Ich verstehe nicht viel von Mode. Ich finde es schon anstrengend, mir jeden Morgen zu überlegen, was ich anziehen soll. Zum Glück lebe ich in Berlin, wo sich genug Leute interessant anziehen, so dass ich kein schlechtes Gewissen haben muss, wenn ich mit meinen langweiligen Klamotten nicht zum Style der Stadt beitrage.
Vom Modegeschäft verstehe ich natürlich noch weniger. Wie die meisten Menschen betrachte ich die sogenannte Modewelt mit einer Mischung aus Faszination und Misstrauen. Was machen diese Leute? Meinen die das ernst? Ist Zoolander eigentlich eine Dokumentation?
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Ich stelle mir das ungefähr so vor, dass die ganze „Fashion-Welt” aus ein paar wenigen Leuten besteht, die das Zeug wirklich ernst nehmen und versuchen, irgendetwas Interessantes zu schaffen (oft mit Pailletten). Drumherum schwirrt dann ein riesiger Schwarm von Blendern, Mitläufern und Profilneurotikern, von denen die meisten eigentlich nichts davon verstehen, die aber gerade deshalb alles mit einem dichten Netz aus grandiosem Bullshit, endlosem Namedropping und bitteren Intrigen umspinnen, so dass man als Uneingeweihter keine Chance hat.
Aber erst mit der Ankunft der Modeblogger konnte die Bullshit-Zentrifuge so richtig Fahrt aufnehmen: Um mitzumachen, musste ab sofort niemand mehr Mode studieren, einen Designer oder eine gruselige Chefredakteurin von sich überzeugen oder sich sonst irgendwie beweisen. Alles, was man braucht: ein Smartphone, ein halbwegs attraktives Gesicht und etwas Größenwahn.
Ich habe immerhin ein Smartphone. Warum soll ich nicht auch mal bei dem großen Zirkus mitmachen dürfen? Der Plan war einfach: Mir in einem Second-Hand-Shop ein grauenhaftes Outfit zusammenkaufen und dann auf die gerade stattfindende Fashion Week gehen, um herauszufinden, ob mich irgendjemand fotografieren will. Wenn ich mir ein wirklich grauenhaftes Outfit baue—würden die Blogger merken, dass ich keine Ahnung habe, was ich tue? Oder würden sie mich ernst nehmen?
In Conor We Trust
Nach einer Stunde im Humana-Second-Hand-Laden merkten Grey (der Fotograf) und ich allerdings, dass es gar nicht so einfach ist, sich wie ein Vollidiot anzuziehen, aber gleichzeitig auch irgendwie so auszusehen, als wäre es zumindest möglich, dass man sich dabei etwas viel Tieferes gedacht hat. Was immer wir probierten: Ich sah immer entweder zu unauffällig oder zu sehr wie ein frisch ausgebrochener Pädophiler aus.
Aber der Fashion-Gott war gnädig: Als wir gerade fast schon aufgeben wollten, schickte er uns Conor vorbei. Als wir den fast ganz in makellosem Weiß gekleideten jungen Mann durch die Kleiderstangen schweben sahen, mussten wir ihn fragen, was sein Geheimnis ist. Wie schafft er es, so gut auszusehen?
„Ich mag Weiß einfach”, erklärte uns Conor gutmütig. Conor war in dem Laden, weil seine Freundin Modedesignerin in Melbourne ist und hier nach Inspiration sucht, er selbst ist Künstler.
„Wenn ich zum Beispiel bei einer Vernissage oder einer Show jemanden sehe, der auch viel Weiß trägt, dann weiß ich, dass ich mich ziemlich sicher gut mit der Person verstehen würde. Die würden dieselbe Musik mögen wie ich”, versicherte er uns sehr ernsthaft. „Die Mütze zum Beispiel ist erst letzten Monat herausgekommen”—er zeigte uns seine ziemlich normal aussehende weiße Mütze mit Nike-Zeichen—„und jetzt sehe ich die überall! Ist doch verrückt, oder? Ich, glaube, es geht um Gemeinschaft.”
Das war das Geheimnis, und Conor hatte es für uns gelüftet. Wir wussten jetzt, was wir zu tun hatten: Seinen Style abrippen, gnadenlos. In Windeseile suchten wir wahllos weiße Klamotten zusammen und innerhalb von Minuten war das Outfit da:
Ich war bereit für den Catwalk, aber sowas von. Auf dem Weg zur ersten Location schickte ich ein Foto von mir an unsere Moderedakteurin. Zurück kamen drei Herz-Emojis und „#fangirl”, außerdem ein paar Namen von Designern, die ich als Inspiration angeben könnte. In der Tram prägte ich mir die Silben ein: „Ya-ma-mo-to” und „Maison Margiela—pre Galliano, natürlich”. Das musste funktionieren.
„It looks very Cavalli”
Die erste Location, das ZalandoFashionHouse in Mitte, war allerdings ziemlich enttäuschend. Es war kaum jemand da, und die wenigen Herumlungernden taten so, als würde ich sie nicht interessieren.
Ich machte also ein paar Selfies und übte meinen Gang, dann brachen wir zur Hauptschlacht auf.
Hinter dem Brandenburger Tor hat Mercedes Benz ein riesiges Zelt aufgebaut, in dem die meisten Shows stattfinden. Wir hatten natürlich keine Karten für die Shows, aber wir wollten sowieso nur auf den Platz davor.
Der Platz vor dem Zelt war genau das richtige Biotop für mich: Drinnen war ja klar, ob man dazugehörte oder nicht. Hier draußen allerdings lösten sich alle Sicherheiten auf: Die Leute mit Tickets standen hier oft noch eine Weile herum und unterhielten sich, dazwischen liefen Fotografen, Fangirls und verirrte Touristen herum, und immer wieder brach spontan irgendwo eine Fotografier-Session aus.
Als ich meinen Auftritt machte, wurde ich erstmal misstrauisch beäugt. Es lachte mich zwar niemand aus, aber es wollte auch niemand direkt ein Foto von mir haben. Offenbar waren sie sich unsicher, ob ich verrückt angesagt oder einfach nur verrückt war.
Um das Ganze in Fahrt zu bringen, fing ich an, wahllos Menschen um Selfies zu bitten. Die ersten Bloggerinnen, an die ich geriet, waren noch etwas kühl, aber sie ließen es mit sich machen.
Dieses Mädchen glaubte mir zwar nicht, dass ich ihren Blog wirklich kenne, aber wenigstens lächelte sie nett. Ich war auch noch am Anfang: Ich merkte zum Beispiel ziemlich schnell, dass man deutlich seriöser wirkt, wenn man Kleidung nicht als „Klamotten” bezeichnet.
Trotzdem funktionierte die Strategie: Sobald ich mal neben jemandem gestanden hatte, der irgendwie wichtig aussah, nahmen die Fotografen mich ernster. Ich versuchte gerade, einer Bloggerin zu erklären, warum mein Blog („Cobblestone Connoisseur”) nicht auf Google zu finden war (kurz vor Relaunch, mit neuen Sponsoren), als einer der Fotografen mich plötzlich bat, für ihn zu posieren. Aber immer doch! Ich räkelte mich für ein paar herrliche Sekunden gönnerhaft vor seiner Linse, und er schien zufrieden.
Unglücklicherweise kamen genau dann viele Leute aus dem Zelt, so dass die Fotografen abgelenkt wurden. Dafür schnappte ich mir einen der VIPs, der auch ziemlich weiß und ledrig und cool angezogen war, und machte ein Selfie mit ihm.
Leider wurde unser Moment von einer sehr unhöflichen Frau gestört, die ihn atemlos „Are you wearing Cavalli?” fragte. „No”, antwortete mein ledriger Freund. „Well, it looks VERY Cavalli”, beharrte die Frau, worauf er nochmal „It’s not.” sagte und in ein Auto einstieg. Bye, bye, Cowboy! Immerhin hatte ich einen guten Gesprächsanfang gelernt: Are you wearing Cavalli?
Auch gut war „Wen schaust du dir an?”. Damit kam ich mit einer netten Gruppe von jungen Leuten ins Gespräch, die mein Outfit sehr gut fanden („sollte man echt mal mehr tragen, so was”) und mir Karten für die Show schenkten (leider die, die gerade vorbei war). Auch dieses Gespräch wurde von einem Fotografen unterbrochen, der mich dann „solo” posen ließ. „Zeig mir mehr Haut!”, rief er. Es war glamourös.
Trotzdem brauchte ich erstmal eine Pause, also gingen wir in der Nähe ein Bier trinken. Außerhalb der Fashion-World stieß mein Outfit allerdings auf nicht ganz so viel Verständnis: Ein Kellner rief mir sogar „Bäh, Mann! Zieh dir mal ein T-Shirt an!” entgegen. Keine Ahnung von Style, der Bauer.
Mit dem Bier intus beschloss ich, noch einmal einen großen Auftritt zu versuchen. Gerade kamen neue Mercedes-Busse mit neuen VIP-Gästen an, die Fotografen hatten ein Spalier gebildet, um sie abzulichten, und der rote Teppich war gerade frei. Meine Chance.
Ich nahm mir vor, festen Schrittes auf die Fotografen zuzusteuern, um dann mit einem selbstgewissen Duckface im wohlverdienten Blitzlichtgewitter zu baden. Es sollte mein großes Finale werden.
Ich hatte bereits den halben Weg zurückgelegt, die Fotografen, die Blogger, das Fanvolk hinter Absperrung hielten den Atem an, da fuhr mich plötzlich ein herzloser Security-Mann an, ich solle „die Fahrrinne freimachen”. Vor. allen. Leuten. Mein Traum war gestorben. Die Fotografen starrten mich an, aber nur einer machte verstohlen ein Foto, die anderen machten Witze über mich.
Ich war wirklich sauer auf die Fotografen, die mich vorhin noch gefeiert hatten, bis ich merkte, dass sie das Gedächtnis von Eintagsfliegen haben müssen. Nach meiner totalen Erniedrigung auf dem Teppich war ich mir fast sicher, das alles vorbei war und mich nie wieder jemand fotografieren würde. Aber kaum hatte ich ein Gespräch mit einer netten Designerin vor dem Zelt angefangen, sprang wieder ein Fotograf herbei, um uns „beide Hübschen” festzuhalten. Es war verwirrend.
Mit der Zeit wurde mir klar, dass hier draußen niemand genau weiß, wer jetzt eigentlich dazugehört, und wer einfach nur ein eingebildeter Idiot ist. Deshalb klammern sich alle an die oberflächlichsten Signale: Wenn jemand mit jemandem herumsteht, der irgendwie cool sein könnte, ist er vielleicht auch cool. Er sieht zwar aus wie eine durchgedrehte WC-Reinigungsfachkraft aus einer holländischen Anstalt, aber hey, ist halt Mode, oder?
Diese Verunsicherung führt auch zu einem weiteren komischen Effekt: Die echten Modeleute, mit denen ich sprach, waren eigentlich alle überraschend nett und störten sich überhaupt nicht an meinem Outfit—wahrscheinlich, weil sie wussten, dass sie hier hingehören. Die Fotografen, die Fangirls und die kleinen Bloggerinnen dagegen konnten ziemlich unfreundlich werden, wenn ich nicht gerade mit jemandem rumstand—ich glaube, weil sie sich nicht ganz sicher waren, ob sie sich nicht die ganze Zeit genauso zum Affen machen wie ich.
Ich hatte jedenfalls genug von der dämlichen Stimmung vor dem Zelt und entschied mich, auf eine coole Fashion-Party zu gehen, die mir unsere Moderedakteurin empfohlen hatte. Sie hatte allerdings vergessen zu sagen, dass es eine Fashion-Goth-Party war. Ich wusste vorher auch nicht, dass es Fashion-Goths gibt, aber ich lernte es schlagartig, als ich um die Ecke bog und plötzlich in einem Raum mit 150 Leuten stand, die alle komplett schwarz angezogen waren.
Ich hatte noch nie so stark das Gefühl, in einem Slapstickfilm zu leben. Aber immerhin: Hier gab es kaum Blogger, jedenfalls keine von der verzweifelten Sorte, und die Goths waren unter sich und zufrieden. Sie nahmen mich sehr entspannt auf, ließen mich ihr Bier trinken, und ich gab es auf, ihnen zu erklären, dass sie sich in der Farbe der Saison geirrt hätten, nicht ich.
Im Grunde weiß ja sowieso niemand, was das alles bedeutet. Wir werden alle sterben, selbst Cavalli, und unsere Lederjacken werden verrotten. Aber eines habe ich heute gelernt: Das ist kein Grund, um auf dem Weg dahin nicht fucking fabulous auszusehen.