„Ich bin der Anti-DJ Khaled!“ Das große Mist-Interview mit Maeckes

Eltern behaupten ja immer, sie würden all ihre Kinder gleich lieb haben und keines dem anderen vorziehen. Maeckes scheint da anders zu empfinden. Oder er ist einfach nur einer der Wenigen, die ehrlich sind. Denn auf Musik bezogen, kann man von den Platten eines Musikers durchaus als dessen Kinder sprechen und Maeckes hat Mist, die Bonus-EP des neuen Albums Tilt (also quasi dessen kleiner Bruder), angeblich lieber. 

Ob das tatsächlich so ist, welche Qualitäten Mist hat und warum Loser-Sein in einer Welt voller DJ Khaleds etwas gut sein kann, haben uns Maeckes und Kollege Tristan Brusch an einem der letzten sonnigen Tage auf einem Dach erklärt. 

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Noisey: Bevor wir über Mist reden, müssen wir ganz kurz noch über „Gettin’ Jiggy With It” reden. Alle lieben es so sehr.
Maeckes: Ja, ich liebe das ganze Video auch, jede Sekunde davon. Ich wollte schon immer mal ein Video machen, dass wie so eine Win-Compilation ist.

Hast du mitbekommen, dass es von allen ganz doll gelobt wurde?
Ja, so ein paar Leute haben mir geschrieben. Also ja, ein bisschen was habe ich mitbekommen. Hat mich auch sehr sehr gefreut, weil ich nicht genau wusste, wie absurd das ist oder ob Leute damit was anfangen können. Also ich fand es natürlich von Anfang an toll, aber bei den anderen war ich mir eben nicht so ganz sicher … Aber ich hab auch selten so viel Zeit auf Twitter verbracht wie jetzt deswegen. 

Und tut dir das gut?
Nee, ich glaube, das verzerrt all meine Belohnungssysteme mit menschlicher Emotion und das macht mich völlig verrückt. Ich hoffe, ich kann mir das sehr schnell abgewöhnen. 

Mir geht es immer so: Je mehr Zeit ich auf Sozialen Medien verbringe, desto weniger …
… wert ist man? 

Joah, eher desto weniger geil ist die Zeit eigentlich gerade. 
Das ist eine sehr gute Erkenntnis. 

Aber apropos geile Zeit: Reden wir über Mist. Stimmt es, dass du Mist lieber magst als Tilt?
Auf seine Art, ja. Nur dadurch, dass es einen großen Bruder hat, kann Mist überhaupt existieren und dadurch ist es auch Weltklasse gut. Also nur weil es Tilt gibt, kann Mist funktionieren. Wenn jetzt nur Mist da wär, fänd ich’s nicht gut. 

Wieso?
Weil es so … Es ist ein bisschen die Nachgeburt. 

Vom Bruder zur Nachgeburt. 
Haha, ja, es ist halt das Anhängsel. Es hat viele kleine, reine Energien, die wenn man sie aber ausformulieren würde, nicht funktionieren würden. Die funktionieren nur als Skizze. Mist ist wie eine Landkarte, wo Tilt dann hingegangen ist. Zum Beispiel bei „Wie alle Kippenstummel auf den Bahngleisen zusammen”. Das war eine verkackte, traurige Midi-Skizze von mir, die ich Tristan geschickt habe und er hat Pizzicato-Streicher drunter geschrieben und plötzlich war das eine Up-Tempo fröhliche Nummer. Dass ein Lied von sowas zu sowas kommen kann, das kann man mit Mist nachvollziehen. Man sieht so ein paar Aspekte in reiner Form, aber dann ist es auch schon wieder vorbei. Wie eine Momentaufnahme. Und Tilt ist eben das Ganze ausformuliert und in Musik gegossen. Deswegen gibt es auch keinerlei Konkurrenz. Aber wenn man sich die ganze Zeit abgemüht hat an dem großen Ding, erscheint einem das Kleine, wo man sich nicht abgemüht hat, so „Ah, das ist doch eigentlich viel geiler!”, weil es einfacher ist. Tilt ist natürlich Weltklasse, viel besser als Mist, weil Mist ist einfach Mist.
Tristan Brusch: Außerdem hat man Mist auch noch nicht so tot gehört wie Tilt. Wenn man ein Album macht, hört man ja jeden Song eine Million Mal. Dann macht das auch irgendwann keinen Spaß mehr, die Songs anzuhören. Die Mist-Skizzen haben wir ja teilweise jahrelang nicht gehört. Da freut man sich dann, wenn man sie wieder hört. 

Wie einen alten Freund wiederzutreffen?
Maeckes: Ja genau! Wie jemand, mit dem man befreundet ist. Das ist anstrengend oft, man ist nah dran und sieht deswegen die Fehler besser und muss sich oft abmühen, aber hat natürlich auch viel Benefit davon, das ist Tilt. Und Mist ist wie so ein Freund von früher, mit dem man so ein bisschen gemeinsame Vergangenheit hat, muss das aber nicht updaten, sondern man trifft sich und ist so „Ja man, früher war geil oder? Ja, man! Also ciao, ge!” So ist Mist

War es eine Intention, mit Mist den Zuhörer irgendwie am Kreationsprozess eines Albums teilhaben lassen zu können? Die ganze Promo zu Tilt wirkte nämlich sehr persönlich. 
Ja, irgendwie voll und irgendwie auch gar nicht. Manchmal weiß ich selber nicht mehr, was real ist. Auch bei diesen „Road to Tilt”-Videos. Aber es war teilweise einfach Zufall und nicht von langer Hand geplant. „Road to Tilt” ist entstanden, weil ich ab und zu einfach eine Kamera dabei hatte. Mist ist entstanden, weil Äh Dings und ich uns nochmal Skizzen angehört haben und uns darüber gefreut haben. So kam dann auch die Idee, das alles zusammenzuschnüren und als Mist dazugeben. 

Ist ein Albumprozess so lustig und easy, wie es in „Road to Tilt” rüberkommt?
Voll! Wir hingen so lang rum, bis das Album fertig war. Und jetzt hängen wir hier mit dir rum auf ‘ner Terrasse und die Sonne scheint.
Tristan Brusch: Ja, das Gewinnen hat in der Sekunde angefangen, als wir uns getroffen haben. Und dann haben wir immer weiter gewonnen. 

Wie DJ Khaled.
Nee eigentlich bin ich der Anti-DJ Kahled. All I Do Is Lose.
Tristan Brusch: Wer ist DJ Khaled?
Maeckes: Der hat so ein Lied gemacht, das heißt „All I Do Is Win”. Aber ja, All I Do ist Lose. Ich habe solang verloren, bis ich jetzt hier sitze. 

Was ist denn ein Loser in deinen Augen?
Ich finde, das ist was gar nicht so schlechtes. Es ist zwar ein negativ konnotiertes Wort, aber eben nur in einer Zeit, wo alle DJ Khaled sein wollen. Wenn man seine Loser-Zeit nicht versucht zu verstecken, um möglichst überall als Gewinner wahrgenommen zu werden, sondern nach draußen packt, dann kann man mehr gewinnen. Ich finde das so herum viel angenehmer, also sollten wir alle Loser sein. Einfach auch mal scheitern dürfen.

Also sollten wir stolze Loser und keine selbstbemitleidenden Loser sein?
Ja, perfekte Loser mit all dem, was man ist. 

Fühlst du dich denn manchmal wie ein Loser?
Oft, ja. Ich würde auch gern DJ Khaled sein, aber ich bin es nicht. 

Was ist dann im Gegenzug ein Gewinner?
Ich denke, dass jeder beides ist. Ich bin in Kornwestheim, einer Kleinstadt, groß geworden. In dieser Kleinstadt hatte man wenigstens noch kurz die Möglichkeit, in irgendwas der Beste zu sein. Vermutlich war ich dort einmal kurz in irgendwas der Beste. Und dann bin ich nach Stuttgart gegangen, was die nächstgrößere Stadt war und plötzlich war ich wieder einer von ganz vielen. Und das war auch OK. Das Ding ist, dass man sich jetzt nicht mehr mit Kornwestheim misst, sondern mit der ganzen Welt. Du hast einen Beat gemacht, lädst den auf Soundcloud hoch und konkurrierst mit Soundcloud. Und dann wird jemand auf jeden Fall ‘nen cooleren Beat gebaut haben. In einer Zeit also, wo man nicht mehr der Beste sein kann, muss man sich damit anfreunden, dass man eben manchmal ein Loser ist. 

Andererseits sagst du auch auf Mist „Ich mag Leute mehr, wenn sie mich mögen”. 
Ja schon, aber Bewunderung wohnt ja nicht nur Gewinnern inne. Aber deswegen ist die Zeile auch auf Mist gelandet und nicht auf Tilt: weil das ‘ne dumme Aussage ist. Ich glaube, dass man sich das immer denkt, dass man Bewunderung will. Aber im Endeffekt ist das auch ein ganz ekliger Käfig, wenn Leute einen die ganze Zeit nur bewundern. Dann ist man im Zoo. 

Bist du denn tatsächlich so unsicher, wie du in deiner Musik anmutest oder Sätze wie eben genannter vermuten lassen?
Nee, ich hab absolute Selbstsicherheit! 

[Plötzlich fliegt eine Krähe messerscharf an unseren Köpfen vorbei.]

Boah krass, hast du die Krähe gesehen? 
Siehst du? Hier war ich gerade sehr sicher. Du warst sehr unsicher mit der Krähe, ich war sehr sicher und hatte keine Angst in dem Moment [lacht]. Nein ich glaube schon, dass ich viel zweifele. Bei mir ist das glaub ich so, wie ich mal bei „Unperfekt” auf der Manx-Version gesagt habe: Ich habe absolutes Selbstvertrauen oder absolut kein Selbstvertrauen. Genau so ist es. Je nach Situation oder Thema unterscheidet sich das. 

Wo wir dich gerade zitieren: Ein weiterer Satz auf Mist lautet „Ist es schlimm wenn du stinkst, aber selber nichts riechst?” Wie viel darf man da nun reininterpretieren?
Das ist glaube ich das Deepste, was ich je geschrieben habe! Das ist eine philosophisch sehr schwierige Frage, die sich konkret darum dreht, wie sehr man drauf scheißt, wie man auf seine Umwelt wirkt, beziehungsweise der Grad zwischen dem eigenen Empfinden und dem seiner Umgebung. Vielleicht ist es wirklich das Deepste, was ich je geschrieben habe … Aber egal wie absurd Interpretationen sind: Es ist scheiß egal, was der Urheber sich tatsächlich dabei gedacht hat: Sie sind alle wahr. 

Ist das auch der Sinn von Kunst und somit Mist? Dass jeder selbst da reininterpretiert, was er individuell dabei empfindet?
Ich weiß nicht, was der Sinn von Kunst ist. Ich muss das noch herausfinden.
Tristan Brusch: Das ist ja das Schöne an Kunst: dass es keinen Zweck hat. Wenn es einen Zweck erfüllen würde, wäre es keine Kunst mehr, Hashtag deep. 

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