Ich habe einfach angenommen, dass Weihnachten in meiner Familie immer schon gleich abgelaufen ist. Immerhin hat es sich in den letzten 20 Jahren auch nicht viel verändert. Als ich mich aber mit meiner Oma darüber unterhielt, während wir frische Pasta machten, wurde mir klar, wie falsch ich eigentlich lag.
Meine Familie kommt aus der Emilia-Romagna, der Region in Italien, die für Prosciutto und Parmesan bekannt ist. Unser Mittagessen zu Weihnachten folgte immer demselben Muster, seit ich mich erinnern kann: Fingerfood, Brot und geräuchertes Fleisch als Vorspeise, Lasagne, frische, gefüllte Pasta (entweder Tortellini oder Cappelletti) in einer Brühe, Putenbraten oder Lamm und Mascarpone oder Tiramisù als Dessert.
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Am Ende jedes einzelnen Weihnachtsessens war ich immer unglaublich voll und genoss fröhlich die italienischen Weihnachtstraditionen, die noch bis in die Kindheit meiner Großmutter zurückgehen—dachte ich zumindest. Wie jede Weihnachten setzte ich mich mit meiner Oma an einen Tisch, um frische Pasta für die Weihnachtsfeiertage zu machen. 1955 war meine Großmutter acht Jahre alt. Sie wuchs in einer sehr armen Familie in Sant’Agostino auf, einem kleinen Dorf in der Nähe von Bologna.
Als sie mir von Weihnachten damals erzählte, begann sie mit den Desserts, so wie auch die Festtage damals begannen. Im Dezember, Wochen vor Weihnachten, wurde Panpepato, ein Dessert mit vielen trockenen Zutaten wie Mandeln, Maronen und Pinienkernen, zubereitet. In einem Papier eingewickelt wurde es bis zum Weihnachtsabend feucht gehalten und mit Schokolade überzogen. Dann mussten sie es zum Backen in die Bäckerei im Dorf bringen, weil sie im Haus keinen Ofen hatten.
Die einzige tatsächliche Gemeinsamkeit zwischen dem Weihnachtsessen heute und damals ist die gefüllte Pasta. Damals bereitete sie die Familie gemeinsam zu und die Kinder waren mit ihren kleinen Händen besonders gut darin. Lange Zeit vor Weihnachten schon fing die ganze Familie an zu sparen, damit sie sich ein bisschen Fleisch (Hahn, Mortadella oder vielleicht ein bisschen Kalb) leisten konnten. Daraus wurde zuerst eine Brühe gemacht. Dann wurde es mit Gemüse und Salsa Verde als Zwischengang nach der gefüllten Pasta gegessen.
Der größte Unterschied und für mich die größte Überraschung war, dass beim gemeinsamen Abendessen nur meine Großmutter, ihre Schwester und ihre Eltern dabei waren. Ich hatte eine große Familienzusammenkunft erwartet, weil ich das so gewohnt bin und das wunderbar zum Bild der italienischen Großfamilie passt. Da das Geld aber knapp war, fand das Abendessen nur im engsten Kreise statt. Dann trafen sich die Familie im Haus der Großeltern, um Panpepato und andere Desserts wie süße Ravioli mit Maronenfüllung, die auch schon Wochen im Voraus zubereitet worden waren, zu essen.
Heute ist Weihnachten definitiv nicht mehr das Gleiche. Obwohl es nicht einfach ist, für so viele Leute Essen zuzubereiten, genießt sie die großen Familientreffen, sagt sie. Es helfe dabei, zumindest manche der Traditionen aufrecht zu halten.
Manche dieser Traditionen werden unweigerlich sterben, wenn unsere Großeltern diese Welt verlassen. Als ich aber meiner Oma dabei zusah, wie sie zum einmillionsten Mal den Teig ausrollte und rasch, aber vorsichtig die Füllung auf den Teig legte und die Pasta perfekt formte, verstand ich plötzlich die Bedeutung von Traditionen; wie wichtig es ist, sie weiterzugeben und zu den eigenen zu machen, indem man sie anpasst an die Zeit, in der wir heute leben.