“Das Leben ist kein Ponyhof, leb’ du mal in deiner Erdbeerwelt.” Lange Zeit war diesem Floskelscheusal verbal nur schwer beizukommen. Nun aber reicht es, einfach “Ok” zu sagen, ein Bahnticket nach Elstal bei Berlin zu ziehen und in die von errichtete Erdbeerwelt zu treten—einen Ponyhof haben sie dort auch.Karls
Karls ist ein Familienunternehmen, das auf seinen Feldern pro Jahr in etwa 5.000 Tonnen Erdbeeren aberntet, die überwiegend in diesen putzigen Erdbeerhäuschen verkloppt werden, an denen die hastigen Großstädter gerne vorbeilaufen:
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Zum Unternehmen gehören noch fünf Erdbeer-Erlebniswelten, in denen sich alles um die Nuss dreht. Erdbeertorten, Erdbeerwein, Erdbeerbonbons, Erdbeertee: Konnte es einen besseren Ort auf der Welt geben? Das galt es herauszufinden.
Erster Downer: Wer den nur alle drei Stunden fahrenden Erdbeer-Sonderbus von Berlin nach Elstal verpasst, muss sich von einer Bimmelverbindung zur nächsten durchschlagen. Kostet Zeit und Nerven, aber immerhin findet man so rare Perlen der Werbeplakatierung samt ihrer Feinoptimierung durch kreative Stadtguerilla-Hände:
Am Ort der Hoffnung angekommen, stellte sich das Durchschnittsalter der Besucher als zweiter Dämpfer heraus: Es lag bei etwa 30, klingt eigentlich ganz gut, schade bloß, dass es sich in der Praxis fast nur aus Fünf- oder 80-Jährigen errechnete.
Noch gar nicht richtig mit der Umgebung akklimatisiert, wurde meine Wunschvorstellung nach schöner, heiler Erdbeerwelt von einer Frauengang weit jenseits des Renteneintrittsalters torpediert—ein Streit um einen Hoodie. Die eine Damen bestand darauf, dass ihre Freundin unbedingt besagtes Baumwollteil anziehe—warum auch immer, denn trotz Wolken hatten wir zünftige 30 Grad. Ein Disput brach aus, die Leute warfen sich irritiert Blicke zu …
Schwer zu sagen, ob sich die Angegiftete im weiteren Verlauf dann unter dem Hoodie versteckte, dort reinweinte, durch ihn hindurch ihrer Freundin eine Faust geben wollte oder einfach nur mit dem Anziehen ihre Probleme hatte:
Ich wandte meine Augen ab, denn nein, wegen so etwas bin ich doch wirklich nicht in den Erdbeerhimmel gekommen. Für textilbedingte Keilereien hätte ich auch zum Sale bei Primark gehen können. Um die Nerven wieder zu stabilisieren, arbeitete ich mit Erdbeerkuchen und Erdbeer-Sahnetee. Beides Klassiker, Stimmung war wieder im Lot, auch trotz der Erkenntnis, dass aus mir kein Food-Blogger mehr werden würde.
Derart mit Leckereien gestärkt, stellte ich mir noch eine halbe Flasche Erdbeerwein rein, Karls hatte eine Menge davon, “Kaufe 6 zahle 5”, mussten wohl weg…,
… was kurz darauf zu einem Weckruf meiner Blase führte und mich in das wohl großartigste Pissoir der Welt schiffen ließ:
Beim Wiederaustritt ins Freie war ich dankbar darüber, hier nicht eine alte VICE-Tradition fortführen zu müssen und mir LSD zu schmeißen. Ob auf Acid oder als Kleinkind (für die die Fahrgeschäfte hier hauptsächlich ausgelegt waren) hätte ich mir allein schon beim Anblick der apathischen Psycho-Erdbären-Band über dem Eingang des Traktor-Karussells vor Angst in die Hosen gekackt.
Waren es die starren Augen? Oder der mechanisch-repetitive Bewegungsapparat? Oder vielleicht auch nur der Wein, der allmählich einschlug? Ich weiß es nicht, aber die Erdbären machten mich fertig. Sie hatten etwas von Chucky der Mörderpuppe, Kindheitstraumata kamen wieder hoch, ich beschloss, mich in der Eisfiguren-Abteilung abzukühlen.
Alles klar, Abkühlen lief suboptimal. Schwer zu sagen, ob eine besorgte Mutter einem der Henker das Schwert abbrach, um so die Enthauptungsszene für ihr Kind etwas abzuschwächen oder ob die Waffe einfach nur so abfiel. Egal. Im nächsten Raum wartete dann ein Schiffe-fressendes Meeresungeheuer…,
,… und ein Alien-Ei:
Aber zum Glück wog der entspannt Wasserpfeife rauchende Pascha, der eine halbnackte Frau mit Schlangen für sich tanzen ließ, den ganzen Horror wieder auf.
Dann aber entdeckte ich eine Eisrutsche, endlich, auch etwas für mich. Nur leider schlug ich mir beim Rumhantieren mit der Kamera und dem eisglatten Einstieg die Fresse halb ein und wurde dann zu aller Krönung nach der dreisekündigen Fahrt von einem besorgten Pärchen mit ihren Smartphones aufgenommen.
Voll Schmerzen und Scham galt es den Eispalast so schnell wie möglich zu verlassen und nach alternativen Formen der Vergnügung zu suchen. Es war heiß, Schwimmen wäre fein. Aber ohne ein Kind an der Hand konnte ich nur schlecht ins Planschbecken gehen—ein halbnackter Typ, allein unter badenden Kindern mit einer Kamera im Anschlag? Man hätte mich für einen Sexualstraftäter gehalten und in Handschellen abgeführt.
Und doch, Aufgeben war keine Option. Es gab ja noch das Ponyreiten.
Die Hitze, der Lärm, die vielen Dreiviertel-Hosen, denen meine Augen ausgesetzt waren, meine Geduld neigte sich dem Ende entgegen und überhaupt: Wer sagt eigentlich, dass nur kleine Scheißkinder Ponys reiten dürfen? Ich wollte auch ein Stück vom Kuchen, die Erdbeerwelt war für alle da. Also ging ich zur Kasse, drückte dem Betreiber zwei Euro in die Hand und sagte, ich würde auch gerne ein paar Runden drehen—am besten oben ohne, wie Putin.
Doch anstatt animalischen Spaßes kam eine Abfuhr:
“Die Tiere sind nur bis 40 Kilo ausgelegt. Und oben ohne ist doch arg ungewöhnlich.”
“Nur bis 40 Kilo ausgelegt? Klingt wie ein Fahrstuhl, aber ok.”
Scheiße verdammte, es war einfach nicht mein Tag. Der Frust saß tief, der Schlüsselmoment war gekommen: Rückzug nach Hause oder die Flucht nach vorn antreten? Ich stand dazu, nicht nur Kinder und Rentner sollten Anrecht auf Spaß in der Erdbeerwelt haben und wenn mich schon nicht die Pferde stemmen konnten, Trecker würden es tun. Dazu nahm ich allen Mut zusammen, flitzte am Eingang zur der Traktorenbahn unter der Psychobären hindurch, ergriff das Steuer und machte den Putin.
Dann bin ich auf den Geschmack gekommen. Die von den Kindern okkupierte Riesenrutsche war mir ohnehin ein Dorn im Auge…,
… nee, so ging das nicht klar, es war an der Zeit, für klare Verhältnisse zu sorgen:
Bei allem Spaß an der Freude galt es trotzdem aufzupassen, nicht das rechte Maß und den Bezug zur Realität zu verlieren. Die Karls-Erdbeermenschen waren überaus freundlich zu mir, das sollte auch so bleiben. Und ob in der Erdbeerwelt oder im wahren Leben—stets gilt das Motto: Aufhören, wenn es am schönsten ist. Also bedankte ich mich freundlich, kaufte noch ein paar Erdbeerbonbons zum Abschied und fuhr mit dem Erdbeer-Sonderbus und Bildern von halbnackten Despoten im Kopf befriedigt wieder nach Hause.
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