Menschen

Mein Hund war mir nie so wichtig wie jetzt

Ein Selfie von der englischen Bulldogge Tito und Alexandra Stanic

Lieber Tito,

just in diesem Moment legst du deinen faltigen Kopf auf meine Schulter. So als wüsstest du, was ich gerade tippe. Du atmest mir gegen’s Schlüsselbein und obwohl ich so nur bedingt weiterschreiben kann, bewege ich mich nicht. Du riechst nach Kokosöl, dein Fell ist weich und so flauschig, wie ich mir eine Bettdecke wünsche.

Videos by VICE

Du bist gerade im Sitzen eingeschlafen; deinen Kopf auf mir abgelegt, die Hinterbeine ausgestreckt. Wie ein betrunkener Teenager, der es nicht mehr bis zum Bett geschafft hat. Das bringt mich zum Lachen. Zurzeit gibt es ja nicht so viel zu lachen.


Auch auf VICE: Der Wu-Tang Clan über das Leben, Schampus und Game of Thrones


Die Isolation trifft mich härter als dich. Ich fühle mich alleine und ich fühle mich einsam. Ich arbeite von zu Hause, die Arbeit lenkt ab. Schreiben hilft, aber schreiben hilft nicht immer – du schon.

Mit dir ist alles leichter, Tito. Wenn mich die Traurigkeit überkommt, reicht ein Blick auf die Couch. Da liegst du meistens zusammengerollt wie eine Zimtschnecke in der linken Ecke – deiner Ecke – und sonnst dich. Welches Coronavirus? Welcher Weltschmerz? Für dich gibt es jetzt gerade nur die Sonne.

Wenn ich mich zu dir lege, sind die schlechten Nachrichten für einen Augenblick vergessen, die Einschränkungen weniger schlimm. Die Wohnung fühlt sich nicht mehr zu klein an, die Probleme nicht mehr zu groß. Meine eigenen vier Wände bleiben ein sicherer Rückzugsort, weil du mir das Gefühl gibst, zu Hause zu sein.

Vorgestern, als ich zurück vom Supermarkt kam, hast du dich so gefreut, dass du über meine Schuhe gestolpert bist. Du hast dich am Wohnzimmertisch gestoßen, weil du vor lauter Glück so viel mit dem Po gewackelt hast. Deine Begrüßung ist jedes Mal eine Showeinlage.

Selbstisolation Tag zehn, elf, zwölf … ich habe aufgehört zu zählen. Du hilfst mir, meine Routine beizubehalten. Als ich keine Struktur hatte, hast du mir Struktur gegeben. Du liegst auf der Bettkante, deine großen, braunen Knopfaugen starren mich an. OK, dann stehe ich eben auf. Warum begleitest du mich eigentlich immer vom Bett ins Badezimmer? Willst du sicherstellen, dass ich meine Zähne richtig putze? Oder willst du mich nur daran erinnern, dass ich dich füttern soll?

Es gibt Tage, an denen ich vergesse zu essen. Aber auf dein Futter vergesse ich nie.

Vitamin T an der Leine, Vitamin D im Gesicht. Die frische Luft tut gut. Du bist wieder mürrisch, du willst lieber in die Wohnung. Das macht den Spaziergang mitunter anstrengend. Ich ziehe, flehe, diskutiere. Du aber wirst zur Statue, dein ganzer Körper sagt: Ich will jetzt wieder schlafen. Ich muss lachen, denn kein Hund kann so mürrisch gucken wie du. Du hast auch schon als Baby ausgesehen wie ein alter Mann, du warst ein Benjamin-Buttons-Welpe.

Tito beim Spaziergang, Foto: Alexandra Stanic

Passanten gucken mich komisch an, wenn ich mich beim Spaziergang mit dir unterhalte. Ist mir egal. Ich rede in meinen eigenen vier Wänden doch auch mit dir, warum nicht auch vor der Tür? Und ja, steck deine Schnauze doch in den halben Döner – ich nehm’s dir nicht übel. Ich putz dich dann später.

Nur als du den Ständer mit den Boulevardzeitungen angepinkelt hast, da war mir das vor diesem Mann mit dem Hut und dem Trenchcoat, der gerade an uns vorbeispaziert ist, furchtbar peinlich. Aber jetzt interpretiere ich das als einen politischen Akt: Du hast das Schundblatt in einer Selbstverständlichkeit als dein Revier markiert. Grantiger Wiener als Zeuge der Tat hin oder her.

Zu Hause bewegst du dich nur mit der Sonne. Wie auf Kommando legst du dich ein paar Zentimeter um, du folgst dem Sonnenschein, wie du mir nie folgen wirst. Sollst du auch nicht; du bist kein Haustier, du bist Familie. Du entschleunigst meinen Alltag nicht nur mit deiner trägen Art zu gehen. Wenn ich dich bürste, bürste ich dich. Wenn ich mit dir Ball spiele, spiele ich Ball mit dir. Wenn ich deine Pfoten putze, putze ich deine Pfoten. Dazwischen ist kein Platz für andere Gedanken. Da sind nur du und ich.

Die schlaflosen Nächte sind weniger schlimm, wenn du neben mir schläfst. Dann höre ich dir eben beim Schnarchen zu – oder du mir beim Weinen. Wie oft habe ich dir in deine Nackenfalte geschluchzt? Und wie oft davon hast du deinen schweren Kopf auf meinen Bauch gelegt, so als wolltest du sagen: Ich bin ja da. Weißt du, welchen Halt du mir gibst? Ich glaube nicht, woher denn auch? Wenn das Gedankenkarussell zu schnell wird, dann konzentriere ich mich auf dich. Mein Mantra bist du: Alles ist gut, solange Tito da ist.

Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat und Alexandra auf Twitter und Instagram.