Drogen

Ich habe ein Praktikum in einer Cannabis-Fabrik gemacht

fabrica de canabis din germania, cum se produce iarba legal

Ich habe absolut keine Ahnung von Cannabis und arbeite bei VICE. Der Redaktion, die darüber inklusive dieses Textes 612 deutschsprachige Artikel veröffentlicht hat. Wie ich mich da eingliedere? Eigentlich gar nicht. Vielleicht zweimal in meinem Leben habe ich an einem Joint gezogen. Cannabis war nie eine Droge, die mich fasziniert hat. Es hat mich sogar eher abgestoßen. Kiffer waren irgendwie immer die Leute, die zu langsam sprachen und auf fleckigen Gammelsofas in den Tag hinein lebten. So haben es mir Popkultur und Politik zumindest beigebracht – Kiffen ist dumm und gefährlich. Aber die Zeiten haben sich geändert.

Die Bundesregierung will Cannabis für den Freizeitkonsum legalisieren. Gesundheitsminister Karl Lauterbach hatte Mitte März angekündigt, “in den nächsten Wochen” einen Gesetzentwurf vorzulegen. Wenn die Legalisierung kommt, könnte sie vieles verändern. Für manche Menschen wird das Feierabendbier womöglich zum Feierabendjoint. Und die 4,5 Millionen Menschen in Deutschland, die jetzt schon kiffen, müssen sich dafür bald nicht mehr verstecken. Dann ist Kiffen normal. Ich will mich auf diese Zeit vorbereiten und klar, ich könnte mir einfach ein bisschen Gras reinzimmern, schließlich findet man das in manchen Großstadtecken schon jetzt schneller als einen Parkplatz. Aber dann müsste ich husten und das möchte ich nicht.

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Anfang März stehe ich im sächsischen Ebersbach auf dem Gelände eines ehemaligen Schlachthofs. Von überall gucken Kameras auf mich herab. Hinter den 24 Zentimeter dicken Betonwänden wird heute nicht mehr getötet, sondern gegärtnert. Die Firma Demecan produziert hier jährlich eine Tonne medizinisches Cannabis. Sie ist eine von drei Firmen in Deutschland, die eine Genehmigung dafür haben – und heute ist Erntetag. Ich stehe auf der Besucherliste und werde an den Sicherheitsleuten vorbei durch die Schleuse geführt. 

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“Passt schon, die gehört zu mir”, sagt Muhammad Abd El Qadir, der Pressesprecher von Demecan. Er führt mich für mein Ein-Tages-Praktikum durch die 100.000 Quadratmeter große Fabrik. Eine Tonne Cannabisblüten erntet das Team hier pro Jahr. Den Bedarf an medizinischem Cannabis in Deutschland deckt das noch lange nicht: Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte wurden 2022 knapp 25 Tonnen Cannabis für medizinische Zwecke nach Deutschland importiert. Platz hätte das Unternehmen genug, um noch viel, viel mehr anzubauen – bis zu zehn Tonnen Cannabis könnte man auf dem Gelände anpflanzen und ernten. Bisher hat die Firma dafür noch keine Erlaubnis. Die könnte aber kommen, wenn Cannabis auch für den Freizeitkonsum legalisiert werden würde.

Heute muss ich mich noch mit legalem Medizinalcannabis zufrieden geben. Schon die Tatsache, dass hier Produkte für die Pharmaindustrie entstehen, nimmt mir meine Bedenken. In Deutschland hergestellte Medikamente sind schließlich sicher. Hoffe ich zumindest. Bevor Muhammad mich auch nur in die Nähe der Pflanzen lässt, muss ich in einem Vorzimmer meine Schuhe gegen rote Crocs tauschen. Im zweiten Vorzimmer wasche ich meine Hände und tausche die roten Crocs gegen grüne, die bei jedem Schritt quietschen. Dann ziehe ich einen weißen Schutzanzug über, der mich aussehen lässt wie ein Spermium, um dann noch einmal meine Hände zu waschen. Steril betreten Muhammad und ich das Innere der Fabrik. 

Pressesprecher und die Autorin im Blüteraum.
Im Blüteraum erklärt Pressesprecher Muhammad Abd El Qadir der Autorin die Basics

Bin ich auf einem Konzert von SSIO oder in einer Fabrik für Pharmazeutika? Wenn ich nur meinen Geruchssinn hätte, ich wüsste es nicht. Es riecht wahnsinnig stark und muffig nach Cannabis. Daneben erkenne ich eine frische, an Putzmittel erinnernde Orangennote. Wir könnten auch in einer WG voller hängengebliebener Kunststudierender sein, die großen Wert auf saubere Toiletten legen. Vielleicht bin ich aber auch schon passiv high. 

Ich blicke mich um und sehe nichts als krankenhausweiße Flure und Kameras. Vor mir liegt ein Gängelabyrinth, in dem sich Muhammad schon einige Male verlaufen hat, wie er mir flüsternd erzählt. 

Babyweed in der Aufzuchtstation

“Wir beginnen einfach mal mit den Babys”, sagt Muhammad und führt mich in einen Raum mit einem Kühlschrank, der locker den Wocheneinkauf einer amerikanische Großfamilie fassen könnte. Darin lagern jedoch keine Lebensmittel, sondern winzig kleine Cannabispflänzchen, die in Plastikdosen vor sich hintreiben. Ich würde gerne eines der Döschen in die Hand nehmen, aber das wäre wohl zu viel verlangt. Diese Babys sind die Zukunft des Unternehmens. Es sind Klone, die pro Sorte von einer einzigen Mutterpflanze abstammen. Angepflanzt werden hier zwei Sorten: Bubba Kush und Orange Velvet. Jetzt weiß ich auch, woher der Orangengeruch kommt. Die Pflanzenbabys wachsen in einem nährstoffreichen Glibber heran und dürfen ihre Boxen verlassen, sobald sie eine bestimmte Größe erreicht haben. Fast wie bei uns Menschen.

Auf der linken Seite sieht man einen großen Kühlschrank, in dem kleine Cannabispflanzen wachsen, auf der rechten Seite sieht man das Innere der Fabrik.
In einem Kühlschrank lagern Cannabis-Klone (l.), der Unternehmenssprecher hat sich in den weitläufigen Fluren der Anlage schon verlaufen

In gelbe Schaumstoffblöcke umgesiedelt, wird jede Pflanze mit einem GPS-Sender ausgestattet und rund um die Uhr mit der perfekten Menge an Wasser und Dünger versorgt. Warum die GPS-Sender? Weil jede dieser Pflanzen, je nach Ertrag, bis zu mehrere Tausend Euro wert ist. Wer in Versuchung geraten und einen dieser GPS-Sender entfernen würde, müsste damit rechnen, von den gefühlt einer Trillion Kameras gefilmt zu werden.

Neben dem Duft fällt mir in der Fabrik die Hingabe der Angestellten auf, mit der sie die Pflanzen so behutsam behandeln, als wären sie Hundewelpen. Die Räume wirken sauberer als in einem Krankenhaus, jeder Produktionsschritt bis ins kleinste Detail optimiert. Vielleicht ist Cannabis gar nicht so schmuddelig, wie ich bisher angenommen hatte.

So langsam bekomme ich Lust, einfach mal in so eine sterile Pflanze reinzubeißen. Ob ich davon high werden würde? Muhammad schmunzelt und sagt: “Nein, die Pflanzen müssen vorher getrocknet werden und auch dann würdest du nur high werden, wenn du das getrocknete Cannabis mit Wärme behandeln würdest. Etwa durch Anzünden oder Erhitzen in einem Topf.” Ich lerne viel in diesem Praktikum.

In der nächsten Station, dem sogenannten Blüteraum, herrschen mollige 25 Grad. Die knapp einen Meter hohen Pflanzen reflektieren das goldene Licht der Deckenlampen, die sie zum größtmöglichen Wachstum motivieren. 

Foto von dem Blüteraum, der mit gelbgoldenen Licht bestrahlt wird.
Sieht aus wie das Bernsteinzimmer und ist ebenfalls ziemlich wertvoll: Der Blüteraum

Bürokräfte werden zu Erntehelfern

Bis zur heutigen Ernte sind die Pflanzen drei bis vier Monate lang herangereift. Auf diesen Tag haben hier alle sehnlichst gewartet, denn er kommt nur zweimal im Monat vor. Muhammad führt mich in den nächsten Raum und was mich dort erwartet, würde jedem Kiffer vor Freude das Herz sprengen.

Auf dem Foto wird der Schnittraum gezeigt. Viele Mitarbeiter in grünen Anzügen knipsen Blätter von den Cannabispflanzen.
Floristik Kartell-Style: Der Schnittraum

Ich stehe in einer Hotbox ohne Rauch. Der Cannabisgeruch bisher war nichts gegen die Duftschwaden in diesem Raum. An vier metallenen Arbeitsbänken knipsen Angestellte die Blüten von den Zweigen. Werkstudenten, die eigentlich im Berliner Büro des Unternehmens arbeiten, sind extra in die sächsische Einöde gefahren, um zu helfen. 50 Kilo Gras werden es am Ende sein. Selbst die Rechtsabteilung pflückt mit. Die abgeernteten Stiele landen im Sondermüll. Von irgendwoher schallt laut 90er-Jahre-HipHop durch den Raum, die Stimmung ist ausgelassen. Zu ausgelassen? Ich frage einen Mitarbeiter, ob er in dieser Abteilung manchmal passiv high wird. “Das kann ich dir gar nicht genau sagen, weil ich selbst Cannabis-Patient bin”, sagt Michael Müller. Er sei gelernter Gärtner und dachte, dieser Job passe ganz gut zu ihm. “Früher haben meine Freunde ein paar Witze à la ‘Drogendealer’ über mich gemacht, das war mir aber schon damals egal und ist es immer noch.”

Mitarbeiter Michael Müller zeigt eine Pflanze, die voll mit Cannabisblüten ist.
Mitarbeiter Michael Müller präsentiert sein Arbeitserzeugnis

Cannabis wird häufig gegen chronische Schmerzen verschrieben. Es kann aber auch bei Epilepsie, Spastiken oder verschiedenen Symptomen von Multipler Sklerose helfen, außerdem gegen Übelkeit und Erbrechen während einer Chemotherapie. Menschen, die an Anorexie leiden oder aufgrund einer Krebserkrankung keinen Appetit haben, kann der Konsum von Cannabis dabei helfen, Essen zu sich zu nehmen. 

Mitarbeiter knipsen Cannabisblüten von ihren Stielen
Pharmazeutische Handarbeit: Cannabisknipsen

Müller und das restliche Team haben die Pflanzen ordentlich zerpflückt, an den Blüten hängen nur noch vereinzelt Blätter. Für die Weiterverarbeitung reicht das aber nicht. Dafür steht im nächsten Raum der sogenannte Trimmer. Diese Maschine rüttelt die letzten kleinen Blätter von den Blüten und ist so laut wie ein Presslufthammer, der genau neben dem eigenen Ohr eine Straße aufreißt. Um sich vor Cannabis-Feinstaub zu schützen, tragen die Mitarbeiter hier Masken mit Sauerstoffschläuchen, die sie wie Astronauten aussehen lassen. Ich bekomme keine Maske und bin jetzt vielleicht endlich mal high. Vielleicht habe ich aber auch nur besonders gute Laune. 

Ein Mitarbeiter mit einer Sauerstoffmaske kippt getrocknetes Cannabis in Metallwannen
Nach dem Trimmen ist vor dem Trocknen

Das Gras ist nach dem Trimming unbeblättert nackt und kann getrocknet werden. Mitarbeiter kippen die Blüten in Metallwannen und schieben sie in einen Trocknungsofen, dessen Hitze ihnen über mehrere Tage hinweg alle Feuchtigkeit und ein Drittel ihres Gewichts entzieht. Anschließend werden sie luftdicht verpackt und an Apotheken verschickt.

Cannabisblüten
Das Endprodukt

“Ja, und das isses eigentlich schon”, sagt Muhammad. Ich habe mein Praktikum absolviert. Mit anpacken musste ich nicht, aber ich habe zumindest viel gelernt. Und zwar, dass Cannabis keine Schmuddelpflanze ist, sondern medizinisch ziemlich viel leisten kann. Wenn Cannabis für den Freizeitkonsum nach der Legalisierung genauso sauber und wissenschaftlich angebaut wird wie hier, würde ich es vielleicht noch einmal probieren und ein drittes Mal an einem Joint ziehen.

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