Würdest du dich gern hinters Steuer eines 34 Tonnen schweren Sowjet-Panzers setzen? Ich kann mir kaum einen Grund vorstellen, warum nicht. Wenn das für dich nach Spaß klingt, dann tu einfach, was ich getan habe. Fahre nach Berlin, dann 1,5 Stunden ostwärts in die Ortschaft Beerfelde, und gehe zur “Panzer-Fun-Fahrschule“. Die Fahrschule verspricht online, es handle sich dabei um “Deutschlands größten Männerspielplatz”. Für 160 Euro kannst du eine halbe Stunde lang in einem der 13 entmilitarisierten Panzer herumcruisen, während dich ein Fahrlehrer alle paar Minuten warnt, ihn nicht absaufen zu lassen. Für 100 Euro mehr kannst du mit dem Panzer ein Auto zerquetschen.
Anfang der 2000er gründeten die Brüder Axel und Jörg Heyse die Panzerfahrschule. Alles begann mit einem alten sowjetischen T-55-Panzer, den sie auf einem Schrottplatz in der Tschechischen Republik entdeckten. Jörg und Axel, der zehn Jahre lang Panzerlehrer bei der NVA war, fuhren zum Spaß mit dem T-55 über das Feld eines benachbarten Bauern. “Panzer haben mich einfach nicht losgelassen”, sagte Axel 2009 der FAZ.
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Nachdem der Ortsvorsteher die Heyses bat, den Panzer beim örtlichen Erntedankfest zu zeigen, lief das Telefon der Brüder heiß: Alle wollten mal im “Eisenschwein” mitfahren, wie die Brüder dazu sagen. 2005 gründeten sie die Panzerfahrschule auf acht Hektar Ackerland. 2009 besaßen sie bereits mehr als ein Dutzend Panzer, die verschiedene Armeen “aus ganz Europa” ausrangiert hatten. Als meine Übersetzerin Jörg um mehr Details bittet, sagt er: “Länder wie Slowenien. Eben von überall.”
In den Jahren seit der Firmengründung haben die Heyses ihr Fahrlehrer-Team erweitert, auch um ehemalige Soldaten. Sowohl die Bundeswehr als auch das österreichische Militär haben bereits wegen “Panzerfortbildungen” angefragt. Doch die meisten, die hierher kommen, muten nicht an wie Soldaten oder Veteranen. Hauptsächlich besteht die Klientel aus internationalen Touristen und einheimischen Adrenalin-Fans. Am Tag meines Besuchs warten Menschen aller Altersgruppen darauf, sich in ein Eisenschwein zu setzen. Sogar ein paar Familien sind dabei. “Sie sind der typische Kunde”, sagt Jörg. “Zu uns kommen alle möglichen Leute.” Anscheinend ist es doch kein reiner Männerspielplatz.
Wenn du in diesem Land mit dem Panzer fährst, dann kommst du kaum umhin, auch an die Gewalt zu denken, die sich hier überall abgespielt hat. Der T-55 ist einer der beliebtesten Panzer der Welt; zu seinen Einsatzgebieten in den letzten Jahrzehnten gehören Nahost, Vietnam, Angola und mehr. Auf JewishGen.org, einer Website des Museum of Jewish Heritage, erfahre ich, dass es in Beerfelde einst ein Außenlager des KZ Sachsenhausen gab.
Das vielleicht Seltsamste an dem Panzer-Spielplatz ist die Art und Weise, in der die Gründer vehement jegliche Verbindung zum Militär und Militär-Fetischismus herunterspielen. Auf den Aspekt der Kriegsverherrlichung angesprochen sagte Jörg in einem Interview von 2009: “Hier sieht man doch sonst auch nichts Militärisches.” Deswegen heiße es ja auch Panzer-Fun-Fahrschule, “mit dem Wort Fun zwischendrin”. Die Fahrlehrer, denen ich begegne, sehen das genauso und wollen nicht über die militärgeschichtlichen Aspekte des Panzer-Funs sprechen.
Vielleicht haben sie auch einfach keine Lust, einem lauten, neugierigen Ami-Touristen Rede und Antwort zu stehen. Aber ein Panzer ist nun einmal nicht einfach ein großes Auto, sondern ein großes Auto mit einer riesigen Knarre dran. Du fährst ja nicht mit einer sowjetischen oder deutschen Todesmaschine durch die Gegend und stellst dir vor, dass du damit den Wochenendeinkauf erledigst. Du stellst dir vermutlich vor, dass du über ein Schlachtfeld fährst und für ein bisschen verbrannte Erde sorgst. Warum sonst sollten an den Panzern in der Fahrschule Raketenattrappen dran sein? Und warum setzen wir vorher diese uralten Lederhelme mit Ohrenklappen auf? Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht in Versuchung gerate, Pchhh-Pchhh-Geräusche zu machen, während ich hinterm Steuer meines gemieteten Metallmonsters sitze.
Dr. Thomas Kühne ist Geschichtsprofessor, Strassler-Lehrstuhl für Holocaustgeschichtsforschung und Direktor des Strassler Center for Holocaust and Genocide Studies an der Clark University nahe Boston. Als ich ihm von meinen Erlebnissen in der Panzer-Fun-Fahrschule erzähle und frage, warum die Firma so scharf darauf scheint, die deutsche Militärgeschichte zu vergessen, sagt er: “[Die Panzer-Fahrschule] will vermutlich nicht über die Kriegsgeschichte sprechen. Entweder sie ignorieren sie bewusst, oder sie denken einfach selbst nicht dran. Heutzutage sind die Deutschen eher apathisch, was Krieg und Militär angeht.”
Laut Kühne gibt es noch immer Deutsche, die einen Fetisch für Kriegsgeschichte und Militärkultur haben—allen voran natürlich die rechtsextremen Gruppen, die in letzter Zeit wieder stärkeren Zuwachs genießen. “Doch das ist eine sehr kleine Minderheit … Menschen, die sich für [diese Dinge] interessieren, gibt es in Deutschland viel weniger als in den USA.”
Kühne ergänzt: “Das heutige Deutschland ist nicht ganz homogen, aber ich würde sagen, 70 bis 90 Prozent aller Deutschen haben überhaupt kein Interesse am Militär.”
Die Panzer-Fun-Fahrschule mag sich selbst als Spaß-Erlebnis und als Kuriosität für Touristen vermarkten, doch es ist oft schwer, die Kriegsmaschine vom Krieg und dem historischen Kontext zu lösen. Vielleicht bin ich auch einfach überempfindlich und hätte erst gar nicht erwarten dürfen, von einer Firma etwas über Geschichte zu lernen, die mit “Vergessen Sie mal Alltagssorgen und Alltagsstress” zum Auto-Zerquetschen einlädt.
Nachdem ich den BMP eine halbe Stunde lang Erdhügel hoch- und runtergefahren habe und dabei ununterbrochen durchgeschüttelt wurde, fühle ich mich kein bisschen stressfreier als vorher. Mir ist eher schlecht. Ich steige aus dem Panzer, ziehe mir die Sturmhaube vom Kopf und danke meinem Ex-Soldaten-Fahrlehrer. Dann entschuldige ich mich höflich, trinke einen Schluck von dem Bier, das mein Fotograf für mich bereithält, und übergebe mich auf den sandigen Boden.
Besonderen Dank an unsere Dolmetscherin und Übersetzerin, Ruby Morrigan.
Der Autor, bevor er sich hinters Steuer eines Panzers setzt