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Hooligan-Burnout

Toni hat sich in den 80ern als Hooligan durch die Welt und die Fußballligen geprügelt. Wir haben uns mit ihm über seinen damaligen Lebensinhalt unterhalten.

Als Toni das Münchner Café betritt, in dem wir uns verabredet haben, muss ich an den Wikipedia-Eintrag denken, den ich kurz davor gelesen habe: „Hooligans treten häufig in größeren Gruppen auf und zeigen eine hohe Gewaltbereitschaft, was allerdings nicht auf das alltägliche Leben eines Hooligans zutreffen muss, da es recht unterschiedliche Charaktere unter den Hooligans gibt.“
Toni Meyer, der weder Toni noch Meyer heißt, entspricht mit seinen schmalen Schultern und der unauffälligen Erscheinung einerseits der Definition und andererseits eben gar nicht dem, was man als von Mainstream-Medien geprägter Mensch bei seinem Hintergrund erwarten würde: Als aktiver Hooligan gehörte seit Mitte der 80er die Auseinandersetzung mit den ebenfalls gewaltbereiten Fans anderer Vereine nicht nur zur Wochenendbeschäftigung, sondern zum absoluten Lebensinhalt. Nach seinem Ausstieg Ende der 90er hat er sich aus der Szene zurückgezogen und seine Erlebnisse unter seinem Pseudonym im Buch „Münchner Bande“ verarbeitet, das auf knapp 400 Seiten einige Reibereien seiner Laufbahn aufreiht. Klar, dass Toni nicht erkannt werden möchte. Trotzdem wollte er für uns einige Frage zu seiner Vergangenheit beantworten. VICE: Wie wird man denn nun eigentlich Hooligan?
Toni: Es gibt in dem Sinne keinen Einstieg bei der Sache. Das ist eher ein schleichender Prozess. Als kleiner Junge gehst du eben als Fan ins Stadion. Zuerst gehst du mit dem Vater, dann darfst du bald auch alleine gehen. Und dann fängt man als Frischling in der Münchner Südkurve ganz unten an, man kommt nicht gleich zu den Bad Boys oben auf der Tribüne. Man beginnt auswärts zu fahren. Das war die große Faszination: Das Wegkommen von daheim, den ganzen Regeln, Schule, Lehre und so weiter. So lernt man natürlich die Leute kennen, Leute die länger dabei sind und einen Namen haben. Verschiedene Gruppen waren auch gefürchtet und das hat mich scheinbar auch angezogen. Das war ein Prozess von zwei bis drei Jahren. Und dann kommen automatisch Situationen, in denen du dich für einen Weg entscheidest. Wir wurden damals auf einem Auswärtsspiel in Köln ziemlich verdroschen und ein Freund von mir hat sich dann entschlossen, überhaupt nicht mehr zum Fußball zu gehen. Ich hatte zwar auch Schiss aber ich wollte von da an auch austeilen.

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Wusstest du da: Jetzt bin ich ein Hooligan?
Anfang der 80er kam ja erst die große Hooliganwelle aus England nach Deutschland geschwappt, bis dahin wussten wir ja nicht mal, was ein Hooligan eigentlich ist. Dann kamen bald Berichte in Zeitungen und Fernsehen und so wurde das Mitte der 80er auf deutsche Art nachgeahmt. Man merkte bald, dass Jungs aus allen möglichen Ecken der Stadt immer bei den Spielen waren, alle hatten einen ähnlichen Style, weg von der Fan-Kutte, hin zu Bomberjacke und Turnschuh. Und so hat man sich so langsam gefunden. Mitte der 80er stand fest: Wir müssen uns organisieren, wenn wir was reißen wollen in der Liga.

Ihr habt euch dann um euer Vereinsheim organisiert.
Ja, aber am Anfang fand noch vieles am Marienplatz statt. Da hatten sich damals ganz verschiedene Subkulturen versammelt. Das war schon schräg. Da standen in der einen Ecke Skins, Punks, Teds und auch die Sprayer. Und wir waren eben die Hools. Später ging es dann eben in Richtung Clubheim und dann in Schwabing weiter. Im Grunde also immer so bisschen auf der Straße eben, klassisch. [lacht]
Also im Grunde war das anfangs einfach ein Ausbrechen aus der Gesellschaft.

Klar, das alles war ein Ausbruch aus dem bürgerlichen Vorstadtleben. Wir haben das Abenteuer eben im Fußball gesucht. Ich bin immer noch Fan und liebe das Spiel aber lange Zeit hat für mich der Hooliganismus eine größere Rolle gespielt. Wurde das für deine Eltern dann nicht auch immer offensichtlicher, was du am Wochenende so getrieben hast?
Sicher, man kommt ja dann auch immer wieder mit Blessuren nach Hause. Oder in der Presse steht was. Die waren natürlich nicht begeistert, wenn man dann auch mit Verletzungen wie Brüchen nach Hause kommt.

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Man liest ja viel von einem gewissen Ehrenkodex unter den Hools.
Ja, den gibt es. Regenschirme waren trotzdem eine Zeit lang ein Spleen in den frühen 80ern. Du fährst auswärts und jeder hat nen Regenschirm dabei bei 30 Grad. Dann hat man bald gemerkt, dass das ein prima Schlagwerkzeug ist. Tränengas und Leuchtspurmunition war dann auch normal, jeder hatte so einen Leuchtstift um den Hals. Über die Jahre hat sich das geändert, als die Leute immer selbstbewusster wurden und dann auch ein gewisser Fairplaygedanke aufkam. Es ist nicht heldenhaft mit Waffen zu kämpfen und Helden wollten wir ja sein in unserer Welt. Man muss sich das vorstellen wie einen Boxer, der immer wieder mit den selben Leuten in den Ring steigt. In jeder Stadt gab es ja ein paar Gruppen und du hast immer mit den selben Leuten geboxt. Irgendwann sagt man: Die kenn ich ja und irgendwie find ich die ja ganz cool, weil die Mut haben sich hinzustellen. Deswegen stand dann fest, dass nur noch Faust auf Faust ging. Dann gab es natürlich Gruppen, die waren fairer, und andere, die weniger fair waren. Aber das wusste man. Gleichzeitig wurde man unauffälliger, oder?
Man ging dann weg von Bomberjacke und Schal zur Chevignonjacke. Weg von Adidas Allround und Blackstar, hin zu Turnschuhen von Nike und Reebok. Mitte der 80er waren wir dann auch in England und haben uns dort natürlich auch was abgeschaut. Die Engländer waren da natürlich immer einen Schritt voraus. Na ja, aber wir haben das eben auf deutsche Art nachgeahmt, die ganze Vokuhila-Geschichte und so. Die Hamburger waren lange Zeit modetechnisch sehr hinterher und liefen noch ewig mit der Bomberjacke rum. Düsseldorf und Köln waren in den 80ern ganz vorne mit dabei, da hat man sich was abgeschaut. Polo Sport wurde auch cool, die Jeans bisschen weiter und nicht so knalleng. Aber wenn man auswärts gefahren ist hat man sofort am Aussehen und am Blick erkannt, ob jemand Stress will oder nicht. Da hatten das noch nicht mal die Bullen auf dem Schirm.

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Beschreib mal das Gefühl, das du hattest, wenn es wieder auf Fahrt ging und man schon mit Zoff rechnen konnte.
Das war ein Gefühl, das sich langsam aufbaut. Das geht ein paar Tage vorher los und steigert sich, wenn man mit seinen Jungs unterwegs ist. Das ist dann quasi wie das Vorspiel beim Sex. Und dann tastet man sich langsam an den Höhepunkt ran. Natürlich sind die Jüngeren ein bisschen aufgeregter, die Erfahreneren nehmen das gelassener, aber die Spannung spürt jeder. Das ist klar ein Angstgefühl und das möchte man überwinden. Man beweist sich und steht seinen Mann. Wenn man dann mit seiner Gruppe auf die andere Gruppe zugeht, explodiert dieses Gefühl. Manchmal ist es aber auch spontaner, da sitzt man in der Kneipe und auf einmal schreit einer von draußen: „Jetzt kommen sie!“ Dann explodiert das Gefühl natürlich schlagartig. Da geht dir die Pumpe, du bekommst gar nicht mehr richtig mit, was passiert. Du versuchst einfach nen festen Tritt zu haben, damit du nicht gleich umfällst, wenn du was einstecken musst. Wenn die Aktion dann läuft, ist das ein befreiendes Gefühl. Du denkst nicht mehr nach. Vielleicht höchstens dass man möglichst viel austeilen muss, dass man den Gegner am besten zu Boden oder zum Laufen bringt. Wenn du das dann geschafft hast, bist du erst nur ein bisschen erleichtert. Dann dauert das ein bisschen und du bist vollgepumpt mit Adrenalin. Ich hab jeden Millimeter meines Körpers gespürt und dachte immer wieder: Wow, genau das suche ich. Ich merke, dass ich wirklich am Leben bin. Auch wenn man dann unterlegen war, man hat sich seiner Angst gestellt und es war dennoch ein befreiendes Gefühl. Tief deprimiert war man nicht. Wenn man dann aber mitbekommt, dass Leute zu Tode kommen. Geht das einem nicht durch den Kopf?
Da muss man ein bisschen differenzieren. Die meisten Sachen, die wir auf deutscher Ebene gemacht haben, waren eigentlich so, dass man es nicht soweit kommen lässt. Man benutzte keine Waffen mehr, man schlägt nicht auf Leute, die am Boden liegen ein und man greift keine Unbeteiligten an. Klar sind schlimme Dinge passiert, aber zum Glück habe ich selbst so etwas nie miterlebt. Schwere Verletzungen gab es schon und das gab einem zu denken. Aber erst wenn du älter wirst, überlegst du mehr, wenn du jung bist, denkst du keinen Meter weit. Im Grunde geht man einfach ein Risiko ein, das nicht kalkulierbar ist. Aber das ist eben eine gewisse Zeit in deinem Leben einfach der Lebensinhalt.

Und welche Leute fanden sich so unter den Hools?
Gesellschaftlich ging das Querbeet. Klar waren das nicht alles Akademiker, aber es ging vom gutbürgerlichen Arbeitermilieu bis hin zu Bessergestellten. In den 80ern war Fußball aber doch noch mehr das Spiel des Proletariats. Heute ist das ja ein Unterschied wie Tag und Nacht. Damals waren da keine Kinder, kaum Frauen und eben eher „robustes“ Publikum. Gab es da so Meilenstein, dass sich bei der Aufmerksamkeit der Polizei etwas geändert hat?
1985 gab es die große Katastrophe im Brüsseler Heysel-Stadion, da sind fast 40 Menschen gestorben. Da ging zwar ein Aufschrei durch Europa, à la: „Kann das bei uns auch passieren?“ Nach dem Unglück hatte ich auch das Gefühl, dass sich sicherheitstechnisch wohl nun etwas ändern würde aber es ist erst mal gar nichts passiert. Was sich geändert hat, war der Zulauf in die Szene. Für uns gings 1985 erst richtig los, das war unsere Hochzeit, bis hin in die Mitte der 90er. Dass dann Datenbanken aufgebaut wurden, kam ja erst später.
Anfang der 90er wurde ja die Zentralinformationsstelle Sporteinsätze in Düsseldorf gegründet. Da wurde angefangen, Informationen zu sammeln, aber das hat dann auch noch eine Weile gedauert bis das gegriffen hat. Welche Länder waren denn besonders berüchtigt für ihren Hooliganismus?
Klar, England war immer weit vorne. Das ist ja das Mutterland des Fußballs und des Hooliganismus. Wir haben schon versucht denen zuzusetzen. Holland war auch vorne, der Balkan und später der Ostblock waren auch heftig. Bei Länderspielen hat man ja dann Seite an Seite mit denen gekämpft, mit denen man sich zuvor aufs Maul gehauen hat.
Das gibt’s ja heute auch nicht mehr. Bei Länderspielen kreuzen eigentlich fast nur noch normale Fans auf. Das bekannteste Spiel war 1989 in Rotterdam, Holland – Deutschland und das war dann auch das Heftigste, was ich länderspieltechnisch so miterlebt habe. Aber das muss man schon sagen: Die Länderspiele haben stark zum Fairplaygedanken beigetragen, weil man da dann Seite an Seite gegen andere Gegner stand. So hat man nochmal eine andere Verbindung zu den Leuten.

Und wie war das Verhältnis zur Polizei?
Am Anfang hatten die uns ja noch gar nicht so auf dem Zettel. Aber je mehr du auffällst, desto dicker wird die Kartei. Dementsprechend gibt’s dann Stadionverbot, Geldstrafen, anfangs noch Arbeitsstunden. Damals wurden ja Gewaltdelikte auch noch nicht so hart bestraft wie jetzt. Das wurde noch mit Ladendiebstahl auf eine Stufe zu setzen. Wir haben das ja auch als sportlichen Wettkampf gesehen. Eben gegen Leute, die das auch so wollten. Aber es kam auch gelegentlich vor, dass Unbeteiligte hineingezogen wurden. Das kann man nicht schönreden. Wie sieht denn die Hooliganszene heute aus?
Das ist eine völlig andere Geschichte. Unsere Glanzzeiten gingen Mitte der 90er zu Ende. Der Osten ging auf und den hatten wir ja erst mal gar nicht auf dem Zettel. Das war dann natürlich Wildwest und da gab es krasse Geschichten. Da entstanden dann auch rechte, politische Gruppen mit ihrem Nazigehabe. Gerade im Osten hat man dann gemerkt, dass nach den harten Anfangszeiten die Aufmerksamkeit der Polizei immer größer wurde. So wurde das Ganze dann verlagert. Man hat dann von Terminen gesprochen. Man hat Kontakt zu anderen Gruppen, man trifft sich in Waldstücken und Gewerbegebieten und geht aufeinander los wie römische Kohorten auf die Germanen. So zwanzig gegen zwanzig. Da war ich dann schon rausgewachsen. Irgendwann wurden diese Termine dann auch spielunabhängig. Heute kriegt so was kein Mensch mehr mit. Die Jungs, die da jetzt antreten, sind auch alle durchtrainiert, die gehen ins Studio oder zum Kickboxen und sind fit wie n Turnschuh. Da geht’s nicht mehr um dieses Auswärtsfahren, sondern rein ums Prügeln. Da fährst du in ein Waldstück mit Zahnschutz, Bandagen und Vaseline und boxt dich da. Läuft zwar auch weitestgehend fair ab, aber auch heftig. Was war für dich der Auslöser auszusteigen?
Viele Dinge. Familie, Kind und Beruf. Einige der Jungs sind durch dieses exzessive Leben leider gestorben. Nicht durch Ausschreitungen aber durch das, was dieses Leben noch mit sich bringt.
Irgendwann merkt man auch einfach, dass man es körperlich nicht mehr schafft. Auch wenn man natürlich viel Erfahrung hat. Lange Zeit ist es einfach dein normales Leben und irgendwann kam der Zeitpunkt, da war es dann Stress. Ich hab gemerkt: Das stresst mich irgendwo hinzufahren, zu organisieren und so. Heut sagt man: Burnout. Auch wenn das ein wenig skurril klingt. Und dann konzentriert man sich eben auf andere Dinge. Aber das ist wie ne Droge. Du bist im Grunde ein Junkie, jemand, der diesen Kick sucht. Das ist ein Adrenalinkick, ein Endorphinaustoß. Aber irgendwann schlägt das eben um und strengt an. Man muss es einfach kompensieren, ich mach das mit Sport. Früher hab ich ein bisschen geboxt, jetzt geh ich Snowboarden, Kajakfahren und so. Aber den Kick kriegst du nur auf der Straße. Damals war das für uns besser als Sex.
Alles in allem lebe ich nun ein entspanntes Leben und arbeite jetzt in einem sozialen Beruf. Ich bin aufgeräumt und halte mich von Ärger fern. Mehr über Toni Meyers Buch "Münchner Band" findet ihr hier: http://empaverlag.wordpress.com/