Beim ersten Mal lande ich auf einer Lichtung. Du … Was? Mit einer Spitzhacke haust du …? Moment. Ich hätte definitiv auf dem Dach dieses Gebäudes landen sollen. Dann hätte ich mich nach unten durcharbeiten und Ressourcen sammeln können, während ich … ah, ne. Jetzt hat mir jemand mit einer Schrotflinte den Kopf weggeschossen.
OK, von vorne. Dieses Mal sollte ich es schaffen, auf dem Dach des Gebäu … nein, da ist schon jemand. Und er hat meine … Ey, das ist mein Sturmgewehr! Er wirbelt in geschmeidigen Bewegungen um mich herum, durchsiebt mich mit Kugeln, während ich mit meiner Spitzhacke in der Luft rumfuchtle, bis ich ausgeblutet kollabiere und sterbe.
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In den Runden drei bis fünf klamüsere ich die Steuerung aus. Also in den rund 50 Sekunden, die mir zwischen Landen und Sterben bleiben. Ich fälle einen Baum. Solche Sachen.
In Runde zehn schaffe ich es, jemanden unglamourös mit der Pistole zu töten.
Spiel 20 beende ich in der Top Ten. Ich krieche einen gut bewachten Hügel hoch, während der Sturm immer näher kommt. Niemand ist hinter mir, niemand ist über mir und dann: pop, pop, pow. Kopfschuss. Ich breche zusammen, meine Beute sprudelt aus mir heraus und ich darf zusehen, wie die gegnerische Figur durch die Luft hopst, wo gerade noch meine Leiche gelegen hat. Ich habe mich noch nie lebendiger gefühlt. Mein Herz schlägt so fest, dass ich es spüren kann. Noch nie in meinem Leben hat mir ein Spiel so viel Spaß gemacht. Nie. Noch nie in meinem Leben hat mir … irgendetwas so viel Spaß gemacht. Noch nie?
Fortnite: Battle Royale ist dieses kostenlose Spiel, von dem dein Freund, deine Schwester und Drake so besessen sind – jetzt auch ich. Die Grundstruktur ist simpel und ziemlich offensichtlich von dem weitaus grimmiger dreinschauenden Xbox-und-PC-und-Smartphone-Erfolg PlayerUnknown’s Battlegrounds gemopst: 100 Spieler landen mit einem Fallschirm auf einer weitläufigen Insel, die sie nach Waffen, Medikits und Munition abgrasen, bevor sie anfangen, jeden anderen Spieler auf der Karte zu töten. Du hast genau ein Leben. Wenn du tot bist, bist du tot. Der letzte Überlebende erlangt den epischen Sieg. Das war’s.
Es ist absolut ungewinnbar und darin liegt auch sein Reiz. Ein herannahender elektrischer Sturm verkleinert das Spielfeld immer weiter, was bedeutet, dass jedes 20 bis 25 Minuten dauernde Gefecht an einem sonnigen Tag beginnt und in einem düsteren Blutgemetzel endet. Die drei oder vier übriggebliebenen Spieler hüpfen auf dem selben kleinen Kartenrest rum, allesamt paranoid und derangiert durch das konstante Rumgehuschel fremder Schritte. Ein paar Schüsse hier, ein paar Schüsse dort: tot. An manchen Abenden, wenn ich das Spiel zu kurz, bevor ich schlafen gehe, spiele, muss ich mir extralange die Zähne putzen, um runterzukommen.
Als 30-Jähriger bin ich auch viel zu langsam und ungeschickt, um überhaupt ein Spiel gewinnen zu können. Teenager, die schon in Windeln an iPads genuckelt haben, machen mich fertig und tanzen auf meiner Leiche. Es ist aussichtslos. Ich werde niemals nie gewinnen. Trotzdem versuche ich es immer wieder.
Fortnite wurde über die vergangenen sechs Monate zu einem gigantischen Erfolg. Im Grunde handelt es sich dabei um einen Triple-A-Titel für umsonst. Genau deswegen ist es auch so unfassbar beliebt bei weniger betuchten Teenies und Erwachsenen, die dann in großen Gruppen mit allen ihren Freunden Totmachen spielen. Fortnite ist durchzogen von Storysprengseln: Mit der gerade erschienen Season 4 ist ein seit Langem prophezeiter Komet auf der Insel eingeschlagen, was extrem aufregend für alle (mich) ist, die mit ansehen mussten, wie ihr Leben von beinahe-vorzeigbar und beinahe-cool in eine alles verschlingende Fortnite-Besessenheit abgerutscht ist.
Aber was macht das putzig aussehende Killerspiel so reizvoll? Alles? Nimm unsere aktuelle Lebensrealität: mittelprächtig. Sind zu viele Apps das Problem? Sind zu wenige Apps das Problem? Brauchen wir Vitamine oder ist es doch eher Achtsamkeit?
Sei gut zu dir, weil die Welt nicht gut sein will. Ja, sei gut und alles, aber hast du schon mal meine Meditationstechnik ausprobiert? Bist du jemals durch die blutleeren Gefilde von Fortnite gezogen und hast getötet, nichts als getötet, bis das Töten zu einem Mantra wurde? Gegen echte Gewalt hilft Cartoon-Gewalt. Es ist irgendwie tröstlich, einem YouTube-Streamer mit einem Snipergewehr (Stufe Episch) die Rübe wegzuschießen. Ich jedenfalls bin wie hypnotisiert.
Gestern Nacht hatte ich einen Traum: Ich bin auf diesem Holzhaus nicht weit von der Flush Factory gelandet, das du ein bisschen aufpimpen kannst. Ein andere Fortnite-Spieler war da allerdings auch gelandet und keiner von uns hatte eine Waffe. Also haben wir einfach unsere Spitzhacken geschwungen. Swisch, swisch, swisch, swisch. Keiner von uns landete einen Treffer. Immer sprangen und duckten wir uns zur Seite weg. Das ging so für Traum-Stunden, ja Traum-Wochen. Dann habe ich ihn zweimal erwischt und getötet. Das war’s. Das war der erste Traum seit 2016, an den ich mich erinnern konnte.
“Hey”, sagte ich eines Tages zu meinem Mitbewohner. “Ich folge jetzt einem Meme-Account bei Instagram. Einem Fortnite-Meme-Account. Das ist nicht gut, oder? Ne, das ist nicht gut.”
Er schaute mich an, als hätte ich gerade einen Hund überfahren: “Das ist gar nicht gut, Junge.”
Und dann schaute ich mir eine Sekunde die Fortnite-Memes an und er sagte –
“Zeig mir mal den Memes-Account.”
Ich sterbe weiter. Eine gute Runde war, als ich dachte, dass ich mich wirklich geschickt anstelle und dann – fupp – von einem Sniper in den Kopf getroffen. Sofort tot.
Ein anderes Mal hatte ich gerade ein blaues Maschinengewehr aus einer Kiste geholt und dann – rumsbums – haut mir ein Gegner mit der Shotgun die Lichter aus. Einfach so.
Es gibt da dieses Haus, auf dem ich gerne lande, hinter einem Hügel. Ich durchsuchte das Haus nach Munition, als ich ein Knarren hörte und dann das weiche Rascheln von Schritten. Ich, jetzt in höchster Alarmbereitschaft, schleiche mich auf Zehenspitzen rückwärts, gaaanz vorsichtig und leise unter die Trep … mein Fehler. Er hat mich gesehen. Ein Schuss. Kaputt.
Wenn du denkst, du wärst auf jede erdenkliche Art gestorben, erfindet Fortnite neue Todesarten für dich. Klonk: Eine Metallfalle mampft mich zu Tode, als ich einen unscheinbaren Schuppen durchsuche. Fjiiuuuu-peng: Die Holztreppe, die ich zu einem Berggipfel baue, wird mir unter dem Hintern weggeschossen, und ich flattere abwärts in den Tod. Fwob-fwob-wob-wob-wob: Ich bin aus dem Battle Bus direkt ins Meer gesprungen. Frag nicht warum. Ich fürchte den Tod nicht mehr, weil ich weiß, was Sterben bedeutet. Wieder und wieder und wieder.
Sieht man professionellen Twitch-Streamern zu, merkt man, dass es im Grunde zwei Arten gibt, Fortnite zu spielen: der locker-flockige Todeswalzer, bei dem man durch Gebäude und Wälder zieht und alles abballert, was einem vor die Nase kommt, die preisgegebenen Gegenstände einsammelt und sich an den Medikits seiner Feinde labt. Diese Spieler beenden ein Spiel oft mit sechs, sieben, acht Kills, maximalen Holzressourcen und einer speziellen Tanzanimation, für die sie extra Geld ausgegeben haben. Dann gibt es die Baumeister: Sobald sie irgendwo Action sehen, bauen sie eine Rampe drüber oder eine Festung dagegen oder – in dem Fall, dass am Ende zwei Baumeister übrigbleiben – ein komplexes Gebilde aus ineinander verwobenen Gebäudeteilen, in denen sich die Kontrahenten dann mit einer Shotgun verschanzen. Der Sturm rückt näher und die Baugeräusche werden lauter, einer drückt im richtigen Augenblick ab und: Sieg.
Ich hingegen habe eine weitere, eine dritte und durch und durch erfolglose Strategie entwickelt. Ich nenne sie “Feigling”. Als Erstes musst du so weit weg von der Battle-Bus-Route landen wie möglich. Das schaffst du am besten, indem du immer wieder den Schirm öffnest und schließt. Das ist zwar nicht unbedingt gut für deinen Controller, aber im Leben ist schließlich nichts umsonst. Dann begib dich sofort in die leise Kriechstellung und fang möglichst unauffällig an, Waffen und Munition einzusammeln. Arbeite dich über die am wenigsten genutzte Route in das Auge des Sturms. Wenn du in der Ferne einen Feind erblickst, dreh dich in die entgegengesetzte Richtung und renn weg. Wenn du in der Ferne das Pock-pock von Schüssen hörst, versuch dich in einem Busch zu verstecken. Wenn du auf ein Dorf stößt und jemand bereits sichtbar eine Rampe zu einem der Gebäude gebaut hat, um es auszuräumen, dann entfern dich von diesem Dorf, so schnell du kannst. Auf diese Weise schaffst du es in die ersten zehn oder sogar ersten sechs des Spiels, ohne jemals irgendjemanden gesehen zu haben. Im Grunde habe ich Fortnite so in einen spannungsgeladenen Walking Simulator verwandelt, bei dem mich am Ende immer jemand erschießt.
Auf der Fortnite-Map gibt es auch eine überwachsenes Gefängnis und eine Reihe umgekippter Polizeiautos. Diese Artefakte suggerieren, dass das hier einst ein Land war, in dem Verbrechen und Bestrafung existierten. Und trotzdem stürzen wir uns zu 100 in Masken und Verkleidungen mit Fallschirmen auf diese Insel, um uns gegenseitig zu ermorden. Wenn Mord hier nicht illegal ist – wenn Mord hier ein Spiel ist –, was für Verbrechen hatten dann die Gefangenen begangen, die hier einst eingesperrt waren?
Ich bin Top #10 und fühle mich elektrisiert. Ich lebe. Der Sturm kommt näher. Locationmäßig habe ich es super getroffen: Auf einem zentralen Gebäude habe ich eine perfekte Holzfestung aus Rampen, Böden und Wänden gebaut. Nur ab und zu stecke ich meinen Kopf oben raus, um mit meinem Sniper-Gewehr die Umgebung zu scannen. Ich weiß genau, wo meine übriggebliebenen Mitspieler sind. Und dann: klonk, klonk, klonk-klonk-klonk – eine Granate tänzelt fröhlich zu meinen Füßen. Kawumm. Meine gesammelten Schätze purzeln aus meinem Körper und 20 Minuten Zeit, die ich mit Holzsammeln verbracht habe, brechen buchstäblich in sich zusammen.
Die Statistikseite auf meinem Profil sagt: 300+ Runden Fortnite gespielt, null gewonnen. Mit mangelnder Hingabe hat das hier also nichts zu tun. Meine Hasenfuß-Taktik mutiert: Ich beginne immer öfter, mich aus der Deckung hervorzuwagen, renne auch mal mit erhobenem Kopf und gebe zwischendurch ein paar Wut-Schüsse ab. In einem von besonders wilder Raserei geprägten Spiel schaffe ich vier Kills. Ich bin mittlerweile so oft gestorben, dass ich immun gegen den Tod bin. “AAARRRGGGH” schreie ich und stürme über einen Hügelkamm auf einen verletzten Kombattanten zu, der unter mir steht, decke ihn mit Maschinengewehrsalven ein. “AAARRRGGGGGGH!”, rufe ich laut aus, mit meinem Mund. Und, natürlich: Er dreht sich zu mir, macht einen Ausfallschritt und tötet mich mit zwei Ladungen aus seiner Shotgun. Warum spiele ich dieses Spiel, wenn ich es nie gewinne? Wann hört das endlich auf?
Die Karte ist die gleiche, aber sie entwickelt sich mit den Narben und Hinterlassenschaften vergangener Schlachten. Ein kleiner Haufen niedrigstufiger Waffen und übriggebliebener Bandagen zeigt, dass hier ein früher Kill stattgefunden hat. Zwei verlassene Festungen stehen einander gegenüber, ihre Frontseiten noch glasig und unfertig. Die Map ist voll mit den Überbleibseln verpasster Action. In der Ferne schimmert eine goldene Pistole. Ist die Waffe dort …, ist es eine Falle? Schau in dein Inventar. Du hast nichts, was dem Gerät auch nur ansatzweise das Wasser reichen könnte. Klonk-kawumm. Tot. Natürlich bist du tot. Jemand hat auf dich gewartet, hinter der Ecke, mit einem verdammten Granatenwerfer. Natürlich bist du tot. Es war so klar, dass du stirbst. Junge, es ist 1 Uhr morgens. Du hast einen Job und ein Leben. Hör auf, dich von wiehernden Teenies in Fallen locken zu lassen.
Aber dann passierte es. Keine Ahnung, wie, aber es passierte. In den vergangenen paar Wochen hatte ich immer mehr Kills mit dem Sturmgewehr gelandet und Sterben wurde mir mit jeder Runde egaler. Dieses Spiel hatte meinen Willen gebrochen. Ich hatte aufgegeben.
Ich lande bei dem Schrottplatz. Ich bekomme alle Waffen, die ich haben will, und ein volles Schild. Ich fälle eine paar Bäume. Ich baue eine Rampe zum Gipfel eines hohen Hügels. Ich baue eine Pyramide über das Ende der Rampe, um alle festzusetzen, die hier hochkommen. Und genau hier schaffe ich meinen ersten Kill – pew, pew, pew, pew, pew. Ich gebe fünf Schüsse auf den Gegner ab, der versucht, meinen Hügel hochzukommen. Dann arbeite ich mir meinen Weg in den Sturm. In der Ferne bekriegen sich zwei Baumeister – eine Festung gegen die andere. Granaten und Raketen schwirren durch die Luft. Also arbeite ich mich zu einem anderen Feind durch. Als er abgelenkt ist, schieße ich ihn nieder. Dann baue ich schnell eine Festung, um mich zu erholen. Plötzlich höre ich Schritte. Ich schaue auf die Karte und …
Nur noch zwei Spieler. Jetzt heißt es: ich vs. irgendein anderer. Einmal schon hatte ich es so weit geschafft: eine Rampe über mir; eine Rakete in der Fresse, während ich unbeholfen zu bauen versuche. Als ich in Deckung renne, werde ich von einem Sniper-Geschütz in den Rücken getroffen.
Aber dieses Mal ist es anders: Ich atme tief durch und bewege mich leise durch meine Festung und schieße meinem Gegner viermal in den Kopf: pew-pew, pew-pew. Die Figur kollabiert und ich habe gewonnen. Ein Gitarrenakkord erklingt. Epischer Sieg. Endlich weiß ich, wie sich Gewinnen anfühlt.
Ich schreie so laut und so lange, dass meine Nachbarn anfangen, gegen die Decke zu klopfen.
In der nächsten Runde werde ich von einer Shotgun weggepustet und beende das Spiel als #83.
Ich hasse dieses Spiel. Ich hasse dieses Spiel. Ich liebe dieses verdammte Spiel.
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