Mit den Dessous ist es wie mit dem Geschenkpapier. Innerhalb von Sekunden reißen wir die Verpackung auf und schmeißen sie in die Ecke. Dabei kostet das Einpacken viel Geld, Zeit und Mühe.
Beim Aussuchen in der Umkleide fühle ich mich noch wohl. Dort drehe ich mich nach links und rechts, schaue in den Spiegel und lasse den Blick entlang meiner Kurven gleiten. Schleifchen, Kordeln und Körper: Alles ist aufeinander abgestimmt. Meine Dessous haben Anerkennung verdient. Ich möchte sie in Szene setzen, ganz langsam über meinen Körper streifen.
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Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, ich hätte nicht schon versucht, zu strippen. Doch sobald ich meinen hübsch verpackten Körper im Schlafzimmer präsentieren möchte, kriecht mein Selbstbewusstsein schnell unter die Bettdecke. Mit jedem Kleidungsstück das ich ausziehe, habe ich das Gefühl, etwas falsch zu machen. Wirkt das albern? Arrogant?
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Woran das liegt? Mir wurde als Frau immer wieder eingetrichtert, was Hetero-Männern gefällt. “Mann verführen: Mit diesen 10 Tricks klappt’s garantiert”, schreibt beispielsweise die Cosmopolitan und das Frauenmagazin Wunderweib verrät “5 Dinge, mit denen wir unseren Mann wirklich glücklich machen können”.
Im Fokus steht dabei immer der Mann, nicht ich. Als ob ich alles nur für meinen Partner mache und mich selbst dabei vergesse. Männer mögen heiße Unterwäsche. Sie mögen es, wenn Frauen für sie strippen. Aha, und die Frauen selbst? Vielleicht hat das strippen nie funktioniert, weil ich das immer für mein Gegenüber gemacht habe, nicht für mich. Das soll sich ändern. Deshalb habe ich einen Online-Stripkurs besucht. Für mich.
Ein Stuhl, ein Rotwein und acht andere Frauen
Ich sitze in meinem Wohnzimmer auf einem Stuhl, in meiner Hand halte ich ein Glas Rotwein. Vor mir steht ein Hocker, darauf der Laptop. Ich trage High Heels und zupfe an meinem Oberteil. Es passt zum engen Rock und zeigt ein bisschen Bauch. Zu viel Bauch? Ich ziehe das Oberteil runter, richte mir die Haare und rutsche nervös hin und her. Draußen ist es schon dunkel, die Stehlampe leuchtet direkt in mein Gesicht, damit ich hinter der Kamera gut zu erkennen bin. Spotlight, fast wie im Stripclub.
Der Kurs dauert 90 Minuten und kostet 15 Euro. “Bitte warten Sie, bis der Host dieses Meeting beginnt”, lese ich. Kurz darauf öffnet sich ein digitaler Trainingsraum via Zoom. Auf dem Bildschirm winken mir acht Frauen entgegen. Acht Frauen, denen ich abseits des Kurses niemals zugetraut hätte, dass sie sich gleich alle vor mir ausziehen werden.
Die Kameras müssen alle angeschaltet bleiben. Nicht, dass sich hinter Susis Laptop plötzlich Walter versteckt.
Es ist komisch, die Teilnehmerinnen nicht persönlich kennenzulernen. Schließlich teile ich einen intimen Moment mit ihnen. Ich soll mich vor fremden Menschen so bewegen, wie ich es mich nicht mal vor meinem Liebsten traue. Ihnen wiederum geht es nicht anders. Gleich räkeln, spreizen und tänzeln sie vor meinen Augen. Darf ich ihnen zusehen und will ich das überhaupt?
Um einen “Safe Space” zu schaffen, dürfen beim Online-Stripkurs nur Frauen mitmachen. Die Kameras müssen alle angeschaltet bleiben. Nicht, dass sich hinter Susis Laptop plötzlich Walter versteckt. Dass wir uns wohl und sicher fühlen, ist unserer Lehrerin Sabrina besonders wichtig. Die 33-Jährige ist nebenberuflich Poledance-Tanztrainerin, was ihr straffer Bauch und ihre Stange im Wohnzimmer beweisen. Sie begrüßt uns, fragt, ob es uns gut geht. “Geht der Ton? Daumen nach oben. Sehr schön!”
Ich werde als einzige vorgestellt, die Reporterin für VICE, die jetzt strippt. Wo hatte ich gleich mein Glas Rotwein hingestellt?
Sie nennt uns “ihr Lieben”, lächelt und ist auf Zack. Wie die Trainerinnen aus dem McFit, die ihre Live-Workouts in 20 Minuten durchpowern, ständig loben und möchten, dass jede beim Schwitzen “Spaß” hat.
“Vorweg: Macht das so, wie sich das für euch richtig anfühlt”, sagt Sabrina immer wieder. Im Gegensatz zu den perfekten McFit-Trainerinnen wirkt sie nicht einschüchternd, eher sympathisch. Sie trainiert nicht im Tanzstudio, sondern wie wir im Wohnzimmer zwischen Sofa, Tisch und Schrank. Während sie uns begrüßt, tapst ihr Hund kurz vor die Kamera. Alle lachen, das nimmt uns ein wenig Nervosität.
Ein richtiges Kennenlernen gibt es nicht. Ich hatte gehofft, wir sagen uns erst einmal hallo, bevor wir uns ausziehen. Ich werde als einzige vorgestellt, die Reporterin für VICE, die jetzt strippt. “Hallo!” Wo hatte ich gleich mein Glas Rotwein hingestellt?
Sabrina sagt, wir beginnen mit einem Warmup. “Dann machen wir drei Minuten Pause, damit ihr euch schnell die richtigen Klamotten anziehen könnt.” Ehe ich darüber nachdenken kann, was mit “richtigen Klamotten” gemeint ist, befinde ich mich schon in der Kniebeuge. Mein Rock rutscht hoch, das Oberteil auch. Hatte ich erwähnt, dass ich High Heels trage? Eindeutig die falschen Klamotten. Ich wollte doch Strippen lernen, warum fühle ich mich wie beim Sport? Ich würde mich im Schlafzimmer ja auch nicht warm machen, bevor es heiß zugeht. Wir dehnen uns: rechtes Bein, linkes Bein. Strippen fühlt sich gerade doch eher an wie Cardio bei McFit.
Holzfällerhemd mit vielen Knöpfen für einen langen Striptease
In der Pause nach dem Warmup sollen wir uns umziehen. Damit wir lernen, “richtig” zu strippen, sollen wir zwei Paar Unterwäsche übereinander tragen. Das eine Paar zum Ausziehen, das zweite, um nicht nackt vor der Kamera zu stehen. Logisch – hätte ich selbst draufkommen können.
Sabrina gibt uns den Tipp, dass eine Bluse fürs Strippen besonders gut geeignet ist, weil sie sich langsam aufknöpfen lässt. Aus einem Rock kann man einfach rausschlüpfen, aus einer Hose nicht. Aber eigentlich sei es egal, was wir tragen. “Hauptsache, ihr fühlt euch wohl. Es gibt kein richtig oder falsch”, sagt Sabrina.
Ich bin kurz irritiert, dass wir nicht zum Sex-Playlist-Gott The Weeknd strippen, sondern zu Two Feet.
Ich husche in mein Schlafzimmer, ziehe mein Oberteil aus und krame im Kleiderschrank nach einer Bluse. Vergeblich. Das Einzige, was ich auf die Schnelle finde, ist ein Oversize-Holzfällerhemd. Das hat so viele Knöpfe, das reicht locker für zwei Striptease, denke ich. Mein Po und Busen ist doppelt in Unterwäsche verpackt. Zwei BH’s lassen meine Oberweite bombastisch wirken. Sieht sexy aus, fühlt sich aber so ungeil an wie die Thermowäsche bei einem Skiausflug.
Wir starten im Stehen, die Arme nach oben, den Rücken zur Kamera. Sabrina macht die ersten Schritte vor, wir machen sie nach. Sabrina macht Musik an. Ich bin kurz irritiert, dass wir nicht zum Sex-Playlist-Gott The Weeknd strippen, sondern zu Two Feet.
Sabrina führt uns Pose für Pose durch die Choreografie: Hüfte schwingen nach links, Hüfte schwingen nach rechts. Möglichst lasziv, arrogant. Arme wieder nach unten streifen über Nacken, Dekolleté und Brüste. Schnell zur Seite drehen, runter in die Hocke. Dann wieder hoch, den Po raus, die Beine strecken. Wie eine sexy Schlange. Ich bin zufrieden mit mir.
“Gibt es Fragen?”, hakt Sabrina nach. Eine Teilnehmerin mit russischem Akzent, ich schätze Ende 40, schaltet ihr Mikrofon an. “Wie mache ich den linken Fuß bei der ersten Drehung?”
Popo wackeln im Safe-Space
Ich weiß nicht, was für Teilnehmerinnen ich erwartet habe. Vielleicht solche, die verrückte Junggesellinnenabschiede feiern und der Braut ein pinkes Plastikkrönchen aufsetzen. Die Frauen, die mich über den Bildschirm anlächeln, wirken braver. Sie sitzen in ihren Schlaf- und Wohnzimmern und lernen Striptease, als sei es Tango.
Eine von ihnen tanzt in einem großen Wohnzimmer das vollgestellt ist mit einer Schrankwand, Vitrine und Couchtisch – alles aus dem gleichen, dunklen Massivholz. An den Fenstern hängen weiße Gardinen, die Hängeleuchte bringt etwas Licht ins Dunkle. Eine andere, etwas jüngere Teilnehmerin, hat nur ein kleines Zimmer, eher spartanisch eingerichtet. Sie steht nah vor der Kamera, den Blick stetig nach unten gerichtet.
Während die einen unter dem ersten Höschen eine Strumpfhose tragen, strecken andere ganz ungeniert ihren halbnackten Po vor die Linse.
Wahrscheinlich steht der Laptop direkt vor ihren Füßen auf den Boden. Wie sie dabei aussieht, scheint ihr egal zu sein. Die Frauen sind einzig allein auf sich und die Choreo konzentriert. Sie wollen alles richtig machen, sich alles merken, jede Bewegung, jeden Schritt. Wie Erdmännchen schauen sie hoch in die Kamera, wenn Sabrina die Übungen am Boden vormacht.
Während die einen unter dem ersten Höschen eine Strumpfhose tragen, strecken andere ganz ungeniert ihren halbnackten Po vor die Linse. Den meisten gelingt das Strippen ziemlich gut. Beine spreizen, auf den Boden mit dem Popo wackeln: Sie können das alles locker aus der Hüfte.
Cardi B auf Wish bestellt
Ich verstehe mittlerweile, warum wir uns vor dem Strippen aufwärmen sollten: Eine achtminütige Choreografie in 90 Minuten durchzugehen ist knapp berechnet und fucking anstrengend. Beine spreizen, twerken, Hüfte drehen. Um den Stuhl drehen. Auf dem Stuhl drehen. BH ausziehen, BH anziehen. Strippen ist Sport. Nicht nur für meinen Po, auch für mein Hirn. Manche Posen überfordern mich. Wir sollen uns an eine Wand lehnen, einen Arm ausstrecken, darunter winden – und dabei ästhetisch wirken. Hä? Ich sehe aus wie Cardi B auf Wish bestellt.
Ich überspringe die Stelle, wackle stattdessen lieber mit dem Po oder ziehe irgendetwas aus. Den Teilnehmerinnen geht es ähnlich. “Kann ich statt das Bein in die Luft zu strecken, etwas anderes machen?”, fragt eine von ihnen. Sabrina zeigt uns einfachere Posen. Wir bekommen sogar erklärt, wie wir unseren BH mit einer Hand öffnen: Mittelfinger unter den Verschluss legen, Zeigefinger und Daumen auf je eine Seite der Haken. Drücken, zack. Die 90 Minuten gehen schneller vorbei, als ich mein Glas Rotwein leer trinken kann.
Meine Dessous bekommen zukünftig die Anerkennung, die sie verdient haben. Mindestens für acht Minuten.
Wir sollen uns so bewegen, dass zuallererst wir uns heiß finden – nicht unsere Partnerinnen und Partner. Die haben während des ganzen Kurses keine Rolle gespielt. Wir sollen uns weder jemanden auf dem Stuhl vorstellen, noch lernen, ihm richtig in die Augen zu schauen. Es geht allein um uns und genau das ist fantastisch.
Bin ich nach den 90 Minuten Stripkurs eine “Magic Meike”? Eher nicht. Es geht aber nicht um die perfekte Strip-Choreo, sondern um den Mut, seinen Körper zu präsentieren. Nach dem Kurs weiß ich sicher, dass ich nicht nur strippen möchte, um jemand anderem zu gefallen. Sondern weil es mir gefällt. Meine Dessous bekommen zukünftig die Anerkennung, die sie verdient haben. Schleifchen und Spitze bleiben am Körper. Mindestens für acht Minuten.