„Ich habe es satt“ zeigt, dass nicht nur Rechte einiges zu kritisieren haben

„Ich habe es satt” ist ein Satz, den man in Österreich spätestens seit Roland Düringers Wutbürger-Rede und nahtlos anschließender Montagsdemo-Beiträge eher aus dem rechten Spektrum kennt. Gerne wird dann argumentiert, dass das Limit langsam wirklich erreicht sei, wir schon genug Flüchtlinge aufgenommen hätten und endlich aufhören müssten, bei den österreichischen Steuerzahlern zurückzustecken. Außerdem würde unsere Gesellschaft langsam islamisiert und unsere Frauen von Fremden belästigt—da müsste man doch endlich einschreiten und nicht immer nur wegsehen. Es satthaben ist zum Synonym des Asylkritiker-Aufstands geworden; auch die FPÖ macht immer wieder klar, dass es ihr reicht und sie die Situation in Österreich radikal verändern wollen—am besten durch Systembruch oder „Oktober-Revolution” oder so.

Die Linke tendiert hingegen dazu, sich auf Schaffbarkeit und Menschlichkeit zu berufen und gegen das frustrierte „Es reicht mir, ich mag nicht mehr” zu argumentieren. Das unausgesprochene Credo scheint zu sein, sich nur nicht zu beschweren, denn das würde nur den Rechten in die Karten spielen. Jetzt benutzt erstmals seit Stéphane Hessels Empört euch! wieder jemand, den man der gängigen Definition nach als links einordnen würde, auch diese Rhetorik.

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Sonja Schiff hat einiges satt und sagt in ihrem Video in 6 Minuten alles, was es über die derzeitige Lage zu sagen gibt. Sie zeigt, dass nicht nur rechte Populisten die Lage beschissen finden—und man auch wüten kann, ohne gleich wutzubürgern oder Strache zu wählen. Wir haben die interessantesten Zitate aus dem Video für euch zusammengefasst:

„Ich habe es satt, dass Flüchtlinge die Sündenböcke für nationales und internationales politisches Unvermögen der letzten Jahre sein sollen.”

Ein gängiger Denkfehler ist es, Dinge in einen falschen Kausalzusammenhang zu stellen und die Reihenfolge der Ereignisse mit Ursache und Wirkung zu verwechseln. Dass das Versagen des Staates und die Auslagerung der Flüchtlingsbetreuung auf private Initiativen irgendwann auf uns zurückfallen würde, haben wir vor längerem schon hier geschrieben.

„Ich habe es satt, Tag für Tag einen rückgratlosen Bundeskanzler zu sehen, der seine Meinung ändert, wie ein Fähnchen im Wind und vor allem darauf bedacht ist nicht anzuecken.”

Mehr zur generellen Neuausrichtung der SPÖ nach rechts lest ihr hier.

„Ich habe es satt, wenn in einer Gesellschaft Übergriffe auf Frauen scheiß egal waren, jetzt aber plötzlich aufgeschrien wird, weil dunkelhäutige Arschlöcher das gleiche tun. Ich habe es satt zu hören, man würde mir eine Vergewaltigung wünschen, weil ich wage zu sagen, dass Sexismus in dieser Gesellschaft schon vor der Flüchtlingskrise vorhanden war.”

Sexismus war vor dem Aufkommen der momentanen Refugee-Situation weniger ein Problem, dem sich Rechte angenommen haben, sondern eher eines, das Rechte und ihre Sympathisanten gerne mit „Haben wir keine größeren Probleme” quittiert haben. Dass die „Rape Culture” außerdem nicht erst von Flüchtlingen importiert wurde, sondern immer schon da war, lest ihr hier.

„Ich habe es satt, unterstellt zu bekommen, ich würde keine Probleme sehen und alles beschönigen, nur weil ich nicht einstimme in den Tenor der Angst und Ablehnung, sondern die Fähigkeit besitze Herausforderungen als diese zu erkennen und mit mutigem Blick nach vorne zu schauen.”

Rechte Rhetorik ist eine komplizierte Sache: Einerseits wird argumentiert, man müsse sich mehr empören, wo es wichtig ist (gegenüber Ampelpärchen), andererseits aber auch weniger, wo man die Kritik lieber nicht so gerne hört (wie in Gender-Fragen). Die Kritik von rechts schwankt also zwischen „Die linkslinken Gutmenschen wollen die Wahrheit nicht sehen” und „Haben wir denn keine wichtigeren Probleme” hin und her—wobei es im Ermessen der Rechten liegt, was was ist. Einen spannenden Gastkommentar von Sebastian Loudon über unsere Pflicht zur Zuversicht im profil lest ihr hier.

„Ich habe es satt, dass mir permanent eingeredet wird, ich muss mich als Frau jetzt wieder fürchten und in Zukunft wieder in der Küche bleiben.”

Wenn die Oberbürgermeisterin von Köln zu einer „Armlänge” Abstand rät oder der Wiener Polizeipräsident Pürstl empfiehlt, Frauen sollten nachts nur in Begleitung unterwegs sein, ist das einerseits nett gemeinter Rat zum Selbstschutz, aber es zeichnet andererseits auch ein Bild von Bedrohung, das mehr Verunsicherung schafft als es hilft. Warum wir aus den Vorfällen in Köln aber keine falschen Schlüsse ziehen sollten, lest ihr hier.

„Ich habe es satt als Gutmensch beschimpft und abgewertet zu werden. Was ist schlecht daran, wenn ich nicht wegsehen kann wie vor meiner Haustüre unsägliches Leid passiert und ich immer wieder darauf hinweise? Was ist schlecht daran Menschlichkeit zu fordern für alle.”

Die „Gutmenschen”-Keule ist ein beliebtes Instrument in der rhetorischen Schlammschlacht zwischen Links und Rechts. Dass man allerdings keineswegs alle Klischees erfüllen muss, die Rechte über Linke haben, um Flüchtlinge dennoch willkommen zu heißen, haben wir bereits im vergangenen Sommer hier geschrieben.

„Ich habe es satt, dass ungebildete wie auch gebildete Menschen plötzlich den Untergang des freien Europas herbeireden, weil 740 Millionen Menschen (nämlich die Gesamtbevölkerung Europas) plötzlich 2 bis 3 Millionen Flüchtlinge aufnehmen müssen.”

Über das Märchen von den neuen Dummen, die angeblich mehr werden, obwohl sie tatsächlich im sozialen Netz nur sichtbarer sind, haben wir ebenfalls vor einem halben Jahr schon in diesem Kommentar geschrieben.

„Ich habe es satt, dass immer mehr Menschen in Europa das Leid an den Grenzen Europas scheiß egal ist, Hauptsache sie konnten sich den nächsten Flatscreen-TV kaufen und den nächsten ungestörten All-inclusive-Urlaub buchen.”

Dass sich die Refugee-Situation nicht erst im vergangenen Halbjahr maßgeblich verschlimmert hat (außer, wir beziehen uns mit dem Begriff ausschließlich auf Deutschland und Österreich), zeigt etwa eine Reportage über Lampedusa im Jahr 2011. Auch in der Zwischenzeit gab es genügend Gelegenheiten, die Situation mitzubekommen, um nicht Ende August bei der „plötzlichen” Ankunft von 3.500 Flüchtlingen am Westbahnhof von der eigenen, selbstgewählte Ignoranzüberrascht sein zu müssen.

„Ich habe es satt, dass 35 Prozent der Österreicher in einer anderen Welt zu leben scheinen, als ich und viele andere Österreicherinnen.”

Ironischerweise erschaffen sich gerade Asylgegner und FPÖ-Wähler genau das, was sie an Zuwanderern kritisieren: Nämlich eine Parallelwelt aus völlig neuen sprachlichen Codes und einem eigenen, teils verschwörungstheoretischen Weltbild. Mehr dazu lest ihr hier.

„Ich habe es so satt. So unendlich satt. Aber ich gebe nicht auf. Niemals!”