Ich war bei einer Fetisch-Party auf einem Boot

Die Italienerin mit dem Pixie-Schnitt starrt mich mit großen, ernsten Augen an. „Ich mag das Übliche—Latex, Auspeitschen. Aber weißt du, was mich wirklich antörnt?”

„Was?”, frage ich.

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Nazi-Uniformen.”

„Echt jetzt?”

„Oh ja. Ich habe eine Sammlung.”

„Historisch akkurat?”

Sie sieht mich mitleidig an.

„Sie müssen nicht perfekt sein. Solange ein Hakenkreuz drauf ist, werde ich ganz geil. Ich bin kein Freak oder so, weißt du.”

Wir stehen auf dem Oberdeck eines Flusskreuzers auf der Themse. Momentan steuert es mit einer ordentlichen Geschwindigkeit auf den Business-Komplex Canary Wharf im Herzen Londons zu. Um uns sind Männer und Frauen, viele von ihnen mittleren Alters, von denen so einige schon teils entkleidet sind. Da es sich hier um die führende jährliche Londoner Fetisch-Party auf dem Wasser handelt, haben sich die meisten in Latex, Gummi oder PVC gequetscht.

Trotz des Nazi-Fetischs der italienischen Teilnehmerin weist die Party ein ermutigendes Maß an Aufgeschlossenheit und Vielfalt auf. Von meiner Position aus sehe ich einen durchtrainierten schwarzen Typen in einem weißen Lederrock, einen alten weißen Kerl in Schuluniform—graue Shorts, Krawatte und ein Vertrauensschüler-Anstecker—und einen Typen nahöstlicher Abstammung in einem grünen Gummikorsett, der die (womöglich gefälschten) Louboutins seiner kichernden Gespielin leckt. Hin und wieder, wenn ein anderes Boot vorbeikommt, klatschen und winken und jubeln die Fetisch-Freunde den verwirrten Touristen zu, die aufstehen und zurückstarren.

The Boat, wie sich das Event nennt, findet jedes Jahr im Juni statt, und zwar schon seit 22 Jahren—länger als irgendeine andere Kink-Party in der britischen Hauptstadt. Vom London Bridge Pier aus reist dieses Boot voller Peitschen-Fans bis 2 Uhr nachts den Fluss auf und ab, wobei es bis nach Greenwich im Osten und bis nach Putney im Westen kommt. Laut der Website wird diese Party von The Firm veranstaltet, einer „geheimnisvollen politisch-kriminellen Organisation”.

Das mag einschüchternd klingen, doch als ich an Bord gehe, begrüßen mich Noah, ein grinsender Typ im Lederoutfit, und Jacko, ein weiterer Organisator, der einen viktorianischen Gehrock trägt und mehr wie ein Stadtausrufer mit einer Vorliebe für starkes Ale aussieht als ein urbaner Gesetzloser.

An Bord bietet mir ein Typ namens Phil mit grauem Flaumhaar und einem Zimmermädchen-Outfit ein Tablett mit kalten Fleischbällchen in Tomatensoße an.

„Ich bin ein Service-Sub”, erklärt er, als ich ihn nach seinem Outfit frage.

„Dich macht es scharf, Leuten lauwarmes Essen zu servieren?”, frage ich.

„Ich mache gerne Leute glücklich”, sagt er. „Wenn sie sich gut fühlen, dann fühle ich mich auch gut.”

„Ist das was Sexuelles?”

„Na und ob”, antwortet er enthusiastisch.

Die Website von The Firm preist die Vorzüge eines Spankings unter den Fußgängerbrücken der Tower Bridge, und viele ergreifen die Gelegenheit entzückt beim Schopf. Ein Typ im Zylinder hat eine dünne ältere Frau über seinen Schoß gelegt. Er verpasst ihr eine ordentliche Tracht, die Hände in fingerlosen Nietenhandschuhen.

„Du sagst mir nicht die Wahrheit”, sagt er, während seine Hand auf ihrem zitternden Hintern niedergeht.

„Doch, das tue ich, Meister!”, quietscht sie.

Die Teilnehmer sind ausnahmslos freundlich, und auch für Leute, die alleine erschienen, sind, so wie ich, ist die Gelegenheit für ein wenig nautisches Gespanke nie fern.

„Du kannst mir den Hintern versohlen, wenn du willst”, schlägt die Italienerin vor. Ich lehne höflich ab und folge ihr stattdessen zum Unterdeck, um den Rest der Party auszuchecken. Hier werde ich von Derek, einem Schiedsmann aus Catford im Südosten von London, offensiv in ein Gespräch verwickelt. Er trägt ein Gummikorsett und eine Latex-Maske, die seinen Kopf aussehen lässt wie eine Lakritzkugel.

Das Essen war köstlich

Es stellt sich heraus, dass Derek gerne über seine Leidenschaft für Atemkontrolle sprechen will, während wir die Pastetchen essen, die Phil, der Service-Sub, nun verteilt. „Es schränkt deine Atmung ein”, sagt er über seinen glänzenden Aufzug. „Dann macht’s extra viel Spaß, wenn meine Frau mir den Sack langzieht, das kann ich dir sagen.”

Zweifellos. Wie ist er in die Szene geraten? „Ich habe die Fetisch-Zeitschriften der 60er geliebt”, sagt er. „John Sutcliffes AtomAge-Magazin. Als ich zum ersten Mal eine Schnecke von Kopf bis Fuß in Gummi gekleidet gesehen habe, hab ich fast augenblicklich abgespritzt.”

Wenn man sich das Alter vieler der Teilnehmer ansieht, dann ist es wenig überraschend, dass es eine gewisse Nostalgie für die guten alten Kink-Partys von früher gibt. Brenda, ein transvestitischer Schweißer aus Stevenage in der Grafschaft Hertfordshire, der ein Pint echtes englisches Ale in seiner riesigen Faust hält, erinnert sich an die Villa-Sexpartys des berühmten Londoner DJs Rubber Ron.

„Überall haben Leute gerammelt”, sagt er atemlos. „Nach einer guten Session mussten sie alle Vorhänge in die Reinigung bringen, haben sich ja alle daran abgewischt.”

Unten ist die Party richtig im Gange, die glücklichen Geißler gehen in die Vollen. Der DJ droppt „French Kiss” von Lil Louis. „Jetzt aber ordentlich spanken”, bellt er ins Mikro.

Dem kommen die Gäste gerne nach. Eine hübsche Frau in einem Kilt verdrischt ihren Freund, der an ein Gestell gebunden ist. Eine Frau bearbeitet geschickt die Nippel einer anderen Frau mit einem altbackenen blonden Kurzhaarschnitt. Eine weitere Frau wurde von ihrem Freund von einem Balken gehängt, und er ist mit einem komplexen System aus Flaschenzügen bewaffnet.

In der Zwischenzeit tanzen andere einfach. Eine Frau in einem schwarzen Kaftan tanzt zu Madonnas „Justify My Love”, während sich ein magerer Marilyn-Manson-Doppelgänger in einem Mini-String arhythmisch schüttelt. Es ist kein tatsächlicher Sex im Gange, auch wenn ich später die Italienerin sehe, wie sie einem bekifft wirkenden Typen einen lethargischen Handjob gibt.

Es ist jetzt fast 2 Uhr morgens, das Boot wird bald wieder anlegen und die Odyssee der wunden Ärsche damit zu Ende gehen—bis zum nächsten Jahr. Aber als ich auf dem Oberdeck stehe und die berühmte Londoner Skyline an mir vorbeizieht, weiß ich immer noch nicht genau, warum es jetzt besser sein soll, jemandem nicht zu Hause oder in einem Club, sondern auf einem Boot fünf Stunden lang den Arsch zu versohlen. Doch dann unterhalte ich mich mit dem Transvestiten und Boat-Veteranen Doris, einem Mann in seinen Fünfzigern, der schicke neon-orangefarbene Hotpants und bunte Zöpfe im Haar trägt. Während unseres Gesprächs sehen wir zu, wie ein Mann romantisch die nackten Brüste seiner Freundin mit etwas schlägt, das aussieht wie ein Baseballschläger aus Gummi.

„Es ist so”, überlegt er. „Das Leben ist für viele Leute schwierig. Wenn sie den Frust loswerden wollen, indem sie einander zu House-Musik prügeln, während sie auf einem Schiff den Fluss auf und ab fahren—warum zur Hölle nicht?”

Das leuchtet schon ein.

„Außerdem”, fährt Doris fort, „machen die Bewegungen des Wassers komische Sachen mit meinem Schniedel.”

OK.

„Und außerdem, wenn du erst mal auf The Boat bist, dann kommst du nicht mehr runter. Fünf Stunden lang nicht.” Er fixiert mich mit einem stählernen Blick. „Du kannst dich nirgends verstecken.”

Zum Glück legen wir in dem Moment an. Ich verabschiede mich von Doris und suche trockenes Land. Ein lauthals lachender Noah schüttelt mir herzlich die Hand und dankt mir für meine Teilnahme. Trotz ihrer Vorliebe dafür, einander mit Paddeln und Peitschen zu bearbeiten, sind die Boater eine freundliche Crew. Reitgerten-Aktionen unter freiem Himmel und auf dem Wasser mögen nicht jedem gefallen, doch wenn man sich die zunehmende Homogenisierung des Londoner Nachtlebens ansieht, dann ist es ermutigend, dass diese Leute noch einen Platz zum Feiern haben.