Ich bin intersexuell, aber mein Körper funktioniert wunderbar, danke

Foto: Chloe Aftel

Emily Quinn ist 25 Jahre alt und arbeitet als Trickfilmzeichnerin bei Cartoon Network. Außerdem ist sie intersexuell. In ihrem Fall bedeutet das, dass sie zwar eine völlig normale Vagina hat, aber sich in ihrem Unterleib statt Gebärmutter und Eierstöcken Hoden befinden.

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Intersexualität hat so viele Schattierungen wie die Regenbogen-Flagge. Der Begriff bezieht sich auf Menschen, die mit Abweichungen in der Ausprägung ihrer Geschlechtscharakteristika geboren werden. Diese können in den Genen, Chromosomen, Geschlechtsteilen, in der Körperbehaarung oder den Fortpflanzungsorganen auftreten. Quinn spricht nicht auf das Testosteron an, dass in ihren Hoden produziert wird (ihr Körper wandelt es in Östrogen um). Sie schätzt, dass sie ungefähr eine von 20.000 Geburten ausmacht. Allgemein beträgt das Verhältnis von intersexuellen Menschen in Nordamerika 1 zu 2000.

Viele intersexuelle Menschen hüllen um ihren Zustand immer noch verschämt einen Mantel des Schweigens. Häufig werden Kindern die Geschlechtsorgane entfernt oder nach der Geburt verändert—natürlich ohne dass die Betroffenen dem zustimmen können. Aus dem Grund gibt es auch nur wenige Studien zu den Langzeiteffekten von Intersexualität. Doch die Menschen, deren Hoden entfernt oder deren vergrößerte Klitoris verstümmelt wurde, haben häufig über lange Zeit hormonelle Probleme.

Quinn will die Verbreitung von falschen Informationen verhindern und der Prüderie im Allgemeinen ein Ende setzen. Deshalb hat sie sich kürzlich in einem offenen Brief als intersexuell geoutet, nachdem in der MTV-Serie Faking It eine intersexuelle Figur auftrat, zu der Emily den Sender beraten hatte.

VICE: Hallo Emily. Weshalb hast du dich erst jetzt dazu entschieden, dich zu outen?
Emily Quinn: Das hing mit Faking It zusammen. Das ist jetzt das erste Mal überhaupt, dass intersexuelle Menschen auftreten. Lauren ist eine Hauptfigur in einer Fernsehserie—und nicht bloß, um zu schockieren. Das ist das erste Mal, dass in einer Serie eine „normale” Geschichte erzählt wird, dass gezeigt wird, dass Intersexualität etwas Alltägliches ist. Ich berate MTV seit Juni. Ich wollte schon immer öffentlich über meine Intersexualität sprechen, aber ich habe nie den richtigen Zeitpunkt dafür gefunden. Ich wollte mich auf eine Weise outen, die Wirkung zeigen würde, und es nicht einfach auf Facebook posten.

Wie hat die Öffentlichkeit auf dein Outing und die Serie reagiert?
Im Allgemeinen waren die Reaktionen positiv. Auf Reddit gibt es viele, die—na ja, sagen wir mal, im Internet benehmen sich die Leute nicht immer gut. Aber es gibt auch viele, die mich unterstützen. Wenn die Diskussion aus dem Ruder läuft und die Leute unverschämt werden, gibt es auch immer solche, die sie in ihre Schranken weisen, was natürlich schön ist. Die öffentlichen Reaktionen auf Lauren, die Figur in Faking It, waren auch überaus positiv. Die meisten Menschen wissen gar nicht, wie es ist, intersexuell zu sein—viele haben das Wort wahrscheinlich noch nie gehört. Sie fanden es aufregend, etwas darüber zu erfahren, und befürworten die Figur in der Serie. Durch die Serie wird das Phänomen normalisiert, was wirklich toll ist.

Wie ist MTV auf dich zugekommen?
Ich engagiere mich bei Advocates For Informed Choice, einer Organisation, die sich dafür einsetzt, Operationen an intersexuellen Kindern zu verhindern. Als MTV sich dazu entschlossen hatte, in die Handlung der Serie das Thema Intersexualität einzubinden, nahmen sie Kontakt zu GLAAD auf, die sich wiederum an AIC gewandt haben. Da ich nur fünf Minuten vom Studio entfernt wohne und in Hollywood arbeite, haben sie uns zusammengebracht. MTV hatte wirklich keinen blassen Schimmer, wie sie an das Thema herangehen sollten. Ich berate sie immer noch, weil sie kaum etwas über unsere alltäglichen Erfahrungen wissen.

Wenn du zurückdenkst, was waren da die ersten Anzeichen dafür, dass du anders sein könntest?
Als ich geboren wurde, gab es so gut wie keine Anzeichen. Sie hätten einen Chromosomentest machen müssen, um es herauszufinden. Als ich aufwuchs, gab es kleine Hinweise, zum Beispiel war ich immer groß und hatte große Füße. Eine meiner Tanten leidet auch an Androgenresistenz. Sie sagte meiner Mutter, sie habe die Vermutung, dass ich es auch hätte. Also ging meine Mutter mit mir zum Frauenarzt und dort wurde es dann festgestellt. Da war ich gerade zehn.
Sichtbar war allerdings nichts an mir, was bei kompletter Androgenresistenz auch normal ist. Wenn ich auch nur ein bisschen auf das Testosteron reagiert hätte, das in meinen Hoden produziert wird, hätten sich meine Geschlechtsorgane zumindest ein wenig „maskulinisiert”. Das war bei mir aber nicht der Fall.

Verstehe. Es gibt also komplette Androgenresistenz (englisch: Complete Androgen Insensitivity Syndrome, kurz CAIS) und partielle Androgenresistenz (englisch: Partial Sndrogen Insensitivity Syndrome, kurz PAIS. Worin besteht der Unterschied?
Androgenresistenz gibt es in verschiedenen Ausprägungen. Man kann komplett resistent sein, was bei mir der Fall ist. Die Resistenz kann dann immer weniger werden bis hin zur partiellen Resistenz. Es gibt also auch androgenresistente Männer, wenn auch nur wenige. Ich bin komplett androgenresistent, was bedeutet, dass ich vom Phänotyp her weiblich bin, aber männliche Chromosomen (XY) und Hoden habe.

Wie sieht es in der Androgenresistenz-Community aus? Gibt es eine Hackordnung?
Meistens wird man unterstützt. Wir alle machen viel durch, das sind alles unterschiedliche Erfahrungen, von denen man keine kleinreden sollte. Es ist in unserer Community also nicht hilfreich, kleinlich zu sein. Als ich mein Reddit AMA geschrieben habe, gab es allerdings auch Menschen, die mich gefragt haben, wieso ich das alles überhaupt tue. Schließlich sehe ich aus wie eine Frau und fühle mich auch als Frau. Ein potentieller Partner würde es nie bemerken. Warum muss ich das überhaupt erwähnen?
In solchen Fällen bin ich dann „nicht intersexuell genug”. Das ist aber mit einer der Gründe, weshalb ich glaube, dass ich mich für unsere Rechte einsetzen muss. Weil es neben mir noch so viele andere Menschen gibt, die an Androgenresistenz leiden oder intersexuell sind und mit denen man anders umgeht. Es ist auch deshalb anders, weil ich sonst nur drei oder vier Frauen kenne, die ihre Hoden noch haben. Demgegenüber könnte ich dir 300 nennen, die sie nicht mehr haben. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich nicht dazugehöre, weil ich nicht operiert worden bin, aber ich weiß auch, dass ich einer Operation nur knapp entgangen bin.

Das ist interessant. Würdest du dir deine Hoden je entfernen lassen?
Nur wenn ich an Krebs erkranken würde. Ich glaube aber nicht, dass das passieren wird. Ich lasse sie einmal im Jahr untersuchen. Aber ich möchte sie wirklich nicht entfernen lassen. Es ist leider auch alles andere als leicht, einen Arzt zu finden, der nicht vorhat, meine Hoden zu entfernen.

Solange sie dich gesundheitlich nicht beeinträchtigen…
Genau. Es macht gar keinen Sinn, sie zu entfernen. Solange sie nicht brechen, oder sich Krebs in ihnen entwickelt. Wenn ich sie entfernen ließe, müsste ich eine Hormonersatztherapie machen, bis ich 60 bin. Meine Hoden produzieren meine Hormone, also müsste ich die Hormone ersetzen, damit ich keine Osteoporose bekommen und damit bei mir nicht die Wechseljahre einsetzen. Mir geht es im Augenblick gesundheitlich sehr gut.

Wieso wollen manche Ärzte dir dann unbedingt die Hoden entfernen?
Die Menschen wollen mich „reparieren”. Die Ärzte wollen ein Problem beheben, das nur in ihrer Vorstellung existiert. Das ist die größte Hürde: dass Ärzte sich mit der Vorstellung unwohl fühlen, dass ein Mädchen Hoden haben könnte. Viele sind der Überzeugung, dass ich ein hohes Krebsrisiko habe, weil es kaum Studien zu Frauen mit Androgenresistenz gibt, die ihre Hoden noch haben.

Wird das Testosteron, das deine Hoden produzieren, in Östrogen umgewandelt?
Ja. Aber das macht unser Körper nun mal. Man bezeichnet das als Aromatisierung.

Davon höre ich zum ersten Mal.
Nun ja, mit meinem Körper ist alles in Ordnung. Wieso sollte man da eingreifen? Besonders wenn es um Hormone geht, die ja eine besonders wichtige Rolle für unsere Entwicklung und unsere Körperfunktionen spielen. Es gibt eine Frau in Australien, der ich meine medizinischen Unterlagen per E-Mail schicken möchte. Sie versucht wiederherzustellen, was die Ärzte versucht haben, ihr zu nehmen.

Hilft es dir, eine Community im Internet zu haben?
Sehr. Wenn du mich vor zehn Jahren gefragt hättest, hätte ich wahrscheinlich anders geantwortet. Wenn du als Teenager im Internet nach sexuellen Störungen suchst, können die Ergebnisse beängstigend sein. Ich habe im Internet nach Informationen und nach Klarheit gesucht, weil die Ärzte nicht wussten, was mit mir los war und meine Eltern auch keine Eigeninitiative gezeigt haben. Mit so vielen Menschen in Verbindung zu stehen, gibt dir Kraft. Deshalb können wir jetzt so offen darüber sprechen.
Wir begreifen, dass wir nicht allein sind. Ärzte sagen dir immer wieder, dass du die einzige Person mit dieser Krankheit bist, oder dass du niemals jemanden finden wirst, der so ist wie du. Das führt natürlich dazu, dass du darüber sprechen willst. Es ist unglaublich wichtig, über das Internet mit anderen in Kontakt treten zu können. Du fühlst dich dann nicht mehr allein, hast nicht mehr das Gefühl, eine Monstrosität zu sein. Du bist anders, aber das ist in Ordnung.

Demonstranten in China. Foto: Shih-Shiuan Kao | Flickr | CC BY-SA 2.0

Weshalb sind das I und das T in LGBTI so wichtig? Es sind ja keine sexuellen Minderheiten.
Bei L, G und B geht es um Sex. Bei T geht es um Gender und bei I geht es um das biologische Geschlecht. Ich sehe in letzter Zeit immer häufiger das Akronym GSM, das für Gender and Sex Minority steht (deutsch: Gender und sexuelle Minderheit). Ich denke, dass das I in LGBTI wichtig ist, weil wir häufig das Gleiche durchmachen. Wir schämen uns. Die Menschen werden gemobbt und glauben, dass sie anders sind. Weil wir eine Minderheit sind, in der es um Gender, Sex und sexuelle Orientierung geht, verbindet uns das in vielerlei Hinsicht. Was nicht heißen soll, dass alle intersexuellen oder LGBT-Menschen das genauso sehen.
Es ist schwierig, weil es bei LGB ja nichts medizinisches gibt, was man „reparieren” könnte (auch wenn viele Menschen das glauben). Weil es bei uns eine Diagnose gibt, denken die Menschen aus der LGBT-Community, dass wir nicht dazugehören. Ich glaube aber, dass vieles, was homo- und bisexuelle Menschen durchmachen —sich gebrandmarkt zu fühlen, die sexuelle Orientierung verbergen zu müssen—uns verbindet. Wir machen tagtäglich das Gleiche durch.

Weshalb ist es dir so wichtig, öffentlich präsent zu sein?
Als Kind wurde mir erzählt, dass ich die einzige Person mit dieser Krankheit wäre. Ich hatte Angst und fühlte mich allein. Ich habe mir immer gewünscht, dass ein Prominenter irgendwann sagen würde, dass er oder sie die gleiche Erkrankung habe. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich Artikel über ein paar Prominente gelesen habe und mir sehnlichst gewünscht habe, dass sie öffentlich sagen würden, dass sie androgenresistent seien. Einfach, damit ich mich nicht so furchtbar, nicht als Monstrosität fühlen würde. Das ist der Hauptgrund. Ich möchte nicht, dass irgendein Kind das Gleiche durchmachen muss, das ich durchgemacht habe.
Ich bin jetzt an einem Punkt, an dem ich mich sehr wohl in meinem Körper fühle. Das geht aber vielen Menschen nicht so und das ist nicht gut. Darüber hinaus geht es mir aber vor allem um die zahlreichen Operationen, die ohne deren Einverständnis an Babys, an zwei- oder dreijährigen Kindern oder sogar an Erwachsenen vorgenommen werden. Wenn die Menschen anfangen, uns zu akzeptieren, dann werden sich vielleicht viele Ärzte zweimal überlegen, ob sie eine Operation durchführen, um jemanden zu „reparieren”, ob sie versuchen, etwas nur deshalb zu entfernen, weil sich andere deswegen unwohl fühlen. Wir sind doch nicht kaputt.