Wenn eine Person asexuell ist, fühlt sie sich zu anderen Menschen kaum oder gar nicht sexuell hingezogen. Asexualität bewegt sich dabei auf einem Spektrum: Manche asexuelle Menschen haben trotz aktiver Libido gar keinen Sex, während andere keine Libido haben und dennoch mit ihren Partnerinnen oder Partnern schlafen.
Eine asexuelle Sexarbeiterin klingt dennoch erstmal wie ein Widerspruch. Ellie aus dem Südosten Kanadas ist aber genau das. Mit ihrem Künstlernamen “Ellie Next Door” ist die 21-Jährige auf verschiedenen Online-Plattformen unterwegs. Für uns hat sie ihren Alltag dokumentiert.
Videos by VICE
Auch bei VICE: Sex im Saarland
Ich glaube, mir wurde klar, dass ich asexuell bin, als ich im jungen Teenie-Alter in einem Museum diese typisch muskulösen griechischen Skulpturen gesehen habe und sich bei mir nichts rührte. Für mich waren das einfach nur Körper.
2013 erstellte ich mir einen Tumblr-Account. Damals war die LGBTQ-Thematik bei der Social-Media-Plattform ganz groß, und so stieß ich wie viele andere Menschen dort auf eine Bezeichnung, die zu meinen Gefühlen passte. Vor Tumblr hatte ich noch nie etwas von “Asexualität” gehört, deswegen war ich richtig erleichtert, endlich etwas gefunden zu haben, das mich beschreibt.
Ich sehe meine Körper nicht automatisch als etwas Sexuelles an. Ich weiß aber, dass das andere Leute tun. Sexuelle Attraktivität liegt eben im Auge des Betrachtenden. Ich fühle mich nicht unwohl, wenn man mich sexualisiert. Ganz ehrlich, ich finde die allgemeine Positivität und die Wertschätzung, die andere Menschen für meinen Körper empfinden, sogar gut. Ich finde meinen Körper schön und bin froh, dass nicht nur ich das so sehe.
Im Mai 2019 meldete ich mich bei Chaturbate an, einer Plattform für Live-Webcam-Shows. Ich dachte einfach, dass das Spaß machen könnte. Also richtete ich meine Webcam und mein Mikrofon ein und setzte mich mit einem Sexspielzeug vor den Computer. In den darauffolgenden Tagen fiel mir auf, dass meine Zuschauerzahl immer weiter stieg. Nach einer Woche hatte ich genug Geld, um mir neues Sexspielzeug kaufen zu können.
Nach zwei Monaten konnte ich mir ein Auto leisten – also jetzt keinen teuren Rolls-Royce, aber halt ein Auto, mit dem ich sicher von A nach B kam. Ich glaube, an diesem Punkt entschied ich mich, das Ganze Vollzeit zu machen. Ich kündigte meinen Barista-Job und kümmerte mich von da an nur noch darum, mein Publikum zu vergrößern und besser zu streamen.
Um in der Sexarbeit tätig zu sein, musst du nicht jeden Menschen – oder überhaupt einen Menschen – sexy finden.
Viele Leute haben immer noch diese altbackene Vorstellung, dass Sexarbeitende rund um die Uhr geil sind und immer ficken wollen. Das trifft aber nicht mal auf Sexarbeitende zu, die nicht asexuell sind. Keine Ahnung, warum die Leute so denken. Fußballspieler haben doch auch nicht ständig Bock, Fußball zu spielen.
Dazu kommt, dass die Sexarbeit ein sehr vielfältiges Feld ist. Leute, die Nacktbilder bei Snapchat verkaufen, können sich als Sexarbeitende bezeichnen – genauso wie Menschen, die bei OnlyFans ihr Geld verdienen, wie Menschen, die Webcam-Shows machen, wie die Pornostars, die man bei Pornhub sieht, und wie die Menschen, die ihre Kundinnen und Kunden im echten Leben treffen.
Zwar ist Bestätigung immer schön, aber die Meinung anderer Leute über mich und meinen Körper bestimmt trotzdem nicht, wie ich mich selbst sehe. Es ist mir egal, wenn jemand denkt, dass meine Körperbehaarung eklig ist oder dass meine Brüste klein sind oder was auch immer. Sexarbeit ist normale Arbeit, aber zum Arbeitsalltag gehört viel mehr dazu als zum Beispiel zum Betrieb eines Online-Shops. Dennoch liebe ich meinen Job. Ich weiß aber auch, dass ich das nicht ewig machen kann. Ich weiß noch nicht, was danach für mich ansteht. Jetzt verdiene ich mit der Sexarbeit erstmal genug, um meine Rechnungen bezahlen zu können, und freue mich über mein freundliches und respektvolles Publikum.
Intimität ist mir aber auch wichtig. Wenn ich mich in einer Beziehung mit einem anderen Menschen wohl fühle, lege ich extrem viel Wert auf nicht-sexuelle Berührungen wie Küsse, Umarmungen oder Kuscheln. Das brauche ich, um eine innige Verbindung aufzubauen. Außerhalb von Beziehungen bin ich keine besonders berührungsempfindliche Person. Deswegen ist das Ganze für mich so intim.
Viele asexuelle Menschen schlafen mit ihren Partnerinnen und Partnern, um sie zu befriedigen. Das ist bei mir ähnlich, ich bin allgemein sehr nachsichtig gegenüber den sexuellen Wünschen meiner Beziehungspartner. Ich finde es toll, einem anderen Menschen Vergnügen zu bereiten. Sex ist dabei eine Möglichkeit, meine Liebe und Zuneigung zu zeigen. Geschlechtsverkehr ist also kein zentraler Bestandteil meiner Beziehungen, aber ich weiß trotzdem, wie wichtig er meinen Partner sein kann.
Ich habe noch nie mit anderen Sexarbeiterinnen zusammengearbeitet, würde das aber gerne mal ausprobieren. Wenn das mehr als Selbstbefriedigung beinhalten sollte, wäre ich auch dafür offen. Derzeit mache ich aber eine Camming-Pause. Ich bin gerade also nur bei OnlyFans, Reddit und der Telefonsex-Hotline NiteFlirt aktiv. Dort habe ich vor allem ältere Kunden. Die sind mir auch lieber, weil sie Sachen wie behaarte Achselhöhlen eher akzeptieren und meiner Erfahrung nach nicht so eingebildet sind.
Nicht alle meine Freunde und Verwandten wissen von meiner Asexualität. Ich mache daraus zwar kein Geheimnis, aber das Thema ist bei unseren Gesprächen einfach noch nicht aufgekommen. Ich habe mich irgendwie auch noch nicht ganz mit der Vorstellung abgefunden, bei meinem “Coming-out” zu sagen, dass ich keine sexuelle Anziehung verspüre. Damit haben auch andere asexuelle Menschen Probleme. Das Ganze ist ein extrem persönlicher und dennoch irrelevanter Aspekt meines Alltags. Wenn es sich angebracht anfühlt, diesen Teil von mir mit jemandem zu teilen, dann würde ich das auf jeden Fall machen. Ich verspüre derzeit aber nicht das Verlangen, mich mit meinen Angehörigen hinzusetzen und ein offizielles “Coming-out” zu haben.
Für mich sind meine beiden Identitäten – einmal Sexarbeiterin und einmal asexuelle Person – zwei unterschiedliche Dinge. Die eine ist mein Beruf und die andere ist Teil meines Wesens. Ich habe mich bewusst dazu entschieden, als Sexarbeiterin tätig zu sein, aber ich habe mich nicht dazu entschieden, asexuell zu sein. Ich kann den Content, den ich bereits veröffentlicht habe, nicht mehr zurücknehmen – und damit auch nicht mein Label als Sexarbeiterin. Aber ich könnte eines Tages irgendwo in die Berge ziehen und die Onlinewelt praktisch hinter mir lassen. Mit meiner Sexualität ist das nicht möglich.
Asexualität wird für immer ein Teil von mir sein – auch wenn ich mich nicht dafür entschieden habe. Der Unterschied zwischen einer Identität, die ich selbst gewählt habe, und einer, die einfach so da war, sorgt dafür, dass sich die beiden wie unterschiedliche Teile von mir anfühlen. Dennoch liebe ich, wer ich bin.