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Ich habe als Single Brautkleider anprobiert, um herauszufinden, ob ich heiraten möchte

Die Autorin, die Brautkleider anprobiert um herauszufinden, ob sie heiraten möchte schreitet mit Brautkleid aus der Umkleide.

Verschmiertes Rouge, verlaufene Wimperntusche und Freundinnen, die mir Taschentücher reichen. So hatte ich mir diesen Moment vorgestellt. Ich dachte, Weinen gehört zur Anprobe eines Brautkleides wie der Eisberg zur Titanic. Frauen in weißem Tüll sind gewöhnlich verlobt und haben ihre große Liebe gefunden. Sie glauben, dass ihre Ehe bis zum letzten Herzschlag hält. Ich hingegen bin frisch getrennter Single, habe weder einen Hochzeitstermin noch einen Verlobungsring – auch keinen Freund. Nicht mal Tinder hab ich.  

Ich weiß nicht, ob ich irgendwann heiraten werde. Möchte ich das überhaupt? “Ja, ich will” sagte ich bisher nur, wenn ich nach einer Portion Pommes gefragt wurde. Trotzdem steht das Anprobieren eines Brautkleides auf meiner Bucketlist. Ich möchte einmal in meinem Leben den Stoff eines solchen Kleides auf meiner Haut fühlen. Spüren, wie es ist, ein Netto-Monatsgehalt am Körper zu tragen. 

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Und da bin ich also, im A.T. Moda Sposa, einem Brautmodengeschäft in Freiburg. Ich habe zwei Lachgrübchen im Gesicht und 1.800 Euro am Leib. Ich stehe auf einem Podest. Mit einem mehrlagigen Tüllrock, unter dem jeder Herzschmerz erstickt. Ich bin zu sehr von den Pailletten und Glitzersteinen geblendet, um an verflossene Lieben zu denken. Meine Freundinnen reichen mir ein Glas Jules Mummes. Sie grinsen, sie klatschen. Ich betrachte mein Spiegelbild, wippe mit dem Tüllrock nach links und rechts, als sei ich Tinkerbell, die kleine Fee aus Peter Pan. 


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Wer das hier liest, bringt Unglück

Glaubt man einem Hochzeitsklischee, darf der Mann seine Frau vor dem großen Tag nicht im Brautkleid sehen. An alle Männer: Augen zu! Genau aus diesem Grund hält meine Mutter wenig von der Idee, Brautkleider anzuprobieren. Sie sagt: Dieses Ereignis soll einmalig sein. Ich hingegen glaube: Die Ungewissheit soll meinem Wunsch nicht im Wege stehen. Ich brauche keinen Mann, um ein Hochzeitskleid zu tragen. Ich brauche keinen Mann für irgendwas.

Kleider hängen nebeneinander im Brautkleidgeschäft.

So stehe ich im Brautmodengeschäft. Es kommt wirklich “Pretty Woman” aus den Boxen, es riecht nach Frauenparfüm, Schokolade wird gereicht. Ich habe meinen zwei Wanna-be-Trauzeuginnen, Emilie und Tamara, eine Rose mitgebracht. 

“Wie möchtest du heiraten – so rein theoretisch?”, fragt Zippora, die Verkäuferin. “Draußen in der Toskana”, denke ich mir aus. “Mit einem schönen Italiener, der am Altar wartet.” Wie in My Big Fat Greek Wedding, nur mit Cicero statt Tsatsiki. 

Mehr Bradshaw als Bridget

Wir sind umgeben von Spitze, Corsage, Seide und Schleier. Ich traue mich erst nicht, die schönen Stoffe zu berühren. Zippora holt das erste Kleid von der Stange. Kostenpunkt: 3.300 Euro. Ich habe eine Robe im Blick, die etwas schlichter gehalten ist. Der Rücken jedoch beeindruckt mit jeder Menge Bling-Bling. Die Kleider schüchtern mich ein. Darf ich so was tragen? Als Single Brautkleider auszusuchen fühlt sich nicht richtig an. Zu Lederhosen und Dirndl gehören Wiesn-Hits und Bier. So brauchen Hochzeitskleider vielleicht ein gewisses Maß an Verliebtheit um sich zu ihnen hingezogen zu fühlen. Sie sehen zwar schön aus, wirken auf mich aber viel mehr wie Kostüme, Verkleidungen. In meinem bisherigen Leben war ich mehr Bridget Jones als Carrie Bradshaw. Ein großer Schluck Jules Mumme soll mich zu mehr Schi-Schi ermutigen.

Apropos Carrie Bradshaw und Sex and the City: Die New Yorkerin wurde am Tag ihrer Hochzeit sitzengelassen. Und das lag woran? Am Kleid! Carrie bekam den Traum in Weiß von Designerin Vivienne Westwood geschenkt. Kostenpunkt: 6.774 Euro. Das Kleid erhöhte den Einsatz, aus der ursprünglich kleinen Hochzeit wurde eine Großveranstaltung. Mr. Big fühlte sich aus diesem Grund unter Druck gesetzt und bekam kalte Füße. Auch ich hätte Angst, dass mein Mann bei der Hochzeit das große Ganze aus den Augen verliert, nämlich mich, die Liebe.

Bei all den teuren Dingen wie Kleid, Catering, Band und Location kommt irgendwann sicher die Frage auf: Braucht es das? Braucht es überhaupt eine Hochzeit, um für immer zusammen und glücklich zu sein? Kann sein, dass ich zu häufig Sex and the City geschaut habe. Es kann aber auch sein, dass ich meine eigenen Ängste auf meinen Partner projiziere. Ich erinnere mich noch an meinen 18. Geburtstag, die Party war teuer und stressig. Mir war es wichtiger, für andere eine gute Feier zu organisieren anstatt den Moment selbst zu genießen. Das soll sich bei meiner Hochzeit nicht wiederholen.

Auf der linken und hinteren Wand hängen Brautkleider, dazwischen steht ein Spiegel.

Lohnt sich der Kauf bei einer so hohen Scheidungsrate?

In der Umkleide hängt, entgegen meiner Erwartung, kein Spiegel. Die Braut soll sich erst sehen, wenn das Kleid richtig sitzt, für den Wow-Effekt. Ich streife einen eng anliegenden Unterrock über meine Beine und stopfe Körbchenhalter unter meine Brust. Zippora zupft und rupft am Stoff, bis er sich perfekt an meinen Körper schmiegt. Bereits jetzt steht für mich fest: Die Sache mit der Toskana streiche ich doch von meiner Liste. Brautkleider können bis zu zehn Kilo wiegen. Zu eng und zu heiß für eine Sommerhochzeit in Italien.

“Sie ist so weit”, kündigt mich Zippora an. Ich tapse aus der Umkleide vor meine Freundinnen. Das Kleid ist zu eng, um große Schritte zu machen. Beim Blick in den Spiegel kommen mir Zweifel auf: Ist es nicht absurd, Tausende Euro für etwas auszugeben, das man nur ein Mal in seinem Leben tragen will? Bei dem man Angst hat, es mit Torte zu bekleckern?

Laut einer Umfrage bei Statista sind Frauen aus Deutschland bereit, bis zu 973 Euro für ihre Brautbekleidung auszugeben. Viel Geld, wenn man bedenkt, dass die Scheidungsrate in Deutschland fast 40 Prozent beträgt . Ein Hochzeitskleid ausleihen? Wollen viele Frauen nicht. Die Vorstellung, dass schon eine andere Braut in diesem Kleid gesteckt hat, zerstört diesen einzigartigen Moment. Dabei ist die Symbolik des Hochzeitskleides längst überholt: Es steht für Jungfräulichkeit, Unschuld und Reinheit. 

Ich glaube, dass manche Paare mehr in ihre Hochzeit investieren als in die Ehe selbst. Laut der Hochzeitsplanungsagentur Weddyplace soll eine Hochzeit in Deutschland im Durchschnitt 13.837 Euro kosten. Möchte ich das überhaupt, heiraten? Das Konstrukt der Ehe ist wahrscheinlich so überholt wie das weiße Brautkleid selbst. Die Vorteile sind gesellschaftlich konstruiert: Steuererleichterung, bessere Absicherungen im Todesfall sowie weniger Komplikationen beim Sorgerecht der Kinder. Nachteile: Fast jede dritte Ehe wird geschieden, der Weg zu einer Scheidung ist lang und kostspielig.

Zwei Bilder, die die Autorin in einem Brautkleid zeigen, auf der linken Seite präsentiert sie sich von der Seite und auf der rechten Seite, sehen wir den Rücken des Kleides, der mit Glitzer besetzt ist.

Tüll, Tränen und Windbeuteltorten

Ich verschwinde ein letztes Mal in die Umkleide. Zuerst schlüpfe ich in den Reifrock, der mir Beinfreiheit genehmigt. Mit den Armen voraus stülpt mir Zippora den Tüll über meinen Kopf. Für das große Finale bekomme ich zudem einen Schleier in die Haare gesteckt. Zippora braucht mehrere Minuten, um das Kleid zu schließen. Über 30 Knöpfe zieren meinen Rücken. Ich schreite wieder vor den Spiegel.

Ich kenne diesen Moment nur aus Sendungen wie Tüll und Tränen: Die Frau kommt aus der Umkleide und fängt vor lauter Glück an zu weinen. Ich habe nie verstanden, wie ein weißes Kleid so viele Emotionen auslösen kann. Und nun stehe ich, die das Konstrukt Hochzeit überholt findet, selbst auf einem Podest und bin begeistert. Ein Hochzeitskleid zu tragen ist wie durch eine rosarote Brille zu sehen. Man vergisst alle Zweifel, sieht nur das Schöne und lässt sich von den Gefühlen leiten. Ich denke nun doch an meinen italienisches Ehegatten. An meine Traumhochzeitstorte, eine Croquembouche – bestehend aus zu einer Pyramide getürmten, mit Vanillecreme gefüllten Windbeuteln, die von einem Netz aus Karamell zusammengehalten wird. Fehlt nur noch Tim Bendzko, der um die Ecke kommt und “Sag einfach ja” in das Mikrofon trällert. 

Warum genau dieses eine Dress solche Emotionen in mir auslöst? Das perfekte Hochzeitskleid ist wie ein Song, der dir auf Anhieb gefällt und Kribbeln im Körper auslöst. Ähnlich wie Musik manipuliert auch Mode. Wer schon morgens in die Trainingsklamotten schlüpft, wird sich eher zum Sport motivieren als im Schlafanzug. Und wer ein perfektes Hochzeitskleid anprobiert, kann sich eher vorstellen, irgendwann zu pompös zu heiraten.

Kleider, die vor Liebe blenden

Ich greife nach dem Tüll, damit er am Boden nicht schmutzig wird, Zippora trägt meinen Schleier, meine Freundinnen schnappen sich den Sekt. Wir laufen nach draußen, auf die Straße, um bei Tageslicht Fotos zu schießen. Das Kleid scheint mir wirklich zu stehen, ich werde von allen Seiten bewundert. Selten habe ich mich so hübsch gefühlt. Wo ist die Frau geblieben, die nur zu Pommes ja sagt? Vielleicht erstelle ich mit diesen Fotos doch ein neues Tinder-Profil? Der Text steht jedenfalls: “Das perfekte Brautkleid habe ich bereits gefunden, jetzt fehlst nur noch du (Herzemoji!)” 

Ein kleiner Scherz, in dem doch ein Funke Wahrheit steckt. Hätte ich das Geld und den Mann, würde ich zu diesem Kleid “Ja” sagen. Wir dürfen ja zu weißen Hochzeitskleider und nein zu einer traditionellen Ehe sagen. Wir dürfen Klischees hinterfragen und trotzdem zelebrieren. Wir dürfen unsere Liebe so feiern, wie wir es wollen. Schlicht oder pompös. Mit oder ohne Pommes.

Auf der linken Seite steht die Autorin im Brautkleid im Brautkleidladen und betrachtet sich selbst auf der rechten Seite Steht sie zwischen Seifenblasen im selben Kleid auf der Straße.

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