Foto oben: Bei der “House of Red Doors” treten zahlreiche Performer auf, wie hier Red, Rash und Inn. Alle Fotos von Krousky Peutrebatre mit freundlicher Genehmigung von Bad Bruises
Der Tiger trägt nichts außer seinen Streifen. Ein silbernes Einhorn tanzt neben einer Riesenqualle, unter deren wabernden Körper aus Stoff eine Handvoll Menschen passen. Daneben ein Rudel halbnackter Katzen: Leoparden, Tiger, Löwen. Häschen und Mäuschen – die Klassiker der Tierverkleidung – gibt es kaum. Auf dieser Tanzfläche möchte niemand ein niedlicher Nager sein, sondern lieber ein Raubtier. Denn das ist das Gegenteil eines Streichelzoos. Hier ist ein Ort der Freiheit. Regeln gibt es keine, außer vielleicht diese: Respektiert einander, küsst, tanzt, fickt, liebt, begrüßt den Eskapismus mit offenen Armen!
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“House of Red Doors” ist eine sexpositive Technoparty, bei der Verkleiden mehr bedeutet als einfach einen Fummel aus Lack und Leder überzustreifen. Hinter den “roten Türen” wartet auf die Gäste jedes Mal eine andere Welt: “Zirkus” etwa, oder “schwarze Magie”. Die verwinkelte Räume des Salons zur Wilden Renate, wo die Partyreihe des Veranstalterduos Alex J. Eccleston and Billie Rae Bigsby alias Bad Bruises schon zum neunten Mal stattfindet, werden immer passend zum Thema inszeniert. Und wenn die eigens engagierten Bühnenkünstler zwischen den Feiernden performen, verschwimmen die Grenzen zwischen Party und Aufführung. Diesmal ist das Thema: Tier. Über der Bar schaukelt gerade eine Raubkatze, im Raum daneben läuft eine Shibari-Performance. In wenigen Stunden werden sich auf der Tanzfläche im ersten Stock ein halbes Dutzend oberkörperfreier Löwinnen winden.
Viele Gäste haben einfach ihre schwarze Fetischoutfits mit ein paar Öhrchen und angemalten Glitzerschnurrhaaren aufgemöbelt. Aber manche haben wirklich viel Zeit in ihr Kostüm gesteckt – sie haben ihren ganzen Körper angemalt, oder komplizierte Masken gebastelt. Die Modedesignerin Marietta, 24, hat ihren Leopardenrock und Top selbst genäht. Gerade sitzt sie im Outdoorbereich der Renate am Lagerfeuer. Die Red-Doors-Partys mag sie vor allem wegen der lockeren Atmosphäre. “Wenn Mädels hier einfach im Stringtanga rumlaufen, wirkt es nicht, als würden sie sich anbiedern. Sie fühlen sich einfach wohl.” Außerdem findet Marietta die Kostüme inspirierend: “Viele sind super kreativ. Und sie helfen auch, das Eis zu brechen. Auf sexpositiven Partys kommt es oft vor, dass man heiß aussieht, aber das Knutschen daran scheitert, dass man nicht weiß, wie man sich gegenseitig ansprechen soll. Hier ist es anders.”
Die Idee, dass man sich schneller näher kommt, wenn man in eine andere Rolle schlüpft, ist älter als der Karneval, wahrscheinlich mehrere Jahrtausende alt. Aber vielleicht hat sie sich genau deshalb bewährt. An der Wasserstelle (also der Bar) kommen die Tiere zusammen und beschnuppern sich. “Was bist du denn für eine Kreatur?”, fragt eine Zebra einen gepunkteten Bären, der eventuell auch ein Affe sein könnte. Letztendlich stellt er sich als ein Marsupilami vor. “Hallo, Artgenossin!”, sagt eine Leopardin zu einer anderen Leopardin, bald trinken sie Shots. Schon ein Paar Stoffohren können helfen, sich näher zu kommen – vor allem wenn man sonst nicht viel anhat. Hier steht kaum einer lässig-gelangweilt herum.
“Auf sexpositiven Partys kommt es oft vor, dass man heiß aussieht, aber das Knutschen daran scheitert, dass man nicht weiß, wie man sich gegenseitig ansprechen soll. Bei ‘House of Red Doors’ ist das anders.” – Marietta, Gast
Wer hier Raubtier und wer Beute ist, bestimmt auf dieser Party nicht das Geschlecht. Das kann sich jeder selbst aussuchen. Und wenn mit einem der Tiere doch der Paarungstrieb durchgeht, kann er schnell eins auf die Pfoten kriegen.
“Mach mal halblang, Kätzchen”, sagt eine Löwin zu einen Typen mit angeklebten Schnurrhaaren, der ihr gerade etwas von seinem “sehr langem Schwanz” erzählt hat.
“Ich bin ein Tiger”, sagt der Kerl.
“Das ist Ansichtssache”, erwidert sie und lacht.
Stimmt. Aber eine gute Frage eigentlich: Haben sich die Menschen als die Tiere verkleidet, als die sie sich fühlen – oder haben sie einfach die Animalprint-Klamotten rausgeholt, die ohnehin bei ihnen im Schrank hingen? Ein Kerl in Raubtier-Maske, schwarzer Unterhose mit angenähtem Schwanz und sonst nicht viel an meint: “Ich bin ein Panther und das passt gut. Sie sind sehr elegante Tiere, sie sind schnell aber wirken nie gehetzt.” Ein Mann im Halsband erklärt: “Wenn ich beim Sex die submissive Rolle einnehme, bin ich gern ein Hund. Da war das Kostüm naheliegend.”
Egal ob Hund, Panther oder Leopard – bei House of Red Doors sind alle Tiere nachtaktiv. Und knutschend artübergreifend – Zebra mit Löwe, Bär mit Echse, selbst die Riesenqualle wabert so, als würden die Menschen in ihr drin rummachen. Vielleicht hat man genau das gebraucht, um sich näher zu kommen – eine Nacht lang ein Tier sein.
Als die Sonne aufgeht, scheinen die Sätze, mit denen die Veranstalter die Party bewarben, gar nicht mehr kitschig:
“In unserer entwickelten Gesellschaft, in der wir zum Teil göttlich, zum Teil Bestie sind, sehnen sich unsere Seelen danach, durch Äonen der Zeit dorthin zurück zu kehren, was zuvor war. Unseres natürliches Selbst, das menschliche Tier.”
Dieser Artikel ist zuerst bei THUMP erschienen.
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