Ich bin zum ersten Mal nüchtern ausgegangen

Ein Selfie mit einem Wasser um diesen Artikel zu bebildern.

Für jemanden, der in Freundeskreisen unterwegs ist, in denen der Ausdruck straight edge”, respektlos und inflationär verwendet wird, stand es nicht unbedingt ganz oben in meiner Prioritätenliste, einen tatsächlichen straight edge-Abend zu verbringen. Straight edge soll heißen: Keine Rauschmittel. Absolut keine Rauschmittel. Nüchtern auf einer Party eben. Ich kenne so etwas eigentlich nur aus Saturday Night Fever, einer Serie, in der einer dieser HanslnMoltiangeblich nüchtern bleibt. Weil er offensichtlich der einzige Führerschein-Halter ist. Da ich diese Serie in Wirklichkeit niemals nüchtern ertragen habe, ziehe ich meinen Hut vor diesem Molti, der seinen intellektuellen Anhang (angeblich) nüchtern ausgehalten hat. Nach dieser Nacht weiß ich: Es ist nicht nur der eigene intellektuelle Anhang, der einen an die psychischen Grenzen der Selbsterfahrung bringt. Versteht mich nicht falsch—Ich liebe meine Freunde. Ich mache auch ur gerne nüchtern und untertags was mit ihnen. Gerne genieße ich meine Nüchternheit samt Aktivitäten an sechs Tagen und Abenden in der Woche. Ich habe auch keine Suchtmittel-Störung, zumindest schätze ich es nicht so ein. Eher, bin ich eine typische Single-Soziologie-Studentin Mitte 20. Ich gehe einmal die Woche fort, aber dafür ordentlich. Den Rest der Woche verbringe ich damit, mich wieder körperlich und psychisch zu fangen. Was, dank steigendem Alter, ein immer langwierigeres Projekt zu sein scheint. Deshalb umso einleuchtender die Idee, einmal nicht straight to the edge und far beyond zu gehen, sondern straight an der edge zu bleiben.

Die Veranstaltung meiner Wahl war ein Open-Air an, dem ich mit hausgemacht involviert war. Und nein, es war nicht Arbeit—ich habe lange vor dem Abend bereits die Verantwortung an die anderen Mädels abgegeben, da ich am nächsten Tag Dienst hatte. Sprich: Mein Besuch dort, hätte genauso komplett berauscht enden können. Das Vorglühen fing relativ harmlos an, wir unterhielten uns ausgelassen. Es gab keinen Unterschied zwischen Mineralwasser und Spritzer, zumindest am Anfang nicht. Am Anfang ist noch alles gut. Man hat anregende Gespräche, lacht viel und ist locker. Das ist auch die Zeit, in der man den wahnwitzigen Gedanken „Ah, pf, wer braucht schon Alkohol” hat. Habt ihr gelesen? Wahnwitzig. Nun, es ist alles wie sonst, außer, dass es in meinem Fall für meine Freunde anscheinend ein achtes Weltwunder darstellt, dass ich keinen Spritzer in der Hand halte. Da mir in einigen fremden Leserkommentaren bereits ein Entzug nahegelegt wurde, wundert mich diese Reaktion von Freunden nicht unbedingt. Um ehrlich zu sein, würde ich genauso deppat reagieren, wenn man mich mit so einem Blödsinn konfrontieren würde.

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Alle fünf Minuten zu erklären, dass man heute einfach nichts trinkt ist trotzdem zach. Vor allem, wenn mit den vergehenden Minuten, der Sinn des Nüchternbleibens sich mehr und mehr in der Ferne auflöst. Aber stay strong, Fredi. Papa hat seine Tochter nicht zu einem suchtaffinen Abfuck der Gesellschaft erzogen. So habe ich ab einer gewissen Uhrzeit alle anderen gesehen. Tja, so schnell gewöhnt man sich die Hochnäsigkeit der Nüchternen an. Es war mental so, als wäre ich noch nie besoffen gewesen. Ich war besser. Ich war gesünder. Mann, stand ich über allen Teilzeit-Alkoholikern drüber. Ganz weit drüber. Ich weiß jetzt wie sich Veganer fühlen. Oder überzeugte Katholiken. Das Selbstbewusstsein, welches man aus der Selbstdisziplin schöpft, ist immens. Wie lächerlich das ist, ist mir eh im Laufe des Abends öfter gekommen, aber ich meine, es ist irgendwie das einzig gute Gefühl, das einem bleibt. Weil selbstdisziplinieren sonst wirklich zu 100% scheiße ist. Es bleibt einem einfach nur die Gewissheit, dass man etwas nicht macht, obwohl es irgendwie alle anderen machen.

Mein geliebter Spritzer. I missed you.

Auf der Party angekommen, waren natürlich alle, um es auf wienerisch auszudrücken, bum türdl zua”. Aber hey, kein Problem für mich. Alles cool. Die ersten fünf Minuten zumindest. Gegen Zwölf fingen meine Freunde an, mich mit ihrem Bsuff zu nerven. Wusstet ihr, dass man sich alkoholisiert wirklich unnötig oft wiederholt, lallt und sentimentale Scheiße redet? Ich wusste es eh auch, aber es wird einem schrecklich-schmerzhaft bewusst, wenn man nüchtern bleibt. Fremde Menschen machen es auch nicht besser. Wirklich nicht. Männer lallten mich an. Eine Situation, die unter berauschten Umständen in meinem Hirn als „Der supermännliche Typ hat mich supermännlich und supersexy angegraben“ abgespeichert worden wäre, ist mir nur als Wäh, Oida, du stinkst und lallst, geh weg” in Erinnerung geblieben. Überhaupt habe ich mich ab ein Uhr morgens, wie ein Nobelpreisträger unter unwissenden Unzivilisierten gefühlt. Das nennen sie Spaß? Diese lachhaften Individuen!

Es war mir auch ab dem Zeitpunkt nicht mehr möglich irgendwelche Arten von Gesprächen ernst zu nehmen. Gar keine. Ich betone, dass ich nie wie dieser Molti, ein Fahrer bin. Nachdem ich nicht besonders gut fahre, fährt niemand, der mich kennt, freiwillig bei mir mit. Ich bin von dieser Schmach erlöst. Nüchtern auf Partys zu sein, passiert mir eigentlich auch nicht. Ein oder vier Spritzer gehen immer. Deshalb war die Uhrzeit, der Ort und der Zustand eine ganz neue Erfahrung für mich, mit der ich eventuell mental nicht wirklich umgehen konnte. Ich habe kurz bei Gesprächen mitgehört in denen Vollberauschte sich miteinander unterhalten haben. Es war faszinierend mit welcher Leidenschaft man an einander vorbeireden kann. Lallend. Die eine Seite hat über die schreckliche FPÖ sinniert, die andere hat über Uni-Gebühren gesprochen und der dritte Typ hat sich mit seiner Ex eingebaut. Das waren ernsthafte Gespräche, die für alle drei irgendwie sinnvoll erscheint haben müssen, aber echt nicht waren. Ich wollte dann kurz mentor-artig vermitteln, aber oh boy, nie wieder.

Wenn ich an diesem Abend etwas gelernt habe: Man mischt sich nicht in besoffene Gespräche ein. Man sucht auch keinen Sinn in besoffenen Gesprächen. Jemandem zu sagen „Herst, Junge, du wiederholst dich und du redest irgendetwas”, macht dich zum Staatsfeind des gesamten Gespräches. Obwohl du Recht hast. Das habe ich auch gelernt: Als nüchterner Mensch hast du grundsätzlich nicht Recht. Zumindest bei Betrunkenen nicht. Die sind aggressiv, sinnbefreit und wissen alles besser. Das hat mich schrecklich an meine Gymnasiums-Professoren erinnert, weshalb ich dann auch zu den Kiffern in die Wiese gesetzt habe. Die Kiffer in der Wiese sind gegen eins aber ungefähr so gesprächig wie sedierte Schnitzel. Der Vergleich hinkt, aber ich will damit sagen, dass sie es gar nicht sind. „Egal” ist ein Vokabel, an welches man sich gewöhnen sollte. Ich konnte da nicht lange sitzen bleiben, da ich als nüchterner Mensch natürlich immer müder und müder geworden bin. Also ab auf die Tanzfläche tanzen.

Eine Tanzfläche, die ich nicht am besagten Abend fotografiert habe. Schaut euch die Alkis mit ihrem Bier an. Pfui.

Tanzen macht nüchtern übrigens auch nicht unbedingt mehr Spaß, da einem das Anrempeln mehr auffällt. Außerdem hat man keinen lockeren, breiten Musikgeschmack, sondern ist bei jedem Track viel kritischer. Das typische „WUHU” verachtet man auch automatisch. Im Laufe des Abends, wurden mir auch andere Drogen angeboten, von Menschen die ungewöhnlich schnell gesprochen haben und deren Augen mich groß angesehen haben. Ich ahnte, dass ich lieber gar keine Gespräche mit dieser Gruppe anfange, da ihre Erscheinung an sich angsteinflößend war.

Grundsätzlich hatte ich natürlich schon auch meine lustigen Momente. Am liebsten habe ich Gespräche von anderen mitgehört, wobei der Spaß darin lag, die verschiedenen Rausch-Personen miteinander in ein Gespräch zu verwickeln. Kiffer und Besoffene verstehen sich zum Beispiel überhaupt nicht. Das war total lustig. Betrunkene und Ecstasy-Berauschte verstehen sich blendend. Kiffer verstehen sich eigentlich mit niemanden, fällt mir jetzt bei dieser Aufzählung auf, weil sie eben gechillt sind. Also sie verstehen sich irgendwie mit allen, aber eigentlich auch mit niemanden. Versteht ihr was ich meine? Mit wirklich niemanden verstehen sich die Nüchternen. Wobei das wahrscheinlich zu 80% an mir selbst lag. Immerhin habe ich mich wirklich hochnäsig gefühlt und das auch nicht versteckt. Ich habe niemanden ernst genommen und alle haben mich ab einem Zeitpunkt genervt. Außerdem wurde ich müde und wollte dann irgendwann auch heim. Vermeintlich alleine und einsam war ich mit meinem Zustand auch. Allerdings kenne ich Menschen, die öfters nüchtern auf Partys gehen und das auch wirklich, ernsthaft, genießen. Wenn ich es üben würde, wäre es wahrscheinlich ab irgendwann bei mir auch so.

Ich glaube aber nicht, dass ich es so bald wieder machen werde, also komplett nüchtern bleiben. Übrigens war ich am nächsten Tag genau so im Arsch, nur ein klein bisschen weniger. Schlafentzug addiert mit Alter ist halt auch eine Rechnung, die nicht ohne ist. Ich unterhalte mich schon gerne, ich flirte auch gerne und ich tanze auch gerne. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass meine Nüchternheit mir den vollen Genuss an diesen Dingen genommen hat. Hat sie eh nicht—ich weiß, ich weiß—bevor man mich wieder in den Entzug schickt. Aber es ist viel einfacher, diese Sachen zu genießen, wenn man sie mit einem Spritzer ölt. No Shit. Müssen ja nicht immer vier Spritzer mit dem Mischverhältnis 90 zu zehn sein. Kann ja auch manchmal nur ein wirklicher Spritzer bleiben. Prost!

Fredi war wohl nur die ersten 14 Lebensjahre straight-edge: @schla_wienerin.

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Thumbnail: Flickr | American Whiskey | CC-BY 2.0

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