Freddy Krull (Name geändert) spaziert seit Jahren durch deutsche Stadien und schafft es auch ohne Ticket irgendwie in die VIP-Loge zu kommen. Warum? Weil er nicht anders kann. Nachfolgend erzählt er, warum er das Stadionerlebnis nur noch mit Logen-Guerilla genießen kann und wie er beim Finale „Dahoam” den Pokal hätte klauen können.
Wer schon mal in der VIP-Loge eines Stadions war, weiß: Man findet dort alles, was das dekadente Herz begehrt. Gut gekleidete Menschen, das feinste Essen, Alkohol für umme und den wohl besten Blick auf das Spielfeld. Wenn man in die Loge möchte, muss man entweder im richtigen Job arbeiten oder zu viel Kohle hinblättern. Oder, man macht es wie ich und tut nur so, als ob man in die heiligen Hallen gehören würde. Es muss so um das Jahr 2010 herum gewesen sein, als ich anfing mich in VIP-Logen zu schleichen und die Leute dort zu manipulieren. Seitdem hat es sich zu einer großen Passion von mir entwickelt. Ich bin in gewisser Weise süchtig nach dem Adrenalinkick, den mir dieses Hobby bereitet. Und ich bin gut darin geworden—richtig gut. Ich kenne Wege in Stadien, die kennt außer mir wahrscheinlich nicht einmal die Hälfte des Personals.
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Normalerweise mache ich das mit einem Kumpel zusammen. Das kannst du auch nicht mit jedem machen, aber er ist so etwas wie ein Partner für mich geworden. Wir wissen beide, was der andere denkt und können situativ reagieren: Wir sind Meister darin geworden, Stadionmitarbeitern abstruse Geschichten aufzutischen. Vor allemSecurities. In Frankfurt zum Beispiel haben wir ziemlich heftig das Personal ausgetrickst. Wir haben denen irgendeinen Scheiß erzählt—wir würden zur Loge 737 gehören, obwohl es dort nur Logen gibt, die mit den Zahlen 1 oder 2 beginnen. Die haben uns das geglaubt und da wirklich die Türen geöffnet, obwohl wir da absolut nichts zu suchen hatten. So kamen wir schon in die Mixed-Zone und zu einer Pressekonferenz.
Meistens reicht es aber einfach so zu tun, als wäre es selbstverständlich, dass wir im Logen-Bereich abhängen. Du musst einfach so eine gewisse Attitüde an den Tag legen: eine Mischung aus Arroganz, seriösem Auftreten und der Art, wie du mit den Menschen dort umgehst. Wichtig ist zum Beispiel die Wahl der Kleidung: Designerhemd und Stoffhose, dazu ein Paar schickere Schuhe. Einmal zum Beispiel habe ich in München in der Loge mit Geschäftsmännern Champagner gesoffen. Als der Champagner leer war, meinte ich ganz dreist zum Barchef: „Ja, soll ich noch welchen holen?”. Ich wusste ja vom Sehen grob, wo das Lager dafür war.
Ganz selbstverständlich bin ich dann durch die Küche gelaufen, an den ganzen Küchenhilfen vorbei, so als hätte ich nie etwas anderes gemacht. Die haben zwar kurz irritiert geschaut, aber nichts weiter dazu gesagt. Mir kam es sogar so vor, als hätte da keiner die Eier, mich einfach mal zu fragen: „Entschuldigung, aber was haben Sie hier zu suchen?” Als ich dann mit einer Sechserkiste Pommery zurückkam, hat der Typ hinter der Theke nur gelacht und wir haben fleißig weiter gebechert.
Mein mit Abstand krassestes Erlebnis hatte ich aber ganz alleine in München. 2012 bin ich nach einer durchzechten Nacht in Düsseldorf nach München zum Champions-League-Finale gefahren. Ohne Karte, ohne nichts. Die erste Hürde: einen ticketähnlichen Wisch finden, den ich dem Ordner an der Personenkontrolle unterjubeln konnte. Fündig wurde ich mit einem abgerissenen Teil eines Tickets von einem anderen Zuschauer, auf dem zumindest die Champions-League Sterne aufgedruckt waren. Damit konnte ich mich problemlos vorbeimogeln. Der Ordner hat nur kurz darauf geschielt, genickt und schon wurde ich abgetastet. Die nächste Hürde: das Drehkreuz. Obwohl ich zuerst Bedenken hatte, gestaltete sich das Durchkommen einfacher als gedacht. Zum Glück waren, wie für Bayern-Spiele typisch, viele Leute da. Also habe ich die Gunst der Stunde genutzt und mich mit der Menge durch das Drehkreuz geschleust. Es gibt an Drehkreuzen immer eine offene Seite, an der man ganz schnell die Knie drüber schwingen kann. Von den gefühlt tausend Security-Menschen und Besuchern um mich herum war nicht einem aufgefallen, was ich da eigentlich gerade getrieben habe.
Im Stadion war ich damit schon mal. Der Rest war ein Kinderspiel. In München ist es echt einfach, in den VIP-Bereich zu kommen. Ich wusste, über welche Seitenwege ich dorthin gelange. Klar, ich musste an ein paar Securities vorbei, aber wenn man sich ausgibt, als wäre man jemand, dann wird man auch nicht angesprochen. Und in München sind die Leute auch noch so gutgläubig. Du musst dich ja nur vor den Ausgang des VIP-Bereichs stellen und so tun, als würdest du business-mäßig telefonieren. Im nächsten Moment gehst du zu einem hin, der aussieht, als würde er gehen, und bindest dem einen Bären auf, dass du schon Tickets sammelst, seit du sechs Jahre alt bist. Im Handumdrehen hatte ich ein Ticket, um da hochzugehen. Ab dem Zeitpunkt konnte mir ja eh keiner mehr was. Ich hatte ein offizielles Ticket—eine UEFA-Gastkarte im Wert von mehreren hundert Euro. Ich sage immer gerne, ich habe sie „gefunden”.
Damit standen mir so gut wie alle Türen offen. Was ich anfangs gar nicht wusste: Mit dem Ticket konnte ich bis runter in den Spielertunnel, zu den Kabinen, in den Pressebereich. Nach dem Spiel bin ich auch an den Kabinen beider Mannschaften vorbeigelaufen. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich ganz locker den Champions-League-Pokal klauen können. Der stand nämlich unbeobachtet in einem Nebenraum auf einem Koffer. Aber das war dann selbst mir zu riskant. Dann wäre meine Karriere als Logen-Schummler wahrscheinlich endgültig zu Ende gewesen. An dem Abend habe ich mein Glück lieber ausgenutzt, mit den Spielern auf dem Rasen gefeiert und nach Ende der Veranstaltung alleine auf dem Rasen Fußball gespielt. Davon gibt es Bilder, die ich auch heute noch gerne Freunden zeige.
Das Champions-League-Finale war vielleicht die Krönung in meiner Logen-Hustler-Karriere, aber von nichts kommt nichts. Ich war schon um die sechs, sieben Mal in München in der Loge; meine Ausflüge in die Frankfurter VIP-Loge müssten sich irgendwo im zweistelligen Bereich ansiedeln. Konzerte mit einberechnet. Irgendwann weiß man, wie der Hase läuft. Wie man mit dem Publikum dort umgehen muss. Du musst den Jungs und Mädels da oben das Gefühl geben, als wären sie niemand Besonderes. Am besten du trittst ganz gönnerhaft auf und machst ein paar freche Witze. Ein Spruch, der eigentlich immer funktioniert: „Komm, was willst du trinken? Der Erste geht auf mich”. Dabei ist da ja alles umsonst. Mit solchen Aussagen habe ich schon den ein oder anderen Topmanager zum Schmunzeln gebracht.
Bei meinen Streifzügen durch die VIP-Logen habe ich auch schon einige Trophäen ergattern können. Fotos mit Stars sind die eine Sache. Aber mir hat zum Beispiel auch Uli Hoeneß einen Schal geschenkt, weil ich ihn nett danach gefragt habe. Das war noch bevor er in den Knast gewandert ist. Ein anderes Mal hat mir Sergio Ramos von Real Madrid sein T-Shirt vom Champions-League Halbfinale 2014 überreicht. Zu dem Spiel habe ich mich übrigens mit einem alten Champions-League-Ticket—Bayern gegen Barcelona—ins Stadion gefuchst. Ich kam direkt aus dem Urlaub und habe der Frau im Kassenhäuschen erzählt, dass ich das falsche Ticket eingepackt hätte. Wenn du ein Hemd trägst und so tust, als ob das wirklich so wäre, dann glaubt dir jeder.
Mittlerweile ist es sogar schon so extrem geworden, dass ich eigentlich nur noch zu Sportveranstaltungen gehe—sei es Eishockey, Fußball oder sonst irgendwo—wenn ich weiß, dass ich in die Loge kann. Mich reizt es ansonsten überhaupt nicht mehr, mir ein Spiel 90 Minuten in einem Stehblock reinzuziehen. Überhaupt nicht. Das ist erstens anstrengend und zweitens fehlt mir da einfach der Kick. Wenn, dann nutze ich nur das Stehplatz-Ticket, um mich spätestens in der Halbzeit in Richtung Loge zu verkrümeln.
Ich kann zwar nicht genau sagen, was es ist, was mich immer wieder in die Loge zieht. Vielleicht ist es ein bisschen Adrenalin und das Gefühl, da oben jemand zu sein. Und in dem Moment bist du einfach jemand. Du kannst dort machen, was du willst. Du kannst essen und so viel saufen, wie du willst. Und manchmal habe ich durch Gespräche mit Geschäftsmännern sogar schon selbst etwas Geschäftliches aufgebaut. Das ist auch so ein Punkt: Man begegnet den Leuten in VIP-Logen auf einer ganz anderen Ebene und trifft dort Leute, die man sonst vielleicht nie getroffen hätte. Gerade weil ich mir Geschäftsbeziehungen durch Kontakte in der Loge aufgebaut habe, bin ich etwas ruhiger geworden. Aber im Prinzip habe ich aus meiner Sicht auch alles erreicht. Ich war ohne Karte für lau in der Loge von Bayern München. Das Einzige, was mich jetzt noch reizen würde, wäre vielleicht das Camp Nou oder ein Stadion in England. Oder meine persönliche Champions League: Formel 1.