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Popkultur

Wir haben unserem Praktikanten einen Monat lang Emojis verboten

Und er machte sich bei seinen Freunden damit sehr unbeliebt.

Der Autor posiert als sein Lieblings-Emoji, der lachende Kackhaufen. Alle Fotos und Screenshots von ihm, sofern nicht anders angegeben

Schreckliche Jeansjacken, ins Haar rasierte Muster und "I'm Blue" von Eiffel 65 auf Maximalrotation. Das war meine Kindheit auf dem Dorf.

Aber immerhin bekam ich mit elf mein erstes Handy. Nie hatte ich geahnt, dass sich dieses wunderbare Ereignis mal rächen würde. Bis zu dem Zeitpunkt, als ich Praktikant bei VICE wurde und sich die Redaktion für mich ein besonders perfides Experiment ausdachte. Einen Monat lang sollte ich in meinen Nachrichten auf Emojis verzichten und so korrekt schreiben, wie nur irgendwie möglich.

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So sehen meine Gespräche normalerweise aus

Die Regeln: kein "LOL", kein "Haha", möglichst vollständige Sätze und, ganz wichtig, immer das "Du" großschreiben. Auch lückenhafte Sätze und fehlende Satzzeichen waren verboten, ein Ding der Unmöglichkeit in Zeiten des einhändigen Tippens.

Ich sollte also lernen, meine Gedanken wieder in ganze Sätze zu fassen. Und nebenbei musste ich auch noch darauf achten, meine Gesprächspartner zu respektieren—auf gut Deutsch: vollzuschleimen. Das konnte ja noch schön werden.

Woche 1: Die Routine finden

Interpunktion, das große "Du". Wie gestellt und komisch sich das anfühlt. Anfangs schummele ich noch, verwende langgezogene Vokale und drei Punkte, um Worte und Gedanken zu betonen. Denn ohne Emojis sehen die Gespräche schon jetzt ziemlich seltsam aus.

Wie viel Emotion kann ich ohne Emojis, gestreckte Worte oder Satzzeichenexperimente überhaupt noch zeigen? Nach einer Woche beschäftigt mich diese Frage jeden Tag. Ich drücke mich darum, "Du"-Formen zu verwenden. Das wirkt aber auch ziemlich hölzern.

Schon nach ein paar Tagen bekomme ich selbst kaum noch Emojis geschickt. Mir fehlt definitiv ein großer Haufen gelber Gesichter in meinem Leben. Und der Kackhaufen.

Woche 2: Das ist doch k1 life

Nach mittlerweile einer Woche zerbeiße ich mir vor Frust die Fingernägel, weil ich schon lange keine Sprüche wie "Was ist das für 1 life?" von mir lassen konnte. Ich fühle mich alt. Stumpfsinnshumor mit falscher Grammatik, das funktioniert nicht mehr. Ich hasse es.

Neue Fragen treiben mich diese Woche um: Ist es OK, mit Dialekt zu schreiben? Schwäbisch, Berlinerisch, Kölsch? Weisch? Siehste? Kommste? Ist es geschummelt, wenn ich mich damit um das "Du" drücke?

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Und ist das Wort OK überhaupt OK oder muss ich dafür erst die Gesellschaft für Deutsche Sprache um Erlaubnis bitten?

Eines muss ich aber zugeben: Ich fange an, diesen trockenen Stil zu lieben. Vor allem die Punkte am Ende. Sie geben besonders kurzen Sätzen mit sehr wenigen Worten Gewicht. Und ich liebe auch die Tatsache, dass ich Streit so richtig ausfechte und mich nicht mit irgendwelchen traurigen Emojis herauswinden kann.

Eine Freundin regt sich darüber auf, dass ich Sätze konsequent mit Punkten beende, und dass es überhaupt keinen Spaß mache, ohne Emojis mit mir zu schreiben.

Hier habe ich ein wenig geschummelt und meine Ansage auf Englisch gemacht. Wenigstens grammatikalisch korrekt

Auch Tindern ist ein Krampf. Die Emojis wegzulassen, macht zwar einen guten Eindruck, aber das "Du" großzuschreiben, sieht wahnsinnig affektiert aus. Dieser Stil nimmt die ganze Lockerheit aus den Gesprächen und klingt, als würde ich wie vor hundert Jahren um die Hand einer Dame anhalten.

Distanziert rüberzukommen, ist in vielen Situationen praktisch, aber sicher nicht auf einer Plattform, deren Logo eine Flamme ist.

Woche 3: Imagefragen

Langsam gewöhne ich mich an den Stil, der mich irgendwie geheimnisvoll und ernst erscheinen lässt. Ich benutze wesentlich mehr Ausrufezeichen, um zu zeigen, wenn ich aufgeregt bin, um nicht dauernd wie ein Eisklotz zu wirken. Mittlerweile sage ich anstatt "Haha" immer "Oh je" oder "Oh Gott".

Muss bei Briefdeutsch eigentlich die Erregung aus der Wortwahl herausgelesen werden? Wie haben das die Menschen früher um Himmels willen gemacht?

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Ein paarmal benutze ich versehentlich Emojis. Ärgerlich! Ein Daumen oder Kackhaufen, der im falschen Moment abgeschickt wurde, droht, mein ernstes Image zu zerstören, das ich mir so mühsam aufgebaut habe.

Einmal versorgte mich eine Kommilitonin mit jeder Menge Unimaterial und half mir sogar noch bei einem Artikel. Ich will sie mit Herzen der Dankbarkeit überschütten, aber vorerst bleibt es bei einem langgezogenen "Merciii". Jetzt fühle ich mich wirklich schmutzig und undankbar. Was für ein Mist muss es gewesen sein, sich für nette Geschenke per Paket in einem Brief bedanken zu müssen?

Woche 4: Die Akzeptanz der Kälte

Dankbarkeit, Liebe, Verzweiflung, Vorfreude? Das alles liest sich sehr kalt ohne Emojis. Aber das ist beim Schreiben vielleicht genau das Richtige. Die Leute können mich schon anrufen oder am besten persönlich vorbeikommen, um ordentlich mit mir zu sprechen und gemeinsam zu lachen. Wir sind doch so jung und mobil.

Mein Mitbewohner will sich mit seiner Freundin zusammen Emoji-Tattoos stechen lassen. Wäre es geschummelt, wenn ich das auch machen und Fotos meines Unterarms verschicken würde?

Irgendwann bin ich mir nicht mehr sicher, was ich von Emojis halten soll. Aber Mein neuer Schreibstil lässt mich auf eine positive Art maximal süffisant aussehen. Andererseits vermisse ich Gespräche, die zu 90 Prozent aus "hahahahaha" bestehen—die ersparen so viel Arbeit.

Sobald dieser harte Selbstversuch vorbei ist, werde ich mir jedenfalls diese Chrome-Extension gönnen. Die ersetzt "ein" durch "1". :fünf Lachtränensmileys:

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Das letzte Wochenende: Emojis haben auch 1 Herz

MEINE KOLLEGEN MOBBEN MICH ;((

Einen Monat geht dieser teuflische Selbstversuch schon. Ich schulde so vielen Leuten Herzen. Ich will endlich wieder lachen.

Seit wann kann man den Daumen auf Facebook eigentlich durch Emojis ersetzen? Ich will auch mit Delfinen um mich werfen!

Die erste Reaktion nach der Befreiung vom Zölibat

Das Fazit

Es war hart. Insgesamt sieht das ganze Schriftbild ohne Herzen und lachende Gesichter einfach verdammt unfreundlich und angepisst aus. Die Grammatikregeln haben das zusätzlich verschlimmert. Ich freue mich jedenfalls, im Rausch wieder sinnlose Buchstabensalate produzieren zu können.

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