Lisa hat Achondroplasie, genetisch bedingten Kleinwuchs. Ihr Partner, David, ist durchschnittlich groß. VICE hat mit den beiden über ihre Beziehung und ihr Sexleben gesprochen. Ihre Namen haben wir geändert, um ihre Privatsphäre zu schützen.
Lisa: Als ich 16 war, habe ich bei einer Freundin übernachtet, die auch kleinwüchsig ist. Ich habe sie gefragt, wie das mit dem Sex funktioniert. Meine Freundin war sehr offen. Sie meinte: “Keine Sorge, das funktioniert alles.” Abgesehen davon ist das Thema nicht oft aufgekommen.
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Als ich aufwuchs, gab es keine Frauen mit Kleinwuchs in den Medien, die uns gesagt haben, dass es ganz normal sei, uns als Personen zu fühlen, die von anderen begehrt wird. Meine Eltern, die durchschnittlich groß sind, haben mir beigebracht, Stolz auf mich zu sein. Sie sagten: “Du bist kleinwüchsig, das ist nur ein Aspekt von dir.” Aber in Rom-Coms oder Romanzen habe ich nie jemanden wie mich gesehen. Ich habe mir also nie vorgestellt, selbst in solche Situationen zu kommen.
Ansonsten war es ziemlich abfällig, wenn damals jemand mit mir über Sex gesprochen hat. Meine Größe sei doch praktisch für Blowjobs und solche Sachen. Das mit dem Blasen kam übrigens von einem Vorgesetzten bei meinem alten Job – also nicht meinem eigenen Vorgesetzten. Tolles Arbeitsumfeld.
Fast immer, wenn ein Typ mit mir geflirtet oder Interesse an mir gezeigt hat, bin ich ein wenig durchgedreht. Innerlich schob ich Panik, dass die Person nur wegen einer Fantasie an mir interessiert war oder weil sie ein Häkchen neben “Kleinwuchs” oder “Behinderung” auf ihrer Sex-To-Do-Liste setzen wollen.
Kurz gesagt: Ich habe nie besonders viel über Sex nachgedacht. Bei mir drehte sich alles um die Schule, die Community und später die Karriere. Erst als David und ich zusammenkamen, fing ich an, Sex für mich in Erwägung zu ziehen. Das war auch meine erste richtige Beziehung.
David: Ich hatte mir nie Gedanken über das Leben und die Erfahrungen von Menschen mit Kleinwuchs gemacht, bis Lisa und ich Freunde wurden. Sie war die erste Person mit Kleinwuchs, die ich richtig kennengelernt habe.
Lisa: David und ich haben uns an der Uni kennengelernt. Wir bewegten uns in den gleichen Kreisen, vor allem der Studierendenvertretung. Eines Tages kam David zu mir nach Hause und wir haben uns stundenlang unterhalten.
David: Es ging vor allem um Unisachen.
Lisa: Es war rein platonisch, aber daraus wurde eine regelmäßige Sache. Wir trafen uns alle zwei Wochen bei mir oder ihm zum Abendessen und jedes Mal unterhielten wir uns bis 3 Uhr morgens. Aber wir lagen einfach nur nebeneinander im Bett. Ohne Berührungen. Ohne Intimität. Einfach nur quatschen. Dann, nach etwa zehn Monaten, fingen die Grenzen langsam an, sich zu verwischen. Wir hatten keinen Sex, aber wir umarmten und küssten uns.
Ich war nicht glücklich mit meinem Job – das war der, bei dem mir der Manager die Sache mit dem Blowjob gesagt hatte. Ich ließ meinen Arbeitsvertrag nicht verlängern und wollte reisen.
Ich dachte daran, dass sich das auf unsere Beziehung auswirken könnte, aber David sagte: “Nein, du musst das durchziehen.” Also zog ich los, aber wir blieben währenddessen in Kontakt.
Als ich zurückkam, nahm ich eine Stelle an, für die ich viel reisen musste. Ich sagte David, dass ich in derselben Stadt wie er sein würde und fragte ihn, ob wir uns treffen wollen. Er antwortete: “Ja, aber ich reise mit dieser Frau.”
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Wir hatten bis dahin nicht über so etwas geredet, aber ich war nicht begeistert. Ich rief ihn an und sagte: “Wie kannst du mir das antun?! Ich glaube nicht, dass wir noch weiter Kontakt haben sollten. Wir befinden uns auf ganz anderen Ebenen. Schön, dich gekannt zu haben.” Ich habe ihn nie gefragt, warum er mit dieser Frau reiste und was überhaupt los war. Natürlich hatte er jedes Recht dazu.
Ein paar Monate später schrieb ich ihm eine Nachricht: “Hi, ich weiß, dass das nicht gut mit uns ausgegangen ist, aber ich hoffe, dir geht es gut.”
Er antwortete: “Ich hatte daran gedacht, mich bei dir zu melden.” Wir trafen uns und bauten langsam unsere Beziehung wieder auf. Irgendwann meinte er: “Wir sollten mal klären, was das hier ist.” Wir wurden ein Paar.
Einige Monate später zog ich bei ihm ein. Sechs Monate später verlobten wir uns. Wir sind jetzt seit über fünf Jahren zusammen und seit drei Jahren verheiratet.
David war die erste Person, mit der ich zusammen war, mit der ich überhaupt etwas hatte. Ich wusste nämlich, dass ich ihm vertrauen kann. Ich wusste, dass er an mir interessiert war, weil ich Lisa bin – eine Frau, die er kannte. Ich wusste, dass ich nicht einfach nur eine sexuelle Fantasie bei ihm erfülle. Er war nicht einfach nur neugierig.
David: Ihre Statur war in unseren Unterhaltungen nie ein Thema. Ich habe mir auch keine Gedanken darüber gemacht, was das für unser Sexleben bedeutet oder was andere Menschen von uns denken.
Lisa: Wir waren beide noch Jungfrauen. Ich bin keine Sex-Expertin, aber ich habe den Eindruck, dass man immer erst herausfinden muss, wie das miteinander funktioniert – egal, mit wem man was hat. Jeder fühlt sich bei anderen Sachen wohl und unwohl, hat andere Vorlieben. Es war ein natürlicher Prozess bei uns. Wir haben Sex gemeinsam entdeckt. Niemand von uns hatte Erfahrungen oder bestimmte Vorstellungen, wie es laufen sollte.
David: Ja, es war nicht anders als das erste Mal bei anderen Leuten, denke ich.
Lisa: Wegen meines Körperbaus kann ich starke Rückenschmerzen bekommen. Manchmal kommt es vor, dass ich nicht kann oder wir währenddessen aufhören müssen. Aber er ist sehr rücksichtsvoll.
Manchmal will ich trotz Rückenschmerzen unbedingt Sex haben und ärgere mich dann im Nachhinein. Er fühlt sich dann deswegen schlecht, aber ich sage ihm: “Es ist mein Körper und ich kenne meine Grenzen. Wenn ich mich im Augenblick verliere, ist das nicht deine Schuld.” Manchmal bin ich dann von ihm genervt, weil er sich schlecht fühlt – und von mir, weil ich es übertrieben habe.
Abgesehen davon gibt es natürlich ein paar Sachen, die wir nicht machen könne. Ich kann ihn zum Beispiel nicht hochheben.
David: Ja, manchmal kann es Probleme geben, wenn wir versuchen, auf eine Höhe zu kommen.
Lisa: Wir werden wohl nie in der Dusche im Stehen Sex haben.
David: Wenn ich aber auf dem Boden stehe und Lisa auf dem Bett ist, funktioniert das gut. Wir finden immer einen Weg.
Lisa: David ist auch einfach der liebste Mensch überhaupt. Es ist alles sehr unproblematisch. Er drängt mich auch nie zu etwas. Deswegen mussten wir uns auch noch nie darüber unterhalten, dass irgendetwas aufgrund meiner Statur nicht geht.
David ist Feminist, ich Feministin. Das macht sich auch in unserem Schlafzimmer bemerkbar. Einvernehmen ist uns wichtig. Er weiß: Nein heißt Nein. Wir haben auch Safe-Wörter und so. Wenn sich einer von uns, aus welchem Grund auch immer, nicht wohl mit etwas fühlt, können wir damit umgehen.
Es hilft auch, dass sich David in der Community kleinwüchsiger Menschen engagiert. Ich bin stolz auf meine Statur und er unterstützt mich dabei.
David: Lisas Umgang mit ihrer Körpergröße macht mich auch stolz. Ich finde es super, dass sie so ist, wie sie ist.
Lisa: Als wir zu zusammengekommen sind, wurde mir stärker bewusst, dass mich andere Menschen als Kleinwüchsige sehen. Die Beziehung mit einer durchschnittlich großen Person hat das auf eine ganz neue Ebene gehoben. Ich dachte, dass David das auch viel mehr merken würde.
Insbesondere ältere Frauen schauen ihn mitleidig an. So nach dem Motto: “Oh, der ist doch zu gut, um mit einer Kleinwüchsigen zusammen zu sein.” Ich habe mir auch Sorgen gemacht, was seine Freunde denken. Ich wollte nicht, dass ihn jemand bemitleidet: “Oh, der Typ kann nicht …” keine Ahnung, Sex in der Dusche haben oder so.
David: Wenn die Menschen abfällig sind, werde ich wütend. Einer der Gründe, warum ich mich in der Community engagiere, ist der, dass ich nicht wusste, wie man mit solchen Sachen umgeht. Ich wollte nicht einfach selbst etwas machen, weil ich nicht betroffen bin. Ich weiß nicht, wie es ist. Jetzt habe ich etwas mehr Selbstbewusstsein, Menschen wegen solcher Bemerkungen zu konfrontieren. Wenn uns Leute komisch anschauen, dann ist das vor allem ihr Problem.
Lisa: Wir fühlen uns wohl, wie wir sind.