Ich habe mich eine Woche lang nur von Schland-Produkten ernährt

Fußballturniere sind wie Weihnachten: Schon Wochen vor der Bescherung werden in Supermärkten die Produkte aufgestapelt, damit wir unsere Vorfreude auf das große Ereignis in maßlosem Konsum ausdrücken können. Sammelbilder von Hanuta und Duplo, die Nationalspieler auf der Cola oder die Gesichtspflege vom Bundesjogi sind mittlerweile Verkaufsklassiker. Doch es gibt noch so viel mehr. Die Palette reicht von Grillwürstchen, Kartoffelsalat, Nudelgerichten, Mikrowellen-Currywurst, Joghurt und gekochten Eiern bis hin zu Toilettenpapier. Doch statt mich wie jedes Jahr darüber aufzuregen, dass mich beim Betreten eines Supermarktes eine schwarz-rot-goldene Reizüberflutung erdrückt, wollte ich den Spieß umdrehen. Ich beschloss, mich eine Woche lang nur von Schland-Produkten zu ernähren.

Eine Übersicht der Deutschland-Produkte; Foto: Grey Hutton

Die Idee ist simpel: Wenn Liebe durch den Magen geht, kann ich mich durch Deutschland-Produkte vielleicht endlich wieder mit der Nationalmannschaft identifizieren, nachdem mir von Turnier zu Turnier die Lust an den schlandigen Fußballevents vergangen ist. Wenn selbst der Weltmeistertitel nicht gereicht hat, um mir Mario Götzes Gesicht zu tätowieren, hilft vielleicht sein täglicher Anblick beim Betrachten einer Hanuta-Verpackung? Vielleicht ändert sich dadurch meine Wahrnehmung? Schließlich steht Deutschland für Qualität, also sind auch Deutschland-Flaggen ein echtes Qualitätsmerkmal. Eigentlich müssen mir die Produkte gut tun.

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Um nicht schon am dritten Tag mit Diabetes oder Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert zu werden, habe ich zwei Tage lang jeden Supermarkt und Discounter in Berlin abgegrast, um nach Obst, Gemüse oder zumindest Vitaminen Ausschau zu halten. Nun, gab’s aber nicht. Im Endeffekt wurde der Einkauf eine Mischung aus Festival-Bedarf und Kindergeburtstags-Leckereien.

Der Autor vor Beginn seiner Deutschland-Ernährung; Foto: Grey Hutton

Übrigens: Für potenzielle Nachahmer, besorgte Party-Patrioten oder AfD-Wähler sind Real und Kaufland die ordentlichsten Adressen. Es gibt das offizielle Waschmittel der Nationalmannschaft, Deutschland-Zahnbürsten, diverse Duschgels und Deutschland-Toilettenpapier. Ich kaufte mir alles. Ich sollte mich nicht nur deutsch ernähren, sondern auch aussehen, auftreten und nicht stinken like a German.

Mittwoch:

Die Woche startete mit einem Euro-Star-Brötchen von Backwerk. Das Laugenbrötchen war trocken und dem Belag merkte man an, dass es nur einen Euro kostet. Die erste Ernüchterung, denn es sollte diese Woche wahrscheinlich die einzige Möglichkeit sein, in ein Salatblatt oder eine Tomate zu beißen. Der Rest des Tages lief wie die Zapfhähne beim Public-Viewing. Zu Mittag gab es Mikrowellen-Frikadellen und Homanns EM-Kartoffelsalat. Dazu eine Cola mit Khedira-Konterfei. Zum Abendessen aß ich den restlichen Kartoffelsalat und beim Bier hatte ich sogar die Wahl zwischen vier verschiedenen Sorten. Bisher fühlte ich mich gut. Es war wie der hedonistische Traum eines Neunjährigen. Ich durfte nur Ungesundes essen—und das sogar eine ganze Woche lang.

Bei einem typischen Frühstück; Foto: Grey Hutton

Donnerstag:

Ich machte mir Frühstück im Büro. Es gab Fußball-Laugenbrötchen mit Nutella und Frischkäse. Während ich in Erinnerungen an Andreas Hinkel und seine legendäre Nutella-Werbung schwelgte, wurde mir klar, dass wahrscheinlich kein anderes Produkt so stark mit der Nationalmannschaft verbunden ist, wie Nutella. Deswegen schmeckte der Schokoaufstrich trotzdem nicht besser und ich war unfassbar froh, die Halbzeit-Apéritif’s entdeckt zu haben. Eigentlich ganz schön leckerer Frischkäse, die Kleckse. Auch beim Kaffee konnte ich auf ein Deutschland-Produkt zurückgreifen, verzichten musste ich lediglich auf die Milch. Komisch, denn mit ihrem „Macht groß und stark”-Image wäre Milch ein perfektes Fußballprodukt. Am Abend stand das Grillen des Büros auf dem Programm und ich war perfekt gerüstet. Grillen und Fußball gehen Hand in Hand wie die FIFA und Korruption. Ich hatte Atze Schröders EM-Griller, die spätestens durch die Möglichkeit, ein Public-Viewing mit Atze persönlich zu gewinnen, zum absoluten Kaufbefehl wurden. Bei der Beilage griff ich zu altbewährtem Kartoffelsalat und Nudelsalat. Nach dem Essen fühlte ich mich zum ersten Mal etwas unwohl. Ich war richtig voll und hatte das Gefühl, bereits jetzt fünf Kilo zugenommen zu haben.

Der Teller beim Vice-BBQ; Foto: Grey Hutton

Freitag

Am Morgen ging es mir noch nicht wirklich besser. Mittags quälte ich mir eine Currywurst und eine Terrine rein, denn ich musste wenig später nach Hamburg zum FIFA-Pressepokal. Für das Finale hatte ich mich vor einigen Wochen eher zufällig qualifiziert und wusste noch nicht genau, was mich erwartet und—viel wichtiger—was es zu essen gibt. Doch obwohl es einen Grill gab, fehlte nicht nur der Atze-Schröder-EM-Griller, sondern auch Deutschland-Bier und Deutschland-Cola. Daher verbrachte ich den Abend mit häufigen Gängen zur Toilette, um wenigstens meine Wasserflasche aufzufüllen. Durch das ganze Salz und den Zucker in den Lebensmitteln war mein Mund mittlerweile am Vertrocknen. Das Barbecue und besonders die verschiedenen frischen Salate sahen unfassbar lecker aus. Stattdessen musste ich immer wieder in meine M&M-Packung in meinem Rucksack greifen. Was war das für 1 Life? Was mich extrem motivierte, die Sache dennoch durchzuziehen, war die Deutschland-Zahnpasta, die ich vor Abfahrt am Bahnhof finden konnte. Scheiß auf das Essen, dachte ich mir. Das Turnier an sich lief zunächst gut. Im letzten Gruppenspiel konnte ich wenige Minuten vor Schluss das entscheidende Tor machen. Im Viertelfinale war jedoch Schluss. Ich verlor mit 0:4 und 0:5 deutlich. Hätte ich mal Deutschland genommen. Als ich später meine Zähne putzte, konnte ich es nicht glauben. Die Zahnpasta war schwarz-rot-gold! Was vor dem Putzen schon komisch aussah, wurde hinterher nicht besser.

Nach dem Zähneputzen wurde die Zahnpasta zu einem undefinierbaren Grau; Foto: Grey Hutton

Samstag

Ich fühlte mich richtig schlecht. Meine Nase war verstopft und ich hatte Kopfschmerzen. Außerdem hatte ich richtig Hunger, obwohl sich mein aufgeblähter Magen immer noch nicht beruhigt hatte. Die Verdauung klappte semigut, denn irgendwie musste ich gar nicht auf Toilette. Um nicht zu verhungern, hatte ich ein paar Halbzeit-Eier eingepackt. Ich nahm mir eines mit und machte mich auf die Suche nach einem Fußball-Frühstück. Backwerk war die sicherste Alternative, die mir einfiel. Als ich die Bäckerei nach einer halben Stunde erreicht hatte, betete ich, dass sie an der EM-Aktion teilnehmen würde. Sie taten es. Im Edeka um die Ecke nahm ich mir noch einen Smoothie—Halt, Stop!, einen offiziellen Direktsaft der Fußball-EM—mit, um ein paar Vitamine zu bekommen. Danach machte ich mich auf die Suche nach einer Apotheke. Von EM-Euphorie war dort nichts zu spüren, nicht einmal die Taschentücher hatten Deutschland-Bezug. Für das Abendessen hatte ich mich schon vorher informiert: Joeys Pizza hatte EM-Angebote. Über eine warme Mahlzeit, die nichts mit Würstchen zu tun hatte, war ich sehr erleichtert.

Sonntag

Ich war extrem müde und konnte kaum aufstehen. Mein Mund war immer noch staubtrocken. Bevor es mit dem Zug zurück nach Berlin ging, wollte ich mir am Bahnhof ein Frühstück holen. Ich lief den gesamten Bahnhof ab und fühlte mich wie ein Veganer vor der Jahrtausendwende. Nirgendwo gab es etwas, das ich essen konnte. Die Rettung kam in Form einer Burger-King-Filiale. Es waren Verlängerungswochen, das hieß also ein Long Chicken BTS für mich. Doch während ich mich auf Auswärtsfahrten jedes Mal über die einzige bezahlbare Alternative zum belegten Brötchen freute, hätte ich heute nahezu jeden Preis für eines gezahlt. Nach dem Frühstück war mir hundeelend. Der ICE brauchte ganze drei Stunden länger. Ich verbrachte die Zeit im Halbschlaf und fühlte mich dabei richtig schlapp. Obwohl ich auch am Abend noch nicht wirklich hungrig war, habe ich noch eine Terrine gegessen.

Montag

Weil ich kein Frühstück mehr hatte, ging ich erneut zu Backwerk. Heute erwischte ich glücklicherweise ein besseres Brötchen, denn ich wusste bereits, was mich mittags erwartete. Ich hatte noch genau zwei Portionen Currywurst im Kühlschrank. Langsam konnte ich die Dinger nicht mehr sehen. Ich wollte wenigstens ein Stück Obst, doch das einzige, was mir blieb, war Fritt Kaubonbon. Auf der Verpackung stand immerhin etwas von Vitamin C. Als ich hinterher Ernährungsberaterin Petra Schauss fragte, wie gesund die tatsächlich sind, erklärte sie, dass man den Aufdruck im Prinzip ignorieren kann. Der geringe Vitaminanteil wird durch den hohen Zuckeranteil wieder zerstört. Ihr Gesamturteil meiner Ernährung war erwartungsgemäß vernichtend. Man nimmt zu viel Kalorien zu sich, die erhöhte Zuckerzufuhr treibt das Diabetesrisiko in schwindelerregende Höhen und man hat einen Mangel an nahezu allen Vitaminen. Am Abend habe ich zwei Joghurts gegessen, um wenigstens das Gefühl von etwas Frischem zu haben. Beim Joghurt gab es eine mittelgroße Auswahl. Einige Hersteller wollten sich die Möglichkeit von Schokokugeln in Fußballform natürlich nicht nehmen lassen. Dazu griff ich ein paar Mal in meine Tüte mit Studentenfutter. Das war die Woche über die gesündeste Alternative, die industriellen Smoothies haben häufig weniger Vitamine, als man vermutet.

Ausgewogen, lecker, deutsch; Foto: Grey Hutton

Dienstag

Müde war gar kein Ausdruck für meinen Zustand. Als ich mir meinen Deutschland-Kaffee machen wollte, schüttete ich das Pulver einfach in die Tasse, als wäre es Kakao. Ich musste endlich wieder normal essen. Nur noch eine Currywurst und ein paar Snacks, dann wäre ich erlöst. Im Büro sprang jedoch eine Pop-Up-Werbung auf. McDonalds hat jetzt den Deutschland-Burger. Den musste ich natürlich noch essen, obwohl ich mittlerweile eigentlich nur noch morgens Appetit hatte. Auf der Arbeit ging ich andauernd mein Wasser auffüllen. Zum einen, weil ich immer noch wahnsinnigen Brand hatte, und zum anderen, um meine Müdigkeit zu bekämpfen. Nach der Arbeit ging ich für den nächsten deutschlandfreien Tag einkaufen. Obst und Gemüse selbstverständlich. Der Deutschland-Burger war nicht schlecht, glaubte ich zumindest. Ich hatte das Gefühl, meine Geschmacksknospen konnten nicht mehr unterscheiden, was genau sie vorgesetzt bekommen. Currywurst, Bruzzler, McDonalds—am Ende machte es auch keinen Unterschied mehr.

Mittwoch

Dass die Ernährung nicht die Beste sein wird, war mir eigentlich im Vorhinein klar. Ich hatte jedoch die stille Hoffnung, mich durch die Überdosis Schland gegen jegliche Marketing-Moves der Zukunft zu immunisieren. Der Hass auf die Produkte war nach einer Woche groß, doch in der Wahrnehmung auf die Nationalmannschaft hat sich nichts geändert. Noch immer regt es mich auf, wenn Nationalspieler ihre Birne für unsinnige Produkte hinhalten. Daran hätte sich aber wahrscheinlich auch nichts geändert, wenn die Produkte noch besser geschmeckt hätten.

Als ich wieder normal essen durfte, nahmen mich meine Kollegen mit in ein deutsches Restaurant. Beide bestellten Currywurst mit Pommes. Ich verzichtete gerne und bestellte einen Salat—ohne Deutschlandfahne und Fußballcroûtons.

Beim richtigen Deutschen schmeckt es immer noch am Besten; Foto: Toni Lukic