor etwa zwei Jahren, bei der es bereits Einlassstopp gab, ist viel passiert. “Vom Bordstein zur Skyline”-mäßig ging es für Gizem und Lucia vom DDR-Posthäuschen, wo sie ihre erste Party abrissen, zur Backyard-Bühne vom splash!-Festival. Und das in weniger als zwei Jahren.

Erfolg ist, wenn Frauen endlich ihren Platz bekommen

Der Erfolg der Ladies ist jedoch nicht in einer splash!-Gage zu bemessen oder darin, vor Hunderten Festivalgänger/innen gespielt zu haben. Das ist zwar schön fürs Ego und den Geldbeutel, aber nicht das, worum es Lucia und Gizem in erster Linie geht.

“Das splash! hatte 20 weibliche Acts, mindestens acht davon haben auf unserer Bühne stattgefunden”, erzählt Gizem. Frauen aktiv zu fördern, zu unterstützen und auch weiter zu vermitteln, ist die Hauptintention der beiden Berlinerinnen. Dank der beiden wurde die Frauenquote des Festivals deutlich angehoben. Das hört sich erstmal cool an, und das ist es auch. Aber es offenbart auch eine frustrierende Wahrheit.

Bis heute sind Frauen auf Festivals egal welchen Genres auffällig unterrepräsentiert. Das Hurricane Festival erntete beispielsweise Anfang November erst einen milderen Shitstorm, nachdem bei dessen Line-Up 2019 kein einziger weiblicher Act gelistet war. Nicht. Einer.

“Alle Leute, die auf unserer Bühne aufgetreten sind, wurden extra im Programm gelistet, um es so wirken zu lassen, als ob das splash! so viele Frauen bucht”, sagt Lucia. Bei männlichen Crews hingegen sei nur die Crew genannt worden.

“Das ist einerseits cool für die Acts, da so ihre Namen stärker platziert wurden, als wenn sie einfach unter Hoe__Mies gelistet worden wären”, lenkt Gizem ein. “Andererseits war es sehr obvious, dass das nur am Geschlecht lag.”

Der Segen und das Problem der Quote

Die Quote: Ein Problem, das eigentlich keins sein sollte, aber Frauen in allen Branchen immer wieder begegnet. Der Vorwurf, nur gebucht zu werden, weil sie Frauen sind, kennen auch Lucia und Gizem. Ob nun von anderen ausgesprochen oder als stechender kleiner Hintergedanke im eigenen Kopf.

“Es ist natürlich schade, wenn man nur aufgrund einer Quote gebucht wird”, meint Gizem. “Auf der anderen Seite bin ich mir dessen bewusst, dass ich eine Frau bin und Türen öffne für andere.” Ob nun aus einer Quote resultierend oder nicht: “Es kommt drauf an, was man daraus macht.”

Hoe_Mies Lucia und Gizem

Für Hoe__Mies dürfte aber selbst ein vermeintlicher “Quoten-Bonus” kein potenzieller Hater-Vorwurf mehr sein. Denn Fakt ist, dass die Reaktionen auf ihre Parties, ihre Festival-Auftritte und auch DJ-Battles für sich selbst sprechen. Jede Party hat Einlassstop, die Fangemeinde wächst täglich weiter, auf dem splash! hatten sie die wildeste Partycrowd von allen. Und sogar einen Pokal konnten Lucia und Gizem bereits für Hoe__Mies einsacken.

Partys ohne albernes Rumgemänner sind nicht nur für die Frauen* cool

Im Oktober gewannen sie mit ihrer “Revolution No 5”-Bühne den Red Bull Culture Clash gegen weitaus etabliertere, erfolgreichere und prominentere Teams wie Die Achse, Jugglerz und die Betty Ford Boys.

Während die anderen mit Acts wie Haftbefehl, Miami Yacine, Nimo und vielen weiteren aufwarteten, gewannen Hoe__Mies mit einem Team mehrheitlich bestehend aus Menschen aus dem LGBTQ-Bereich, People of Color und Black People. Dass dies sie zum eindeutigen Underdog auf einer deutschen HipHop-Party erklärte, dürfte klar sein.

Hoe__Mies schafften es, auf einem durchweg heterosexuell, männlich geprägten Event eines problematischen Konzerns einen queerfeministischen Showdown zu veranstalten. “Letzten Endes war es eine politische Performance”, resümiert Gizem. Gesprochen wurde dennoch nur über eins: die Schlägerei zwischen den Jugglerz und den Betty Ford Boys.

“Der Skandal steht natürlich immer im Vordergrund”, das versteht Lucia, auch wenn sie und Gizem mehr öffentliche Anerkennung für ihren Sieg geschätzt hätten. “Aber zwei männliche Crews, die sich anfangen zu boxen – da haben sich die meisten eh an den Kopf gefasst.”

Stichwort toxische Maskulinität: Es sind übrigens nicht nur Frauen, die Hoe__Mies’ Partys dafür schätzen, von stereotypem Rumgemänner verschont zu bleiben. “Wir kriegen auch voll viele Propz von Männern. Ja, auch von hetero Männern”, erzählt Gizem, als ich sie frage, wie es denn mit den “Das ist Diskriminierung gegen Männer!1!!”-Rufen aussieht, die meistens nicht fern sind, wenn Frauen ihren Platz einfordern. “Die mögen den Vibe auf unseren Parties genauso.”

Das könnten auch andere in der Branche für sich nutzen: “Ich dachte mir beispielsweise nach dem splash! mal wieder: Seid doch mal schlauer, und ladet euch selbst weibliche Acts ein!”, meint Gizem. “Dann habt ihr auch ein größeres Publikum, das durchaus kaufkräftig ist und sich wohl fühlt.”

Das ist vielleicht die wichtigste Lektion, die die Industrie, aber auch jeder sonst von Lucia, Gizem und ihrem ganzen Team lernen kann: Frauen einzubeziehen, ihnen den Platz zu geben, den sie verdient haben, Respekt zu geben und Realness zu fördern, ist nicht nur moralisch cool, sondern lohnt sich auch. Auch 2018 gilt im HipHop also noch: Each one teach one.

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