Ich habe mich in ein Luxus-Gefängnis eingekauft, weil mir die Alternative Angst gemacht hat
Illustration: Dola Sun

FYI.

This story is over 5 years old.

Haftstrafe

Ich habe mich in ein Luxus-Gefängnis eingekauft, weil mir die Alternative Angst gemacht hat

Nachdem mein Cousin bei einem von mir verschuldeten Autounfall ums Leben gekommen war, entging ich dank dem Geld meiner Familie dem normalen Gefängnis und seinen Gefahren.

Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit dem Marshall Project entstanden, einer gemeinnützigen Nachrichtenorganisation, die sich mit dem US-amerikanischen Justizsystem beschäftigt.

Am Heiligabend 2009 baute Luicci Nader, ein 18-Jähriger aus einer reichen kalifornischen Familie, mit seinem Ferrari einen Unfall. Die Folgen: Sein Cousin auf dem Beifahrersitz wurde getötet und zwei Insassen eines Abschleppfahrzeugs schwer verletzt. Laut der Staatsanwaltschaft war Nader zu schnell unterwegs. 2012 bekannte sich der junge Mann der fahrlässigen Tötung im Straßenverkehr in besonders schwerem Fall schuldig. Daraufhin verurteilte ihn der Richter zu einem Jahr Haft. Von dieser Strafe saß er sechs Monate ab.

Anzeige

Anstatt jedoch im berüchtigt brutalen Orange County Jail zu landen, konnte Nader einen Deal aushandeln und sich in eine von Südkaliforniens "Pay to stay"-Haftanstalten einkaufen. Dort können sich Verurteilte mit dem passenden Kleingeld ihre Gefängniserfahrung so angenehm wie möglich gestalten. Naders Familie bezahlte über 18.000 Dollar, damit er im naheliegenden Seal Beach hinter Gittern saß.


Ich habe meine Haftstrafe vor allem deswegen in einem Pay-to-Stay-Gefängnis abgesessen, weil meine Eltern das nötige Geld hatten. Meine Familie ist reich und wir hielten das für die einfachste Lösung –  für sie und für mich.

Außerdem bin ich Libanese. In Kalifornien sind die staatlichen Gefängnisse oft unter den Weißen, Schwarzen und Hispanics aufgeteilt. In welche ethnische Schublade hätten sie mich gesteckt? Dieses Fiasko mit seinen Auseinandersetzungen und Gangs wollte ich umgehen.

Als ich am ersten Tag das Gefängnis betrat, kannte ich natürlich niemanden. Mein ganzes Leben lang habe ich mich nur mit Leuten umgeben, mit denen ich mich auch umgeben wollte. Alle Insassen sahen mich an und irgendjemand sagte: "Du siehst reich aus." "Ich bin nicht reich", antwortete ich. Niemand sollte meinen Hintergrund kennen.

Die Haftanstalt ist winzig. Und ja, dort geht es zwar nicht zu wie in staatlichen Gefängnissen, aber Spaß macht es trotzdem nicht. Mit anderen Insassen hat man nur selten etwas zu tun und an einem normalen Tag fühlt man sich wie in einem kleinen Labyrinth.

Anzeige

Ich wachte jeden Morgen auf, machte mein Bett und ging anschließend in die Küche, um das Frühstück anzurichten. Ich kümmerte mich um alles: die Wäsche, das Putzen, die Arbeitsabläufe. Außerdem war ich der Koch. Ich machte das alles, weil die meisten anderen Häftlinge außerhalb der Gefängnismauern einer Arbeit nachgingen. Deshalb wollte ich mich beschäftigen. Sonst wäre es eine einsame und langweilige Hölle gewesen.

Wenn ich doch mal nichts zu tun hatte, las ich Bücher oder spielte Karten. Oder ich betete zu meinem Cousin. Ich fühlte mich schrecklich, weil wir schon als Kinder unzertrennlich gewesen waren. Wenn ich über die Situation nachdachte, trainierte ich die Gedanken manchmal einfach.

Im Seal-Beach-Gefängnis gibt es einen kleinen Innenhof, in dem ich mit den anderen Insassen ab und an Basketball spielte. Und im Fernsehraum schauten wir Serien wie Friends oder Prison Break. Ich telefonierte jeden Tag mit meinen Eltern. Streit ums Telefon gab es nie, denn wir waren einfach nicht so viele Häftlinge. Mein Vater zahlte während meiner Zeit im Gefängnis über 6.000 Dollar an Telefongebühren.


Auch bei VICE: Hinter den Kulissen des gewinnorientierten Kautionssystems der USA 


Die Aufseher schienen mich zu respektieren, mir sogar zu vertrauen. Sie sagten zum Beispiel: "Eigentlich hast du hier drin nichts verloren. Wir haben deine Akte gelesen. Manchmal ist das System einfach beschissen." Das hat mir viel bedeutet.

Anzeige

Im Grunde war ich im Gefängnis wie der Chef, weil ich die Wäsche machte und das Essen zubereitete. Viele Insassen befanden sich hinter Gittern, weil sie betrunken Auto gefahren waren oder andere vergleichsweise kleinere Vergehen begangen hatten. Bei manch anderen sah es jedoch auch anders aus. Ein Typ in meiner Zelle wollte nicht sagen, warum er saß. Schließlich fanden wir heraus, dass er Kinder missbraucht und Kinderpornografie produziert hatte. Trotzdem durfte er noch außerhalb des Gefängnisses arbeiten. Ich setzte ihm jeden Tag Hackbraten und abgelaufene Milch vor.

Einmal fragte mich eine Aufseherin: "Nader! Wieso machst du ihm das Leben so schwer?" Meine Antwort: "Wir wissen beide, dass der Typ Kinder missbraucht hat." Daraufhin sagte sie: "Du solltest ihn dennoch respektieren. Lass ihn in Ruhe." Ich: "In einem staatlichen Gefängnis wäre er schon längst tot."

Das Gefängnis besteht aus Schlafräumen, in denen sich meistens drei oder vier Betten befinden. Am Morgen machen sich die Insassen mit Jobs außerhalb der Haftanstalt fertig für die Arbeit. Dafür ziehen sie sich normale Klamotten an und legen die orangefarbenen Overalls in ihre Spinde. Privatsphäre gibt es kaum.

Hinter Gittern habe ich gelernt, mich zu zügeln. Jetzt kann ich viel besser mit Menschen umgehen, weil ich weiß, dass das Leben nicht immer so läuft, wie man es will. Eine Haftstrafe im staatlichen Gefängnis hätte mir bei Weitem nicht so viel gebracht. Dort scheint es ja nur ums Überleben zu gehen.

Wenn ich das alles noch mal machen müsste, würde ich trotzdem nicht zurück in die Haftanstalt von Seal Beach gehen. Ich habe nämlich gehört, dass es noch entspanntere Bezahlgefängnisse gibt.

Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.